Читать книгу Waldflüsterer - Mary Molina - Страница 7

Samstag, 14. Mai bis Freitag, 20. Mai

Оглавление

Der Mai zeigt sich weiter von seiner unmotivierten Seite, es ist schwül, grau und regnerisch. Im Gemüsegarten ist das Unkraut geschossen, die Pferde und Hühner sind dank Maike und Andreas bestens versorgt worden. In den nassauischen Mühlentälern kennt jeder jeden und wir bilden eine Art eingeschworene Gemeinschaft. Hier leben Traumverwirklicher wie Leopold, der aus der alten Obermühle ein Seminarzentrum gemacht hat, mit Tipis im Garten und Schwitzhütten für die Menschen, die im Weg der Lakota ihr Heil finden wollen. Hier leben Lärmflüchtlinge, Abgeschiedenheitssuchende und einfach nur Naturliebhaber, wie Maike und Andreas mit ihren drei Kindern, beide Tierärzte. Und hier lebt auch Jonas, mein unmittelbarer Nachbar, der immer noch zwei Kilometer von mir entfernt ist. Jonas kam zur selben Zeit wie ich in das Mühlental, er ist erst 21 Jahre alt und unter dem Namen Qwasar als einer der angesagtesten DJs der Welt die meiste Zeit irgendwo auf dem Globus unterwegs. Mit seinen jungen Jahren ist er bereits Multimillionär. Er hat die Schüllermühle dementsprechend in ein Refugium mit hochmodernem Soundstudio umbauen lassen. Während ich mit den Umbauarbeiten meiner Mühle beschäftigt war, tauchte er hier auf, ein großer, blonder Junge, gerade neunzehn Jahre alt, mit altersuntypischen Erschöpfungsspuren in den Augen und dem Blick einer alten Seele. Er stellte sich als mein neuer Nachbar vor und hatte ein Sixpack Craftbeer mitgebracht, das wir zusammen leerten. Dann tauchte er in unregelmäßigen Abständen wieder auf, aß meine Apfeltarte, holte sich hin und wieder ein Glas Marmelade, Eier oder frischen Salat ab, bekam Kaffee und Mittagessen, half mir bei den Malerarbeiten, saß mit mir und einem Bier auf der Veranda und wir quatschten über Gott und die Welt, aber am wenigsten über uns selbst. Und irgendwann blieb er auch über Nacht im Gästehaus, dem alten Wirtschaftsgebäude, und wir frühstückten zusammen. Er sagte, er fände seine Mühle zwar toll, aber es sei so leer dort, und er kehre schon so häufig in leere Hotelzimmer zurück, dass er es fast nicht mehr ertragen könne, und ob ich etwas dagegen hätte, wenn er sich ab und zu bei mir"andocke". Ich hatte nichts dagegen. Dann fragte er mich eines Tages, ob ich seine Ersatzmutter sein wolle, was ich zunächst für einen charmanten Scherz hielt, obwohl er vom Alter her mein Sohn sein könnte. Aber als ich in sein Gesicht sah, konnte ich nur Todernst darin lesen. Ich habe ihn nie nach seiner Familie gefragt. Irgendwann, als wir beide abends auf der Veranda saßen und den Grillen und Nachttieren zuhörten und ein Bier tranken, sagte er, dass er sich noch nie so angenommen, versorgt und wie ein Sohn gefühlt habe wie hier, im Mühlental, wenn er bei mir sei. Und dass seine leiblichen Eltern reiche Arschlöcher seien, die sich für nichts anderes interessierten als nur für sich selbst. Darauf wusste ich zunächst nichts zu sagen. Wegen des Brennens in meiner Brust traute ich mich auch nicht. Aber später am Abend, als er aufbrechen wollte, sagte ich ihm einfach, dass er jederzeit willkommen sei, er solle jedoch wissen, dass ich, wenn ich seine Mutter wäre, nicht bis spät in die Nacht mit ihm auf der Veranda sitzen und Bier trinken würde, dass ich aber als seine Ersatzmutter nicht vorhätte, darauf zu verzichten. Daraufhin lachte er nur. Er taucht weiterhin regelmäßig und zumeist unangekündigt hier auf, manchmal monatelang nicht, wenn er auf Tournee ist, dann schickt er – wie ein guter Sohn es tut – ab und zu eine Nachricht auf mein Handy. Wie berühmt und erfolgreich er wirklich ist, habe ich erst erfahren, als ich ein Feature über ihn im Radio hörte. Aus irgendeinem Grund brachte mich das zum Lachen.

Ich hatte einen eigenen Sohn. Er ist fort. Und niemand wird ihn je ersetzen können. Aber es ist schön, dass Jonas mir dieses unglaubliche Geschenk macht, dass ich mich trotzdem ab und zu wieder ein bisschen wie eine Mutter fühlen darf.

Ich liebe dieses Mühlental, auch wegen der Menschen, die hier leben. In der Abgeschiedenheit ist es hier doch selten einsam, und wir können uns aufeinander verlassen. Es ist ein bisschen eine andere Welt, fast so, als ob das Mühlental das Beste aus den Menschen herausholte, als besäße es eine weiße Magie. Ich muss aufpassen, nicht sentimental und unsachlich zu werden in dieser Sache. Aber das liegt wohl daran, dass das Mühlental mir meine Lebensfreude nach Jahren der Existenz in einer Grauzone wieder zurückgegeben hat.

Waldflüsterer

Подняться наверх