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Kapitel 5
ОглавлениеEs war ein durchaus verheißungsvoller Frühlingstag, an diesem Dienstag morgen in der Mainmetropole. Die Sonne zeigte sich schon recht früh am klaren azurblauen Horizont, die die Skyline und Wohnhäuser der Stadt in ein Spiel aus Licht und Schatten verzauberte. Nur ab und an hörte man von weitem die Kehrmaschinen der Stadtwirtschaft, die für Ordnung und Sauberkeit auf den Straßen und Gehwegen sorgten. Alles schien in friedlicher Idylle und im gewohnten Umfeld vonstatten zu gehen. Zuerst öffneten einige Bäckereien, die ihre Backwaren feilgeboten, an die verehrte Kundschaft auslieferten. Dann folgten in aller Regel die Einkaufsmärkte und Kaufhäuser, die neben Waren des täglichen Bedarfs, auch Gebrauchsgüter aller Art anboten.
Die Leuchtreklame an den Schaufenstern der Markthallen verblassten mit der Zeit zusehends im Antlitz der Sonnenstrahlen. Lediglich ein laues Lüftchen wehte zwischen den Häusern entlang der Straßen und Gehwege, die bis in die äußersten Winkel der Marktplätze und Grünanlagen der Stadt mündeten.
Der Tag hatte gerade erst begonnen, als sich unmittelbar auf der Allee Am Kaiserplatz einige tumultartige Szenen abspielten. Zuerst sah es so aus, als ob ein Streit zwischen den Passanten auf dem Straßenpflaster entfachte. Doch dann sah man mitunter Transparente mit Losungen und Spruchbändern, die in die Höhe gehalten wurden. Lautstark artikulierten jene Personengruppen, die in ihrem Zornesausbruch sich vermehrt Gehör verschaffen wollten. Und so dauerte es auch nicht lang, bis unaufhaltsam eine Schar von Demonstranten dort Am Kaiserplatz eintraf und der Mopp sich langsam in Bewegung setzte. Wenn man von weitem diesem Schauspiel zusah, so konnte man feststellen, dass der Demonstrationszug in kurzer Zeit ein noch nie gekanntes Ausmaß annahm. Waren es anfangs noch dreißig bis vierzig Demonstranten, so vergrößerte sich jene Zahl innerhalb von nur einer Stunde auf schätzungsweise fünfhundert. Der Demonstrationszug setzte sich in Richtung Mainzer Straße in Bewegung und weiter voran bis zur Taunusanlage. Es war ein Aufschrei der kleinen Leute gegen die Banken und den Volkskapitalismus, der die Massen auf eine Initiative hin in Gang setzte. Eine Vielzahl derer, die dem Aufruf der Organisatoren folgten, bangten um ihre Spareinlagen und fürchteten darüber hinaus um ihre persönliche Existenzgrundlage.
Auch Charlotte hatte an ihrem freien Arbeitstag über die Medien von den Demonstrationen in der Frankfurter Innenstadt Kenntnis erlangt. Es war ihr aber nicht eindeutig klar genug, um welche Art und Umfang es sich bei den Protesten im Einzelnen handelte. Trotzdem wollte sie sich unbedingt ein Bild von der Lage vor Ort machen. Sie zögerte keinen Augenblick und fuhr mit der nächsten Bahn ins Zentrum der Stadt.
Unterdessen berichteten jetzt auch einige private Medienanstalten über den scheinbaren Massenauflauf von Demonstranten vor den Banken des Großkapitals.
Kommissar Kunert verweilte an diesem Tag bereits in Berlin, um an einer Tagung anlässlich zu einer Feierstunde der Polizeigewerkschaft teilzunehmen.
Vize Kommissar Spiegler hatte gerade in seinem Büro Platz genommen und den Rechner an seinem Arbeitsplatz aktiviert, als ihm die Mitteilung eines Kollegen erreichte, dass gerade Demonstrationen im nahe gelegenem Bankenviertel stattfanden.
>>Ja um Gottes willen, dann schicken Sie eben eine Hundertschaft dorthin… .<<, mutmaßte Kommissar Spiegler seinen Kollegen.
>>Es ist mir aktuell nicht exakt bekannt, wie viele Bürgerinnen und Bürger sich derzeit im Bankenviertel aufhalten<<, entgegnete dieser selbstgefällig.
>>Dann verschaffen Sie sich wenigstens einen Überblick und versuchen Sie möglichst die Lage unter Kontrolle zu halten<<, antwortete Kommissar Spiegler genervt.
Der weitere Gesprächsfaden ging unterdessen verloren, angesichts einer neuen Fahndungsmeldung zu einem bewaffneten Banküberfall in Stadtteil Bergen-Enkheim. Vorrangig traf man zur selben Zeit die Entscheidung, mit einer Hundertschaft im Bankenviertel vor Ort Präsenz zu zeigen, um dem Treiben der mittlerweile ausufernden Demonstrationen ein Ende zu setzen.
Den Demonstranten gelang es ohne Zwischenfälle bis vor dem Haupteingang jener Bank am Standort Stellung zu beziehen, wenngleich einigen die Ehrfurcht vor dem monströsen Hochhaus mehr denn je Respekt einflößte. Ein wütender vermummter Mob versuchte dennoch bis ins Foyer des Bankgebäudes vorzudringen, was aber missglückte, denn ein aufmerksamer Wachposten hatte die Eingangstür aus Panzerglas rechtzeitig von innen verriegelt. Eine Sicherheitsvorkehrung, denn offensichtlich hatte man aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre gelernt und im Vorfeld mit Protesten von Bankkunden gerechnet. Man sah sich aber nicht in der Lage, die aufgebrachte Menschenmenge zu beruhigen. Die Losungen und Spruchbänder der Demonstranten beinhalteten Forderungen, wie “Nieder mit den Banken” oder “Banken in die Schranken”. Es gab aber auch vereinzelte Stimmen, die schuldige Bankmitarbeiter am Pranger sehen wollten, wenn sie ihr Geld nicht zurückbekamen. All diese Forderungen waren verbunden mit dem Verlust der Geldeinlagen und Sparbücher, die sie der Bank seit Jahrzehnten anvertrauten. Keiner der Anwesenden Demonstranten missbilligte das Verhalten der Banker in irgendeiner Form, die aus reiner Gier und Selbstherrlichkeit maßgeblich Kundengelder verzockten. Der Zorn der Demonstranten entlud sich in einer Gewaltspirale ungekannten Ausmaßes, die mit unverminderter Härte Einlass in jenes Bankhaus forderten. Erst jetzt begriff man den Ernst der Lage, mit denen sich die Bankmitarbeiter konfrontiert sahen. Die Lage spitzte sich auf dramatische Weise zu, als Charlotte sich unter die Menge der Demonstranten mischte. Mit jedem Schritt den sie nach vorn wagte, suchte sie den Halt in der Menschenmenge zu finden und einen Blick auf Kerstens Büro in einer der oberen Etagen zu erhaschen. Die Situation vor Ort wurde zusehends unübersichtlich, als die ersten Scheiben barsten und Gummigeschosse und Pflastersteine in Richtung des Bankgebäudes flogen. Unzählige neugierige Passanten und Schaulustige säumten zudem den Platz, so dass es für die eintreffenden Beamten der Hundertschaft unmöglich war, bis zu den gewaltbereiten Demonstranten vorzudringen. Der weitere Verlauf der Ausschreitungen entwickelte auch eine gewisse Eigendynamik.
Charlotte stand jetzt unmittelbar neben einem vermummten Mann, der einen langen Mantel aus schwarzem Webstoff trug. Das Gesicht war mit einem schwarzen Halstuch verdeckt, so dass man nur die Augen durch einen eingearbeiteten Schlitz sehen konnte. Nahezu gelassen wirkte seine Anwesenheit in der Menschentraube gegenüber den Demonstranten, die lautstark und mit körperlichem Einsatz die Szene auf dem Bankenvorplatz beherrschten. Der Volkszorn der Massen entlud sich in einem Aufstand, wie einst die Touareg unter der Führung Gaddafis. Der in schwarz gekleideten Mann blieb fast regungslos stehen und beobachtete das Geschehen aus nächster Nähe, so als wäre er nur als Zuschauer zu dieser tumultartigen und gewaltbereiten Demonstration, gekommen. Doch plötzlich geschah etwas Unerwartetes, womit keiner der Anwesenden je gerechnet hätte. Aus seinem schwarzen Mantel zog der maskierte, unscheinbare Mann ein Jagdgewehr und legte zum Schuss an. Als Charlotte das Geschehen soeben bemerkte, begriff sie die ernstzunehmende Lage und versuchte im letzten Augenblick handgreiflich ihm das Gewehr zu entreißen, als sich kurz darauf ein Schuss aus dem Lauf der Gewehrsalve entlud. Das Geschoss durchschlug eine Scheibe im siebten Stockwerk des Bankgebäudes, wo zuvor noch ein Schatten am Fenster zu sehen war. In dem wilden Handgemenge gelang es Charlotte mit letzter Kraft dem Mann das Gewehr zu entreißen und an sich zu nehmen. Der Unbekannte, schwarz gekleidete Täter verschwand unterdessen unerkannt in der widerwilligen Menschentraube von Demonstranten, die sich schier endlos in alle Richtungen verzweigten, als der Schuss zu hören war. Mit dem Jagdgewehr in den Händen stand Charlotte immer noch schockiert in der Menschenmenge der Demonstranten, als sie für einen Moment innehielt. Zahlreiche entsetzte Blicke aus ihrem unmittelbaren Umfeld waren jetzt auf sie gerichtet, als sie fassungslos und zugleich irritiert nach oben zu dem Fenster im siebten Stock schaute, wo das Projektil offensichtlich sein Ziel erreicht hatte.
Christian hatte die Nachricht von den gewalttätigen Ausschreitungen vor dem Bankhaus in der Frankfurter Innenstadt aus dem Radio erfahren. Seine Liaison zu Charlotte und eine Nachricht von ihr auf seinem Handy ließ ihn vermuten, dass sie sich unter die Demonstranten gemischt haben könnte. Noch bevor die Hundertschaft der Polizei das Gelände weiträumig absperrte, gelang es ihm bis auf zehn Schritte zu Charlotte vorzustoßen. Er hörte noch aus der Ferne die Gewehrsalve und sah dann Charlotte in einem nahezu hilflosen Zustand.
>>Um Gottes willen, Charlotte was machen Sie hier… .<<, fragte Christian, der jetzt bis auf zwei Schritte hinter Charlotte stand.
Ohne eine Antwort zu erhalten sah er das Gewehr, welches sie immer noch in den Händen hielt. Er fragte sich was hier vorging, fand aber keine passende Erklärung, um die Geschehnisse nachzuvollziehen. Mit seiner rechten Hand packte er Charlotte am Arm, die wie versteinert und fassungslos schockiert dastand.
>>Kommen Sie Charlotte, wir müssen von hier verschwinden, eh die Polizei sie mitnimmt<<.
Erst da begriff sie, was eigentlich passiert war. Ein Schuss hatte sich aus dem Gewehr gelöst, was nicht ihr gehörte. Sie legte das Gewehr auf den Straßenasphalt, umarmte Christian und sah die uniformierten im Hintergrund, wie sie die Menge der Schaulustigen von den Demonstranten trennte. Ohne ein Wort folgte sie Christian, der nach einem Ausweg suchte, eine Möglichkeit zur Flucht. Doch die Polizei hatte alle Fluchtwege und Zufahrtsstraßen bereits versperrt, so dass es unmöglich war, auf derselben Wegstrecke zurück zu kehren.
>>Was machen wir jetzt?<<, fragte Charlotte mit angespannter Stimme.
>>Wir müssen hier so schnell wie möglich verschwinden<<, entgegnete Christian aufgeregt.
Die Polizei griff unterdessen rigoros durch und nahm einige der Demonstranten in Gewahrsam, die sich heftig wehrten. Doch dann geschah etwas völlig Unvorstellbares. Die Eingangstüren des Bankhauses öffneten sich, wodurch zahlreiche Demonstranten in das Bankgebäude gelangten. Dem Mainstream folgend, versuchten sie so bald als möglich, in die Nähe der geöffneten Pforte in das Bankhaus zu gelangen.
>>Kommen Sie Charlotte, das ist unsere einzige Chance….<<.