Читать книгу Dolmetschen in der Psychotherapie - Mascha Dabić - Страница 31
4.2.1.1 Sonderposition der Psychotherapie: abseits der Bühne
ОглавлениеDas psychotherapeutische Setting ist nachgerade das Gegenteil einer Bühne. Die psychotherapeutische Arbeit findet unter Ausschluss des Publikums statt, im Rahmen der größtmöglichen Verschwiegenheit und Diskretion. Die absolute, garantierte Exklusivität sowie ein radikal individueller Zugang zu jeder KlientIn – also der bewusste Verzicht auf standardisierte Verfahren und Vergleichbarkeit – bilden den besonderen Wert dieser kommunikativen Situation. Die oben erwähnte Bühnenmetapher lässt sich bis zu einem gewissen Grad auf den Berufsstand der PsychotherapeutInnen anwenden, in erster Linie insofern, als die Ausbildungsstrukturen und die rege Vernetzung in Form von regelmäßigen Inter- und Supervisionen der fachlichen Enkulturation und der Weiterentwicklung des Fachs dienen; auf der „Vorderbühne“ agieren PsychotherapeutInnen, indem sie anlassbezogen ihre gewonnenen Einblicke an ein Fachpublikum oder eine interessierte Öffentlichkeit weitergeben. In der konkreten, täglichen Arbeit geht es jedoch darum, einen Raum zu schaffen, in dem traumatisierte Menschen die Möglichkeit erhalten, sich ganz und gar mit dem eigenen, individuellen Erleben auseinanderzusetzen, auf eine Weise, die für sie persönlich passend erscheint; aus der Sicht der KlientInnen handelt es sich um eine Art „Rückzugsraum“ und weniger um eine öffentliche Einrichtung, die mit dem Ziel, etwas Bestimmtes zu erledigen, aufgesucht wird. In Anlehnung an die Theatermetapher könnte man sagen, das psychotherapeutische Setting konstituiert eine wöchentlich wiederkehrende kommunikative Situation, in der die KlientIn die Möglichkeit hat, sich auf einer freiwilligen Basis zu öffnen, Stück für Stück ihre „Maske“ oder ihren „Panzer“ abzulegen (bzw. mit der Unterstützung der PsychotherapeutIn einen Blick hinter die eigene, im normalen Leben notwendig gewordene „Maske“, den eigenen „Panzer“, die eigene „Kulisse“ zu werfen), sich gegebenenfalls mit traumatisierenden Erlebnissen zu konfrontieren, diese Inhalte zu integrieren und jedenfalls einen Weg zu finden, die Gegenwart zu bewältigen und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln.
Nur das Erstgespräch (also das Aufnahmegespräch) in einem Traumabehandlungszentrum folgt einem bestimmten Schema: Da werden routinemäßig die persönlichen Daten abgefragt, es wird festgehalten, durch welche Einrichtung die KlientIn zur Psychotherapie zugewiesen wurde, es wird geklärt, welche Symptomatik besteht und ob und welche Behandlung bereits in Anspruch genommen wurde. Nach Abwicklung des Erstgesprächs findet eine Zuweisung zu einer PsychotherapeutIn statt (meist nach einer Wartezeit, die einige Monate dauern kann), und ab diesem Zeitpunkt beginnt die eigentliche psychotherapeutische Arbeit – unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit und mit dem einzigen Ziel, eine Annäherung an die persönliche Geschichte der KlientIn zu ermöglichen. Das heißt, ein Gespräch ist nicht dann zu Ende, wenn die notwendigen Informationen ausgetauscht wurden und das weitere Vorgehen geklärt ist, wie dies bei Beratungsgesprächen (z. B. Sozial- und Rechtsberatung) der Fall ist, sondern es ist so, dass eine KlientIn, die einen Psychotherapieplatz zuerkannt bekommen hat, jede Woche eine Stunde Gesprächszeit zur Verfügung gestellt bekommt, die sie auf ihre ganz individuelle Art und Weise nützen kann.
Therapien können sich über Jahre erstrecken. Damit die Erreichung der explizit oder implizit definierten Therapieziele (siehe 3.3.1) gelingen kann, ist es notwendig, dass eine Beziehung zwischen der PsychotherapeutIn und der KlientIn entstehen kann. Am Aufbau dieser Beziehung ist die DolmetscherIn maßgeblich beteiligt – sei es durch aktive Teilnahme, sei es durch bewusste Zurückhaltung – und ist außerdem im Idealfall ein integrierter, kontinuierlicher Bestandteil dieser Beziehung.
In der Landschaft des Community Interpreting (Behörden, medizinische und soziale Einrichtungen, Gerichte etc.) nimmt die psychotherapeutische Behandlung eine Sonderrolle ein, insofern als es nicht darum geht, ein bestimmtes „Ziel“ zu erreichen, im Sinne einer Bestätigung oder Erlangung einer konkreten Berechtigung, sondern das eigentliche Ziel der Psychotherapie ist die psychotherapeutische Arbeit selbst: eine auf freiwilliger Basis erfolgende Auseinandersetzung mit den eigenen Erinnerungen und Emotionen. Zwar können psychotherapeutische Gutachten im Asylverfahren ein gewisses Gewicht erlangen, aber im Prinzip dient eine Psychotherapie keinem bestimmten Zweck, der sich im Asylverfahren in einem bürokratischen Sinne „verwerten“ ließe. Für die DolmetscherInnen geht diese Erkenntnis mit der Anforderung einher, bereit zu sein, sich auf die spezifische, psychotherapeutische Kommunikation einzulassen, Teil des Beziehungsgeflechts zu sein, Übertragungen und Gegenübertragungen in der Triade ausgesetzt zu sein und diese zu reflektieren (sei es mit Hilfe der jeweiligen PsychotherapeutIn, sei es im Rahmen der Supervision) und aktiv auf das eigene psychische Wohlbefinden zu achten.