Читать книгу Uri Buri - meine Küche - Matthias F. Mangold - Страница 9
DAS »URI BURI« UND DIE IDEE DAHINTER
ОглавлениеDas »Uri Buri« wird von vielen Menschen, die sich in Sachen Essen auskennen und Feinschmecker sind, als das beste Fischrestaurant im Nahen Osten bezeichnet. Und von noch mehr Gästen, die seit vielen Jahren immer wieder in das Lokal kommen. Woran liegt das? Die Küche ist weit entfernt von dem, was man gemeinhin als Gourmet- oder Sterneküche bezeichnet. Die Rezepte sind so aufgebaut, dass kein Gericht länger als zehn Minuten braucht, bis es fertig ist, und in aller Regel aus nicht mehr als acht Zutaten besteht. Kein Hexenwerk, aber vielleicht ist ja gerade das das Geheimnis des Erfolgs.
Tja – dieses alte Schild ist nach dem Umbau im Juni 2020 nun Geschichte.
Das »Uri Buri« liegt am Rande von Akkos Altstadt, vom Mittelmeer nur durch eine Straße getrennt. Uri betreibt das Lokal an diesem Standort seit 1997, als er von seiner Heimatstadt Naharija nach Akko umgezogen war. Gleich neben dem Restaurant ist der Eingang zum Templertunnel, ein Verbindungsgang, mit dessen Hilfe die Templer früher Güter vom venezianischen Hafen in ihren Teil der Stadt bringen konnten, ohne den teureren Wegezoll der Pisaner zahlen zu müssen. 2017 erfolgte ein Umbau des »Uri Buri«, eine dringend notwendige Modernisierung. Selbstverständlich war der Laden während dieser Bauphase nicht geschlossen – man zog einfach in ein kurzerhand angemietetes Nebenhaus und verlegte innerhalb von 24 Stunden das komplette Restaurant mitsamt Küche dorthin. Nach zwei Monaten Umbauzeit ging es dann wieder zurück, ebenfalls innerhalb eines Tages.
Vor der Tür baumelt an einem massiven hölzernen Gestell immer noch das alte Restaurantschild. Uri wird des Öfteren darauf angesprochen, es doch einmal erneuern zu lassen, doch dies gehört nicht zu den Dingen, die ihm wirklich wichtig sind. Zum Meer hin blicken die Gäste von innen durch große Fenster. Die Einrichtung der Räumlichkeiten ist schlicht, aber einladend, auf Schnickschnack wird verzichtet. Die Tische stehen, der Nachfrage geschuldet, eher eng beieinander. Auch sie sind ohne Schmuck. Über den Köpfen der Gäste hängen von der Decke – zur Reduzierung des Geräuschpegels – bunte Kleidungsstücke. Alles Gewänder von Dorfarabern und Beduinen, die teilweise sogar heute noch so getragen werden. Ein klasse Einfall, ganz simpel umgesetzt und dazu ein weiteres Beispiel der Küchenphilosophie: Was zählt, ist das Wesentliche. Und es passt, weil es eine Tradition hat.
»Um ein Restaurant bekannt zu machen und dieses dann auch erfolgreich zu führen, braucht es eine Idee, eine Leitlinie, die dahintersteht. Und daran muss man glauben. Sowie an sich selbst. Es darf nicht nur ums Geldverdienen gehen, das Ganze ist mehr als nur ein finanzielles Projekt. Wichtig ist es auch, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, einen Ort, an dem man sich rundherum wohlfühlt. Ein Restaurant im Stadtzentrum oder an einem beliebten Platz ist immer voll, da ist den Leuten das Ambiente eigentlich egal, sie wollen nur etwas essen und sich unterhalten. Wenn du aber ein Lokal hast, das sehr abgelegen liegt, dann fahren sie nur zu dir, wenn du ihnen etwas ganz Eigenes, Einzigartiges anbieten kannst. Unsere Gäste kommen aus aller Welt. Sie haben uns im Fernsehen gesehen, in der Zeitung von uns gelesen oder auch von Freunden von uns gehört – und den Rat bekommen: Wenn du in Israel in den Norden reist, musst du Akko sehen und das ›Uri Buri‹.«
Schlichtheit in allen Bereichen, nur nicht im Geschmack auf dem Teller.
Es klingt in keiner Weise arrogant, wie er das sagt, es ist schlicht eine Tatsache. Uri hat klein angefangen und ist seiner Idee stets treu geblieben. Das Drumherum, das Zelebrieren des Erfolgs, die Jagd nach Auszeichnungen, all das findet Uri ausgesprochen uninteressant. Das Wichtigste ist stets auf dem Teller. Dabei spielen Klarheit und Balance eine große Rolle. Und natürlich der Geschmack.
Uri ist voll des Lobes über seinen Küchenchef Ali: »Ein toller Mensch, fleißig und überall dort, wo man ihn braucht!«
»Die einfachsten Sachen sind oft die größten Überraschungen. Warum? Weil man sie hier meist nicht erwartet. Beispielsweise können die Leute nicht aufgrund des Geschmacks begeistert sein, sondern wegen einer Idee. Ich habe einmal auf dem Markt einen ganz speziellen Mais entdeckt. Der hatte sehr kleine Körner, die unglaublich süß waren, wirklich unfassbar. Ich habe den Mais mitgenommen und dann überlegt, was ich damit machen könnte. Der Mais wurde in Salzwasser gekocht, die Körner von den Kolben abgestreift und durch ein Sieb passiert, danach ein wenig Zuckerwasser untergemischt. Das Püree war herrlich sämig und cremig, es hatte eine fantastische Konsistenz. Ich habe es dann in die Eismaschine gegeben und zu einer Art Sorbet verarbeitet. In Scheiben geschnitten bekamen es ein paar Stammgästen zum Probieren. Sie fanden das Sorbet interessant – aber der Wow-Effekt kam erst, nachdem ich ihnen erklärt hatte, was sie gerade gegessen hatten, nämlich Mais und nichts weiter. Solch eine Überraschung ist mir aber nicht genug, ich möchte, dass ein Produkt vom Geschmack, der Textur und der Ästhetik her überzeugt, nicht durch eine Erklärung. Das Seltsamste dabei aber war, dass noch Jahre später Leute bei mir anriefen und sagten, sie würden morgen zum Essen kommen und hofften, das Maiseis bestellen zu können. Ich habe es aber nie wieder gemacht. Es war für mich uninteressant.«
Uri sieht sich selbst als einen Praktiker in der Küche, weit entfernt von der Umsetzung einer Theorie. Und er ist außerdem ein Beobachter. Er verstünde durch die Fehler anderer immer besser, was er selbst tun müsse. »Alles, was ich mache, ist das Beste, das ich zu diesem Zeitpunkt weiß«, ist so ein typischer Satz von ihm. Oder auch: »Es gibt keine Regel ohne Ausnahmen. Und wenn es eine gibt ohne Ausnahmen, dann ist das die Ausnahme von der Regel.« Immer nur Zwischenaufnahmen zum Jetzt, immer dazulernen, nicht stehen bleiben. Weiterhin begreift er sich nicht in einem Wettbewerb mit anderen Küchen – vielleicht macht es jemand anders auf andere Art auch gut. Er könne daher niemanden kritisieren, wenn das Ergebnis ebenfalls prima sei, bloß weil der Weg dorthin anders verlaufe als bei ihm.
Und doch gibt es Punkte, die er voraussetzt, die ihm wichtig sind. »Alles hat viel mit Warenkunde zu tun, man muss wissen, womit man arbeitet und wie man es benutzt. Etwas Physik, etwas Chemie. Die Technik darf freilich nicht über der Zutat stehen. Das Endresultat ist das Wichtigste. Es gibt tausend Wege, es gut zu machen – und zweitausend oder noch mehr, es schlecht zu machen. Man kann, darf und muss ausprobieren, es hat keinen Wert an sich, eine Regel oder eine Vorgehensweise immer nur stur zu befolgen, denn alles hängt zusammen und muss am Ende eine runde Sache ergeben. Und ab und zu erfordert es eine Zutat vielleicht, dass ich einen anderen Weg gehe als sonst; es kann sein, dass ich Mengenverhältnisse oder dergleichen verändern, anpassen muss.«
Doch das ist Rezeptentwicklung, und die findet im täglichen Betrieb nicht statt – es ginge auch gar nicht. Denn die eigentliche Küche im »Uri Buri« ist wirklich winzig, unerfahrene Köche würden ständig aneinanderstoßen, mit drei Personen ist es am Herd übervoll. Doch es funktioniert. Warum? Weil hier lediglich noch der Feinschliff stattfindet. Durch den Hinterausgang gleich neben der Spülküche geht es ins Freie, dann ein paar Schritte hinüber zu einem anderen Gebäude. Hier befinden sich die Vorratskammern und die Kühlräume. Im »Uri Buri« ist Vorbereitung das A und O. Das Restaurant kann etwa 75 Personen besetzen, an sehr guten Tagen sind es 300 Gäste und mehr, die im Schnitt sechs bis sieben kleine Portionen essen. Das macht zu absoluten Hochzeiten an die 2000 Teller an einem Tag. Das kann man nicht aus dem Ärmel schütteln oder von Grund auf nach der Bestellung zubereiten. Mise en place ist das Allerwichtigste, was nichts anderes bedeutet, als viele Handgriffe schon gemacht zu haben, um nach der eingehenden Bestellung nur noch zusammenfügen zu müssen.
Am Morgen der Blick in die Kühlräume: Sie sind prall gefüllt mit geschlossenen Behältern, in denen portionierte Fische lagern, fein säuberlich getrennt. Dosen mit gehackten Kräutern, Saucen, Joghurt, einfach alles, was gekühlt werden und schnell greifbar sein muss. Im Raum nebenan ist die Butter für das selbst gemachte Ghee, ein Brotbackautomat und ein Dörrapparat, etwa für die getrocknete Wassermelone. Und eben sonst noch alles, was für den Betrieb des Tages vorbereitet ist.
In Uris Küche wird es nie laut. Womöglich ist der Grund dafür sein Wissen, nicht in Stress zu geraten, wenn etwas fehlt oder ausnahmsweise zu lange dauert. Erzählt allerdings jemand einen Witz, kann man vor Lachen sein eigenes Wort nicht mehr hören.
»LACHS OHNE WASABI IST WIE EIN KUSS OHNE VOLLBART.«
Im »Uri Buri« kann man, wie man es gewöhnt ist, die gewünschten Gerichte aus der Speisekarte wählen. Sehr viele der Gäste lassen sich aber auch von Überraschungsmenüs verwöhnen: Man sagt einfach der Bedienung, auf was man gerne verzichten möchte oder was einem nicht so sehr liegt – und wird dann Gang für Gang direkt aus der Küche heraus mit herrlichen Genüssen verführt. Damit es einem nicht zu viel wird, gibt man zwischendurch Bescheid, wie viel es noch sein darf. Das Ganze macht zum einen den Gästen sehr viel Spaß, zum anderen ermöglicht es der Küche, alle Abläufe optimal zu steuern.
Beim Durchprobieren der Gerichte fällt auf, dass sie nie ins Extreme rutschen, es herrscht stets eine große Harmonie. Selbst wenn es sich um ein sehr kleines Gericht handelt wie beispielsweise die Sharonfrucht mit Garnelen und Fischrogen, so ist von den jeweiligen Zutaten genau so viel davon auf dem Teller, dass man sie auch wirklich schmecken kann. Es geht immer um das Zusammenspiel der Texturen. Manchmal merkt man etwas mehr auf den Lippen, dann wieder mehr im Mund oder im Hals. Die Küche des »Uri Buri« spielt ganz bewusst mit Aromen und Festigkeiten, mit Schärfe, Säure, Süße oder Salz. Und das sollte man nicht nur im Kleinen kosten, sondern mit voller Gabel probieren. Erst wenn man von allen Zutaten etwas gleichzeitig im Mund hat, kann man die Idee des Gerichts in seiner ganzen Vollkommenheit so richtig wahrnehmen.
»Es gibt ein kleines Wort, das heißt ›zu‹, wie bei zu viel oder zu wenig«, sagt Uri. »Und genau in der Mitte sitzt die Balance, die man anstreben muss. Das gilt für alles, aber beim Würzen insbesondere für Zucker und Salz. Jede Zutat nimmt einer anderen etwas weg, daher ist es auch sinnvoll, mit möglichst wenigen Komponenten zu arbeiten, damit diese sich nicht zu sehr überlappen. Manchmal darf man aber schon einen Impuls setzen, etwa mit Schärfe, allerdings nicht so, dass alle anderen Aromen übertönt werden. Ein gutes Beispiel ist das Wasabisorbet beim Lachs. Es zieht nicht die ganze Aufmerksamkeit auf sich, setzt aber einen schönen Akzent. Dasselbe gilt für Säure. Sie darf eine kurze Überraschung sein, die schnell wieder vergeht. Auch soll der Gast selbst bestimmen können, wieviel Kick er haben möchte, also reichen wir beispielsweise Zitrone dazu, anstatt ihm unseren Geschmack aufzuzwingen. Manchmal sind die Gewürze in einem Gericht so bestimmend, dass es nichts mehr mit den Ausgangsprodukten zu tun hat, diese nicht mehr erkennbar sind. Asiatische Speisen sind manchmal so scharf, dass man nicht schmeckt, was eigentlich alles drin steckt.«
»Oder das Arbeiten mit Olivenöl, schauen wir uns das an. Junges Öl ist oft recht aggressiv und grün im Geschmack, das passt für viele Gerichte überhaupt nicht. Ich verwende inzwischen für Fisch überwiegend Olivenöl, das mindestens ein halbes Jahr alt ist und ein abgerundetes Aroma hat.«
»Lebensmittel reagieren ganz unterschiedlich auf Salz. Manche profitieren davon und bekommen auf diese Weise im Gericht einen anderen Platz in der Hierarchie. Somit kann ich also bestimmen, was sich wie präsentieren soll oder darf. Gibst du beispielsweise in ein Püree von Blumenkohl oder Kartoffeln oder Mais überall gut Salz dazu, gleichen sich die Geschmäcker weitgehend an und die einzelnen Püreesorten lassen sich kaum mehr unterscheiden. Belässt du aber den Eigengeschmack der Gemüse und bist sparsam mit dem Salz, hebst du deren Eigengeschmäcker«, erklärt Uri.
Und hier noch ein paar Hauptregeln, die in Uris Küche eine wichtige Rolle spielen:
• Es werden nur Gerichte serviert, die Uri selbst gerne isst.
• Es kommt nichts auf den Teller, was nicht zur Geschmacksbalance gehört.
• Alles auf dem Teller ist essbar.
• Es dürfen maximal acht bis neun Zutaten pro Gericht sein, außer bei adaptierten orientalischen oder asiatischen Rezepten.
• Alle Zutaten müssen superfrisch und von bester Qualität sein. Lieber wird auf einen bestimmten Fisch verzichtet, wenn er nicht so zu bekommen ist, wie Uri ihn haben möchte.
• Auf den Tellern findet man keine aufgeschichteten »Berge«, das Arrangement ist flach.
• Jeder Teller hat seine eigene Ästhetik! Es braucht keine Extras, keine Blüten und anderen Schmuck, die das Gericht unnötig teuer machen würden.
Und hier der wichtigste Punkt: der Geschmack. Ihm ist alles untergeordnet. Bekommt ein Gast ein Gericht und es schmeckt ihm, hat Uri sein Ziel erreicht. Nur dann. Findet der Gast es »interessant«, hat es ihm nicht geschmeckt. So einfach ist das.