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3. Weiterstochern

«Du spinnst wohl», entfuhr es mir. Noch war der Vormittag nicht vorbei, den ich bereits mehr als nur ereignisreich empfand, und schon hatte Annette der Sache eine neue Wendung, und zwar, so fühlte ich zumindest, ins Ungewisse, aber mit einer neuen Qualität, gegeben.

«Wie kannst du, ohne mich zu fragen, die Witwe Hünger anrufen? Ich finde das trotz deinen guten Absichten, deinem guten Willen und was auch immer, eine Einmischung in meine ureigensten Angelegenheiten, eine schlicht grenzüberschreitende Anmassung!»

Das klang etwas gestelzt, aber ich war ernsthaft böse und musste mich enorm zusammennehmen. Dies gelingt mir zwar oft leidlich, doch führt das dann zu der etwas bemüht unterkühlten, rationalen Reaktion.

«So gib dich doch nicht so. Hör erst einmal zu. Sie war gar nicht da, sondern nur ihr Anrufbeantworter: ‹Wegen Todesfall in der Familie ist niemand zu Hause› oder so ähnlich.»

«Warum sagst du das nicht gleich», atmete ich auf. Denn ein Gespräch der etwas redseligen Annette mit der Witwe bereitete mir Bange, weil für mich zu viele Dinge für eine direkte Konfrontation mit ihr noch ungeklärt waren.

Annette unterschied oft nur wenig zwischen interpretierter psychologischer Wirklichkeit und jener, wie sie wahrscheinlich die Mehrheit der sich um Sachlichkeit bemühenden Zeitgenossen erlebten. Deshalb hätte sie diese Unklarheiten mit ihren Hypothesen nur allzu leicht ausgefüllt und mit diesem Gespräch – immerhin ging es um einen Todesfall, der erst vier Tage her war – nur Unheil angerichtet. Dazu kommt, dass es mich schlicht und einfach ärgerte, dass sie eine Vergangenheit von mir zunehmend okkupierte – vielleicht übertreibe ich etwas –, die sie nun wirklich nichts anging. So war ich froh, dass sie nicht mit Frau Hünger gesprochen und ihr noch keine Informationen über mich gegeben hatte. Oder doch?

«Hast du ihr eine Meldung hinterlassen? Ich hoffe nicht.»

«Natürlich, mein Lieber, ich sagte ihr, sie solle dich zurückrufen, Bezug nehmend auf die Todesanzeige. Du habest ihren Mann im Internat gekannt, und du möchtest dich mit ihr unterhalten.»

«Unterhalten?»

«Natürlich. Besprechen wegen der Todesanzeige!»

«Kommt nicht in Frage! Bevor ich nicht meine Erinnerung um Hünger aufgefrischt habe, lasse ich mich auf kein Gespräch mit der Witwe ein! Und überhaupt … was würdest du sagen, wenn ich so spontan über dich verfügen würde? Ich finde das ziemlich stark!»

Obwohl es nicht gar so harsch gemeint war, setzte Annette zu einer längeren umständlichen Rechtfertigungsrede an, die ich nur deshalb nicht unterbrach, weil ich mir das weitere Vorgehen durch den Kopf gehen liess.

Im Prinzip hatte ich drei Optionen: Erstens, das Ganze auf sich beruhen lassen, auf die Seite legen als einen kurzen Vergangenheitsflash ohne Bedeutung. Zweitens, tatsächlich mit der Witwe sprechen, sie fragen, die Sache aufklären, einen Aha-Effekt erleben, vielleicht ein beruhigendes Gefühl erhalten und wahrscheinlich ebenfalls auf die Seite legen. Und drittens die Sache persönlich nicht nur ernst nehmen, sondern durch persönliche Recherchen aufklären, und zwar bis ich sicher war, worum es ging, ohne Kontaktnahme mit Frau Hünger.

Gegen Option eins, Fallenlassen, sprach bereits recht viel, die sonderbare Todesanzeige, die Reaktion Klara Steffens, irgendwie auch der Tod Lentos, rein gefühlsmässig – und vor allem das starke Gefühl in mir, dass da eine Geschichte im Dunkeln auf mich lauerte, derer ich mich entledigt geglaubt hatte und die für mich wieder bedrohlich wurde. Gegen Option zwei sprach eben die Tatsache, dass Frau Hünger mit diesem Inserat irgendetwas bezweckte und es da unklug wäre, sich ohne Erinnerung mit ihr in eine Diskussion einzulassen. Das Dumme aber war nun der Anruf von Annette und ihre Mitteilung auf dem Anrufbeantworter. Dies hiess, dass ich in Bezug auf die Zeitverhältnisse nicht beliebig frei war. Blieb also nur Alternative drei …

«Hörst du mir überhaupt zu?»

«Nein, aber es macht auch wenig Sinn, denn eines steht fest, weder du noch ich werden mit der Witwe Hünger sprechen, bevor ich nicht mehr weiss. Und im Übrigen wäre es besser, du kämst noch am frühen Nachmittag nach Hause, damit wir uns ohne Hast auf den Abend vorbereiten können.»

Soweit der zweite Teil des Telefongesprächs mit Annette. (Im ersten Teil berichtete ich nur vom Tod Lentos und dem Anruf der Steffen.) Nachher überlegte ich das weitere Vorgehen, wobei ich nun mit Systematik an diese Recherche gehen wollte. Ich setzte mich an den Schreibtisch im Grünen Zimmer – Wände grün, Vorhänge grün, Sitzüberzüge grün, also eine beruhigende Atmosphäre –, nahm einen Block, schrieb mir alle Namen auf, die mir im Zusammenhang mit Hünger in den Sinn kamen.

Tatsächlich erinnerte ich mich nun an meine damalige Klasse – jedenfalls hatte ich diesen Eindruck.

Ich kam spontan auf vierzehn Vor- oder Übernamen. Bevor ich mich der Geschlechtsnamen erinnern wollte, klassierte ich die Namen in zwei Gruppen: in Freunde und Kollegen. Als die Liste vollständig war, fiel mir auf, dass die als Freunde Aufgeführten mit mir ins Talinternat wechselten, wobei diese alle – bis auf Harry, der früher abging – auch abschlossen. Die Übernamen ergaben sich aus der Zugehörigkeit zu einer der vier Schülerverbindungen.

Interessant schien mir aber, dass unter den Kollegen mindestens drei waren, mit denen ich im Berginternat im Zimmer war: konnte es sein, dass diese früher auch als Freunde galten, ich in der Erinnerung aber nur jene als Freunde empfand, die das auch im Talinternat geblieben sind? Hünger war nicht in unserer Klasse … oder doch? Aha, eine Erinnerung, er war nicht in unserer Klasse, aber hatte sein Zimmer – seine Bude – auf dem Stock unserer Klasse. Jawohl, deshalb seine Bekanntheit, er war auf dem obersten Stock unter uns … mit wem? Schwierig. Wer könnte das gewesen sein? Da fallen Pan und Reto weg sowie Jost und Pierrot; auch Hanspeter – was aus dem Streber wohl geworden ist? – und Peter, die hausten alle in Zweierbuden.

Lento war extern und Heini mit mir. Frederic – ein Sulzer aus der Grossindustriellenfamilie – bewohnte das Einerzimmer. Es blieben also Ronny, Harry, Kahn, Fräne sowie Mäges. Falsch, auch Hünger. Das geht nicht auf. Da fehlt einer. Aha, Oskar, jawohl Oskar, er war auch nur ein Jahr da … mit wem? … Die erste Bude auf der linken Seite des Ganges … mit Fräne, jawohl, Fräne, ein völlig gegensätzliches Paar: der eine spiessbürgerlich, verklemmt und geizig und der andere, Fräne, beinahe ein Bohemien, in speckiger Wildlederjacke, mit vom heimlichen Tabakrauchen gelben Fingern und sich sehr intellektuell gebend. Also, es blieben Ronny, Kahn, Harry und Mäges. Einer von diesen war mit Hünger zusammen. Auch fehlte einer – oder war einer zu viel? Aber wer? Nichts zu machen. Es kam nicht. Egal, warten wir’s ab.

Nun versuchte ich der Erinnerung die Nachnamen beizufügen und sie der Wahrscheinlichkeit nach, dass sie auch mit Hünger etwas zu tun hatten, zu ordnen – allerdings rein intuitiv. Dazu kam, dass ich das ungute Gefühl nicht unterdrücken konnte, dass ich nicht alle Namen notiert hätte, da ich so nur auf neun Zimmer kam, es aber ebenso gut zehn sein konnten. Dem war jedoch abzuhelfen: Sobald ich den ersten Kontakt hergestellt hätte, würde ich sicher die Liste und auch die vergessenen Nachnamen komplettieren können. Schwieriger war zweifellos, die gegenwärtigen Anschriften herauszufinden – doch vielleicht bedurfte ich deren gar nicht, da mir nach einmal begonnener Recherche sicher bald der ganze Sachverhalt wieder präsent sein würde.

Für eine erste Kontaktnahme zu Hünger kamen nach meiner neuen Liste Max Rubli, Ronny Braun, Harry Peyer und Thomas Eisen als potentielle Budenkameraden von Hünger in Frage. Der Betreffende sollte daher über alles – und vielleicht noch mehr, falls er sein Vertrauter war – Bescheid wissen. Damit lag auch das Vorgehen auf der Hand: Bei Ronny fehlte mir die Adresse, Harry und Thomas hatte ich vollständig aus den Augen verloren, wohingegen ich Max Rubli recht gut kannte. Mäges, so nannten wir ihn, hatte nach verschiedenen, mehr oder weniger erfolglosen Berufsausbildungen sich ganz seinem Hobby, der Fliegerei, zugewandt und sich diese zum Beruf erkoren. Da ich vor einigen Jahren selbst das Fliegen erlernte, trafen wir uns wieder und frischten unsere Bekanntschaft auf.

Sein Leben verlief ähnlich wie seine Fliegerei: etwas unstet. Obwohl er als ausserordentlich erfolgreicher Pilot galt – er besass alle möglichen Lizenzen und eine mehrtausendstündige Flugerfahrung auf allen möglichen Typen bis hin zur DC 9 –, machte er auf mich den Eindruck eines suchenden, irgendwie rastlosen Menschen. Seine hohen berufsethischen Vorstellungen erfüllte er im Gegensatz zu vielen Berufskollegen, die ich kenne, durchaus. Trotzdem war er nicht eigentlich zufrieden, sondern wirkte auf mich wie ein Mensch, der seine grossen Chancen nicht hatte realisieren können – und zwar nicht aus eigenem Unvermögen. Kennzeichen hierfür war eine von Zeit zu Zeit durchschlagende Bitterkeit. Mir gab er jedenfalls manch guten praktischen Hinweis für meine weit bescheidenere Flugkunst und später während einiger Zeit auch Flugstunden, die aber nicht immer glücklich verliefen. Des Öfteren hatte ich Lust – zwei, drei Male tat ich es auch –, ihn anzurufen und ihn um einen Rat zu bitten. Seine eben im Umgang – schon zu Internatszeiten – hin und wieder etwas abrupte, ja zum Teil aggressive Art brachte einen aber eher davon ab.

Im Internat selbst haben wir viel Gemeinsames erlebt, zum Beispiel in der Modellflug-Gruppe, der wir beide angehörten. Darüber hinaus – so erinnerte ich mich – pflegte er auch einen besonderen Trick, den er immer wieder mit Freude an einem ahnungslosen oder schwächeren Opfer ausprobierte. Er liess sie zwanzig oder dreissig Sekunden lang schnell ein- und ausatmen und drückte ihnen anschliessend mit beiden Handflächen auf die Brust: die Hyperventilation führte augenblicklich zur Bewusstlosigkeit, und der Betreffende sank an der Wand, an die er gepresst wurde, zu Boden und erwachte bald etwas verwirrt, mit dem Rücken zur Wand sitzend. Ich selbst habe das nie mit mir durchführen lassen. Mich ängstigt auch heute noch jede bewusste Betäubung meines Geistes. Aber interessanterweise musste mit diesem Vorgang ein besonderes Gefühl verbunden sein, denn nicht wenige liessen sich dann später immer wieder von ihm, dem grossen Meister in dieser Kunst, für einen Franken Entgelt so für Sekunden ins Unterbewusste stossen.

Wir kannten damals bis auf Alkohol keine Drogen, und wer weiss – vielleicht hatte diese «Sensation» auf Anfällige eine ähnliche Wirkung. Er jedenfalls konnte so sein Taschengeld etwas aufbessern. Nein, ein richtig guter Freund, mit dem dazugehörenden Vertrauen, war Mäges für mich doch nicht. Dazu empfand ich gerade derartige Gewohnheiten – aber auch andere – als etwas befremdlich. Trotzdem bedeutete er für mich mehr als ein Klassenkamerad, das heisst irgendwie war er zwischen Freund und Kollege angesiedelt. Ihn wollte und konnte ich sofort anrufen, weil wir eben auch heute noch Gemeinsamkeiten haben.

Es war inzwischen Mittag geworden, und obwohl ich samstags normalerweise nur ausgedehnt frühstücke und das Mittagessen ausfallen lasse, fühlte ich mich ganz ungewohnt hungrig – vielleicht infolge des Hünger-Stresses, obwohl eigentlich Stress bei mir zum Alltag gehört … Ich griff zum Nächstbesten in der Küche, nämlich zum Brot, schnitt mir zwei Stücke ab, belegte sie mit einigen Scheiben Schinken aus dem Eisschrank, verzichtete zur Beruhigung des durch das tägliche Wägen und durch unzählige Abmagerungsversuche sensibilisierten Gewissens aber auf die Butter. Eine künstlich gesüsste Limonade in ein grosses Glas gesprudelt, und fertig war mein Imbiss. Teller und Glas trug ich durch Küche und Korridor hinaus auf die Vortreppe, wo ich mich setzte, um nun zum ersten Mal seit der Entdeckung der verhängnisvollen Todesanzeige etwas auszuspannen.

Dies gelingt mir beim Essen beinahe am besten, zumindest wenn ich allein bin und mich so nur auf das ruhige Kauen, Schlucken und Beissen konzentrieren kann. Ich esse vielleicht deshalb so gerne – so wie vielleicht andere trinken; was auch meinen permanenten Kampf gegen überflüssige Kilos durch Diäten, Masshalten, aber auch durch schwitzenden Sport begründet. Wie dem auch sei, der ungewohnte Platz für meinen Imbiss gab mir das Gefühl einer wiedergewonnenen Freiheit und, durch das Essen, ein Gefühl von verdienter Pause. Beides offensichtlich ein Kontrast zu den vergangenen drei Stunden.

Wie ich so auf der Treppe zum Garten sass, wurde ich mir bewusst, welch schönen Tag ich bisher wegen meiner beinahe rastlosen Recherche nicht wahrgenommen hatte (obwohl die Meteorologen aufs Wochenende eine nasskalte Schlechtwetterperiode vorausgesagt hatten): warm und mit wenig Wind, Summen und etwas Gezirpe in der Luft, Spätsommer oder Frühherbst, „Indian summer“, wie der Amerikaner meint. Auch ein aussergewöhnliches Flugwetter, vor allem für Alpenflüge. Ich kaute weiter Brot und nahm dazwischen kleine Schlucke der leicht prickelnden Limonade. Flugwetter: das heisst, Mäges war wahrscheinlich nur schwer erreichbar, da er oft bei solchem Wetter Rundflüge oder Taxiflüge durchführte. Persönlich liebe ich diese Herbsthochdrucklagen, denn dann empfinde ich das Fliegen als reine Entspannung: die Sicht ist ausserordentlich gut, und das Flugzeug liegt ohne die Sommer-, Föhn- oder anderen -turbulenzen wie ein Brett in der Luft, und sowohl das Fliegen als auch das Navigieren laufen so problemlos ab, dass mich jeweils eine Sicherheit überkommt, welche ich beim Fliegen eher selten verspüre.

An diesen wunderbaren Herbsttagen bei glasklarer Luft und sanfter Beleuchtung erscheinen die Schlünde, Zacken, Wände und Alpwiesen unglaublich plastisch … Indes ich mit so leichter Sehnsucht sinnierte, wurde mir klar, was ich heute auch hätte tun können und wozu es nach der Hünger-Recherche und der Vereinbarung mit Annette für den Abend bereits zu knapp war: einen Alpenflug zu machen.

Mit diesen Gedankenstreifzügen hatte ich meinen kleinen Imbiss beendet, stand auf, ging ins Haus, das heisst in die Küche zurück, nahm im Stehen noch ein Himbeerjoghurt ein und überlegte dabei, was jetzt am besten zu tun sei. Als erstes galt es, Mäges zu erreichen; vielleicht war er doch nicht unterwegs, andernfalls liess sich bestimmt ermitteln, wann in etwa er zurück sein würde. Alsdann ergab sich ja alles weitere, oder ich konnte mich wieder über meine Listen beugen und mir bei der Vorstellung der Namen neue Strategien ausdenken. Und Herrgott! Vorstellung der Namen! Dies war ja bildlich gar nicht nötig, hatte ich doch in meiner Fotokiste – und das wusste ich ziemlich sicher – noch einige Aufnahmen, schwarz/weiss und etwas brüchig, aus der früheren Internatszeit, vom Berginternat.

Doch vorher – die Idee munterte mich spürbar auf – galt es als erstes, das FIO, das Flight-Information-Office, anzurufen: Falls nämlich Mäges weggeflogen war, und dies nahm ich fast mit Sicherheit an, wusste das FIO, wohin und wann seine Rückkehr zu erwarten war. Andernfalls konnte ich es ja immer noch zu Hause versuchen. Die Nummer des FIO kannte ich auswendig, und alsbald meldete sich die mir gut bekannte Wochenendaushilfe. Auf meine Frage nach Max Rubli bekam ich den erwarteten Bescheid: «Herr Rubli ist heute Morgen nach Samedan geflogen, ein Taxiflug, und wird erst am späteren Nachmittag zurückerwartet.» Auf meine Frage, ob mit oder ohne Passagiere, wusste sie recht gut Bescheid: Auf dem Hinflug transportierte er drei Personen, von denen sie wusste, dass sie heute nicht mehr zurückkommen würden.

Ich schloss aus dem kurzen Gespräch, dass Mäges beabsichtigte, einige Stunden im Engadin zu weilen, und schon hing ich dem Gedanken nach, ob das vielleicht mit der Hünger-Anzeige zu tun haben könnte. Möglich, dass ich mich bereits zu sehr in diese Geschichte verbohrt hatte und diesbezüglich mit Schlagseite dachte. Trotzdem, es konnte eben wirklich zutreffen, dass Mäges gestern oder heute früh die Todesanzeige von der Maria Hünger gelesen hatte und vielleicht, gerade weil es einen Flug ins Engadin durchzuführen galt, beschloss, die Witwe Hünger aufzusuchen, denn Celerina – ich schloss vom Abdankungsort auf seinen Wohnort – war von Samedan im Taxi in zehn Minuten erreichbar … und damit fiel mir auf, was ich noch gar nicht bedacht hatte. Dass ich das übersehen konnte: Hünger blieb ganz offensichtlich in der Nähe des Internats wohnen, was ich als ungewöhnlich empfand. Als Interner konnte Hünger kaum im Dorf oder der Umgebung ansässig sein. Auch war mir – aber da fühlte ich mich wiederum gar nicht sicher –, als ob er einen Zürcher oder gar einen Aargauer Dialekt sprach. Warum blieb er dann im Engadin? Allerdings konnte er ja auch später wieder ins Engadin zurückgekommen sein. Konnte er das wirklich? Irgendwie empfand ich es als unpassend. So logisch es nämlich ist, dass ein externer Einheimischer nach den Lehr- und Wanderjahren wieder im Engadin ansässig wird, so unnatürlich scheint es mir für ehemalige Interne, die doch meistens im Unterland ihre Lebenschancen sehen und auch dort verwurzelter sind. Was sie natürlich nicht davon abhält, immer wieder in ihren Ferien oder an den Wochenenden an den Tatort zurückzukehren.

In diesem Augenblick kam mir wieder die rätselhafte Todesanzeige in den Sinn: Vor drei Tagen verschieden und seit 25 Jahren tot. Was meinte diese Frau damit? Irgendetwas, das nur im übertragenen Sinne zu deuten war. Seit 25 Jahren, das heisst seit 1958 tot? Wahrscheinlich meinte sie damit, dass Johnny Hünger seit seinem sechzehnten Lebensjahr – falls er mein Alter hat – durch eine unheilbare Krankheit mehr oder weniger gelähmt, äusserlich oder gar innerlich abgestorben war und seither im Engadin lebte, eben ohne seine Chancen im Unterland wahrzunehmen und unfähig, zu seinen Wurzeln zurückkehren zu können. Diese Schlussfolgerung entbehrte zumindest nicht einer gewissen Logik. Und der Ausbruch dieser Krankheit – oder war es ein Unfall? – musste mit einem Ereignis zusammenhängen, das ich offensichtlich völlig verdrängt hatte und das die Klara Steffen noch in der Erinnerung in Rage brachte.

Natürlich waren das Hypothesen, die sich mehr aus den äusseren Indizien ableiteten – denn eine eigentlich stützende Erinnerung stellte sich mir bis jetzt beim besten Willen nicht ein … aber vielleicht durch die Internatsfotos? Es könnte doch sein, dass ein Foto meiner damaligen Freunde und Klassenkameraden die Erinnerung auffrischte, zum Beispiel ein Bild von Johnny Hünger selbst. Ich wusste, dass sich in meiner grossen Fotokiste unter den Hunderten von Fotos auch einige aus dem Internat befanden, unter denen durchaus das Konterfei von Hünger sein konnte … und das Bild von ihm, naturgetreu vor den Augen, würde vielleicht dazu führen, dass es mir dann wie Schuppen von eben diesen Augen und so weiter und so fort … Gedacht, getan.

Ich ging ins Rauchzimmer, das ganz mit Leder- und englischen Offiziersmöbeln sowie einer dekorativen Serie von goldgerahmten Stichen aus napoleonischen Feldzügen an den Wänden ausgestattet war, und öffnete meine Fotokiste, das heisst die beiden Schubladen meines Schreibtisches, die ich randvoll mit Fotos gefüllt wusste. Ich habe zu Fotos eine ambivalente Haltung: Zum einen vermeide ich es möglichst, von Reisen, Festen und was auch immer Fotos schiessen zu lassen, zum anderen bewahre ich in diesen Schubladen restlos alle Fotos auf, die ich irgendwann erhielt und die etwas mit mir zu tun haben.

Diese Fotos – inzwischen sind es mehrere Kilos – füllen ohne jede Ordnung beide Schubladen und sind von Zeit zu Zeit Gegenstand vieler Ahs und Ohs einer neuen Bekannten, der ich sie jeweils vorführe. Bei dieser Gelegenheit ergibt sich dann immer wieder eine neue Ordnung bzw. Unordnung. Doch die Kinderbilder, die Internatszeit und die Militärfotos hatte ich einmal ausgeschieden. Ich suchte nun in den beiden Schubladen nach der Klarsichtmappe mit den Internatsbildern, wobei ich mich zwang, nicht die anderen Bilder anzusehen, um nicht plötzlich an einer Erinnerung hängenzubleiben. Dies war nicht so leicht, und einmal hielt ich auch tatsächlich inne und versank in die Zeit mit Ellen, meiner ersten grossen Liebe im Berginternat, allerdings hier auf einem Bild zu späterer Zeit, als wir nur mehr gut befreundet waren und zusammen an einem Uniball unser Lächeln einem Ballfotografen darbrachten. Die Mappe mit den Internatsbildern war jedoch bald gefunden, herausgenommen und auf den Schreibtisch entleert. Es waren nicht derart viele, weil ich ja selbst nicht fotografierte.

Die meisten Bilder waren Menschenbilder: zum einen Bilder, die mich selbst betrafen, also mich allein oder zu zweit, von irgendeinem Freund fotografiert, und zum anderen Gruppenbilder verschiedener Art. Erinnerungsfotos an Anlässe meiner Mittelschulverbindung, jeweils vor und nach der Besäufnis; verschiedene Klassenfotos, eine sehr schöne Aufnahme mit der Klasse vor der Jürg-Jenatsch-Hütte auf der zweitägigen Schulreise, dabei im Zentrum, uns alle überragend, bereits erwachsen, Lento; oder Gruppenfotos, auf irgendeiner Bude, wo wir uns wahrscheinlich nach dem Essen zu einem Schwatz zusammenfanden und einer von uns für alle fotografierte.

Schliesslich gab es noch eine Auswahl Bilder von den beiden Schulbands – des Pyjamaclubs und der School-yards-stompers –, auf denen ich mit grossen Augen hinter dem Schlagzeug sass. Dies übrigens weniger dank meines Talentes als infolge der Tatsache, dass ich als einziger im Internat ein Schlagzeug besass und so keine Band der Schule an mir vorbeikam. Eine Sommerferienbeschäftigung in einem altmodischen Textilvertrieb und vor allem der heimliche Verkauf einer Zürcher-Vierer-Briefmarke aus der Sammlung meines Vaters hatten mir das notwendige Startkapital und damit meine vorübergehende Musikerkarriere eröffnet.

All diese kleinen Erinnerungen wollte ich gar nicht vertiefen, sondern nur jedes Bild einzeln zur Hand nehmen, um in Ruhe zu prüfen, ob da nicht das Gesicht von Hünger darauf sei und bei mir eben die – allerdings nicht sehnlichst gewünschte – Erinnerungslawine auslösen würde. Ich erinnerte mich dabei vieler Gesichter und unterdrückte auch diese oder jene Geschichte, die sich wieder ins Heute drängte. Auch gab es da einige, die mir zwar durchaus bekannt schienen, an deren Namen oder Klassenzugehörigkeit ich mich aber beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte. Der gesuchte Hünger fand sich jedoch auf all diesen Gruppenbildern nicht.

Doch, halt: Auf einem kleinen Foto, 4 auf 6 cm, mit gebrochenem Rand, ging da ein Pärchen über einen Kopfsteinplatz, ja schritt eigentlich aus, irgendwie unbeschwert. Ein Jüngling neben einem leicht molligen Mädchen. Das war er! Zwar schwer zu erkennen, aber es war Hünger, Johnny Hünger! Kein Zweifel, obwohl sein Gesicht auf dem Foto nur sehr klein war, da die zwei sich zwar im Zentrum des Bildes befanden, doch kaum grösser als drei Zentimeter reproduziert waren. Ich hielt das Bildchen, um die beiden genauer betrachten zu können, unter die Lampe auf dem Schreibtisch und drehte das Licht an:

Offensichtlich schritten die zwei über einen Platz in einer Tessiner Stadt – Locarno oder Lugano –, denn relativ gross im Hintergrund waren ein Kiosk mit der Anschrift Tabacchi/Cioccolata und Cambio/Change, davor zwei Wagen – ein Opel und ein Mercedes – und mit meiner Lesebrille auch das TI, also das Tessiner Kennzeichen zu erkennen. Johnny Hünger trug auf dem Bild einen Anzug mit einem relativ langen zweireihigen Sakko, ein weisses Hemd und eine Fliege. Für unser damaliges Alter und unsere finanziellen Verhältnisse erschien er mir ausserordentlich elegant, aber auch zugleich älter. Auffällig seine Frisur, relativ kurz, aber doch nicht der damals modische Bürstenschnitt – im Prinzip ähnlich wie jene der Teddys, der Teddy-Boys. Konnte es sein, dass er damals den Teddys nacheiferte? Eines war sicher: Hünger wirkte auf diesem Bild nicht nur modisch gekleidet, sondern durchaus weltgewandt, mit einem zuvorkommenden Lächeln – durch die Zeitung in seiner Hand wurde dieser Eindruck noch verstärkt.

Die Gesichtszüge selbst liessen sich mit Ausnahme seines sichtbaren Lächelns nur erahnen. Die Belichtung des Fotos war hierfür zu schlecht. Immerhin, aus der Kopfneigung und -form, seinem Lächeln, der Haltung als Ganzes erschien er mir irgendwie weich, nachgiebig, ja sanft. Die Haarfarbe? Natürlich rot, Johnny Hünger war rothaarig, ganz bestimmt und … und hatte auch Sommersprossen. Das war es, was auf dem Bild fehlte, das so auffällig typische Haar Hüngers. Rot, jenes Rot wie … ja, genau wie jenes der Haare von Annette. Tatsächlich. Beide haben die gleiche rostrote Haar- und blasse Hautfarbe. Dies war zugleich das Stichwort für einen näheren Blick auf die Freundin – oder wer immer auch seine Begleiterin war. Wie ich zu diesem Foto gekommen bin? Warum besitze ich ein Foto von Hünger mit seiner Freundin? Wie alles um Hünger war auch hier die Antwort tief, tief versunken, und ich konnte mir selbst keinen Reim darauf machen.

Doch zurück zur Freundin oder Begleiterin, wie auch immer: weisse Bluse, schwarzer Jupe, über die Knie, weisse Handtasche und weisse Schuhe mit hohen Absätzen, soweit das ins Auge springende Äussere. Die Figur etwas mollig, gesetzt; zwar jung, aber nicht jugendlich, und ihr Gesicht, soweit auf dem Bild überhaupt erkennbar, rund, ja flach, zumindest keine prägnanten Konturen. Sonnenbrille, eine Dutzendfrisur und ein angedeutetes Fotolächeln liessen sie mir vollends als keinesfalls aussergewöhnliche oder gar extravagante Frau erscheinen, die ich, warum weiss ich nicht, schon eher bei Hünger erwartet hätte. Ja, auch auf dem Bild wirkte er im Vergleich zu ihr weitaus eleganter, wohingegen sie an eine Krankenschwester oder Hausdame eines Mädchenpensionates im Ausgang erinnerte.

Nun galt es an den Grund für meine Fotobetrachtungen zu denken: Welche Erinnerungen liessen sich durch das Bild aktivieren? Ich versuchte mich auf das Foto zu konzentrieren und zugleich die Augen zu schliessen, um auf Bilder meiner Eingebung zu warten. Nichts, einfach nichts – ausser eben der Erinnerung an seine roten Haare, seine Sommersprossen und seine blasse Haut.

Doch etwas war da, ein Gefühl, das ungute Gefühl nämlich, dass irgendetwas auf dem Bild nicht stimmte. Ja, tatsächlich, dies fühlte ich seit Beginn meiner Betrachtungen: da stimmte etwas nicht! Aber was? Nicht auszumachen. Die fotografierte Umgebung, die Freundin oder Begleiterin mussten sich ja auch meiner Erinnerung entziehen, denn mit meiner Internatsvergangenheit hatten sie ja wirklich nichts zu tun. Sein elegantes, ja beinahe weltmännisch-lässiges Auftreten – konnte es das sein? Oder der etwas weiche, sanfte Ausdruck? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich konnte mich eben wirklich nicht genau an ihn und seine Art erinnern. War er im Internat grundsätzlich anders, zum Beispiel schüchtern, unsicher und wenig attraktiv gekleidet?

Ich wusste es nicht, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, dass dies nicht der Grund des unguten Gefühls sein konnte: Da war irgendetwas tiefer Gehendes, was mir auf diesem Bild falsch erschien. Oder war es etwa gar nicht Hünger? Noch einmal ein Blick durch die Lesebrille, doch trotz des kleinen und zu dunkel belichteten Bildes kam ich zum Schluss: Das konnte niemand anderes als Hünger sein!

Das ungute Gefühl, die Erinnerungsblockade, die ich immer empfindlicher verspürte, liessen mich nun mehr und mehr ärgerlich werden. Mit einigen ungeduldigen Bewegungen wischte ich die übrigen Fotos zusammen, verschloss sie wieder in der Schublade und ging mit dem Hünger-Foto zurück ins Grüne Zimmer. In dem Moment öffnete sich die Haustür, und mit viel Geräusch, Wehs und Achs, fand sich Annette wieder ein. Offensichtlich früher, als ich sie erwartet hatte; doch kein Zweifel, der Grund hierfür würde mir sicher bald bekannt sein. Nachdem sie ihre Einkaufstaschen und -säcke um sich hingestellt hatte, legte sie mir wortlos vier Zeitungen auf den Tisch, offenkundige Beweisstücke für ihre telefonisch gemeldeten Hünger-Inserate. «Schön, dich so früh wiederzusehen», hob ich an, «warum so früh?»

«Warum, warum. Wegen dir natürlich und deiner verknorzten Vergangenheit. Irgendwie lässt mich die Geschichte nicht los, und ich wollte so schnell als möglich zurück sein, um zu erfahren, was du inzwischen in Erfahrung gebracht, oder noch besser, ob du dein sagenhaft schlechtes Gedächtnis nun endlich etwas aufgefrischt hast. Es gelingt dir tatsächlich, Spannung zu schaffen!»

Das letztere klang bereits ziemlich vorwurfsvoll, wahrscheinlich allfälligen Vorwürfen meinerseits vorbeugend, wegen ihres voreiligen Anrufs bei Frau Hünger. Doch darum kam ich nicht herum:

«Mag sein, aber du trägst ja nicht unwesentlich zur Steigerung der Spannung bei. Trotzdem, ich habe nicht die Absicht, mich mit Frau Hünger zu unterhalten. Wie hast du sie überhaupt erreicht? Nur der Abdankungsort ist ja vermerkt, ihre Adresse nicht.»

«Sie, das heisst, Johnny Hünger, wohnt in Celerina. Und du? Was hast du denn in der Zwischenzeit getan?»

Ich berichtete ihr kurz über meine Liste der Internatsfreunde, meine Überlegungen hierzu, insbesondere zu Mäges, mein Telefonat mit dem FIO, und schliesslich zeigte ich ihr das Hünger-Foto, mit dem Hinweis, dass da etwas nach meinem Gefühl nicht stimmen könne. Sie vertiefte sich in das Foto, gab es mir zurück und wollte gerade zu einem Kommentar ausholen, als das Klingeln des Telefons uns beide zusammenfahren liess. Ganz offensichtlich waren unser beider Nerven ziemlich überspannt, denn sowohl für Annette wie für mich war das eine eher untypische Reaktion. Mit der Vorahnung, dass es bereits der Rückruf der Frau Hünger sein könnte, da ich am Samstagnachmittag selten oder nie Anrufe erhalte, bat ich:

«Nimm du es, falls es die Hünger ist!»

«Hier bei Fritz Wyl»

Und sofort deckte Annette den Hörer ab und flüsterte schnell: «Es ist sie tatsächlich.»

«Bin nicht da! Verreist! Und keine Diskussion!»

«Guten Tag, Frau Hünger. Mein Name ist Annette Winter. Ich habe angerufen. Fritz Wyl ist leider unerwartet verreist. Ja, bis Sonntagabend … aufgrund Ihrer Todesanzeige meinte, wollte er Sie noch anrufen … Ja … ja, leider. Nein, mehr weiss ich nicht … übrigens mein … unser herzliches Beileid. Ja … also, bis Montag, dann ist Fritz sicher wieder zurück, guten Tag, Frau Hünger.»

Nachdem Annette den Hörer aufgelegt hatte, bemerkte sie:

«Und nun?»

«Was und nun?»

«Ja, wie weiter? Was hast du vor?»

«Sagte ich doch schon; sobald Max Rubli aus dem Engadin zurück ist – wahrscheinlich in etwa zwei Stunden -, werde ich ihn anrufen, und dann wird sich alles klären.»

«Meinst du», erwiderte sie skeptisch und fügte hinzu: «Glaubst du nicht, es wäre an der Zeit, einmal über dich nachzudenken?» Was sollte das nun wieder? Was tat ich denn seit Stunden anderes, als mir das Gehirn zu zermartern, was da war, was sich da so sperrig in mein gegenwärtiges Leben drängte und doch so im Dunkeln verborgen blieb. Da – und doch nicht da! In meinem Ärger neigte ich zunehmend zu einem Aggressionsausbruch. Ich beherrschte mich aber und fragte betont gelassen:

«Wie meinst du das? Worüber soll ich nachdenken?»

«Über dich. Du überheblicher, nach allen Seiten abgesicherter Wirklichkeitsarchitekt. Über dich, mein Lieber!»

«Was soll der zynische Ton? Meinst du, die Geschichte lässt mich kühl? Im Gegenteil – ich denke ja pausenlos darüber nach, was da war – und sicher auch über mich und mein Blackout. Der Ton von Klara Steffen klingt mir ja noch in den Ohren: ‹Dass du es wagst, nach Hünger zu fragen, gerade du.› Was soll das, Annette?»

«Ich meine es nicht so, sondern weitaus grundsätzlicher.»

Oho, die Hünger-Geschichte sollte ihr wieder einmal als Anlass für eines ihrer beliebten Analysegespräche dienen, und mit ihrem Lieblingspatienten, eben mir. Die sich daraus entwickelnden Diskussionen, die sich nach allen Seiten wandten und krümmten und kaum ein Ende fanden, waren früher Beziehungsalltag, aber in letzter Zeit eher spärlicher angesagt. Da die unerwarteten Vertiefungen und intellektuellen Nuancen, welche diesen Gesprächen doch einen gewissen Reiz gaben, auch eher seltener wurden, versuchte ich, sie immer öfter im Keime zu ersticken, so auch heute.

«Bitte Annette, nur nicht heute. Ich bin zu müde dazu. Zumindest nicht gemeinsam. Ich versuche es, glaube mir das. Am liebsten würde ich mich jetzt für zwei Stunden mit deinen mitgebrachten Zeitungen zurückziehen, in der Hoffnung, dabei einzuschlafen. Nach der Woche und den heutigen Aufregungen. Du verstehst mich doch?»

«Du entgehst dir nicht. So geh schlafen, du Held! Ich wecke dich rechtzeitig fürs Theater.»

Nach einigem Hin und Her legte ich mich mit den Zeitungen auf das grüne Sofa und blätterte recht oberflächlich entlang den Schlagzeilen, ohne mich in einen Artikel einzulesen, weil ich eigentlich ziemlich lustlos und zugleich müde war.

Die Todesanzeige

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