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Ein Funken Hoffnung im Jahr 2125

Jerry lebte, bereits seit er denken konnte auf dem Sternenkreuzer. In all den Jahren war es ihm nicht schlecht gegangen, soweit er sich erinnerte. Nun ja, er kannte es nicht anders.

„Du lässt dich viel zu viel herumschubsen“, sagte das zwei Meter große Insekt, das an der Bar lehnte. Ein Rest Fliegeneier klebte in dem Glas, das Jerry abräumte.

„So. Meinst du?“

„Natürlich.“ Das Insekt reckte sich die Flügel und wischte sich die letzten Fliegeneier von den Scheren, die beim Menschen den Mund bilden würden. „Das ist das Problem von euch Menschen. Niemand hätte euch versklavt, wenn ihr nur einmal den Mut gehabt hättet, für eure Freiheit zu kämpfen.“

„Vielleicht hatte die Riesenschabe recht“, dachte sich Jerry. Er war nur einige wenige Male einem Menschen begegnet. Aber stets waren sie Gefangene oder Sklaven gewesen, die traurig den Befehlen der anderen Lebewesen Folge leisten mussten.

„Ihr habt nichts“, fügte das Insekt hinzu, „ihr habt nicht mal einen eigenen Willen. Was seid ihr überhaupt für Wesen? … Kriege ich noch ein Glas eingerührte Eier?“

„Ja, Zripp!“ Jerry mixte eine Kelle voller Fliegeneier mit einem hochprozentigen Rum. Zripp, das große Insekt an der Bar, vertrug viel. Aber er erzählte auch viel wirres Zeug.

„Du musst das ändern.“

„Was?“ Der Untersetzer, den Jerry auf die Theke legte, trug das Symbol der Vereinigten Schwärme. Es war die größte Organisation in diesem Universum. Sie hatten die Vorherrschaft, die Insekten waren die Könige.

„Du kochst doch gerne. Was ist damit? Ist das nicht was Besonderes?“ Zripp leckte sich die Scheren als Jerry ihm das Glas mit den beschwipsten Fliegeneiern auf den Untersetzer stellte.

„Ich koche hin und wieder. Das mache ich gerne.“

Die Schabe nahm einen großen Schluck. „Das ist gut.“

„Warum?“

„Na, weil dir dann der Mut nicht so schnell sinkt, wenn du gern was für dich tust. Es bedeutet, Freiheit etwas für sich zu haben. Ihr Menschen – ihr werdet noch mal auf die Liste der ausgestorbenen Arten des Universums kommen, wenn ihr nichts mehr habt, woran ihr euch halten könnt.“

„Aber die Erde gibt es noch.“ Jerry stellte sich breitbeinig hinter der Theke hin. Er wollte nicht akzeptieren, was Zripp ihm da sagte. Die Menschen lebten noch – das war das Wichtigste. Auch wenn sie versklavt worden waren – damals im Erdenkrieg des Jahres 2113, dem Jahr von Jerrys Geburt.

„Ach, die Erde. Die habt ihr gar nicht wirklich. Die Sklavenkolonie dort gibt es nur, weil ihr dort leichter gezüchtet werden könnt.“ Zripp hielt sich mit zwei Armen am Glas fest und rührte mit einem dritten die Eier durch. Er trank noch ein Dutzend Fliegeneierpunsche. Die Gespräche wurden immer zusammenhangloser. Auch wenn er ein netter Kerl war – für ein Insekt zumindest – so machte ihn der Alkohol doch nur umso mehr zum Tier.

Als Jerry spät in der Nacht nach unzähligen Gästen – beinahe alle waren Insekten gewesen – in sein Quartier zurückging, begegnete er zufällig Lucille, die immer Lucy genannt werden wollte. Lucy war ein Mensch.

„Hey, Lucy!“, rief er ihr zu. Der Gang war leer. Die Insekten schliefen um diese Zeit.

„Hey, Jerry. Wie war die Arbeit?“ Lucy strich sich eine dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht. Sie putzte jeden Tag die Kommandobrücke und die dazugehörige Etage.

„Da hatte sie echt viel zu tun“, dachte Jerry. Er wollte nicht gern mit ihr tauschen. „Ach, eigentlich wie immer.“ Ihm schwirrte das Gespräch mit Zripp im Kopf herum. „Und bei dir?“

„Ich will mich nicht beklagen. Bin wenigen Insekten begegnet.“ Sie lächelte schief.

„Willst du noch mit zu mir kommen? Ich kann etwas für uns kochen.“

„Ja, gern“, sagte Lucy. Ihre Augen glänzten. Nach den langen Tagen blieb ihnen abends wenig Zeit etwas anderes zu tun. Meistens waren sie viel zu kaputt. Doch heute klappte es.

Der Sensor, den Jerry um sein Handgelenk trug, vibrierte kurz, als er vor seine Wohnzelle trat. Die Tür öffnete sich von alleine. Sie war mit dem Sensor verbunden. Lucy folgte ihm in die kleine Wohnung. Sie sah genauso aus wie Lucys Wohnung: ein Bett, eine Dusche und eine Kochstelle. Nicht viel, aber zum Leben reichte es.

Jerry machte sich gleich ans Kochen. „Ich koche total gerne!“

„Wirklich? Ist das nicht nur da, um zu essen?“

„Nein.“ Jerry öffnete einen kleinen Vorratsschrank, der über dem Herd hing. Darin lagen Hunderte Gewürze und Aromafläschchen. „Dann würde ich das hier nicht sammeln.“

„Du sammelst sie?“ Sie hatte schon von verrückten Freizeitbeschäftigungen gehört, aber Gewürzsammeln war ihr neu.

„Setz dich. Warte einfach ab.“ Und Jerry wirbelte um den Herd herum, wischte über die Herdplatten, schnippelte, hackte und garte. Als er fertig war, stellte er eine Schüssel und Besteck vor Lucy ab. „Hier. Probier das!“

Es schmeckte Lucy ganz außergewöhnlich gut. „Wie kommst du an die ganzen Gewürze?“, fragte sie schließlich, als sie aufgegessen hatte.

„Ich habe einen Gast, der oft bei mir an der Bar trinkt. Er heißt Zripp. Er ist immer sehr gut zu den Menschen. Mir bringt er immer Gewürze von fernen Planeten mit. Manchmal weiß ich gar nicht, ob ich das verdient habe. Immerhin sind wir doch nur Menschen.“

Lucy sah ihm tief in die Augen. „Das weiß ich auch nicht. Aber ich weiß, dass du es verstehst, damit umzugehen.“

„Ja, ich koche für mein Leben gern.“

„Würdest du morgen wieder für mich kochen? Ich bringe dir auch alles an Lebensmitteln vorbei, was ich bekomme.“

„Gerne.“ Das Geschirr nahm Jerry und stellte es in ein Gerät, das die Essensreste einfach wegstrahlte. „Ich mag es dich bei mir zu haben.“

Eigentlich war es sowohl verboten zu kochen, als auch so viel Kontakt miteinander zu haben. Doch von diesen Sklavengesetzen ließen sich die beiden nicht abschrecken. Abend für Abend saß Lucy bei Jerry. Sie aßen zusammen, sprachen von ihrem Tag und erzählten sich Geschichten aus einer anderen ‒ meistens einer besseren ‒ Zeit.

„Würdest du das Kochen für irgendetwas eintauschen?“, fragte Lucy eines Tages.

„Für nichts in diesem Universum!“ Jerry meinte es ernst. Es bedeutet Freiheit für mich! Mein Herz schlägt für das Kochen. Es lässt mich frei sein. Aber es schlägt auch für dich, weil ich schon so viele Abende mit dir diese Freiheit teilen konnte. Verstehst du?“

Lucy verstand. Auch für sie gab es diese Freiheit. Sie genoss die kleine Freiheit.

Eines Tages als Lucy den Boden auf dem Kommandodeck schrubbte, kam ein wohlhabender Mann vorbei. Der Kapitän ging neben ihm. „Und wer ist das?“, fragte der menschliche Mann und zeigte auf Lucy.

„Das ist Lucille. Die hat keine besonderen Talente. Die macht nur sauber.“ Der Kapitän schnaubte verächtlich. Er zirpte leicht.

„Ich habe das schon vorhin gesagt: keine abfälligen Bemerkungen über die Menschen. Sonst kommen wir nicht ins Geschäft. Putzen ist eine ehrbare Tätigkeit. Es ist keine Frage, wie es hier ohne Lucille bald aussehen würde.“

„Entschuldigen Sie, Herr Urb. Wir sind es nun mal nicht gewohnt eigenständigen Menschen zu begegnen.“

„Gewöhnen Sie sich besser daran.“ Herr Urb blickte ihn ernst an. „Haben Sie sonst noch Menschen an Bord, die ich brauchen könnte?“

„Nein, jetzt haben sie alle gesehen.“

Lucy meldete sich: „Waren Sie schon bei Jerry? Das ist der kleine Junge hinter der Bar.“

„Ja“, meinte der scheinbar freie Mann, „aber er schenkt nur Getränke aus. Das ist keine besondere Fähigkeit. Das können wir ein paar Roboter machen lassen.“

„Das nicht“, erklärte Lucy, „aber er kann auch kochen. Und er ist mein Freund.“

„Vom Kochen hat er nichts erzählt. Nun gut, Kapitän, dann nehme ich beide mit.“

Der Insektenkapitän rieb sich seine Fühler aneinander, als er ein Bündel Geldnoten für die beiden bekam.

Als Lucy und Jerry bei Herrn Urb an Bord des kleinen Personentransporters waren, rieben sie sich ihre Handgelenke. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl so ganz frei zu sein.

„Was passiert hier?“, fragte Jerry für sie beide.

„Oh, ich bin euch wohl noch eine Erklärung schuldig. Nun es ist so: Vor vier Jahren wurde mir die Freiheit geschenkt. Seit dem habe ich ein Stück Land auf der Erde gekauft. Und jetzt bin ich in allen Teilen des Universums unterwegs und suche Menschen, die eine freie Spezies bilden können. Deswegen kommt ihr mit. Und einen Koch können wir gut gebrauchen. Kochen ist etwas Besonderes. Wie ist es eigentlich dazu gekommen, Jerry, dass du nach dem langen Arbeitstag noch so etwas erlernt hast?“

Und Jerry begann zu erzählen, wie er ein paar Kräuter gefunden hatte und mit Zripps Hilfe nach und nach einen ganzen Schrank voll davon hatte. Von nun an würden sie nie wieder heimlich kochen müssen. Mit einem Arm umklammerte er die Tasche, in die er hastig seinem Gewürzschrank entleert hatte, und mit dem anderen hielt er Lucy im Arm. Er erzählte von seiner geheimen Freiheit. Auch Lucy hatte von dieser Freiheit gekostet. Sie lächelte.

„Toll“, sagte Herr Urb. „Wenn das alle seit dem Erdenkrieg getan hätten, dann würde ich viel eher Menschen für unsere freie Kolonie finden. Aber was soll’s. Starten wir durch.“

Vor dem Personentransporter tauchte der Planet auf. Das Strahlen des Blaus beruhigte Lucy und Jerry und sollte ein Vorgeschmack auf die Freiheit werden.

Schemajah Schuppmann aus Essen. Mit einem Menschen an der Seite, den man ganz besonders liebt und mit dem man teilen kann was man erlebt, fällt vieles leichter. Man teilt Hoffnung, Freiheit, Liebe und noch viel mehr. Er teilt gerne seine Geschichten mit jedem Leser und jeder Leserin, als ob er eine Mahlzeit zubereiten würde. Dafür schreibt er das ganze Jahr über an kurzen und langen Geschichten.

Ich und Du

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