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Shoppen oder Bummeln?
ОглавлениеZwar finden meine Töchter mich peinlich, sie scheinen mich jedoch noch nicht ganz aufgegeben zu haben, denn gelegentlich versuchen sie, wie sie es nennen, mein Outfit zu stylen. Während ich normalerweise weitgehend Luft für sie bin, lassen sie sich dann sogar in Gegenwart ihrer Altersgenossen dazu herab, mit mir mehr als Ein-Wort-Sätze zu wechseln. Natürlich weiß ich, warum sie mich so freundlich behandeln, denn sie wollen mit mir einkaufen gehen, um ganz nebenbei auch den eigenen Kleiderschrank aufzurüsten.
Aber mir ist es recht, ich genieße diese berechnende Vorzugsbehandlung sogar. „Carpe diem“, denke ich dann eigenartig beschwingt. Sie nennen diese Art einzukaufen übrigens Bummeln, weil sie glauben, mir Shoppen nicht zumuten zu können. Bislang blieb meinem kleinen Männerhirn der Unterschied zwischen diesen beiden Varianten des weiblichen Stadtbesuchs allerdings verborgen.
Bummeln geht so: Wir setzen uns ins Auto, fahren in die Stadt, kämpfen mit anderen Menschen um einen Parkplatz, steigen aus und gehen von Bekleidungsgeschäft zu Bekleidungsgeschäft. Wenn ich erschöpft bin, darf ich mich auf einen Hocker setzen und beobachten, wie meine Töchter wie Schmetterlinge von Kleiderständer zu Kleiderständer flattern ...
Und das ist Shoppen: Wir setzen uns ins Auto, fahren in die Stadt, kämpfen mit anderen Menschen um einen Parkplatz, steigen aus und gehen von Bekleidungsgeschäft zu Bekleidungsgeschäft. Wenn ich erschöpft bin, darf ich mich auf einen Hocker setzen und beobachten, wie meine Töchter wie Schmetterlinge von Kleiderständer zu Kleiderständer flattern ...
Beide Varianten kosten mich ein Vermögen, aber etwas Neues zum Anziehen erwerbe ich weder bei der einen noch bei der anderen Veranstaltung. Ganz im Gegensatz zu meinen Töchtern. Kurz vor Ostern hielten sie den Zeitpunkt offensichtlich für gekommen, mich auf den Stadtbesuch einzustimmen. Es wurde ernst, Schluss mit lustig, die Vorzugsbehandlung durch meine Töchter ging unwiderruflich ihrem Ende entgegen, denn nach dem Einkauf würden sie mit mir erfahrungsgemäß wieder rauer umspringen.
„Papa, warum trägst du das ganze Jahr eigentlich dieselben Klamotten?“, wollte Dorle wissen. „Im Frühjahr könntest du ruhig mal was Farbenfrohes anziehen. Wir gehen bummeln und suchen dir was Schönes aus, ja?“
„Wenn ihr meint“, antwortete ich zögernd. Überraschend schaltete sich jedoch meine Frau ein.
„Eine nette Idee von euch, Kinder, aber ich gehe mit, sonst kauft ihr wieder die Geschäfte leer und Papa hat nicht mal ein neues Unterhemd.“
Ich fühlte eine gewisse Anspannung. Einkaufen in Begleitung meiner Frau und meiner Töchter? Spontan kam mir der Gedanke, in einem der nächsten Romane diese Situation als Ausgangsplot für ein Familiendrama zu nehmen.
„Also, Hagen, was hältst du davon? Anschließend gehen wir zusammen essen“, schlug Elsa vor.
Böses ahnend wagte ich einen Gegenvorschlag: „Und wenn ich alleine einkaufen gehe, und wir uns anschließend im Restaurant treffen?“
Meine Frau schüttelte den Kopf. „Das wäre schade, Schatz, schließlich haben wir schon lange nichts mehr gemeinsam unternommen.“
Wir fuhren mit dem Wagen in die Stadt.
„Wo willst du parken?“, wollte Elsa wissen.
„In der Krugstraße? Dann sind wir sofort in der City.“
„Da ist doch alles besetzt, fahr lieber …“
„Mama, Papa, nicht schon wieder!“, rief von hinten ein dreistimmiger Töchterchor, unser Lieblingsstreitthema rabiat unterbindend, ich brach ab und fuhr ohne weiteren Widerspruch zum Seeuferparkplatz. Dort umkreiste ich raubvogelgleich die stehenden Fahrzeuge, bereit, sofort in eine freiwerdende Lücke zu stoßen.
„Hagen, fahr langsam, da vorne geht jemand mit einem Schlüssel!“, rief Elsa, die eine Art Parkplatz-Sensor besitzt. Dank ihr haben wir noch nie länger als drei Minuten suchen müssen. Im Schritttempo und mit gebührendem Abstand folgte ich unserem Mann, bis er stehen blieb. Er schloss die Tür seines Fahrzeuges auf und startete den Motor.
„Jetzt fahr zu, Hagen!“, rief meine Frau.
Uns gegenüber, auf der anderen Seite des Parkplatzes, stand ein schwarzes Sportcoupé. Wegen der getönten Scheiben konnte ich den Fahrer nicht erkennen, aber er schien genauso auf die freiwerdende Lücke aus wie wir. „Der will doch wohl nicht?“, knurrte Elsa. Ich zuckte mit den Schultern, ich wusste, er wollte, plötzlich schoss das Coupé los, und ehe ich reagieren konnte, hatten wir das Nachsehen.
„Ich fass es nicht, so eine Unverschämtheit!“, schimpfte meine Frau und sprang aus dem Wagen, um den Fahrer zur Rede zu stellen.
„Was fällt Ihnen ein? Das ist unser Parkplatz!“ Wütend trommelte sie gegen sein Seitenfenster. Die Tür öffnete sich und dem Gefährt entstieg ein Mann, der, nachdem er sich vollständig aufgerichtet hatte, zu einem Zweimeterriesen heranwuchs, Typ Möbelpacker, nicht Typ Bohnenstange. Grinsend und Kaugummi kauend sah er durch seine verspiegelte Sonnenbrille auf Elsa hinab.
„Papa, du musst was tun!“, flüsterte Dorle.
„Das stimmt, nur was? Der Kerl sieht aus wie ein Zuhälter, bestimmt verhält er sich auch so.“
Mir fiel ein Roman von Egon Erwin Kisch mit dem schönen Titel Der Mädchenhirt ein. Kisch beschreibt darin die Zuhälterkarriere eines Mannes, der am Ende sein verpfuschtes Leben bereut. Ich befürchtete, unser Sportcoupéfahrer hatte dieses Stadium noch längst nicht erreicht. Insofern erschien es mir ziemlich unsinnig, an seine Moral zu appellieren, nur verfügte ich leider über keine anderen Kampfmethoden.
„Papa, jetzt tu was!“ Energisch erinnerte mich Greta daran, dass ich noch immer im Auto saß. Mit weichen Knien stieg ich aus.
„Es tut mir leid, gnä’ Frau“, hörte ich den Zuhälter sagen, „ich war in Gedanken. Selbstverständlich überlasse ich Ihnen den Parkplatz.“ Er sprach mit typischem Wiener Schmäh, ich wusste, der Dialekt würde Elsa dahinschmelzen lassen, sie liebte Wien. Deshalb war ich über die fast liebenswürdige Antwort meiner Frau auch nicht überrascht.
„Keine Ursache, Herr Professor, wir finden einen anderen Parkplatz. Darf ich Ihnen meinen Mann vorstellen? Hagen Hagemann. Sie werden vielleicht noch nichts von ihm gehört haben, aber er ist Schriftsteller. Hagen, das ist Professor Wanschitz, er arbeitet an der Universität in Wien und ist Wirtschaftswissenschaftler.“
Wenn heute so Wirtschaftswissenschaftler aussehen, woran erkennt man dann einen Zuhälter? Mit finsterem Blick deutete ich ein Kopfnicken an, wenn er wirklich kein Zuhälter war, konnte ich das riskieren.
„Sie wirken a bisserl grantig“, grinste der Kleiderschrank. „Nicht böse sein wegen des Parkplatzes, Niederlagen machen stark. Das tut uns Männern gut, glauben Sie mir.“
„So, so“, antwortete ich.
Wanschitz lachte. „Entschuldigens, Herr Hagemann, das war a Scherz. Kommen’s, ich lad Sie auf einen Braunen ein.“
„Auf einen was?“
Wanschitz nahm seine Sonnenbrille ab. Offene, und wie ich mir eingestehen musste, sogar freundliche Augen sahen mich an. Also doch ein Mädchenhirte?
„I mein oan Kaffee“, lächelte er.
Ich wies sein Angebot ab. „Wir müssen einkaufen, außerdem suchen wir noch einen Parkplatz.“
Er zuckte mit den Schultern und verabschiedete sich, Elsa beglückte er mit einem Handkuss, mich bedachte er mit einem Schraubstock-Händedruck, nur unter Mühen gelang es mir, einen Schmerzensschrei zu unterdrücken. „Nicht gerade die feine Wiener Schule“, dachte ich, „also doch ein Zuhälter.“
„Ein beeindruckender Mann“, meinte Elsa.
„Wie man’s nimmt“, murrte ich, „er hat mir fast die Hand gebrochen.“
„Meine hat er pfleglich behandelt“, lächelte sie versonnen.
Nachdem auch wir einen Parkplatz gefunden hatten, begannen wir mit dem Bummeln – oder war es Shoppen? Ich sah den weiteren Herausforderungen jedenfalls mit banger Erwartung entgegen. Zuerst betraten wir das nach Auskunft meiner Frauen absolut beste Herrenkonfektionsgeschäft der Stadt. Hier einzukaufen sei ein Muss beziehungsweise ein Must, wie meine Töchter betonten. Mir war dieses Etablissement völlig unbekannt. Eine Verkäuferin mittleren Alters eilte uns entgegen.
„Möchten Sie sich nur umsehen oder kann ich Ihnen helfen?“
Noch bevor ich Luft holen konnte, sagte Elsa: „Wir suchen für meinen Mann Oberhemden aus der neuen Frühjahrskollektion.“
„In welcher Größe?“, wollte die Verkäuferin wissen.
„Vier…“ Weiter kam ich nicht.
„Vierundfünfzig, XL, Kragenweite dreiunddreißig“, antwortete Elsa.
„Welche Farbe?“, fragte die Verkäuferin.
„Er liebt rot“, stellte Emma fest.
Schlagartig fühlte ich mich in meine Kindheit zurückversetzt, Einkäufe mit meiner Mutter, wahrhaft traumatische Erlebnisse. Ich beschloss, endlich einen Psychoanalytiker aufzusuchen. Was sollte ich jetzt tun? Ich besaß zwei Optionen: Um meine Ehre kämpfen oder mich unterwerfen. Kämpfen wäre mühsam und würdevoll, sich zu unterwerfen verlockend und unehrenhaft, deshalb entschied ich mich für den Kampf und erhob lauter als notwendig meine Stimme.
„Stopp! Ich bin siebenundvierzig Jahre alt, demnach mündig und erwachsen, so könnt ihr nicht mit mir umgehen!“
Elsa und die Verkäuferin sahen mich überrascht an, meine Töchter glucksten.
„Wir wollen doch nur dein Bestes“, beschwichtigte meine Frau.
„Mein Bestes bekommt ihr aber nicht“, entgegnete ich mit rauer Stimme. „Ich hasse rot. Ihr rührt euch nicht vom Fleck!“, befahl ich meiner Familie. „Und Sie“, herrschte ich die Verkäuferin an, „Sie gehen mit mir in die andere Abteilung, ich will keine Hemden, sondern Hosen!“Beinahe niemand widersprach, eine unglaubliche Erfahrung, lediglich Elsa erhob noch einmal Einspruch: „Aber Schatz, das letzte Mal hast du anlässlich unserer Hochzeit ein neues Hemd gekauft!“
Mein energischer Blick brachte sie zum Schweigen. Innerhalb von fünf Minuten ließ ich mir zwei Jeans einpacken und probierte sie zum Missfallen meiner Frau nicht einmal an. Danach verkündete ich, meine Konsumwünsche seien befriedigt, nun dürfe es gerne um die Wünsche des weiblichen Teils der Familie gehen.
Für eine Weile von meinem unerwarteten Triumph zehrend, begleitete ich sie hocherhobenen Hauptes von Geschäft zu Geschäft, aber nach einer Stunde spürte ich erste Erschöpfungszustände. Immer öfter suchte ich mir einen Sitzplatz, meist in Gesellschaft von Geschlechts- und Leidensgenossen.
In einem besonders feinen Damenbekleidungsgeschäft kauerte neben mir ein junger Mann in einer Art Dämmerzustand, offenbar schon länger das Ende des Kaufrausches seiner Liebsten herbeisehnend. Gelegentlich sah sie nach ihm, vielleicht um festzustellen, ob er noch bei Bewusstsein war. Die Kontrollbesuche verband sie mit dem Vorführen diverser Kleidungsstücke und der immer gleichlautenden Frage: „Wie findest du dieses Kleid, diese Hose, diesen Rock …?“
Er bewegte kurz die Augenlider und beschränkte sich, einem stoischen Sprachminimalismus huldigend, auf Ein-Wort-Antworten.
Führte sie ihm ein grünes Kleid vor und fragte: „Wie findest du es? “, antwortete er: „Grün“, kam sie in einer blauen Hose und fragte: „Wie findest du sie?“, antwortete er: „Blau.“
Von der Präzision seiner Rückmeldungen war ich beeindruckt, sie weniger. „Wenn du so ein Gesicht ziehst, macht das Shoppen überhaupt keinen Spaß!“, giftete sie schließlich entnervt.
Nach einer weiteren Stunde, ich verspürte inzwischen einen triebhaften Hunger, sank ich erschöpft in das für Männer vorgesehene Sofa eines Schuhgeschäftes hernieder. Ich war entschlossen, nur dann wieder aufzustehen, wenn Elsa schriftlich zusicherte, in den nächsten dreißig Minuten mit mir das versprochene Restaurant aufzusuchen.
Nach kurzer Zeit taumelte ein mir nicht ganz unbekannter Wirtschaftswissenschaftler oder Zuhälter dem rettenden Sofa entgegen. Über und über mit Tragetaschen bepackt, wurde er von einer jungen Dame gestützt, bis er sich stöhnend auf das Kanapee fallen ließ.
Seine auf dem Parkplatz noch so kraftvolle und dynamische Ausstrahlung war einer jämmerlichen, ja beinahe armseligen Weinerlichkeit gewichen. „Grüß Gott, Herr Hagemann“, flüsterte er tonlos, „müssen’s auch immer noch einkaufen?“
„Ich muss nicht, ich kaufe gerne ein“, log ich. „Ihnen scheint es überhaupt nicht zu gefallen.“
Er nickte. „Ich besuche meine Verlobte, sie lebt hier. Wir sehen uns nur am Wochenende. Und wenn ich von Wien herüberkomme, hetzt sie mich immer durch die Stadt!“ Gequält sah er mich an, während ich aus den Augenwinkeln beobachtete, dass Elsa und die Kinder das Geschäft verließen.
„Sie sollten sich mit Ihrem männlichen Selbstverständnis auseinandersetzen“, grinste ich, „dann kann Einkaufen nämlich Spaß machen.“
Ich wuchtete mich aus dem Sofa und schleppte mich dem Ausgang entgegen, meine Familie war verschwunden. Erleichtert suchte ich das nächste Restaurant auf und beschloss, in Zukunft die Worte Bummeln und Shoppen aus meinem Wortschatz zu streichen. Einkaufen ist und bleibt eben einkaufen.