Читать книгу Geschichten aus dem Kopf gepurzelt - Martina Raguse - Страница 17
ОглавлениеRentnerinnenblues
Nicht mehr lange…
Dann tanze ich den Rentnerinnenblues.
Ich habe noch nie wirklich gerne getanzt, und jetzt das!
Hey, haltet das Zeitrad an, sofort!
Ich bin noch nicht so weit, ich bin noch nicht bereit.
Soeben war ich noch 14. Schon damals habe ich mich überall gesucht. Verflucht! Ich bin noch nicht so weit.
Damals, damals ist relativ. Die Melodie meines Lebens hat sich verändert, ist ruhiger, stimmiger geworden und ein wenig leiser.
Ich höre die Zeit in ihrem eigenen Rhythmus ticken, ihr harter kalter Lauf sitzt mir im Nacken.
Rentnerinnenblues, ich höre deine Melodie.
Sie spielt mir das Lied vom Tod.
Plötzlich wird es ganz still um mich herum, die Musik ruht, und ich bin tot, mausetot.
Wie soll das auch klingen? Marmor, Stein und Eisen bricht…? Ich höre nichts. Wie fühlt sich das tot sein an? Wie fühlt es sich an, nicht mehr da zu sein? Wie eine Geburt? Ich kann mich nicht erinnern, an meine Geburt.
Halt! Ich bin noch nicht soweit, ich bin noch nicht bereit!
Als Mutti ging, hörte es sich an wie eine Posaune, die nicht mehr richtig spielen kann. Die Kraft der Bläserin ist verstummt …
… in diesem Leben.
Ich bin vergesslich geworden.
Die Zeit nimmt mir meine Erinnerungen.
Die Schlechten bitte zuerst, sie dürfen mit all ihren Wunden und ihren miesen Klängen verschwinden.
Die schönen Erinnerungen sollen bleiben, ich will von ihnen ein Potpourri schreiben und ihnen die Flötentöne beibringen, die leisen feinen weichen.
Sie hinterlassen im Mund ein schokoladiges Gefühl am Nippelchen, Vollmilch/Nuss.
Ich nehme sie mit, ob das wohl geht? Jenseits von Gut und Böse?
Ich sterbe, ich steige aus! Raus aus meinem Körper, er war nie wirklich Rock and Roll … nur ab und zu …
Soll ich das Gesamtpaket entsorgen? Nein, mein Geist tanzt wild in allen Gassen, hat mich bis heute nicht verlassen … bis heute …
Achtung, Achtung, bitte alle beweglichen Teile den Musikraum verlassen! Der Konzertraum leert sich.
Oh je, da ist ja noch die Seele, ich höre mimimieeeh. Die erste Geige spielte sie nie. Sie war immer ein wenig ängstlich, zerbrechlich und zart, wie das Mädchen an der Harfe, das ist ihre Art.
Mein Geist hingegen, zeigt sich stark und verwegen, ein echter Kontrabass eben. Doch dem Tod schaut er auch eher ängstlich entgegen.
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.
So kann ich das Ganze ja auch mal sehen.
Im Hier und Jetzt, in diesem Leben, bereite ich mich vor, auf das finale Konzert hinter dem Tor.
Nie hatte ich Angst zu versagen, doch hier im stillen Kämmerlein wird die große Bluestänzerin demütig klein.
Was habe ich hier noch zu tun, den schrägen Tanz der Lebenden tangieren? Ich schaue zu, seh ihr Bestreben, Schrittfolgen passen nicht zu mir, ich war und bin kein Herdentier.
Die Welt, sie brennt an vielen Plätzen, kein Raum für schöne Melodien, Menschen fliehn.
Und ich – ich fliehe auch – vor mir, vor Dir, vor dem Gruseln im Bauch.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, höre ich mich brummen, summen, verstummen. Ich kann sie nicht retten, sie hurt in den Betten der Ignoranz, während ich meinen Rentnerinnen- blues tanz.
Am liebsten würde ich sie alle verkloppen, wie mit 14, seht her, ich weiß schon wie das Leben geht!
Mit Paukenschlag und Trommelwirbel bereite ich mich vor.
Am Rande steht der Tod und flüstert mir ins Ohr.
Hab keine Angst vor mir, ich war schon immer hier, gleich neben Dir. Denn ohne mich gäb es das Leben nicht.
Der Tod ist mein Damoklesschwert, ich bin noch nicht so weit.
So tanze ich ganz königlich den Rentnerinnenblues.