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3. Kapitel

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In den Provinzhauptstädten Deutschlands, in denen nicht alle Tage irgendwo ein Frauenereignis in einem männerfreien Ambiente stattfindet, werden die wöchentlichen oder eventuell gar nur vierzehntägigen Frauenkneipen in der Regel gut besucht.

Da taucht dann nicht nur die einsame, meist ortsfremde Wen-Do-Trainerin auf der Durchreise auf, da zieht es die Landlesben von ihren unökonomisch geführten Kleinstbiobäuerinnenbetrieben und leicht verkommenen Pferdehöfen ins brodelnde Kleinstadtleben, die dreieinhalb festen Lehrerinnenpärchen als jeweilige Vertreterinnen der drei wichtigsten Schultypen unseres nordrhein-westfälischen Landes sitzen an ihrem Lehrerinnentisch und besprechen die Realien des Daseins zwischen Beamtinnentum und Comeoutbestrebungen. Und da hängen die obligaten Kajaldamen zwischen fünfzehn und achtzehn Jahren am Tresen herum. Schick behängt mit diesen nierenkranken, ausgebleichten Jäckchen, an den Füßen Plateausohlen. Sie können sich immer noch nicht entscheiden, ob sie nun Mädels wollen oder doch wieder lieber mit den Jungens weiter rumhängen – echt ätzig die, echt! Sie werden misstrauisch beäugt von den zwanzig- bis fünfundzwanzigjährigen Junglesben in Lederjacke und mit Stoppelkopf, die es geschafft haben, sowieso demnächst nach Köln oder Berlin emigrieren werden und verachtungsvoll auf alle Provinztussis hernieder blicken. Dazu gibt es eigentlich keinen Grund, denn das Häuflein übrig gebliebener, aufrechter Politfrauen aus grandioseren Jahren, grau geworden in den jahrzehntelangen Kämpfen zwischen Männerherrschaft und Beziehungskisten, debattiert ernst und so laut, dass bitte es alle hören mögen, die beklagenswerte Unpolitisiertheit der jungen Generation – zu der sowieso alle unter siebenunddreißig gehören! Meistens artet das aus in den üblichen Hickhack zwischen der Ober-Hetero-Politfrau des Ortes, die sich irgendwann mal für das Engagement bei den Grünen entschieden hat, und der Ober-Lesben-Politfrau, die heute die regionale Ansprechpartnerin der Feministischen Partei ist. Vor vielen Jahren waren sie die erbittert verfeindeten Queens of the Scene, leider auch einige Male miteinander im Bett, was sie besser hätten bleiben lassen sollen. Heute sieht das Ganze viel gelassener aus. Die hohen Sturmeswellen der Jugend sind verklungen, die wilden Gebirgszacken aller Dissenzen zu ruhigen Tälern glattgehobelt. Man kann wieder miteinander – zumindest einmal in der Woche oder im Monat einen Abend lang.

Rosi hat gewissermaßen eine biografische Lücke von zehn Jahren, was diese Szene betrifft.

„Manchmal muss man sich entscheiden“, erklärte sie mir einst an einem lieblichen Sommerabend bei mir zu Hause an der Steinbachtalsperre, als die anderen Eifellesben schon vom gemeinsamen Badewurzelstammstrand aufgebrochen waren und die Sonne eine späte Brücke über das dunkle Wasser legte.

„Du kannst nicht gleichzeitig deine Karriere bei der Polizei planen und illegal Frauen zur Abtreibung nach Holland fahren.“

„Du musstest ja nicht ausgerechnet zur Polizei gehen!“

„Nein, mein Schatz, das nicht. Aber ich wollte eben fotografieren und dort wurde die Stelle frei.“

„Presse wäre doch auch etwas gewesen?“

„Ich weiß es nicht. Ich mochte, als ich noch in der Lehre war und schon so kleinere Aufträge in Konstanz übernahm, diese Hektik nicht, die dort herrschte, diesen Stress. Jeder konkurrierte mit jedem. Das war nicht sehr fein! Abgesehen davon, glaubst du im Ernst, Jane, Fußballspiele oder Bankeröffnungen wären so viel politischer als Autounfälle oder Wasserleichen?“

„Immerhin tust du ja auch was Gutes – so vom Gesellschaftspolitischen her gesehen.“

„Irgendwie schon. Ich bin gerne auf der Rächerseite, wenn ich ehrlich sein soll. Aber als ich hier auf dem Kommissariat ein paar Jahre geschafft hatte und die Vereidigung zur Beamtin anstand ...“ Sie zuckte die Achseln und ich spürte an ihrem Blick, wie sehr sie das Ganze eigentlich bis heute noch berührte: Meine Geliebte sieht aus wie ein hungriger Vogel, wenn ihr die Seele wehtut, und so schaute sie mich auch nachdenklich von oben herab an, während ich in ihrem Schoß lag.

„Manche der Lesben fanden das so schlimm, als wolle ich heiraten!“

„Du hast die Bewegung verraten!“

„So ein Quatsch!“

Aus dieser Zeit hatte sie nur wenige Freundinnen behalten, danach höchstens mal ein Frauenfest besucht und sich ansonsten aus dem aktiven Politleben feministischer Beratungs- und Selbsterfahrungsgruppen zurückgezogen.

Stattdessen war sie Co-Trainerin in einem Aikido-Dojo geworden und genoss die wenigen freien Abende, die ihr die Kleinstadtkriminalistik zwischen Beruf- und Beziehungsstress ließ, mit Pfeife und einem guten Buch auf dem Sofa. Doch Polizeifotografinnen sind viel in der Nacht und ausgesprochen häufig am Wochenende unterwegs, wodurch sie wohl mehr Stress in den Beziehungen wie in ihrem Beruf erlebte. Glücklicherweise war ich ihr ja im Rahmen ihres Berufes begegnet, und aus einer dienstlichen Überwachungssituation war eine sehr wunderbare, wohl auch etwas altmodische Liebesbeziehung geworden.

Mein Beruf hatte es mit sich gebracht, dass ich mir kontinuierlich die Hörner an der bundesrepublikanischen Frauenbewegung und ihren Projekten wundstoßen musste, schon fast seit einem Vierteljahrhundert. Das hatte mich auch ziemlich geprägt.

Der Grund, warum wir nun also doch hin und wieder in die örtliche Frauenkneipe gingen, wenn ich auf Besuch weilte, ist wohl, dass Rosi und ich gerne miteinander angeben! Ja doch, wirklich! Anscheinend halten wir einander tatsächlich für die schönsten und liebsten Frauen der Welt, was ja noch anginge, wären wir nicht darüber hinaus auch noch beide der Meinung, dass alle anderen Frauen auch so über unsere Geliebte zu denken hätten.

Kurz gesagt, wir Beide liebten es sehr, jeweils mit der schönsten Frau der Welt öffentlich aufzutreten.

Da ich am Tag zuvor einen öffentlichen Vortrag gegeben hatte, erkannten mich einige Frauen wieder, hoben die Köpfe und lächelten uns zu, als wir die Türe zum „Grünen Schwan“, der örtlichen Alternativkneipe, die den wöchentlichen Frauenabend veranstaltete, aufstießen.

Ursprünglich hatte das Lokal „Goldener Schwan“ geheißen. Der Schwan hatte leider einen steilen Absturz erlebt. Nach gutbürgerlichem Restaurant, italienischer Pizzeria und sodann nur noch heruntergekommener Altstadtpinte hatten am Ende drei stellungslose Sozialarbeiter in Wollepullis und mit Bärten sowie zwei gleichermaßen stellungslose Sozialpädagoginnen mit gut situierten Elternhäusern in friedfertigen Vororten der umgebenden Großstädte im Hintergrund den unaufhaltsam scheinenden Abstieg des „Schwanes“ durch Ankauf der Räumlichkeiten im letzten Moment gebremst. Da wurden nicht nur die schmuddelig verrauchten Wände in leicht gelblichem Rauhputz a la Mexico neu geweißt und Bilder von rasenden Pferdeherden in staubiger Pampa aufgehängt, sondern von jenem stellungslosen Sozialarbeiter, der kein Mädel mit Geld ins Projekt eingebracht hatte, dafür aber eine Ofensetzerlehre, auch noch ein riesiger, runder Tonofen mit breit umlaufender Kachelbank an Stelle des alten Pizzaofens aufgemauert. Sodann benannte man das „Goldene“ als dezenter Hinweis auf eine etwas andere Ess- und Lebenskultur in „Grün“ um, wohl auch nach einem der Kollektivisten, wie Rosi mir mal erzählt hatte, der damit vermutlich einen ihrer Sponsoren ehren wollte.

Der ökologische Bezug hatte leider zur Folge, dass das Kollektiv nur noch an zwei Tagen in der Woche Fleischmahlzeiten servierte. Tage, die sich geheimnisvollerweise nie mit dem Frauenkneipentag deckten, so sehr in dieser Hinsicht auch schon die regionale Motorradlesbengruppe Einspruch erhoben hatte. Doch das merkwürdig moderne Medienbild der emanzipierten, schlank-sportiven, rundum erfolgreichen Karrierefrau mit drei Kindern und etwas angefaultem Hausmann deckt sich seltsamerweise über große Strecken mit der grün-alternativen Vorstellung der allzeit aktiven, politisch engagierten, aufstrebenden Konrektorin mit drei Kindern, etwas fülligerer Statur und trägem Hausmann, der Künstler zu sein vorgibt, was ihn oft vom Windelnwechseln, Einkaufengehen und Abspülen abhält. Beide essen keine Wurst und keine Schweineschnitzel, erbleichen im Anblick einer Salamitheke, selbst wenn sie in der Toskana steht, und halten Döner-Kebab entweder für eine Berliner Unanständigkeit oder für politisch unkorrekt. Die Karrierefrau beschränkt sich auf Salat, Tomaten mit Basilikum und Mozzarella das ganze Jahr über und Joghurt am Morgen, die Konrektorin isst Körneraufläufe, Pastenbrote in der Zehnuhr-Pause und Joghurt mit Müsli am Morgen. Nun ja – von irgendwoher müssen die verschiedenen Staturen herrühren. Beide halten die allgemeine Illusion aufrecht, dass Emanzen doch nicht so schlimm, staatstragend und im Tierschutzverein sind. Ein politisches Verdienst, denn ohne ihre vegetarische Harmlosigkeit hätten wir den zwanzigjährigen Schnelldurchmarsch durch diese patriarchale Gesellschaft nie geschafft!

Fakt ist, es gibt erstens Lesben, zweitens begeistert Fleisch essende Lesben, drittens kräftig gebaute Lesben, viertens ekelhaft unbescheidene Lesben, die jetzt auch noch heiraten, sprich an die Fleischtöpfe des geschützten Patriarchates heran wollen, fünftens solche Lesben, die meinen, die Frauenbewegung habe noch gar nichts erreicht, Karrierefrauen und Konrektorinnen hin oder her, solange Wen-Do nicht Pflichtfach an allen Schulen für alle Mädchen von acht bis achtzehn Jahren ist. Zur letzten Gruppe gehöre ich – ebenso wie zu den vier vorherigen auch.

Glücklicherweise – andererseits – herrschte striktes Rauchverbot im „Grünen Schwan“ zu allen Tages- und Nachtzeiten, die ganze Woche über und nicht nur an den Frauenkneipentagen, was ich andernorts nämlich auch schon erlebt hatte. Als ob Männer schöner rauchen als Frauen!

Von daher war der „Grüne Schwan“ auch im gemischtgeschlechtlichen Zustand für eine gewisse rot-grüne Bildungsbürgerschicht sowie weitere Leute, die guten Willens sind, ein sehr angenehmer Treffpunkt in Rosis Mittelalterstädtchen und berühmt für seine vegetarische Paellia de Verduras, angeblich nach dem Spezialrezept einer Mutter oder Großmutter des Kneipenkollektives.

Natürlich würden die fünf KneipenbetreiberInnen mit solch einem Geschäftsgebaren nie reich werden, aber das war wohl sowieso schon vorher nicht ihr Ziel gewesen. Oder ist jemals ein Sozialpädagoge in Ausübung seines Amtes Millionär geworden?

Der ohne Mädchen, also der Ofenfachmann, der auch am vorherigen Abend Kneipendienst gemacht hatte, nickte mir vom Tresen her freundlich zu, denn ich hatte auch den gestrigen Nachvortragsabend hier mit den Organisatorinnen der Anti-Gewalt-Reihe verbracht.

„Kommt, setzt euch zu uns!“ Eine kräftig gebaute Frau winkte Rosi und mich an einen großen, runden Tisch am Fenster, an welchem bereits drei andere Frauen saßen.

„Friedrich, ein Weizenbier und ein großes Klosterbräu!“, riefen wir dem Ofenbauer zu und folgten der Einladung.

„Katharina“, Rosi deutete auf die Frau, die uns her gewunken hatte. „Wir waren früher in der Beratungsgruppe zusammen. Katharina ist immer noch dabei.“

Diese nickte zufrieden vor sich hin. „Ja, ja – so`n alter Ackergaul, der zieht seinen Karren durch den Dreck bis ans bittere Ende. Glücklicherweise wird frau für diesen Job heutzutage von der Stadt bezahlt. Zu Rosis Zeiten haben wir das ehrenamtlich gemacht, neben unserer eigentlichen Arbeit.“

„Was warst du damals von Beruf?“ Ich zog mir einen Stuhl heran.

„Leiterin einer Kinderkrippe!“ Katharina lachte, was ihr etwas rundliches Gesicht absolut nach oben und unten in die Länge zog, sodass sie plötzlich ganz anders aussah.

„Ich habe mir buchstäblich mit meiner Politarbeit das berufliche Wasser abgegraben. Der Nachwuchs blieb nämlich aus und die Krippe wurde geschlossen! Jetzt berate ich weniger in Abtreibungsangelegenheiten, eher Scheidungsfrauen, und auch viele, die jahrelang ungesichert in sogenannt fester Partnerschaft lebten und jetzt ziemlich alt aussehen, wenn der edle Softie, in die Jahre und zu einem Konto gekommen, sich eine Jüngere an die gemeinsame Müslischüssel holt! Aber die Weiber werden wohl nie klug!“, seufzte sie mit einem Blick auf die hoffnungsvolle Tussi-Jugend am Tresen.

„Wir kennen uns ja!“ Heike Balden, die Leiterin des Frauenressorts der örtlichen Volkshochschule, nickte mir wohlwollend zu. Sie war in Bezug auf die Vortragsreihe sowie die anschließenden Wen-Do-Kurse meine Hauptansprechpartnerin am Telefon gewesen. „Dein Vortrag gestern Abend hat mir wirklich gut gefallen. Aber vieles, was du so forderst, ist doch noch ziemlich exotisch, findest Du nicht?“

„Solange Frauen sich bei Dunkelheit immer noch nicht getrauen, einen gemütlichen Stadtbummel zu machen oder für einen Fußweg von drei Minuten die Umwelt und die Ohren ihrer Mitmenschen mit dem Auto belästigen, weil sie sich ohne Blechhülle ungeschützt fühlen, scheint mir die volle Finanzierung von Selbstverteidigungskursen für Frauen durch die Öffentliche Hand oder durch die Krankenkassen vollauf gerechtfertigt.“

„Hier“, der Ofenbauer kam heran und schob Rosi und mir die gewünschten Getränke zu. „Sorry übrigens, dass die Frauen heute an eurem Tag nicht Dienst machen, sie sind zu fertig ...“ Er stockte und schaute uns unsicher an, ob er den Satz beenden dürfe. Katharina klopfte ihm auf den Arm: „Geht schon in Ordnung. Die meisten von uns wissen ja, dass Vera Maggis Tante war. Das ist schon in Ordnung. Wir sind auch alle ziemlich geschockt darüber.“

„Ausgerechnet genau zu dem Zeitpunkt, da wir uns alle deinen Vortrag über Selbstverteidigung und Gewaltprävention im Alltag anhörten.“

„Das ist die Dritte im Bunde der Frauenrunde. Wir haben so `ne Art Stammtisch hier.“ Katharina stellte mir Lilo vor, die ich bereits aus Rosis Erzählungen kannte. Am Abend zuvor war sie mir durch lebhafte Fragestellungen aus dem Publikum heraus aufgefallen und morgen sollte ich sie treffen, um den Ablauf des Kurses an der Hauptschule durchzusprechen.

Eigentlich war Lilo ihr Leben lang Hausfrau gewesen. Doch da sie fünf eigene Kinder aufgezogen hatte sowie zwei Pflegekinder, welche sie alle strategisch sehr geschickt über die verschiedenen Schulen des Städtchens verteilt hatte, gab es kaum eine Schulangelegenheit, kein Elternpflegschaftstreffen, kein öffentliches Hearing, keine Schulaktion an der sie nicht irgendwie federführend beteiligt war. Und wenn sich einmal die Schultermine, die sie pflichtschuldigst alle wahrnahm, überschnitten, so sprang ihr Gatte ein, ein schmaler, ziegenbärtiger, stadtbekannter Mann, dessen Beruf als Beratungslehrer für Kinder mit Körperbehinderung ihn in den Schulen des ganzen Landkreises herumbrachte, was ihn aber keinesfalls daran hinderte, ebenso wie seine Frau, Elternpflegschaftsvorsitzender an zwei Schulen seiner Kinder, Kassenwart im Förderverein der dritten Schule sowie Beratungsmitglied für Schulangelegenheiten im Schulausschuss der Stadtverwaltung zu sein. Die Göttin hatte ihn zu einem kritischen Linken und sie zu einer Radikalfeministin, soweit das für eine verheiratete Frau überhaupt möglich ist, gemacht, so dass sie beide der Schrecken aller altbackenen Lehrer, ungerechter Lehrerinnen und christlich-konservativer Schulleiter waren.

Lilo schüttelte betrübt den Kopf: „Vera war eine feine Frau! Ich kann eure Freundinnen gut verstehen!“

Der Ofensetzer nickte bekümmert. „Das Ganze ist eine große Sauerei. Als ob wir hier in der Stadt nicht genügend für die Jugendlichen täten: Disco in der alten Mälzerei an der Autobahnauffahrt, Beratungsstellen noch und nöcher ...“

„Förderunterricht ...“, unterbrach ihn Lilo.

„Und nicht zu vergessen die Kurse der JUZ-Initiative! Hoffentlich war`s keiner von den Jungens aus der Lehmbaugruppe!“

Ich wollte Luft holen, aber Rosi stieß mich unter dem Tisch an und zog warnend die Augenbrauen zusammen. „Ich wusste gar nicht, dass Maggi mit ihr verwandt war?“

„Doch, doch! Maggi war fast ihre einzige Verwandte, ihre Nichte. Vera hat – – hatte auch Geld als Starthilfe hier in unserem Projekt!“

„Ach!“ ‚Ach’ hatte bisher noch Nichts gesagt. Sie trug einen dunkelgrünen, fast nachtgrünen Rollkragenpullover, einen strengen Helm aus schwarz-grau melierten, knapp geschnittenen Haaren und hatte ihre sehr langen, schlanken Hände vor dem Gesicht gefaltet. Nun stützte sie ihr Kinn auf die nebeneinander liegenden Daumen und schaute den Kneipenkollektivisten ernsthaft aus großen, schwarzen Augen an. „Wie viel?“

„Die Leiterin von ‚Brot und Blüten’!“, flüsterte Rosi mir zu und fasste unter dem Tisch meine Hand. „Ein Drei-Frauen-Projekt. Sie beraten Frauenprojekte in der ganzen Bundesrepublik bei Existenzgründungen, machen deine Buchhaltung oder Steuererklärung, empfehlen dir passende Versicherungen und fördern deine Vermögensbildung, so du Selbiges hast! Das da ist ihre Juristin Emma Nolden! Wenn du mich fragst, ein eiserner Besen!“

Emma hatte mit Sicherheit die letzten Worte meiner Liebsten gehört und obwohl sie keine Sekunde lang den Sozialarbeiter aus ihrem Blick ließ, schnellte ihr rechter Zeigefinger für eine Millisekunde auf Rosi zu, als wolle sie meine schöne Polizistenfreundin durch standrechtliches Abschießen ohne langes Verfahren für solch unbotmäßige Bemerkungen bestrafen.

Ich lachte unwillkürlich leise auf und nun schnellten beide Zeigefinger in unsere Richtung, um dann, gelehnt an eine sehr scharfe, ausdrucksvolle Nasenspitze, wie ein Zeltdach über dem kritisch vorgewölbten, schmalen Mund stehen zu bleiben.

„Ich weiß nicht, ob ich das hier ohne die anderen sagen darf ...“ Er warf verlegene Blicke in die Runde, als würde gleich der kritische, weibliche Teil seines Kneipenprojektes hinter ihm auftauchen und ihn abführen.

„Das war auch nur rhetorisch gemeint!“ Emma Nolden runzelte ungeduldig ob so viel Unverständnis für die Feinheiten zwischenmenschlicher Kommunikation ihre Stirne. „Wir sind zwar ein Frauenprojekt, aber vielleicht sollten wir in eurem Fall mal eine Ausnahme machen?“ Emma Nolden stockte kurz und nachdenklich und ließ ihre Augen an uns anderen fünf Frauen entlang wandern, taxierend, ob wir wohl schweigen würden zu dem, was sie als Nächstes vorzuschlagen hatte. Dann fing sie wieder mit einem Blick den schüchternen Ofenbauer ein, der mittlerweile zum siebten Mal seine eh` schon trockenen Hände an der Schürze abwischte.

„Ihr seid ein gemischtes Projekt, solche beraten wir normalerweise nicht. Aber schick doch die beiden Mädels morgen mal bei uns vorbei. Ich habe das Gefühl, dass euch in dieser Lage ein wenig fachliche Hilfe nicht schaden kann.“

Sie warf insbesondere mir und Rosi einen messerscharfen Blick zu, falls wir etwa annehmen würden, ihr Beratungsprojekt habe es nötig, seine Aktivitäten auf Männer auszudehnen, wie das hin und wieder finanzschwache Frauenbuchläden im letzten Dezennium getan hatten.

Katharina stieß nur mit einem leisen „Puh“ die Luft aus, womit sie ganz deutlich signalisierte, dass sie genau dieser Ansicht sei. Doch solche Direktheiten übersah eine Emma Nolden grundsätzlich, wie sie auch sonst solche Frauen wie Katharina wohl eher zu übersehen beliebte.

„Oh –“ Der sozialarbeitende Kneipenwirt schaute erst Emma, dann uns alle verdutzt an, sein Bart strahlte plötzlich auf und seine Augen lächelten dankbar. „Das finde ich ein sehr nettes Angebot von Ihnen! Ich richte es den anderen vom Kneipenkollektiv aus.“

„Und übers Geld macht euch vorerst mal keine Sorgen, so was läuft unter Frauensolidarität.“ Mit großer Geste warf sie eine nicht vorhandene Haarmähne über ihre dunkelgrüne Schulter zurück, eine Angewohnheit, die Emma Nolden anscheinend aus den längst vergangenen Zeiten der revolutionären Spaghettihaar-Siebziger geblieben war. Ein ganz, ganz leises Lächeln in den Mundwinkeln verriet ihren Triumph, Katharinas unausgesprochenen Verdacht durch diese edle Bemerkung ad absurdum geführt zu haben.

„Danke, echt nett von euch!“ Er blickte unsere Runde an, als hätten wir Teil an dieser Großherzigkeit. Ich fragte mich allerdings im Stillen, was wohl Emma Noldens Projektkolleginnen von dergleichen spontanen Einzelaktionen halten mochten? „Aber jetzt lass ich euch auch in Ruhe. Will ja nicht stören.“ Er hatte sich wieder gefangen und schaute noch mit einem halb professionellen Kellnerblick über den Tisch, um zu sehen, ob noch eine der Frauen eine Bestellung aufgeben wollte.

„Mir noch ein Wasser, Friedrich!“, rief Katharina. „Mir einen Kaffee!“, ergänzte Lilo und strahlte uns an. „Sonst kann ich heute Nacht nicht schlafen.“

„Warum nennt Ihr die Kneipenfrauen vom ‚Grünen Schwan’ immer ‚Mädchen’? Ihr sagt doch auch nicht ‚Jungens’ zu den Männern? Das hört sich ja mittelalterlich an!“

„Es ist ihr gemeinsamer Spitzname, sie heißen Maggi und Susi, sehen sich sehr ähnlich und traten beim ersten Karnevalsfest, das der ‚Grüne Schwan’ veranstaltete, als ‚Doppeltes Lottchen’ auf. Das ist an ihnen hängen geblieben“, lächelte Katharina.

„Außerdem“, fiel Lilo ein, „sind die zwei Frauen unzertrennlich. Man sieht Susi und Maggi häufiger miteinander als mit ihren jeweiligen Partnern.“

Rosi hob ihr Bier an die Lippen. „Dabei ist Maggi seit kurzem sogar richtig offiziell mit Johannes verheiratet. Der bedient seltener, ist aber verantwortlich für die Finanzen.“

„Und, was die Spatzen so von den Dächern pfeifen, schwanger“, flüsterte Heike Balden verschwörerisch über den Tisch und lächelte begeistert.

„Und ich dachte, Vera hätte nur den einen Bruder, den in Bochum?“ Katharina nahm dankend ihr Wasser aus den Händen des Ofensetzers entgegen.

„Vera hatte auch noch eine Schwester, aber sie hatten nicht viel Kontakt miteinander. Ich glaube, gar keinen mehr, seit Jahren. Maggi hat uns erzählt, dass sie als Sechzehnjährige von daheim zu ihrer Tante abgehauen ist. Der Kaffee kommt gleich!“

„Schwierige Eltern?“ Meine Frage blieb in der Luft und über unserem Tisch hängen, ich spürte meine Liebste neben mir nicken.

„Schwierig und reich!“

„Aber wieso hatte denn dann ihre Tante Geld in der Kneipe?“ Heike Balden schüttelte erstaunt den Kopf.

„Das kann ich euch sagen: Maggi wollte keinen Cent von diesen Leuten, ihren Eltern. ‚Blutgeld’ sei das, sagte sie immer, keine Ahnung, was das heißt.“ Friedrich hatte den Kaffee gebracht und stellte das kleine Tablettchen mit der Tasse, dem Zucker und dem Sahneschächtelchen vor Lilo auf den Tisch.

„Ich hatte so etwas befürchtet.“ Emma Nolden trank einen kleinen Schluck aus ihrem zarten Altglas und ihre Zungenspitze fuhr wie ein Schlangenkopf über die schmalen Lippen.

„Wieso?“ Rosi rutschte unwillkürlich in ihre professionelle Hab-Acht-Stellung, was von der Juristin mit einem kühlen Profilächeln gekontert wurde.

„Auch als alternatives Frauenprojekt sind wir unseren Kundinnen gegenüber zu Stillschweigen verpflichtet.“ Die Juristin grinste Rosi maliziös an. „Außerdem können doch Vera Mertens` private Verhältnisse der Polizei egal sein. Es geht hier wohl eher um eine durchgedrehte Jugend- oder Drogenbande, wenn ich das der Tageszeitung heute Morgen richtig entnommen habe – oder?“

Sie warf Rosi einen scharfen, neugierigen Blick zu und ich spürte, wie meine Liebste die Finger anspannte, ihre Stirne ganz und gar nicht verbindlich runzelte, was sie sonst nie tut, und bissig ihren Atem einzog.

Nun war es an mir, sie vorsichtig unter dem Tisch mit der Fußspitze anzustupfen, doch glücklicherweise kam uns Katharina zur Hilfe, die die sich am Tisch aufbauende Spannung zwischen den beiden Frauen bemerkt hatte.

Meine einmalige Geliebte ist, trotz ihres Berufes und ihres Kampfsportes, ein sehr friedlicher Mensch. Was übrigens, meiner Meinung nach, Kampfsport betreibende Menschen häufig sind. Wir haben es nicht nötig, aggressiv zu reagieren.

Aber wenn Rosi Kramer doch einmal böse, hässig sagt man dazu am Bodensee, wird, ballt sich ihr Unmut als schwarze Wolke auf, die sirrend wie ein Wespenschwarm aus all ihren lockeren Löckchen steigt.

Es war offensichtlich, dass Giftpfeile, Schlangengruben und tausend gegenseitige Schlammattentate den Lebenspfad meiner Geliebten und dieser Juristin säumten. Hatte Rosi mir nicht eine Emma als radikale Speerspitze der damaligen Lesbenszene gegen ihr eigenes Polizistinnendrama beschrieben? Vielleicht hatte ich ja hier die etwas ausgereiftere Version der damaligen radikalen Anti-Bullen-Lesben-Front-Anführerin vor mir?

„Sicher wird euch die Polizei verhören wollen, oder? Aber solange der Fall eigentlich klar ist, kann dir das doch egal sein.“ Katharina ließ ihre Blicke beruhigend zwischen Emmas scharfem Rollkragenprofil und Rosis schwarzer Wespenwolke hin- und herwandern.

„In ‚Brot und Blüten’ kommt mir kein Kriminaler herein! Schon aus Prinzip nicht. Und da sie ja wohl keine rechtliche Handhabe haben, wäre alles andere schierer Hausfriedensbruch!“

„Davon redet doch keine!“ Lilo verdrehte leicht gelangweilt die Augen. Selbst die liebste und klügste Heterofrau wird niemals in der Lage sein, jene Abgründe aus Liebe und Hass zu begreifen, die sich zwischen Lesben aus den merkwürdigsten Geschichten heraus aufbauen können. Sie kriegen unsere Liebe nicht mit – aber glücklicherweise auch nie unseren Hass!

Irritiert teilte Lilo mal vorsichtshalber mütterliche Beschwichtigungsgesten in alle Himmelsrichtungen aus. Eben, weil sie die beiden eigentlichen Quellen der dunklen Stimmung nicht so recht orten konnte. „Dass diese Jugendlichen sich zu so etwas hinreißen ließen!“ Sie schüttelte den Kopf. „Man könnte an aller Pädagogik verzweifeln.“

„Diesmal war es mit Sicherheit nicht die Jugendbande!“, platzte Rosi heraus, was ich gut verstehen konnte, denn noch immer brodelte sie neben meiner Schulter wie eine vergessene Gulaschkanone im Feld. Da nutzten auch meine heftigsten Fußtritte nichts mehr. Selbst ein polizeilicher Amtseid verblasst angesichts mehr als porentiefer Frauenkonflikte und Emma Nolden lehnte sich auch noch, bei dieser Eröffnung, grinsend zurück: Na, wer war hier wohl professioneller?

„Wieso?“ Lilo riss erstaunt die Augen auf und Emma zog misstrauisch ihre schmalen Augen zusammen.

Ich merkte, dass Rosi zu einer ähnlichen Replik betreffs professioneller Schweigepflicht ansetzte, wie vorhin ihre jahrtausendelange Gegnerin, doch anscheinend verbot ihr ihre angeborene Friedfertigkeit oder erlernte Fairness, sich ebenso hinterhältig zu verhalten, da sie nun mal schon ihre professionelle Grenze aus Wut und Versehen überschritten hatte. Sie zuckte mit den Schultern: „Auf Grund der Beschaffenheit des Tatortes sind wir der Ansicht, dass es sich möglicherweise um eine geplante Tat gehandelt haben könnte, die nur scheinbar dieser jugendlichen Kioskbande in die Schuhe geschoben werden soll.“

„Aber um Himmels Willen! Wer hätte denn ein Interesse daran, eine harmlose Zeitungsfrau umzubringen?“ Auch Heike Balden war eine jener freundlichen Heterofrauen, die niemals die Abgründe gegenseitiger Zerfleischungsorgien wahrnehmen, geschweige denn verstehen könnten.

„Ich weiß es nicht, Heike, bisher weiß das niemand! Aber mit Sicherheit wird man in Vera Mertens näherem Umfeld nach möglichen Motiven forschen! Und ein Schuldenberg mag ein wunderbares sein!“ Rosi warf ihrer Rivalin einen triumphierenden Blick zu.

Der Preis für ihren endgültigen Sieg heute Abend war hoch gewesen: Nämlich ein mehr oder minder gewollter Verrat an der eigenen Professionalität und somit auch an einem Fitzelchen Selbstachtung. Aber vorerst hatte Rosi gewonnen und war ihrer in diesem Augenblick leicht verbiesterten Gegnerin um einige Nasenlängen im Voraus.

„Brrrpft!“ Rosi schnaubte verbittert in den leichten Nieselregen, als wir den „Grünen Schwan“ zwei Weizenbiere und zweieinhalb Stunden später wieder verließen. „Emma gehört zu den Frauen, die einen an der eigenen Bewegung verzweifeln lassen. Ist es nicht schrecklich, nie etwas recht machen zu können?“

„Zum Glück bist du wenigstens eine Lesbe!“

„Ach was! Das ist ja ihre verlogene Toleranz: Sei bitte wie ich, versage aber am besten darin. Zum Glück ist Emma Nolden keine Heterofrau! Was glaubst du, was wir da sonst alles über den Nebenwiderspruch der sexuellen Orientierung hätten hören müssen?“

Meine Geliebte ist der Traum einer lebhaften, liebenswürdigen, selbstsicheren Frau. Sie hat nicht das Glück, einen solch über alle Maßen feministisch politisch korrekten Beruf zu betreiben wie ich als freie, selbstständige und ständig am Rande des Bankrotts dahin vegetierende Wen-Do-Trainerin. Sie ist nicht nur einfach Beamtin mit einem Monatseinkommen, das ungefähr der Hälfte meines hart erstrittenen Jahreseinkommens entspricht. Wäre sie Lehrerin, möglichst an einer Mädchenschule, wäre das damals gerade noch akzeptabel gewesen. Aber oh nein: Sie ist eine begabte, aufstrebende Beamtin bei der Polizei! Und zu allem Überfluss macht ihr das auch noch Spaß!

Wir erreichten ihr Zuhause und der Nieselregen hatte einen feinen, kühlen Film auf unsere heißen Kneipengesichter gelegt.

„Auf jeden Fall werde ich wohl für Schmidtken die Alibis der Frauen recherchieren müssen!“

Rosi fläzte sich auf das Sofa und betrachtete sinnend ihre Zehen, die sich, in der Diele von den einengenden Schuhen befreit, wohlig im herab gedimmten Licht der zur Decke strahlenden Stehlampe dehnten.

Fotografinnen haben ein feines Gespür für die Verteilung von Lichtquellen in Räumen, während ich bloß die Welt in hell und dunkel, lesepragmatisch oder schmusefreundlich einteile. Meine schöne, honigäugige Heldin hat ebenso viele Worte für die verschiedensten Abstufungen von Licht, Schatten und Farben, zur Not noch ein paar mundartliche dazu, wie ich für jene von Tönen, Geräuschen oder Lärm.

„Oder?“ Sie massierte die befreiten Zehen wie eine Handvoll zart gebauter, exotischer Hamster. “Noch besser, du machst das! Wir Bullen sind denen ja eh` alle suspekt.“

„Ach was!“

„Na gut, nicht allen. Heike Balden und Lilo würden einem Polizisten, egal ob weiblich oder männlich, sicherlich immer ehrlich antworten. Aber Frauen von Emmas Radikalschlag? Warte mal ...“ Sie blätterte in einem hektografierten Blättchen, das auf dem Wohnzimmertisch lag. “Ist nicht morgen diese Lesung im ‚Feigenblatt’? Da gehen wir hin, da treibt sich sicherlich alles an Frauen herum, was hier in der Szene Rang und Namen hat.“

„Wieso ausgerechnet in der alternativen Buchhandlung?“

„My Lady liest persönlich: Auftritt Frau Dr. Nolden mit ihrem zweiten Buch: ‚Frauen lernen Steuern steuern’! Ich werde das mal von Kerkbaum vorschlagen, bin gespannt, wie der das findet. Und jetzt ab ins Bett!“

Seufzend ihre befreiten Zehen wieder loslassend, schob Rosi sich aus dem Sofa hoch, und ich folgte ihr gespannt und erfreut ins Schlafzimmer hinein.

Der Kamin

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