Читать книгу Ich und Du - Martina Meier - Страница 11

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Verhexter Ewald

„Nein nein, das dürft ihr nicht!“, schrie ich meine Eltern an. Keine Minute zuvor hatten sie mir offenbart, dass die große, kräftige Trauerweide im Garten gefällt werden sollte, um einem Pool Platz zu machen.

„Ihr könnt Ewald nicht einfach umbringen! Er lebt!“, tobte ich und rannte heulend in mein Zimmer. Ich warf mich auf mein flauschiges Kissen und vergrub mein Gesicht darin. Der Bezug nahm meine salzigen Tränen rasch auf, doch immer wieder bebte ich unter einem neuen Anflug von Fassungslosigkeit.

Ein Schatten huschte an meinem Fenster vorüber. Mit verquollenen Augen starrte ich hinüber, erkannte aber durch den dichten Vorhang nicht, was los war. Zögernd lief ich zum Fenster und zog den Vorhang beiseite. Ein kräftiger Ast mit dichtem, grünem Laub wippte vor dem Fenster umher. Ewald wusste einfach immer, wie es mir geht, selbst wenn ich es ihm nicht gesagt hatte. Lächelnd öffnete ich das Fenster und kletterte hinaus in den Garten. Mit wenigen Schritten hatte ich das hohe Gras überquert und schmiegte mich an den breiten Stamm der Trauerweide.

„Ach Ewald“, schluchzte ich.

Ein paar kleinere und dünnere Äste schlangen sich um meinen Körper. Das Laub daran kitzelte meine Arme und den Nacken.

„Was ist denn los Clarissa?“, brummte eine dunkle, kratzige Stimme.

Seufzend löste ich mich von der Rinde und schaute in zwei riesige Augen. Ein kleiner, abgebrochener Ast deutete die Nase an und eine Art Wulst formte die breiten, dicken Lippen.

Seit unserem Einzug vor sechs Monaten hatte diese Trauerweide eine magische Anziehungskraft auf mich. Stundenlang ließ ich mich von ihr auf der Schaukel wiegen oder vertraute ihr meine Geheimnisse an. Nach kurzer Zeit offenbarte mir Ewald sein wahres Gesicht. Bevor wir das Haus kauften und einzogen, wohnte eine Hexe hier. Sie hatte Ewald als kleinen Pflänzling aus dem Astorpark gerettet, als der Park neu angelegt werden sollte, um ein Blickfang in Walldorfs Stadtmitte zu werden. Damit er nie wieder jemandem im Weg sein konnte, pflanzte die Hexe ihn in die Mitte des Gartens, genau an die Stelle, an welcher nun ein Pool gebaut werden sollte.

„Ewald, meine Eltern wollen dich fällen lassen“, wimmerte ich.

Ewalds Augen verkleinerten sich. Es war nicht einfach zu erkennen, ob er nun wütend oder traurig war. „Ich habe so was befürchtet“, seufzte er. Mit einem kleinen Ast wischte er mir meine Tränen weg. Ein weiterer Ast hatte sich fest um meinen Arm geschlängelt.

„Ich werde das nicht zulassen“, sagte ich bestimmt.

Ewald kicherte.

„Was willst du schon ausrichten, Kindchen?“, fragte er. Aber eine Antwort wartete er nicht ab. „Ich bin schon sehr alt. Meine Zeit ist wohl einfach gekommen“, murmelte er. Seine Äste hingen tiefer als sonst. Er war ganz sicher traurig.

„Sag so was nicht. Ich finde einen Weg“, knurrte ich. Mit schnellen Schritten lief ich zurück zum Fenster und kletterte hinein. Ich durfte keine Zeit verlieren.

Am nächsten Morgen schnappte ich mein Rad und radelte in das drei Kilometer entfernte Wiesloch. Die alte Hexe befand sich dort in der Psychiatrie – wer glaubte schon an echte Hexen – mit einer Notlüge hatte ich es geschafft, sie besuchen zu dürfen.

„Ewald? Wie geht es ihm?“, fragte die alte Dame neugierig. Sie hatte schneeweißes Haar und eine kleine, runde Brille saß auf ihrer langen Nase. Ihre Augen waren schmal und das Gesicht übersät von Falten. Sie trug einen grünen Bademantel und weiße Stoffpantoffeln. Ihre Stimme war hell, aber kratzte ein wenig.

„Das ist das Problem, meine Eltern wollen ihn fällen“, erzählte ich. Nur mit Mühe konnte ich meine Tränen unterdrücken.

„Ist er krank? Ich habe ihn stets gepflegt“, stutzte sie.

„Nein, meine Eltern wollen einen Pool bauen und Ewald steht im Weg“, erklärte ich. Die Aussicht, wegen einer Lappalie meinen geliebten Freund zu verlieren, schmerzte unerträglich.

„Vielleicht habe ich etwas für dich“, grübelte die Dame und bat mich, auf sie zu warten. Danach verschwand sie im Wohnheim.

Minuten vergingen und ich saß nervös auf der kleinen Parkbank. Mit meinen Füßen zeichnete ich kleine Kreise in den bunten Kies. Die Dame hatte wirklich etwas Hexenhaftes an sich, aber auf eine angenehme und knuffige Art. „Clarissa?“, sagte eine Stimme hinter mir.

Erschrocken wirbelte ich herum. Damit hatte ich nicht gerechnet. Die Dame hatte sich wie eine Maus angeschlichen.

„Verzeih mir, ich wollte dich nicht erschrecken“, beschwichtigte sie. Mein Herz wummerte wild in meiner Brust. „Glaubst du an Magie?“, fragte die Hexe, während sie neben mir Platz nahm.

„Ich weiß nicht“, antwortete ich und dachte an all die Bücher, die ich schon gelesen hatte. An Hexen mit schwarzen Katzen, faule Zauber, böse Zauber. Ich schauderte. Dennoch war Hexerei meine letzte Hoffnung.

Die alte Dame zog ein samtiges Säckchen aus ihrer Tasche. Im Schein der Sonne funkelte der Stoff.

„Was ist das?“, fragte ich neugierig.

„Echsendung, gemahlene Früchte und Kräuter“, kicherte die Hexe. Mein Magen drehte sich. Echsendung klang scheußlich.

„Ewald soll das hier essen. Es wird seine Wurzeln lockern und er wird beiseite rücken können“, erklärte die alte Frau und gab mir den Beutel.

„Was werden meine Eltern denken, wenn sie sehen, wie Ewald wandert?“, fragte ich skeptisch.

Kichernd zog die Hexe ein grünes Beutelchen aus der anderen Tasche. „Eine Prise davon in den Morgenkaffee und sie werden dir es glauben, wenn du ihnen sagst, dass Ewald dort schon immer stand.“

Ich schaute beide Beutel an. „Schwarz für Ewald und grün für meine Eltern“, murmelte ich.

Ich bedankte mich herzlich bei der Hexe und radelte, zurück nach Hause.

Im Garten war bereits Baumaterial aufgestapelt. Es musste in dieser Nacht geschehen.

Meine Eltern blieben ewig wach. Aber kurz vor ein Uhr, wanderten sie endlich ins Bett. Leise öffnete ich mein Fenster und stieg hinaus. Das hohe Gras war mittlerweile gemäht worden und Ewald sah nun irgendwie verloren aus.

„Ewald, Ewald, wach auf“, flüsterte ich.

Die Äste und Zweige bewegten sich. Ein Knurren und Brummen ging von Ewald aus und dröhnte in der Nacht lauter als am Tag. Erschrocken zog ich den Kopf ein und klopfte sachte gegen Ewalds Stirn. Mit einem Ruck riss er seine Augen auf und blinzelte mich an.

„Musst du nicht schlafen mein Kind?“, murmelte er.

„Pssst, nicht so laut, ich habe hier was zu essen für dich, von der Hexe“, erklärte ich und zog das schwarze Säckchen hervor.

„Wie hast du? Wo hast du?“

„Psssssssssst“, zischte ich. „Das erkläre ich dir morgen, iss das. Danach kannst du laufen und dich umsetzen.“

Mit einem Happ verschlang er die ganze Mixtur. Er kaute genüsslich und schmatzte laut. Es dauerte einige Augenblicke, ehe es unentwegt knackste und knarrte. Nach und nach zog Ewald seine Wurzeln aus dem trockenen Boden und wuchs dadurch noch mehrere Meter hoch.

Starr vor Staunen schaute ich meinem besten Freund zu, wie er an den hinteren Rand des Gartens wanderte, sehr darauf bedacht, keine Blumen zu zertrampeln. Am Gartenzaun ließ er sich wieder nieder und streckte seine Wurzeln tief in den Boden. Ich rannte ihm hinterher und bejubelte ihn.

„Danke mein Kind. Nun werden wir alle zufrieden sein“, brummte Ewald und schloss müde seine Augen.

Ich verbrachte noch zwei Stunden damit, den Garten umzugraben. Zumindest einen Teil davon, damit meine Eltern nicht gleich Verdacht schöpften.

Am nächsten Morgen stand ich vor allen anderen auf und brachte meinen Eltern einen Morgenkaffee ans Bett, gespickt mit jeweils einer Prise aus dem grünen Beutelchen.

Während ich auf meiner Schaukel saß, die um einen großen Ast Ewalds hing, kamen meine Eltern auf die Terrasse und starrten auf die freie Fläche.

„Was ist hier denn passiert? Wie ist der Baum da rüber gekommen?“, tönte es zeitgleich aus ihren Mündern.

„Aber Mama, Papa, der Baum steht schon immer hier, ich habe nur schon mal angefangen, das Loch für den Pool zu buddeln. Überraschung!“, rief ich.

Ein leises Klirren schwirrte um meine Eltern, dann patschten sie sich an die Stirn und sagten: „Ach, stimmt ja! Eine gelungene Überraschung!“

Ewald und ich grinsten einander an. Er zwinkerte.

Susanna Montua ist Jahrgang 1982, verheiratet und Mutter dreier Kinder. Sie wohnt in Walldorf, einer kleinen beschaulichen Stadt nahe Heidelberg. Schon in der Schulzeit zeigte sie viel Fantasie beim Verfassen von Aufsätzen. Diese Eigenschaft nutzt sie heute noch, um ihren Kindern spannende Geschichten zu erzählen.

Ich und Du

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