Читать книгу Adel verpflichtet - Martina Winkelhofer - Страница 22

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Anlässlich des Todes von Graf Kaunitz vermerkte der Schwager von Thronfolger Franz Ferdinand in seinem Tagebuch: »Damit stirbt dann dieses nicht so illustre Geschlecht sehr un-illuster!«37

Der einwandfreie Stammbaum eines Mannes war für die Wahl einer Komtess also die Pflicht. Die Kür war die Stellung des Mannes innerhalb seiner Familie. Denn nur die Erstgeborenen, die so genannten »Majoratsherren« (die Erben der »Majorate«, wie das gebundene Vermögen des Adels hieß, vergleichbar heutigen Stiftungen) ließen die Herzen der Mütter höher schlagen. Beim Adel galt ausschließlich das Erstgeburtsrecht. Der älteste Sohn erhielt den Titel, die Schlösser und Palais sowie das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen. Die jüngeren Brüder des Erben erhielten außer dem Glanz eines alten Namens wenig – eine Apanage und das Absteigerecht im Familienschloss, bestenfalls eine fixe Wohnung in einem der Schlösser. Auch mussten sie im Gegensatz zum Erben eine Betätigung finden, wofür in der Regel nur der Militärdienst und der Hofdienst infrage kamen – beides mäßig bezahlt, aber zumindest ehrenvoll.

Die künftige Frau eines Majoratsherrn oder Majoratserben war nicht nur finanziell glänzend abgesichert. Als Ehefrau des Familienchefs hatte sie auch die erste Stellung innerhalb ihrer neuen Familie. Natürlich versuchten sämtliche Mütter, ihre Töchter mit Majoratsherren zu verheiraten – die naturgemäß Mangelware waren. Aus den Erinnerungen einer Aristokratin an ihre Komtessenzeit: »Erschien ein solcher durch das Erstgeburtsrecht begünstigter Sprosse eines hochadeligen Geschlechts, ein »épouseur«, in der Welt, reckten alle Mütter die Hälse und eiferten ihre Töchter zu freundlichem Entgegenkommen an. Manche Mütter hatten eigene Notizbücher, in denen Namen und Einkünfte solcher »épouseurs« verzeichnet waren.«38 Von einer besonders engagierten Mutter wurde berichtet, dass sie zu Festivitäten in ihrem Palais ausschließlich künftige Majoratsherren einlud, um die Chancen ihrer Tochter zu erhöhen.39 Ließ eine Komtess einen künftigen Majoratsherren abblitzen, war ihre Familie entsetzt und die Gesellschaft sehr verwundert: »Der Gardist Thurn scheint ein Körbchen von der hübschen Tochter von Geza Andrassy bekommen zu haben, obwohl der ein wirklicher Epouseur ist!«40

Doch selbst, wenn die Komtessen den Erwartungen ihrer Familien nachkamen und Ausschau hielten nach einem standesgemäßen Partner, der im besten Fall auch noch Erbe war, war noch nicht gesagt, dass es nun einfach werden würde. Denn der Heiratsmarkt war stets eng, deshalb mussten die Komtessen auch einiges an Kapital einsetzen. Neben einem eigenen tadellosen Stammbaum (der eigentlich schon vorausgesetzt wurde) bestimmten Vermögen und Schönheit den Wert der Heiratskandidatin. Auf das Vermögen achteten vor allem die Familien der potentiellen Brautwerber, und diese konnten unbarmherzig sein, wenn man nur eine bescheidene Mitgift zu bieten hatte. Bevorzugt wurden naturgemäß kapitalkräftige Komtessen, die zum Vermögen der Familie des Bräutigams einen bedeutenden Beitrag beisteuern konnten; und das konnten nun nicht gar so viele. Die Töchter von nachgeborenen Söhnen etwa hatten oft nicht das gleiche Heiratskapital wie die Töchter von Majoratserben. So mancher junge Erbe wurde beim Flirten von seinen Eltern energisch zurückgehalten, wenn die Angebetete keine Aussicht auf ein bedeutendes Vermögen hatte. Auch alte, hoch angesehene Familien taten sich mitunter schwer, den finanziellen Erwartungen der Familien der Heiratskandidaten standzuhalten. So manche Mutter fürchtete um die Zukunft ihrer Tochter, wenn die Familie wenig Vermögen besaß. Valerie Windisch-Graetz: »Es ist ja leider bei Töchtern eine glückliche Zukunft so viel leichter greifbar wenn sie Vermögen haben … ein Mädchen, … wenn es nicht reich ist, braucht eine Extra-Chance, damit es gelingt sie gut zu verheiraten.«41

Das zweite, äußerst wichtige Kapital, das eine Heiratskandidatin mitbringen musste, war das Aussehen. Und hier war der Heiratsmarkt wirklich grausam. Wer nicht mithalten konnte, hatte es sehr schwer – oder blieb übrig. Es war enorm wichtig, dass ein Mädchen »en beauté« war, um einen Heiratkandidaten zu bekommen. Erwartet wurde, dass eine Komtess mittelgroß war, eher noch zu klein als zu groß. Sie sollte gerade gewachsen sein, eine äußerst schmale Taille, jedoch auch weibliche Rundungen haben, ohne übergewichtig zu sein – mager durfte sie gerade noch sein, aber nur, wenn sie dafür sehr hübsch war.42 Ein Mädchen sollte schneeweiße Haut, einen ebenmäßigen Teint, hübsche Gesichtszüge und zarte Hände haben. Wenn möglich, sollte ihr Haar dunkel sein, denn dunkles Haar war im 19. Jahrhundert, was heute blondes ist: bei Frauen und Männern am begehrtesten.


Mädchenfreundschaften hielten oft ein ganzes Leben lang, der gemeinsame soziale Hintergrund und die gleiche Lebensweise verbanden, um 1910.

Die Mütter achteten darauf, dass ihre Töchter von klein auf alles taten, um ihre Schönheit zu behalten (oder sie durch Achtsamkeit und Pflege zu erwerben): Mädchen sollten stets Sonnenschirm und Handschuhe tragen, um den weißen Teint zu schützen – Bräune oder abgeriebene Hände schreckten Verehrer ab. Selbst beim Schlafen mussten manche Mädchen Mieder tragen, um die Taille schlank zu halten. Auf die Finger kamen enge Fingerhüte, damit die Fingerspitzen verschmälert wurden.43 »Il faut souffrir pour etre belle«: Für die Schönheit muss man leiden, galt als Durchhalteparole. Denn die Schönheit eines Mädchens war Vorraussetzung für eine blendende Partie. Schönheitsmittel und Tricks gab es viele – ob sie wirkungsvoll waren, ist fraglich. Die erhaltenen Überlieferungen zeigen aber, dass der Schönheit eine enorme Bedeutung beigemessen wurde.44


Komtess Clotylda Mensdorff, die dem klassischen Schönheitsideal entsprach: schlanke Taille, dunkles Haar, feine Gesichtszüge, um 1885.

Für junge Männer zählte die Schönheit einer Frau mehr als Reichtum und Stellung. (Bei deren Eltern war es freilich umgekehrt, diese legten auf eine reiche Heirat mehr Wert.) Ludwig Windisch-Graetz lehnte etwa die (von seiner Mutter gewünschte) Ehe-Anbahnung mit einer Erzherzogin glatt ab: Er fand sie nicht reizend genug. Selbst jungen Frauen aus feinsten Familien, die auch noch über ein großes Vermögen verfügten, konnte ein Mangel an Schönheit zum Hemmschuh werden. Graf Eugen Czernin vertraut etwa seinem Tagebuch an, wie sehr er die beiden Töchter seines Freundes des Fürsten Salm bedaure, die, obwohl »voll Güte und Gemüth, ein wahres Muster einer guten Erziehung«, trotz ihrer »ausgezeichneten Eigenschaften keine Freier finden«, aus dem einzigen Grund: weil sie »nicht schön« seien.45


Die gefeierte Schönheit Prinzessin Aglae Auersperg. Sie galt als schönstes Mädchen ihrer Generation, war die Tochter des langjährigen Ministerpräsidenten Adolph Auersperg und die beste Freundin der Kaisertochter Marie Valerie, um 1888.

Dagegen konnte ein außergewöhnlich hübsches Mädchen ohne große Mitgift relativ leicht einen Mann finden. Prinzessin Aglae Auersperg, Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten Adolph Auersperg und beste Freundin der Kaisertochter Marie Valerie, war eine der bekanntesten Schönheiten der Gesellschaft. Obwohl ihr Vater durch seine Stellung als zweitgeborener Sohn kaum über eigenes Vermögen verfügte und ihr keine hohe Mitgift geben konnte, war sie wegen ihrer Schönheit eine der begehrtesten Partien. Sie heiratete schließlich den gut aussehenden und selbst äußerst begehrten jüngsten Sohn des Fürsten Kinsky. (Was dann doch einige Probleme aufwarf, denn in diesem Fall traf zwar Schönheit auf blendendes Aussehen, aber Geld für einen standesgemäßen Lebensstil war kaum vorhanden. Das gut aussehende Paar hatte jedoch Glück, denn ein reicher und kinderloser Onkel des Bräutigams setzte schließlich die beiden als seine Erben ein).46

Mit Beginn der gesellschaftlichen Saison zur Faschingszeit setzte also die – inoffizielle – Jagd der Mütter und Töchter nach den besten Partien ein. Jeder potentielle Bewerber wurde taxiert, seine Familienverhältnisse durchleuchtet, mögliche Chancen auf Erbschaften ausgemacht, und in der Folge versucht, den Wunschkandidaten unauffällig einzuladen und bei Feiern mit der Tochter zusammenzusetzen.

Alle Mütter besprachen mit ihren Verwandten mögliche Heiratskombinationen – die überhaupt einen Großteil der Korrespondenz von Aristokratinnen ausmachte. Genauso eifrig wie die eigenen Heiratspläne wurden jene der anderen beobachtet und kommentiert. Der Tratsch erreichte jetzt seinen jährlichen Höhepunkt. Da die Aristokratie eine vielfach miteinander verschwägerte Gruppe war, deren verwandtschaftliche Verbindungen Nichtmitglieder nur sehr schwer durchschauten, konnten bei den Heiratskombinationen (bei denen auch noch Tatsachen mit Wünschen vermischt wurden) Außenstehende kaum noch durchblicken. Jeder wusste von jedem, wessen Tochter auf der Suche war. Gleichzeitig hatte jede Familie Heiratswünsche, die oft dieselben waren wie jene der anderen Familien. So mancher Wunschschwiegersohn musste wieder aufgegeben werden, wenn sich herausstellte, dass ihn die Tochter doch nicht für sich gewinnen konnte: »Die Hoffnungen auf Georgl werden wohl wenig realen Hintergrund gehabt haben«.47 Hinzu kam noch, dass die Protagonisten, die jungen Damen und Herren, was ihre Herzensangelegenheiten betraf, eigene Vorstellungen hatten, die oft gar nichts mit jenen der Familien zu tun hatten. Oft wussten die lieben und eifersüchtig beobachtenden Konkurrenzfamilien mehr über den aktuellen Stand einer »Anbahnung« als die betreffende Familie selbst.

Ein Beispiel für solch einen komplizierten Liebesreigen, das für unzählige dieser Art in den Korrespondenzen steht und zeigt wie kompliziert die Heiratsphase war: »Nanny hat mir die Confidence gemacht, dass Cari Trauttmansdorff in Maritschi Auersperg verliebt ist und man hofft, dass etwas daraus wird! Ich kenne mich nicht aus und glaube, die Auersperg ahnen nichts davon, denn Maritschi hat immer Courmacher. Sie ließen sie auch gestern allein zu einem Tanzerl zu Trauttmansdorff gehen. Die nächsten Tage wird (sic!) zeigen, was daran ist. Josl hat mir auch davon gesprochen was mir nicht angenehm ist. Cari soll ihre Liebe sein.«48

Von den Müttern besonders beobachtet wurde stets, um wen sich die Söhne der höchsten Adelsfamilien bemühten: »Großes sujet de conversation bei Nanny ist dass Johannes Liechtenstein bei Amelitzy Fürstenberg anbeißen soll!«49 Die begehrten Erben der Aristokratie und deren Mütter mussten bei Heiratskonstellationen extrem vorsichtig sein, wenn sie nicht wollten, dass angebahnte Verbindungen zu früh bekannt wurden. So manche Familie täuschte harmlose Reisen vor, damit nur ja niemand eventuelle Heiratsgespräche herausfand – denn die Majoratsherren standen von allen heiratsfähigen Männern am meisten unter Beobachtung.50

Adel verpflichtet

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