Читать книгу Ich und Du - Martina Meier - Страница 12
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Von großen und kleinen Kindsköpfen
Opa Ludwig war eigentlich gar nicht Leons Opa.
Trotzdem nannte er ihn immer so, denn er sah aus wie ein richtiger Opa. Er hatte eine dicke, schwarze Brille, die von einer großen, runden Knollennase getragen wurde. Seine Haare waren grau und schütter und er hatte Abertausende Falten im Gesicht. Beim letzten Versuch, sie zu zählen, kam Leon nicht weiter als einhundertsiebenundzwanzig. Am besten gefielen Leon aber die Falten, die Opa Ludwig um seine Augen und den Mund hatte, besonders wenn er spitzbübisch lachte. Dann leuchteten seine grün-blauen Augen auf und er kam einem überhaupt nicht alt vor. Mitten auf dem Kopf hatte Opa eine kreisrunde Glatze, einen echten Hubschrauberlandeplatz! Manchmal durfte Leon dabei zusehen, wie er sie mit einer Zahnbürste polierte, damit sie schön glänzte. Er war eben auch ein bisschen verrückt, der Opa Ludwig!
Nur zwei Häuser entfernt von Leon, am Ende der Leopoldstraße, wohnte Opa Ludwig in seinem kleinen Häuschen. Sein Garten fiel völlig aus der Reihe, denn der Rasen wurde niemals gemäht und das Gras wuchs meist so hoch, dass es Leon bis zur Hüfte reichte. Man konnte darin prima Verstecken spielen, vor allem mit Opa Ludwig! Einmal musste Leon ihn richtig lange suchen, denn Opa hatte sich heimlich ins Haus geschlichen und in aller Seelenruhe seinen Sonntagskuchen verdrückt.
Die Hauswände von Opa Ludwigs Häuschen waren derart von wildem Efeu bewuchert, dass man meistens kaum noch aus den kleinen Fenstern sehen konnte. Vielleicht lag das aber auch einfach daran, dass Opa Ludwig die Fenster nie putzte. Um das Häuschen herum wuchsen kreuz und quer duftende, wilde Blumen. Nach einem uralten Rezept hatten Opa und Leon sich in den Sommerferien einen magischen Kräutertrunk daraus gemacht, um die Ferien zu verlängern. Der hatte auch tatsächlich funktioniert, denn beiden wurde schließlich so schlecht, dass Leon die erste Schulwoche noch zu Hause bleiben musste. Seine Mama hat fürchterlich geschimpft und Opa schaute ganz betreten drein.
In der Nähe des Gartentors hatte Opa einen kleinen Teich angelegt, der Frösche und Libellen beherbergte. Opa behauptete, auf dem Grund des Teiches läge ein Piratenschatz. Das wollte Leon natürlich genau wissen und so haben die zwei sich ein ganz kleines Floß gebaut, gerade so groß, dass es auf den Teich passte. Natürlich wehte vom Floß eine gefährliche Totenkopfflagge, die sie aus dem Vorhangstoff des Wohnzimmers geschneidert hatten. Leider waren beide auf einmal aber zu schwer für das Floß und nach einem wilden Kampf mit einer ganzen Horde gefährlicher Stechmücken kenterten sie kläglich und landeten im Wasser. Die Frösche erschraken gewaltig, denn einen von ihnen hatte Opa Ludwig wohl ausversehen verschluckt! Einen Schatz haben sie an diesem Tag leider nicht gefunden, aber Leon bekam für diesen außerordentlichen Verdienst von Opa eine goldene Medaille verliehen.
Im Winter, wenn der schiefe Kamin schwarzen Rauch ausstieß, fuhr Leon manchmal auf dem Teich Schlittschuh. Er drehte Pirouetten und Opa mimte stets den Preisrichter. Aus dem geöffneten Wohnzimmerfenster spielte ein ururaltes Grammofon die passende Musik dazu. Im Wohnzimmer war es danach immer so kalt, dass sie sich in mindestens drei Wolldecken einkuscheln und mindestens fünf Wärmflaschen machen mussten.
Eng aneinandergeschmiegt wärmten sie so ihre Füße am Kaminfeuer und Opa erzählte dann häufig von früher, als er noch jung war. Besonders gerne mochte Leon, wenn er von seinem Abenteuer auf dem Mond erzählte. Als Astronaut sollte Opa damals den Mond putzen, weil man ihn vor lauter Dreck auf der Erde gar nicht mehr richtig sehen konnte. Das Raumschiff war silbern und riesengroß und bis obenhin voll mit besonderem Putzmittel, um auch die hartnäckigsten Flecken entfernen zu können. Vor nicht allzu langer Zeit versuchten Opa und Leon, das Raumschiff nach zu bauen. Mit viel Alufolie und Silberstoff wurde aus dem Sofa im Wohnzimmer eine richtige Rakete, in die beide bequem hineinpassten. Bewaffnet mit Putzlumpen haben sie den Mond blitzeblank geputzt. Das Wohnzimmer hat danach richtig geglänzt! Während des Fluges zurück auf die Erde waren beide schließlich so hundemüde, dass sie noch in der Rakete einschliefen und erst am nächsten Morgen wieder aufwachten.
Ein anderes Mal haben sich beide als Indianer verkleidet. Opa Ludwig malte Leons Gesicht mit Ruß rabenschwarz an und seinen Hühnern rupfte er eigens ein paar frische Federn für ihren Kopfschmuck. Leon und Opa legten sich hinter dem riesigen Rosenstrauch auf die Lauer, aber die beleidigten Hühner machten ihnen einen Strich durch die Rechnung. Durch das laute Gezeter und Gegacker wurde jegliche Beute erfolgreich verscheucht und Opa Ludwig und Leon mussten mit leeren Händen wieder von dannen ziehen.
Zu ihren knurrenden Mägen kam zu allem Überfluss noch dazu, dass der Ruß kaum aus Leons Gesicht zu entfernen war. Opa Ludwig schrubbte so feste, das Leons Gesicht puterrot wurde. Leon verzog nicht einmal sein Gesicht – Indianer kennen schließlich keine Schmerzen! Am Lagerfeuer haben sich die beiden im Anschluss eine Dose Ravioli gekocht, das war wenigstens besser als nichts, und wie Opa Ludwig behauptete, sogar das Lieblingsessen der Indianer. Leon überlegte fieberhaft, wie Indianer wohl an eine Dose Ravioli gelangten, wagte aber nicht, Opa Ludwig danach zu fragen.
An besonderen Tagen, wenn Opa Ludwig und Leon nichts Besseres einfiel, tauschten die beiden einfach die Rollen. Dann war Opa Leon und Leon war Opa. Leon liebte dieses Spiel, denn dann musste Opa Ludwig die Hausaufgaben machen und sein Zimmer aufräumen, während Leon im Schaukelstuhl wippte, Schokoladenkekse naschte und versuchte, das Kreuzworträtsel zu lösen. Opa Ludwig stöhnte über die schwierigen Hausaufgaben, und Leon stöhnte über das schwierige Kreuzworträtsel. Doch auf diese Weise konnte Leon länger aufbleiben, während Opa um 8.00 Uhr ins Bett gehen musste. Leon fielen jedoch meistens während des Vorlesens der Gutenacht-Geschichte für Opa die Augen zu. Darauf hatte Opa Ludwig nur gewartet. Er zog die warme Bettdecke bis an Leons Kinn, schlich sich hurtig aus dem Zimmer und kümmerte sich um das angefangene Kreuzworträtsel. Nach nur wenigen Minuten tönte aus dem Ohrensessel ein behagliches Schnarchen und Opa Ludwig begab sich wie Leon ins Land der Träume.
Sehr wahrscheinlich gingen sie dort gemeinsam auf Bärenjagd, erschreckten Gespenster, lernten Drachenreiten oder retteten Prinzessinnen … weil sie einfach unzertrennlich waren!
Julia Krusch ist 23 Jahre alt und lebt in Immenstadt im Allgäu. „Herzmenschen“ sind für sie jene Menschen, die ihr Herz erwärmen, egal wie kalt das Wetter oder die Stimmung draußen sind. Diese Geschichte ist für ihre Opas und Omas, denn obwohl sie Jahrzehnte trennen, sind sie ihr im Herzen ganz nah. Und das werden sie immer sein!