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2. Die industriellen und kommerziellen services publics

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Die Aktivitäten, die nunmehr der Staat und andere öffentliche Entitäten als Unternehmer in Bereichen entfalteten, die traditionell dem privatwirtschaftlichen Handeln zugerechnet werden, führten zu dem Begriff der „services publics industriels et commerciaux“. Wegweisend war das Urteil des Tribunal des conflits in der Rechtssache Société commerciale de l’Ouest africain vom 22. Januar 1921. Die Kolonie der Elfenbeinküste hatte für die Querung einer Lagune einen kostenpflichtigen Fährbetrieb eingerichtet. Nachdem sich ein Unfall ereignet hatte, kam die Frage auf, wer zur Entscheidung über den Rechtsstreit zuständig sei. Das Tribunal des conflits erklärte die ordentliche Gerichtsbarkeit für zuständig, weil die Kolonie „ein Transportgeschäft unter den gleichen Konditionen wie ein gewöhnlicher Unternehmer betreibt“.[55] Der Conseil d’État schlussfolgerte daraus, dass eine neue Kategorie der services publics im organisatorischen Sinne existiert, die keinen administrativen, sondern einen gewerblichen oder kommerziellen Charakter aufweist. Diese services publics unterfallen grundsätzlich dem Privatrecht, jedoch genießt ihr leitendes und finanziell verantwortliches Personal einen öffentlich-rechtlichen Status; auch können Verwaltungsverträge abgeschlossen werden, was zur Folge hat, dass das Verwaltungsrecht Anwendung findet.[56]

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Die Kategorie der services publics industriels et commerciaux hat zahlreiche praktische Schwierigkeiten aufgeworfen und scharfsinnige theoretische Debatten hervorgerufen. Sie versetzte der Schule des service public von Duguit und denjenigen, die im Begriff des service public das Fundament des gesamten Verwaltungsrechts erblickten, wie Gaston Jèze, Roger Bonnard oder Louis Rolland, einen Schlag. Nunmehr unterfielen services, die zu den Verwaltungen gehören, wegen der Natur ihrer Tätigkeit dem Privatrecht. Und diese services sollten infolge von Verstaatlichungsmaßnahmen seitens der Front Populaire im Jahre 1936, im Zuge der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgten Libération und während des Beginns der Präsidentschaft von François Mitterrand in den Jahren 1981 bis 1982 immer zahlreicher werden. Hinzu kommt, dass der Conseil d’État im Jahre 1938 entschied, dass eine private Organisation, im vorliegenden Fall eine Sozialversicherungskasse, mit der Ausführung eines service public beauftragt werden kann; der Ausdruck „service public“ wurde dabei im materiellen Sinne eines Handelns im Allgemeininteresse verwendet. Derartige Organisationen, deren Zahl einerseits durch die Gesetzgebung und andererseits durch eine subtile Rechtsprechung vermehrt werden sollte, wurden einem Rechtsregime unterstellt, das teilweise die Anwendung des Verwaltungsrechts und die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit sich brachte.[57] Diese beiden großen Entwicklungen in der Jurisprudenz bedeuteten das Ende für die berühmte Definition von Jèze, wonach das Verwaltungsrecht „die Gesamtheit der Rechtssätze [ist], die sich auf die services publics beziehen“.[58] „Die Krise des Begriffs des service public“, die sich auch auf andere Begriffe auswirkte, wie diejenigen der öffentlichen Anstalt (établissement public) oder des öffentlichen Beamten (fonctionnaire public), rief reichlich Literatur und lebhafte Kontroversen hervor, auch wenn Urteile, die der Conseil d’État in den Jahren 1954 bis 1956 fällte, „diesen Begriff sanierten, wie man ein historisches Stadtviertel restauriert“[59].

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