Читать книгу Uri Buri - meine Küche - Matthias F. Mangold - Страница 11

DAS TEAM

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»Alle Menschen arbeiten bei mir gleichberechtigt zusammen ohne Unterschied hinsichtlich Religion, Glauben, Geschlecht, Alter oder Parteineigung. Das funktioniert ganz wunderbar.«

Es ist noch früh am Morgen, gerade mal 9:00 Uhr. Draußen vorm Lokal, entlang der Kaimauer, ist bis jetzt alles ruhig, es sind lediglich ein paar Jogger unterwegs. Im Restaurant wird allerdings schon gearbeitet, es laufen die Vorbereitungen für den zu erwartenden Ansturm der Gäste ab 12:00 Uhr. Uri ist noch gar nicht da, er muss es auch nicht sein. Alles scheint wie bei einer gut geölten Maschine ineinanderzugreifen. An einem Tisch sitzen zwei Mitarbeiter, rollen die Handtücher für die Toiletten, stecken sie in Kästen und achten darauf, dass alles gleichmäßig aussieht. Ein Kollege geht mit einem Eimer Wasser und einem Gummiabzieher nach draußen, um die Fenster zu putzen. Wieder andere decken die Tische, polieren Gläser, füllen Getränke auf. Nirgends ist es hektisch oder laut, die Gesichter sind entspannt, die Stimmung bestens.

In der Küche das gleiche Bild: Die Vorbereitungen laufen. Der Joghurt wird frisch angesetzt, auf dem Herd steht ein riesiger Topf, in dem die Pilze für die Suppe vor sich hin köcheln. Eine Mitarbeiterin schneidet Fischfilets in hauchdünne Scheiben, die dann auf Folien in der Größe der späteren Tellerportionen arrangiert und aufeinandergestapelt werden. Ein Kollege kümmert sich um die Eiscremes und Sorbets, die so manchen Gerichten erst den Clou verleihen. Ali, der arabische Küchenchef und schon seit 17 Jahren mit dabei, hat sein Reich im Griff.

Am Morgen ist eine Lieferung Fisch angekommen. Während einer aus dem Team die Ware auspackt, nimmt sich jemand anders des herrlich aussehenden Thunfischs an und schneidet ihn so zurecht, dass er für die entsprechenden Gerichte weiterverwertbar ist. Doch Moment – ist das nicht diejenige aus dem Team, die gestern fast den ganzen Tag an der Spülstation stand und vorgestern das Eis herstellte?


»DER KELLNER BRINGT DIE TELLER AN DEN TISCH UND HÄLT DABEI DAS FLEISCH MIT DEN FINGERN FEST. ›WARUM MACHEN SIE DAS?‹, FRAGT DER GAST. ›NA, ICH MÖCHTE NICHT, DASS ES NOCH MAL HERUNTERFÄLLT‹, ANTWORTET DER KELLNER.«


Alles geben für den klaren Durchblick: jeden Tag Fenster putzen …

»Bei uns gibt es keine oder nur sehr flache Hierarchien«, sagt Uri, »denn jeder kann so gut wie alles, daher ist er auch überall einsetzbar. Und das ist auch genau der Grund, warum ich keine fertig ausgebildeten Leute bei mir einstelle. Es ist für mich wesentlich einfacher, Menschen zu nehmen, die noch kein Fachwissen haben. Dann sind sie nicht vorbelastet und auch viel offener.« Er möchte nicht, dass seine Mitarbeiter ihn mit »Chef« ansprechen, das würde eine zu große Distanz schaffen. Jeder kann Pausen machen, eine rauchen gehen, das stets vorherrschende Zauberwort heißt »Respekt«. »Und das gilt immer und jedem gegenüber, egal wer er ist, was er vorher gemacht hat, was er kann, woran er glaubt oder meinetwegen auch nicht glaubt«, sagt Uri. »Wer heute die Fenster putzt, rührt morgen den Joghurt an.« Ganz konkret wird das wenige Stunden später, als Ali einen Teller Lachscarpaccio mit Sojasauce anrichtet, mit ganz normaler, nicht im Mindesten erhobener Stimme das Wort »Wasabi« in den Nebenraum spricht – woraufhin die Spülhilfe ihre Arbeit kurz unterbricht, sich einen Eisportionierer schnappt und aus der Kühltruhe gegenüber eine Kugel Wasabisorbet absticht, um sie auf dem Carpaccio zu portionieren. Damit ist der Teller fertig, Ali kann weiterkochen, die Spülhilfe weiterspülen. Man spricht sich ab, wer morgen was macht, ganz simpel. Ein perfektes Räderwerk.

Seine Leute findet Uri quasi »auf der Straße«, wie er es ganz gern bezeichnet. Natürlich sind darunter auch etliche Studenten, die oft im Service arbeiten. Doch es sind häufig auch Leute wie Matan, der eines Tages spontan auf einen Überraschungsbesuch vorbeischaut, um Uri eine Freude zu machen. Matan kam aus einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche in Akko. Vom 15. bis zu seinem 18. Lebensjahr arbeitete er bei Uri, ging danach zum Militär und erzählt nun ganz stolz, dass er in Afula vor einem Jahr sein eigenes Cateringunternehmen gegründet hat. »Uri war der beste Lehrer meines Lebens«, ist er heute seinem ehemaligen Meister dankbar.


»Auch die Sanitärräume müssen ansprechend sein«, findet Uri.

»DAS MIT DEN KÖCHEN IST EINE GROSSE SACHE GEWORDEN – DABEI SIND ES NUR KÖCHE!«

Es gab und gibt viele Matans bei Uri. Einwanderer, Neuankömmlinge, Menschen, die sich anderswo etwas schwer tun – sie alle bekommen ihre Chance bei ihm. Er nimmt bewusst keine ausgebildeten Köche, die ihm zu eingefahren sind im Kopf, er möchte Mitarbeiter, die offen und interessiert sind, denen er noch etwas beibringen kann. Es ist kein Honigschlecken, das ist es in der Gastronomie nie, doch durch die flachen Hierarchien ist man ganz anders integriert. Jeder Neue bekommt ein Heft, in dem alle Pflichten und Aufgaben aufgelistet sind. Dieses liest er sich durch, um sich erst einmal einen generellen Überblick zu verschaffen. Anschließend führt ihn Laura, Uris langjährigste Mitarbeiterin und so etwas wie die Personalchefin, näher ein, macht ihn mit dem gesamten Team bekannt. Das alles stärkt den Neuen – und auch das gesamte Team, schließlich ist jede Kette nur so stark wie ihr schwächstes Glied.

Laura ist schon seit 1994 bei ihm, noch vor ihrer Militärzeit hat sie im »Uri Buri« angefangen. Inzwischen kümmert sie sich zusätzlich als Restaurantmanagerin auch um die Organisation und um die notwendigen Bestellungen in Sachen Food & Wine. Und Schachar ist der ewig gut gelaunte Sommelier, ein echter Spaßmacher in der ganzen Truppe. Meist hat er eine bunte Strickmütze auf dem Kopf, unter der er seine mächtigen Dreadlocks verbirgt. Anja, auch sie ist schon länger dabei, hält sich lieber im Hintergrund und macht gerne Vorbereitungsarbeiten oder Spüldienst. »Es sagt schon etwas aus, dass unsere Mitarbeiter sehr lange bei uns bleiben. Ich weiß von keinem Lokal in Israel, wo das Personal vergleichbar lange bleibt. Das ist wichtig fürs Team selbst, aber auch für unsere Gäste – man kennt sich über viele Jahre, ist sich vertraut.«


Ein kleines Päuschen bei der Fischvorbereitung darf auch mal sein.

»Es gibt bei uns keine Vorschriften, was jemand an Kleidung zu tragen hat, ich will keine Ansammlung von Pinguinen«, erklärt Uri. Die Leute im Service sollen sauber und ordentlich angezogen sein, doch niemand muss seine Persönlichkeit vor der Türe ablegen. Deshalb gibt es auch keine Regeln, wie die Gäste am Tisch angesprochen werden sollen. »Ich sage ihnen immer, dass sie sich nicht zu verstellen brauchen. Ihr müsst nicht besonders witzig oder cool sein, wenn es nicht zu euch passt. Ihr solltet am Tisch so reagieren, wie der Gast es von sich aus signalisiert. Die einen wollen mehr, die anderen weniger Zuwendung, aber sie wollen es authentisch. Vom Restaurant her und von den Menschen her. Sie sollen ruhig das empfehlen, was sie selbst gerne essen, denn alle Mitarbeiter kennen die komplette Speisekarte. Unsere Bedienungen sind nicht nur dafür da, das Essen aus der Küche an den Tisch zu bringen, sie sollen dem Gast etwas vermitteln, Echtheit, Transparenz, Glaubwürdigkeit. Wir motivieren unsere Gäste auch immer wieder, andere kleine Sachen zu bestellen als die, die sie vielleicht schon kennen. Ich hätte zwar über unser Online-Kassensystem die Möglichkeit, jederzeit bei jedem Kellner zu überprüfen, wie viel Essen oder wie viel Wein er an dem Tag verkauft hat, doch das habe ich noch niemals gemacht. Wenn die Gäste sich beim Nach-Hause-Gehen überlegen, wann sie mit wem wieder zu uns kommen können, ist das viel, viel mehr wert. Sieht ein Kellner, dass einem Gast etwas nicht schmeckt, kann er ihm kostenfrei ein anderes Gericht bringen, ohne mich oder jemand anders fragen zu müssen. Ein Essen, das zurückkommt, ist nicht so schlimm wie ein Gast, der nicht zurückkommt.«


»DASS DIE MITARBEITER LANGE BEI UNS SIND, IST NICHT NUR FÜRS TEAM WICHTIG, SONDERN AUCH FÜR DIE GÄSTE.«

Und die Köche sind nicht zum Putzen da. Sie versorgen abends ihre Lebensmittel, das ist klar, doch Uri hat einen Mann, der nachts kommt und den ganzen Laden wieder sauber macht. Er nimmt ganz früh morgens sogar neue Ware an. Uri ist es ganz recht, wenn immer jemand im Restaurant ist, rund um die Uhr. Einfach auch unter dem Aspekt der Sicherheit, falls einmal ein Kurzschluss oder sonst etwas entsteht. Ist schon zweimal passiert.

Auch Omer, einer von Uris Enkeln, hat schon in der Küche mitgeholfen, als er gerade mal 13 Jahre alt war. Er leidet, wie Uri selbst, unter AHDS und hatte massive Probleme in der Schule. Uri nahm ihn zu sich und verstieß damit gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz. »Ich wäre bereit gewesen, dafür vor Gericht gestellt zu werden«, sagt er im Nachhinein. Doch Omer fügte sich gut ein, war für einfache Sachen wie Salat vorbereiten, Tomaten schneiden und dergleichen zuständig. Und er wurde immer besser. An einem arabischen Feiertag war Omer sogar der Chef in der Küche, weil Ali und die anderen zum Feiern gehen wollten.

»Man kann in der Küche die Leute mehr und besser motivieren als irgendwo sonst«, verrät Uri. »Denn dort bereiten sie selbst Dinge zu, die andere dann mit Freude und Genuss essen. Und das macht sie unglaublich stolz und treibt sie an.«

Uri versucht stets, seine Mannschaft zu stärken und ihnen mehr Verantwortung und Aufgaben zu übertragen. Damit es auch gut funktioniert, wenn er nicht da ist. Das drückt sich beispielsweise in der Möglichkeit aus, Fortbildungen zu besuchen. So wie bei Ahmed. Nach zwei Jahren in der Küche schickte ihn Uri über das Arbeitsministerium in die Schule, wo er Kurse besuchte und sich über die Zeit immer mehr Wissen in allen möglichen Bereichen aneignete. Mit den Zertifikaten, die er dabei erhalten hat, könnte er im Grunde überall anheuern – doch warum sollte er? Das Team hat eine eigene WhatsApp-Gruppe und spricht sich vielfach ab, tauscht sich aus, stärkt sich gegenseitig den Rücken. Es ist keine Insel der Glückseligen, doch der Zusammenhalt ist groß.

In der Corona-Zeit, als auch in Israel alle Restaurants geschlossen bleiben mussten, telefonierte Uri mindestens wöchentlich mit fast all seinen Mitarbeitern, die sich unsicher waren, wie ihr Leben weitergehen würde. Uri sprach ihnen zu und entließ nicht einen einzigen. Im Gegenteil: Er stellte sogar zusätzlich Leute ein als Wachpersonal für das Restaurant und das Hotel. Als es dann wieder aufwärts ging und die Türen geöffnet wurden, waren alle überglücklich mit Feuereifer dabei.

Wieder mal zeigt sich der Vorteil des im »Uri Buri« gelebten Universalismus. Es gibt keinen Chef, der so genial ist, dass er etwas ganz alleine schaffen kann. Also lautet die Frage, wie stellt er sein Team auf und wie führt er es? Gelingt einem Chef das prima, hat er Mitarbeiter, die lange, gerne und sehr gut arbeiten. »Bei uns klappt das super, weil nicht jeder eine ganz bestimmte Position hat, die er verteidigen muss. Alles greift ineinander. Auf die Art und Weise wird zudem viel an Manpower eingespart. Ich habe aber auch schon andere Möglichkeiten der Motivation ausprobiert, natürlich auch den Anreiz Geld. Ich habe das Team aufgefordert, effektiver zu arbeiten. Und dann wurde der erwirtschaftete Gewinn aufgeteilt: eine Hälfte für das Unternehmen, die andere für alle beteiligten Mitarbeiter. Das sorgte zum einen dafür, dass sich die Mitarbeiter mehr für die Sache eingesetzt haben, und zum anderen – ganz automatisch – für den Ausschluss all derjenigen, die nicht voll und ganz mit dabei waren. Aber so ein System ist für manche zu kompliziert, also habe ich das wieder fallen lassen. Inzwischen läuft es intern nahezu von alleine rund.«

»In Israel ist in Sachen Lohn einiges vorgegeben. Der Mindestlohn beträgt etwa acht Euro pro Stunde bei einem Acht-Stunden-Tag, welcher eine halbe Stunde Pause beinhaltet. Zwei Stunden mehr am Tag werden mit 25 Prozent Zuschlag bezahlt, weitere zwei mit 50 Prozent, doch darüber hinaus darfst du nicht arbeiten. An Freitagen, also am Schabatt, gibt es grundsätzlich 50 Prozent mehr pro Stunde, an bestimmten Feiertagen sogar 100 Prozent mehr. Bei den Trinkgeldern handhaben wir das anders als die meisten Restaurants in Israel: Sie werden nicht mit dem Lohn verrechnet, sondern kommen auf diesen drauf. Und sie werden im »Uri Buri« übrigens mit der Küche geteilt. Die Köche sollen bewusst lernen, dass der Erfolg des Restaurants auch ihr Erfolg ist.«

»Wenn man in der Küche mit Juden und Arabern und überhaupt mit Menschen aus verschiedenen Religionen arbeitet, kann es zu Schwierigkeiten kommen. Auch durch vielleicht generellen Frust durch das Zusammenleben in der Gesellschaft. Das darf man nicht ignorieren, sondern man muss das Problem neutralisieren. Man kann das Thema nicht mit Schreierei lösen, sondern muss lernen, wie man Respekt bildet. Alle können mich ansprechen, wann immer sie wollen – aber stets mit Respekt und nie mit hohen Tönen. Ohne Distanz, aber mit Respekt. In dieser multikulturellen Atmosphäre ein Team zu bilden, das funktioniert, ist eine Herausforderung. Doch es geht, und es ist bei uns sehr effektiv.«



Und die Bäume wachsen ja doch in den Himmel!

Uri Buri - meine Küche

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