Читать книгу Die Krimizimmerei - Martina Meier - Страница 9

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Bunte, streng verbotene Sterne

Es war Montagmorgen, und noch dazu war es neblig. Ich stand mit Luki vorm Schulgebäude. Doch es war nicht einfach nur ein normaler Montagmorgen mit schlechtem Wetter. Etwas war anders: das Schulgebäude selbst.

„Krass, sieht das cool aus!“, rief Michelle neben mir begeistert.

Luki kicherte nervös. Mein kleiner Bruder geht erst in die erste Klasse. Und ich glaube, so etwas wie das hier hatte er noch nie gesehen. Ich wollte ihn beruhigen. „Sieht doch echt schöner aus als vorher“, meinte ich vorsichtig. Er sah mich mit großen Augen an. Da bemerkte ich, dass der Schuldirektor direkt hinter mir stand.

„Schöner als vorher!“, empörte der sich. „Eine Sauerei ist das! Bunte Graffiti-Sterne auf dem Schuldach und an der ganzen Wand! Ich werde dafür sorgen, dass dieses ekelhafte, bunte Geschmiere hier sofort beseitigt wird!“

„Boah ey!“, knurrte Michelle neben mir. „Ist doch hübsch!“ Der Direktor drängte uns und alle anderen Kinder, ins Schulgebäude zu gehen.

Ich sah Luki in seinem Klassenzimmer verschwinden und folgte Michelle in unseren Raum. Bei uns in der Klasse ist es normalerweise ganz lustig, denn wir haben einen lockeren Klassenlehrer, Herrn Milowski. An diesem Tag aber war ganz schlechte Stimmung, denn Herr Milowski war schlecht drauf.

„Der Schulleiter wird gleich kommen und ein paar Worte an euch richten“, warnte er uns. „Also setzt euch bloß schon mal ruhig hin! Die Lage ist sehr ernst!“

Und tatsächlich: Kaum hatte Herr Milowski seine Warnung beendet, sprang die Klassenzimmertür auf. Und da stand der Direktor, rot vor Wut im Gesicht.

„Wer hat das Geschmiere veranstaltet?“, rief er in die Klasse. „Keine blöden Sprüche! Wer war’s?“ Michelle auf dem Platz neben mir kicherte. „Das ist nicht witzig!“, fauchte der Direktor sie an. „Und wer auch immer den Dreck veranstaltet hat, er wird von der Schule fliegen!“ Michelle verstummte. Ich blieb auch lieber still.

„Keiner von euch hat eine Idee, wer die Sterne gemalt haben könnte?“, kam Herr Milowski dem Direktor zu Hilfe. Aber wirklich niemand wusste etwas, und so musste der Direktor irgendwann ohne Antwort auf seine Frage wieder gehen.

Wir konnten uns den ganzen Schulvormittag lang nicht konzentrieren, weil ein Kran und irgendwelche Putz-Spezialisten mit irgendwelchem Spezial-Putzmittel angefahren kamen. Die schrubbten das Dach, bis es wieder langweilig aussah.

Auf dem Heimweg von der Schule stand ich mit Luki noch eine Weile vor dem Gebäude rum und starrte die Fassade hoch. Wir wollten gucken, ob nicht irgendwo ein bunter Strich von dem Spezial-Putzteam vergessen worden war – aber nein. Alles war total sauber. „Wenn ich derjenige wäre, der das alles gemalt hat, würde ich einfach wiederkommen und es noch mal draufmalen“, sagte ich zu Luki. „Der Direktor kann ja nicht jeden Tag die Putzleute kommen lassen. Irgendwann würde er bestimmt aufgeben und die Sterne einfach da lassen.“

„In der Nacht, Aylin?“, fragte Luki mit großen Augen.

„Klar in der Nacht!“, sagte ich. „Der Direktor dürfte mich ja nicht dabei sehen, wie ich die Sterne male ... also ... ich meine, wenn ich derjenige wäre.“

„Vielleicht kommt er ja heute Nacht wieder“, meinte Luki fröhlich. „Und morgen sind alle Sterne wieder da!“

Ich starrte ihn an. „Du bringst mich auf eine Idee!“, rief ich begeistert.

„Was denn, Aylin?“, fragte Luki nichts ahnend.

„Wir kommen heute Nacht hierher“, rief ich aufgeregt. Und als ich sah, wie Michelle zu uns hinüberstarrte, redete ich doch lieber im Flüsterton weiter. „Vielleicht können wir rausfinden, wer die schönen, bunten Sterne malt.“

Ich war dann den ganzen Nachmittag über total aufgeregt. Und ich hatte Angst, dass Luki sich verplappern würde. Hätte er Mama erzählt, dass wir nachts zum Schulhof wollten, hätte sie bestimmt alle Türen zu Hause gut abgeschlossen und die Schlüssel versteckt. Aber Luki hielt dicht. Ich war stolz auf meinen kleinen Bruder. Und außerdem war ich aufgeregt und nervös und irgendwann auch müde. Wir mussten ja warten, bis es spät war. So spät, dass sogar Mama und Papa schliefen.

Und dann ging es los. Mit wild pochendem Herzen schlich ich den Wohnungsflur entlang. Luki schlich mir hinterher. Mit noch wilder pochendem Herzen öffnete ich die Wohnungstür. Ich ließ erst Luki hindurchschlüpfen und trat dann selber hinaus. Mit dem am allerwildesten pochenden Herz auf der ganzen Welt schloss ich die Tür hinter mir. Sie knarrte immer beim Schließen. Ich dachte, Mama und Papa müssten davon eigentlich aufwachen. Taten sie aber zum Glück nicht. Und dann standen wir im Hausflur. Und kurz darauf auf der Straße. Ich war noch nie nachts auf der Straße gewesen außer an Silvester.

„Ist das kalt!“, sagte Luki bibbernd.

„Keine Angst“, flüsterte ich ihm zu. „Wir schaffen das!“

Und dann liefen wir los. Vorbei am Supermarkt, unter der S-Bahnbrücke durch, und dann die lange, dunkle Straße, in der unsere Schule steht, entlang.

„Da ist ein Gespenst!“, flüsterte Luki neben mir ängstlich.

„Gespenster gibt’s nicht“, sagte ich belustigt.

Doch dann bekam ich es plötzlich mit der Angst zu tun ... Ich wusste, es würde kein Gespenst da sein ... Aber nun sah ich, was Luki für ein Gespenst gehalten hatte: An der nächsten Straßenecke bewegte sich ein Schatten. Es war ein Mensch!

Ich blieb wie angewurzelt stehen. Der Schatten bewegte sich weiter ... auf die nächste Straßenlaterne zu, wo man die Person besser sehen konnte.

„Das ist ein Mädchen“, flüsterte Luki ängstlich.

„Das ist Michelle!“, rief ich erschrocken.

Sie drehte sich um. „Was macht ihr hier?“, schrie sie und klang ganz entsetzt. Über eine Entfernung von etwa zehn Metern hinweg starrten wir uns ängstlich an.

„Habt ihr die Sterne gemalt?“, fragte sie schließlich.

„Nein“, sagte ich verblüfft. „Du?“

„Nein.“ Sie schien überrascht über die Frage. „Aber ich hab gehofft, dass derjenige wiederkommt und sie neu malt. Und ich wollte wissen, wer es ist.“ Wir kicherten alle drei erleichtert. Luki und ich liefen auf Michelle zu. Dann gingen wir gemeinsam weiter. Mit Michelle an meiner Seite fühlte ich mich schon etwas sicherer und stärker. Und das war wichtig, denn wir näherten uns dem Schulgelände, was heißt, wir kamen dem Tatort näher. Es wurde immer spannender ...

„Da ist ein Monster!“, schrie Luki. „Ich höre es genau.“ Ich drückte meinen kleinen Bruder beschützend an mich und lauschte.

„Ja, irgendetwas klappert komisch“, meinte Michelle alarmiert. Ganz vorsichtig schlichen wir weiter. Und dann sahen wir es ... das Schulgebäude ... und Farbkleckse davor auf dem Boden ... in Orange, in Rot ... und Schuhabdrücke in den Farbklecksen. Schuhabdrücke von einem Erwachsenen!

„Es muss ein großer Mann sein“, schlussfolgerte ich. „Bestimmt ist er stark. Und mutig, wenn er nachts herkommt. Vielleicht auch böse.“

„Wer coole, bunte Sterne malt, ist doch nicht böse“, widersprach Michelle. „Komm, Aylin, wir suchen ihn!“ Ich schluckte. Ich hatte Angst. Luki neben mir zitterte – entweder vor Kälte oder vor Angst oder beidem.

Da ertönte eine tiefe Männerstimme hinter uns. „Wollt ihr mir beim Malen helfen?“ Ich kreischte vor Schreck laut auf. Wie in Trance drehte ich mich um. Und dann erblickte ich ... meinen Klassenlehrer.

„Was machen Sie denn da?“, rief Michelle.

„Ich verschönere unsere Schule“, sagte Herr Milowski und grinste. „Ich hoffe einfach, dass der Direktor aufgibt und die Sterne dranlässt.“ Luki lachte ganz hysterisch. Verwirrt starrte ich zu meinem kleinen Bruder. Dann zu Michelle. Dann zu Herrn Milowski. Und dann ... dann lachten wir alle vier.

„Nehmt euch einen Pinsel!“, sagte Herr Milowski. „Und dann geht’s los!“

Kirsten Seidlitz, wurde 1988 geboren und hat sogar zwei Heimatstädte: Berlin, wo sie aufgewachsen ist, und Köln, wo sie Musik und Sonderpädagogik studiert. Es wurden bereits Kurzgeschichten von ihr in den Papierfresserchen-Anthologien „Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland 5“, „Wie aus dem Ei gepellt 3“ und „Es war einmal im Sommer“ veröffentlicht.

Die Krimizimmerei

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