Читать книгу Der Zthronmische Krieg - Matthias Falke - Страница 5
Jennifer I
ОглавлениеDie Aussicht war atemberaubend. Es war, als stünde man auf einem gewaltigen Berggipfel, auf dem höchsten Punkt eines mächtigen Massivs aus Stahl, dessen Flanken nach allen Seiten steil in die Tiefe stürzten.
Die Plattform, von einer dreh- und schwenkbaren Kanzel aus doppelt gehärtetem Elastalglas umfangen, erhob sich auf der Spitze über drei flach aufeinander zulaufenden Ebenen aus schwarzem Titan. Die einzelnen, kilometerweiten Fluchten aus Stahl waren allerdings nicht glatt, sondern von zahllosen Aufbauten und sekundären Strukturen gegliedert. Antennen und andere Sensoren streckten ihre kirchturmhohen Fühler in den Raum vor. Die komplexen Waffensysteme einer Kampfstation, die auf massive Raumgefechte ausgelegt war, starrten in die Leere. Torpedoschächte öffneten sich. Die miteinander verschalteten Katapulte von KI-Detonatoren erhoben drohend ihre Wurfarme gegen den schweigend dahinziehenden Sternenhintergrund. Die Nachführautomatiken von DeepField-Radar und dezentraler Zielerfassung narbten die schrundige Oberfläche aus mattgrauem Stahl.
Jennifer erinnerte sich an den Mount Everest, den sie während der Akademiezeit einmal bestiegen hatten, um eine neue Generation von Schutzanzügen zu testen. Auch sein Gipfel hatte einen Dreikant kilometerhoher Flanken aus Fels und Eis gekrönt. Wenn man auf dem höchsten Punkt stand, wo sich die drei Wände und die Grate vereinigten, konnte es einen schwindeln. Die Welt schien sich unter einem hindurchzudrehen, während der eigene Standpunkt losgelöst über den Dingen zu schweben schien.
So war es auch hier, am Nordpol der Ikosaeder-Kampfstation, dessen teratonnenschwerer, zwischen Würfel und Kugel die Mitte haltender Leib unter ihren Füßen um seine Rotationsachse schwang. Jede der zwanzig dunklen Seiten war über einen Quadratkilometer groß. Die Station hatte die Masse eines kleinen Asteroiden. Wie ein kompakter Mond auf einer niedrigen Bahn zog er über seinem Planeten dahin, der rohstoffreichen und lebensfeindlichen Welt von Zthronmia. Denn das vertiefte den Raumeindruck der spektakulären Aussicht noch: Anders als im Hochgebirge mündeten die Steilwände zu allen Seiten nicht in die Ebene, in die Sicherheit der Terra firma – hier stürzte der Blick noch einige Hundert Kilometer weiter hinunter und prallte über einen Abgrund hinweg, den er nicht mehr ermessen konnte, auf die zinkoxidfarbenen Wüsten des Zthrontatplaneten.
Jennifer war in den schwenkbaren gravimetrischen Sessel des Richtschützen geklettert, um die Umschau genießen zu können. Die Elastalglaskanzel bot ein Panorama von 360 Grad. Die Geschütze, die hier installiert waren, konnten fast 70 % einer gedachten Kugeloberfläche bestreichen. Lediglich nach unten schloss die Masse der Kampfstation den freien Ausblick ab. Und dann die rostroten und ockerbraunen Ebenen der Welt, die es zu schützen galt. Erstaunlich dicht und erstaunlich rasch zogen sie durch den unteren Bereich der Aussicht. Die Ikosaeder-Kampfstation befand sich auf einem niedrigen Orbit, auf dem sie den Planeten alle anderthalb Standardstunden umrundete. Ihre elliptische Bahn führte sie dabei sinusförmig zwischen den 50. Breitengraden Nord und Süd hin und her. Da die Polregionen unbewohnt und rohstoffarm waren, war die Sicherung dort nicht notwendig.
Zthronmia drehte sich unter den Sinusschleifen der Bahn von Alpha Ceti Tau hindurch, sodass die Station, bezogen auf eine gedachte Karte des Planeten, eine Schlangenlinie beschrieb, die sie, jeweils um hundert Längenkreise versetzt, die mittleren und tropischen Breiten bestreichen ließ.
»Ist die Nachführung rückgekoppelt?«, fragte Jennifer gerade. Sie ließ die Kanzel einmal um ihre Vertikalachse wirbeln und die Batterie gleichzeitig die Läufe senken und sie gegen die Drehrichtung stabilisieren.
»KI-gestützte antizipierende Vernetzung«, sagte Kommandant Borissowitsch lustlos.
Er stand zu Füßen der mächtigen Verankerung des Geschützes, einige Meter unter Jennifer, wodurch er noch kleiner und dicker wirkte, als er ohnehin war.
»Alle Batterien der Nordhalbkugel der Station werden mit dieser hier oben am Pol verknüpft. Sie beschreiben automatisch dieselbe Nachführbewegung und bleiben immer auf das gleiche Ziel fokussiert. Außer, natürlich, sie programmieren eine andere Erfassung. Die KIs können auch selbsttätig arbeiten. Dann können sie mehrere Hundert Ziele gleichzeitig unter Feuer nehmen.«
Jennifer schien nicht zuzuhören. Sie wirbelte auf dem von GraviGurten geschützten Sitz des Richtschützen herum, wobei die Feldgeneratoren vorwurfsvoll zu ächzen und zu stöhnen begannen. Die Kommandantin des ENTHYMESIS-Geschwaders ließ die Kanzel im Uhrzeigersinn rotieren, während sie ihren Sessel kopfüber rollen und die Batterie nach Art einer Möbiusschleife unter sich selbst hindurchtauchen ließ. Dabei stieß sie ein halblautes anerkennendes Pfeifen aus.
»Das kann von Vorteil sein«, setzte Borissowitsch seine Ausführungen fort, »wenn man von einer Staffel schneller Jäger angegriffen wird. Die KIs können auf bestimmte Ziele konditioniert werden, die sie dann selbsttätig bekämpfen.«
Er warf einen skeptischen Blick zu Jennifer hinauf, die einen abrupten Schwenk beschrieben hatte und gerade kopfunter über ihn hinwegsauste.
»Wissen Sie«, sagte er müde, »im Grunde ist es unnötig, hier oben tatsächlich Schützen einzusetzen. Am besten, man steuert das Ganze von der Brücke aus …«
Jennifer hatte, in den Gurten aus künstlicher Schwerkraft hängend, noch einige Salti mortali vorwärts und rückwärts absolviert, bis die tonnenschwere Batterie in den Fundamenten knirschte. Dann hatte sie ein Einsehen und fuhr die Kanzel auf die Ausgangsposition zurück, wo sie mit einem elektronischen Signal arretierte.
»So macht es aber mehr Spaß!«
Sie kannte Borissowitsch inzwischen gut genug, um einschätzen zu können, dass diese Kategorie in seiner Sicht der Dinge die geringste Bedeutung spielte.
»Es ist wesentlich gefährlicher«, brummte der Kommandant von Alpha Ceti Tau.
Er sah zu, wie die Aufpasserin, die die Union ihm vor die Nase gesetzt hatte, die fünf Meter hohe Leiter herunterkletterte, die in den Geschützturm eingelassen war. Ihre weiße Uniformhose spannte über dem knackigen Arsch. Ansonsten war sie mit weiblichen Reizen eher sparsam ausgestattet. Alles an ihr war hart und knochig. Das kurze Haar vervollständigte eine burschikose Erscheinung. Außerdem war sie einige Jahre zu alt für seinen Geschmack.
Andererseits war es auch wieder gut, dachte er grimmig, dass sie nicht gerade dem Ideal eines Pin-up-Girls entsprach. Seine Männer waren ziemlich ausgehungert. Die Zeit hier oben dehnte sich. Die Ablösung war mehrere Tage überfällig. Aber über die da würden sie nicht herfallen, solange sie sich noch beherrschen konnten.
Jennifer war am Fuß der Batterie angekommen und baute sich neben Borissowitsch auf. Mit einem missmutigen Stirnrunzeln nahm er zur Kenntnis, dass sie ihn um eine Haupteslänge überragte.
Die Offizierin ließ die Blicke durch die Kuppel aus Elastalglas schweifen. In den Geschützturm waren mächtige Feldgeneratoren eingelassen, die die blitzschnelle Nachführung der Maserkanonen steuerten. Diese empfingen ihre Energie aus einem eigenen Reaktor, der aus Sicherheitsgründen einige Hundert Stockwerke tief in das komplexe Innenleben der Kampfstation eingelassen war. Der Fuß der Batterie war vom Umfang eines alten Urwaldriesen. In fünf Metern Höhe kragte die Kanzel des Richtschützen aus, von deren Beweglichkeit und Rollfähigkeit sie sich soeben überzeugt hatte. Darüber ragten die Zwillingsläufe der Kanone in den schwarzen Sternenhimmel. Zehn Meter lange Geschützrohre aus gezogenem Titanstahl, die Energiepakete aus harter Strahlung in den Raum pumpten, tödliche Massierungen von Röntgenwellen, die jede Panzerung und jedes Kraftfeld durchdrangen und die geeignet waren, jedes feindliche Schiff in Scheiben zu schneiden. Über Sina hatte sie sich ein Bild von der furchtbaren Effizienz dieser Waffensysteme machen können.
»Und sie schießt durch die Elastalglaskuppel?!«, fragte sie ungläubig.
Borissowitsch zuckte schwerfällig die runden Achseln.
»Die Polarisierung ist an die Nachführung gekoppelt«, erklärte er. »Das Feld, durch das gerade geschossen wird, hebt automatisch die Polarisierung im entsprechenden Wellenbereich auf.«
Jennifer schob anerkennend die Unterlippe vor.
»Ist doch viel praktischer«, bemerkte Borissowitsch noch. »Bei der hohen Beweglichkeit! Andernfalls müssten sie mit Raumanzug in die Kanzel – wenn die ganze Vorrichtung ohne die Kuppel auskommen müsste.«
Jennifer nickte.
»Und die Abschirmung?«, fragte sie. »Sie sagten, auf der Brücke sei es sicherer?«
Borissowitsch ließ einen mitleidigen Blick durch sie hindurchgleiten.
»Selbstverständlich, Ma’am«, sagte er träge. »Die Brücke ist der sicherste Bereich der ganzen Kampfstation, vom Reaktorbereich in ihrem Zentrum einmal abgesehen. Aber wenn dort was schief läuft, können Sie sowieso das ganze Ding vergessen.«
Er musterte sie mürrisch.
»Sämtliche Schutzschilde, Kraftfelder, Katapulte und selbsttätig nachführenden Geschütze sind auf die Sicherung der Brücke ausgerichtet. Hier oben …«
Er wiegte skeptisch den Kopf, statt seinen Satz zu Ende zu führen.
»Was heißt das?« Jennifer ließ ihn nicht aus den Augen. Ihre Stimme war hart und zupackend, wie in einem Messerkampf immer bereit, in einer unvorhersehbaren Ausfallbewegung zuzustechen.
Borissowitsch registrierte, dass sie im letzten Augenblick den Reflex unterdrückt hatte, seinen vielsagend abgerissenen Halbsatz nachzuäffen.
»Das Schutzfeld der Station ist wie das Magnetfeld eines Planeten strukturiert«, nahm er zu trockenen Auskünften seine Zuflucht. »Am Äquator ist es am stärksten. Mehrere Schichten liegen übereinander. Sie sind gegeneinander polarisiert. Da ist praktisch kein Durchkommen. Hier oben treten die Feldlinien aus und krümmen sich dann um den Leib des Ikosaeders.«
Er vollführte eine komplizierte Bewegung mit beiden Händen. Etwas wie das Aufblühen eines Blumenstraußes, der dann in Zeitlupe verwelkte und nach allen Seiten auseinanderblätterte.
»Bei seitlichen Angriffen sind Sie geschützt«, fuhr er fort. »Aber wenn sie einen senkrechten Treffer erhalten, genau in der Fortsetzung der Rotationsachse, ist es, als wenn sie ungesichert im Freien stünden.«
Er sah sie herausfordernd an, als wolle er in ihrer Miene forschen, ob sie nun mit seinen Auskünften zufrieden sei.
»Verstehe«, sagte Jennifer knapp. In ihre Augenwinkel nistete sich ein pfiffiges Lächeln ein. »Warum gibt es diese Kanzel dann überhaupt?«
Borissowitsch sah sie an, als sei sie nicht mehr ganz bei Trost. Als sie seinen Blick unverwandt erwiderte, verdrehte er die Augen. Kam hierher und stellte die absonderlichsten Fragen! Auf diese Art von Vorwitz hatte er keine Lust. Bald würde er Schulklassen durch die Station führen und irgendwelchen Rotznasen erklären müssen, wie ein Feldgenerator funktionierte oder was geschah, wenn man einen thermischen Sprengkopf aufs Dach bekam!
Aber im Augenblick musste er das Spielchen mitspielen. Also tief Luft holen und ganz fest an die Pension denken, die nicht mehr allzu weit entfernt war. Wenn nicht, dachte er im Stillen, die ganze Kriegsspielerei hier einen Strich durch seine Rechnung machte.
»Die Sineser nahmen es mit eigenen Verlusten nicht so genau«, sagte er so gleichgültig wie möglich. »Wie Sie ja wissen, handelt es sich hier ursprünglich um eine Einrichtung des Sinesischen Imperiums.«
»Ist mir bewusst, Kommandant«, flötete Jennifer. »Fahren Sie fort.«
»Darüber hinaus gibt es Situationen, in denen die Anwesenheit menschlicher Richtschützen geboten sein kann. Bei sehr komplexen Gefechtssituationen zum Beispiel.«
Er wollte sich auf den Rückweg machen, aber Jennifer rührte sich nicht von der Stelle. Hatte sie denn immer noch nicht genug?
»Gerade weil sie sehr viel schneller reagieren und zahlreiche Vorgänge gleichzeitig verarbeiten können, sind KIs im konkreten Geschehen oft seltsam …« Er überlegte. »Überfordert. Wenn mehrere gleichrangige Gegner anfliegen, wird ein Mensch nicht lange überlegen, sondern anfangen, den ersten besten davon unter Feuer zu nehmen. Eine KI wird aufwendige Analysen durchführen. Sie ist darauf programmiert, eine Entscheidung zu treffen, auch wo es objektiv gar keine begründbare Entscheidung gibt.«
Jennifer schien überzeugt.
»Hinzu kommt«, sagte sie, »dass ein Mensch Angst vor dem Tod hat. Da lässt man schneller fünf gerade sein.«
Sie sah den Kommandanten schief an, als forsche sie in seinem aufgedunsenen Gesicht nach ähnlichen Erfahrungen.
»Die KIs haben eine programmierte Selbsterhaltungsroutine«, sagte Borissowitsch. »Sie dürfen sich nicht vorschnell aufgeben und opfern.« Er grinste sie schwächlich an und deutete mit dem Arm zum Elevatorschacht, um sie endlich zum Gehen zu bewegen. Zu seinem Erstaunen folgte sie diesmal der Aufforderung. »Aber natürlich ist das nicht dasselbe«, sagte er, um sich versöhnlich zu zeigen. Außerdem hatte er in ihren Augen gelesen, dass die Befragung früher oder später auch persönlich werden würde. Und Auskunft darüber zu geben, was er während des Sinesischen Krieges getrieben hatte, verspürte er nicht die geringste Lust.
Sie betraten das bläulich undulierende Kraftfeld des Elevatorschachtes, das sich mit sanftem Andruck um sie schloss und sie mehrere Hundert Stockwerke in die Tiefe katapultierte. Sie landeten in der Reaktorkammer, die sie zuvor ausgiebig inspiziert hatten. Das Fusionskraftwerk, das die Kampfstation mit Energie versorgte, lief reibungslos. Allerdings wurde der Treibstoff knapp. Die Vorräte an hochverdichtetem Plasma waren auf zehn Prozent der Sollmenge gesunken. Der Frachter war nicht von ungefähr abgefordert worden.
Ein Stollen brachte sie an die Oberfläche des Ikosaeders. Sie kamen in der Nähe der Brücke heraus, die sie zu Fuß in einem kurzen Slalom erreichten. Jennifer war aufgefallen, dass Borissowitsch seine Männer in der Zwischenzeit angewiesen hatte, in dem Bereich für Ordnung zu sorgen. Überall waren Leute mit Kompressionssäcken unterwegs, die Müll und Essensreste einsammelten. Ioan und einer seiner Kameraden waren damit beschäftigt, die in den Angeln hängende gravimetrische Tür zu reparieren. Man musste etliche Tonnen Abfall aus der Schleuse katapultiert und die Atmosphärentauscher hochgedreht haben. Jedenfalls ließ sich die Luft an Bord der Kampfstation schon beinahe wieder atmen. Und Borissowitschs Leute erschienen neuerdings gewaschen und rasiert, mit ordnungsgemäß sitzenden Uniformen!
»So weit, so gut«, sagte Jennifer. Sie ließ sich am Hauptbedienplatz nieder und betätigte einige virtuelle Felder der Konsole.
Die Katze Morgan sprang auf ihren Schoß. Jennifer nahm sie auf den linken Arm und kraulte sie, während sie mit der Rechten den Status der Station abfragte.
Kommandant Borissowitsch musterte die Szene missgünstig. Es war nicht festzustellen, was ihn mehr verdross: dass Jenny ungefragt seinen Platz einnahm – oder dass das Mistviech Morgan sich in sie verliebt zu haben schien.
Jennifer hatte ihre Anfrage abgeschlossen. Sie schwenkte ihren gravimetrischen Sessel herum und fixierte erst Borissowitsch, dann Ioan und den anderen Mann, den sie nicht kannte. Die beiden machten sich noch immer an der Durchgangstür zur Brücke zu schaffen.
»Ich habe um 1600 Standard eine Besprechung mit der MARQUIS DE LAPLACE«, sagte sie schließlich. »Höchste Geheimhaltungsstufe. Es wäre mir recht, wenn wir bis dahin ungestört wären.«
Sie richtete ihre braunen Augen wie Flakscheinwerfer auf Borissowitsch. Er stotterte etwas vor sich hin, das sie nicht verstehen konnte.
»Haben Sie kapiert?«, fragte sie und nickte zu den beiden Männern, die jetzt in ihrer Arbeit innehielten und irritiert herüberglotzten.
»Ich – Verzeihung, Ma’am«, stotterte der Kommandant. »Was haben Sie gesagt?«
Jennifer knipste ihr gewinnendstes Lächeln an. Aber er wusste, dass es genauso rasch wieder verschwinden konnte.
»Ich würde gerne ungestört sein«, flötete sie. »Kommandantenebene. Sie können natürlich hier bleiben.«
Borissowitsch wedelte Ioan und den anderen mit einer unwirschen Handbewegung fort. Die beiden beeilten sich, die Tür in die gravimetrische Aufhängung zu bugsieren und zu verschwinden. Die Automatik erfasste die beiden schmalen Türflügel, ließ sie sich schließen und versiegelte sie mit einem zufriedenen Schmatzen.
Jennifer sah auf die Uhr.
»Noch fünf Minuten«, sagte sie und strahlte Borissowitsch an.
»Ich verstehe nicht«, entgegnete der Kommandant von Alpha Ceti Tau. »Sie haben ein Rendezvous? Die MARQUIS DE LAPLACE kommt hierher?«
Jennifer schmunzelte.
»Nein, Boris«, antwortete sie sanft. »Ich habe eine Schaltung …«
Borissowitsch kratzte sich am Kopf. Er war froh, seine Männer fortgeschickt zu haben. Sein Eindruck musste kläglich genug gewesen sein, in ihren Augen. Er ließ sich von dieser Zicke herumscheuchen. Aber nun redete sie offenbar blanken Unsinn.
»Das ist unmöglich …«, brachte er hervor.
»Neue Technologie«, sagte sie fröhlich. »Wir nennen es Qbox. Sie bekommen auch eine. Sowie wir hier etwas Ruhe haben, wird sie auf Ihrer Brücke installiert.«
Sie ließ einen irgendwie mitleidigen Blick über Borissowitschs Kommandostand gleiten. Immerhin war er inzwischen von Elastilkartons, Selbstwärmmahlzeiten und Pizzaresten gesäubert.
»Für diesmal wird die ENTHYMESIS als Relais dienen.«
Borissowitsch fragte sich, ob sie den Verstand verloren hatte. Oder ließen seine Sinne ihn allmählich im Stich? Die MARQUIS DE LAPLACE, das Flaggschiff der Union, lag im Horus-System, etliche Tausend Lichtjahre entfernt. Keine Technologie der Welt konnte diese Entfernung in einer Echtzeit-Schaltung überbrücken!
Oder doch? Er hatte läuten hören, dass die Planetarische Abteilung einige Teufelskerle in ihren Reihen hatte. Außerdem arbeitete man dort jetzt mit den Tloxi zusammen, von deren haushoch überlegener Technik man sich wahre Wunderdinge erzählte. Zum ersten Mal seit Jahren begriff er, dass er auf einem Außenposten gelandet war, in der galaktischen Provinz, am Arsch der Welt …
Jennifer rief die Brücke der ENTHYMESIS, die auf der Landeplattform der Ikosaeder-Kampfstation, einige fünfzig oder sechzig Stockwerke unterhalb der Brücke festgemacht hatte. Zwei Offiziere versahen dort Dienst. Der 2. Pilot meldete sich.
»Hier Commodore Ash«, begrüßte Jennifer ihn bester Laune. »Bauen Sie via Quantenbox einen Kanal zum Mutterschiff auf. Die andere Seite weiß Bescheid.«
Sie wartete einige Augenblicke, bis sich auf einem zweiten Bildschirm ein Feld öffnete.
»Sehr gut«, sagte sie dann zur ENTHYMESIS-Besatzung. »Es wird nicht lange dauern. Und noch was: Höchste Geheimhaltungsstufe, Kommandantenebene. Sie schalten die Leitung durch und verkneifen sich jede Versuchung, das Gespräch mitzuhören!«
»Aye, aye, Ma’am«, erwiderte der Pilot.
Auf der Konsole sah man, wie er salutierte. Schräg hinter ihm hockte der WO des Explorers an seinem seitlich versetzten Bedienplatz. Er tippte etwas auf seinem MasterBoard. Dann machte er das Good-to-go-Zeichen in Richtung Kamera. Im gleichen Augenblick verschwand das Bild.
Stattdessen baute sich ein anderes auf. Es war die Offizierslounge auf dem Brückendeck der MARQUIS DE LAPLACE.
»Das klappt ja wie am Schnürchen!« Jennifer freute sich wie ein kleines Kind.
Mit einem Blick über die Schulter sah sie nach Borissowitsch. Der gemütliche Russe stand zwei Schritte hinter ihr und starrte mit offenem Mund seinen eigenen Hauptbedienplatz an.
»Das ist unmöglich!«, stammelte er immer wieder.
Jennifer bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, er möge neben ihr Platz nehmen. Und offenbar war er so verwirrt, dass er es nicht als anstößig empfand, sich von einer Fremden auf seiner eigenen Brücke Anweisungen geben zu lassen. Ohne den Blick von der Konsole zu nehmen, auf der man nun mehrere Personen erkannte, rutschte er neben Jennifer auf den gravimetrischen Sessel des Ersten Offiziers.
»Hallo John«, zwitscherte Jennifer, als Direktor Reynolds’ asketisches Gesicht auf ihrem Bildschirm sichtbar wurde.
Man sah den Leiter der Planetarischen Abteilung verzerrt, in der überdehnten Einstellung einer holografischen Weitwinkelkamera, die seine Nase riesig, seine Schultern und Arme aber winzig erscheinen ließ. Der genialste Wissenschaftler, den die Union je in ihren Reihen gezählt hatte, fummelte etwas an der Qbox auf der MARQUIS DE LAPLACE, die das Pendant zu derjenigen darstellte, die auf der Brücke der ENTHYMESIS stand und die Übertragung bewerkstelligte. Außer diesen beiden Geräten gab es keine Vorrichtung im gesamten Universum, mit der man ihr Gespräch hätte belauschen können.
Endlich nahm Reynolds zwischen einigen anderen Männern Platz. Die KI der HoloKamera nahm den Fokus automatisch zurück und stellte eine mittlere Bildperspektive her. Man sah vier Personen.
Kommandant Borissowitsch registrierte, wie die Offizierin an seiner Seite erstarrte, kaum dass sie das Bild in sich aufgenommen hatte.
»StabsLog: Protokollfunktion«, sagte Direktor John Reynolds, viele Quadranten weit entfernt. »Die Sitzung ist eröffnet. An Bord der MARQUIS DE LAPLACE nehmen daran teil …«
Jennifer hatte den Mund geöffnet, um etwas zu sagen. Vermutlich wollte sie Reynolds zurufen, ganz so förmlich müsse er es auch nicht machen. Doch dann ließ sie ihn gewähren. Sie schien ihre Meinung geändert zu haben. Womöglich war sie zu dem Schluss gekommen, dass die Aktivierung der Protokollfunktion kein Fehler sein mochte. Schließlich würden Dinge von außerordentlicher Tragweite verhandelt werden. Wer wusste schon, was sich daraus ergeben würde? Und wer behauptete später vielleicht, von nichts gewusst zu haben?
»Commander Frank Norton«, zählte Reynolds auf, »Kommandant der MARQUIS DE LAPLACE im militärischen Rang eines Commodore, General a. D. Dr. Rogers, vormals Leiter der Planetarischen Abteilung, Kommissar Jorn Rankveil, Sonderbeauftragter der Union für Zthronmische Angelegenheiten, und Direktor Reynolds, amtierender Leiter der Planetarischen Abteilung. Es handelt sich um eine Besprechung auf Führungsebene, höchste Geheimhaltungsstufe.«
»Aufseiten der Orbitalstation Alpha Ceti Tau nehmen teil: Commodora Jennifer Ash, Kommandantin des ENTHYMESIS-Geschwaders, und Boris Borissowitsch, Kommandant der Orbitalstation. Geheimhaltungsstufe ist gewährleistet.«
Jennifer war verzweifelt. Sie suchte Nortons Blick, der scheinbar unbeteiligt auf dem gravimetrischen Sofa seiner Kommandantenlounge saß, direkt neben Jorn Rankveil, der regungslos aufgepflanzt dahockte und abwartend in die Kamera starrte. Es war nicht zu erkennen, ob er ihren Blick durch die Übertragung hindurch auffangen konnte. Sie entschloss sich, die Sache auf eigene Faust anzugehen.
»Kurze Frage noch«, sagte sie harmlos. »Kommissar Rankveil ist kein Offizier der Union. Wie kommt es, dass er an einer internen Besprechung auf der höchsten Führungsebene teilnimmt?«
In zwei, um einige Tausend Lichtjahre voneinander entfernten Räumen, gefror die künstliche Atmosphäre und alle beteiligten Personen hielten den Atem an.
Jorn Rankveil sah ausdruckslos in die Kamera und ließ einige Sekunden verstreichen. Dann richtete er sich geringfügig auf. Seine stechenden schwarzen Augen blieben ruhig. Ein hintergründiges Feuer schien in ihnen zu glosen, von dem man nur ahnen konnte, dass es im Handumdrehen zu einem vernichtenden Blitzen auflodern konnte.
»Jorn Rankveil«, sagte er herablassend, »ist Beauftragter für Zthronmische Angelegenheiten und seit diesem Vormittag Vorsitzender der Untersuchungskommission, die den Auftrag hat, die verschiedenen Vorfälle auf und über Zthronmia zu klären.«
Er ließ das wirken und blickte Jennifer über einen Abgrund von einigen Billiarden Kilometern eiskalt an.
»Es ist«, fuhr er schließlich fort, »Ihren Freunden daher nicht gelungen, ihn von diesem konspirativen Treffen fernzuhalten.«
Da er sich ein wenig vorgebeugt hatte, konnte Norton ihr jetzt hinter seinem Rücken Zeichen machen. Allerdings konnten sie beide nur die Schultern heben und durch lautlose Lippenbewegungen andeuten, dass sie ruhig mit der Besprechung fortfahren sollten. Offensichtlich gab es so oder so gar keine andere Möglichkeit.
Jennifer verfluchte Reynolds’ Quantenbox. Wie jede neue Technik barg sie Für und Wider. Und wie jede Neuerung auf dem Gebiet der Kommunikation schuf sie nicht nur Möglichkeiten des Austauschs, sondern auch der Überwachung und Bespitzelung. Hätten Sie doch eine Lambda-Ionensonde durch den Warpraum geschickt. Bei der derzeitigen Flugtätigkeit im Rahmen von Reynolds’ Sondenprogramm wäre ein Start mehr oder weniger nicht aufgefallen.
Am besten wäre es, sie hätte freie Hand bekommen. Aber der Charakter der geplanten Aktion brachte es mit sich, dass sie ohne engste Absprache nicht zu realisieren war.
»In Ordnung«, schaltete Dr. Rogers sich jetzt ein. »Kommen wir zu Sache.«
Er sprach betont und für seine Verhältnisse sehr steif. Das war zum einen der Anwesenheit Jorn Rankveils, zum anderen aber auch der Protokollfunktion des StabsLogs geschuldet.
»Commodora Ash und Kommandant Borissowitsch haben einen Versorgungsfrachter mit Nachschub für die Orbitalstation Alpha Ceti Tau angefordert. Da der letzte Frachter, die ENCOURAGE II, von zthronmischen Verbänden aufgebracht wurde und verloren ging, mangelt es nun vor allem an Treibstoff, aber auch an Wasser, Sauerstoff, Lebensmitteln, Munition und nicht zuletzt an frischen Mannschaften.«
Insgeheim schien jeder auf einen Einwand seitens Kommissar Rankveils zu warten. Aber er saß stumm und regungslos da und lauschte den für die Ewigkeit gesprochenen Sätzen des alten Generals.
»Die Führung der Union«, fuhr Dr. Rogers fort, »hat beschlossen, der Anfrage zu entsprechen. Der Frachter ENCOURAGE IV, ein Schwesterschiff des verlorenen, wird in diesen Stunden betankt und munitioniert. Es wird in circa achtzehn Standardstunden, das heißt morgen Vormittag, bereit zum Abflug sein.«
»General Rogers«, sagte Jennifer. »Wir bedanken uns für die Gewährung von Nachschub und Verstärkung beziehungsweise Ablösung.«
Sie wechselte ein schiefes Lächeln mit Kommandant Borissowitsch. Dieser glotzte immer noch mit offen stehendem Mund auf die Konsole. Von den politischen Implikationen des Vorhabens schien er nichts zu ahnen. Im Moment schlug ihn der technische Aspekt des Vorgangs in seinen Bann.
»Um eine Wiederholung des Überfalls ausschließen zu können«, beeilte Jennifer sich fortzufahren, »haben wir außerdem darum gebeten, ein Geschwader schneller Jäger bereitzustellen. Dieses soll sich in einem Bereitschaftsraum versammeln und zum fraglichen Zeitpunkt die Warpreaktoren hochfahren. Der Abruf erfolgt mittels Qboxen, die in die Cockpits des Jägers integriert werden und Kommunikation in Echtzeit mit jedem beliebigen Punkt des Universums ermöglichen.«
Sie ließ eine Pause entstehen, aber es wurde auch jetzt kein Widerspruch laut. Das machte sie misstrauisch. Sie hatte damit gerechnet, dass Rankveil verhinderte, den Zthronmic eine solche Falle zu stellen. Aber der Kommissar saß für seine Verhältnisse gutmütig dabei, hörte sich alles an – und schwieg. Was mochte er im Schilde führen?
Andererseits, dachte sie, wenn etwas herauskam, wusste man, wo die undichte Stelle war. Wenn der Plan vereitelt wurde … Die Frage war nur, was für Konsequenzen ein Fehlschlag nach sich ziehen würde und ob die Auswirkungen dann nicht so gravierend sein würden, dass das Schicksal des gelbhäutigen Jorn Rankveil ihnen herzlich gleichgültig sein würde.
Wie auch immer. Sie konnte es nicht ändern. Die Dinge waren viel zu weit gediehen. Viel zu viel war in Gang gesetzt und aktenkundig geworden – es gab kein Zurück mehr.
»Die Jäger halten sich lediglich bereit«, sagte sie laut. »Sie haben einen gestaffelten Einsatzbefehl. Solange der Frachter den Zielraum ungefährdet erreicht, die Kampfstation anfliegen und seine Ladung löschen kann, greifen sie auf keinen Fall ein.«
Die vier Männer auf der MARQUIS DE LAPLACE nickten unisono.
»Nur falls es zu neuerlichen Übergriffen kommt, setzen die Jäger durch den Warpraum nach, kommen der ENCOURAGE IV zu Hilfe und geben ihr Geleit, notfalls auch Feuerschutz.«
Auch jetzt kam keinerlei Widerspruch.
Jennifer holte tief Luft. Bis jetzt war sie auf der Schwelle gestanden. Im schlimmsten Fall hätte man das Ruder noch einmal herumreißen können, wenn auch nicht ohne Ansehensverlust. Doch jetzt tat sie den entscheidenden Schritt.
»Und dann habe ich mir noch Folgendes überlegt«, sagte sie und aktivierte eine vorbereitete Übertragung. Auf der Konsole sah sie, wie die Daten auf der anderen Seite ankamen und von der KI des StabsLogs aufbereitet wurden. Die Augen der Männer wurden umso größer, je mehr sich davon enthüllte. Sie stieß Borissowitsch kumpelhaft in die Seite. Dann wartete sie auf die Bestätigung.
Nach Ende der Videokonferenz begab sich Jennifer wieder auf die ENTHYMESIS, um dort die Nacht zu verbringen. Die Nacht vor dem Gefecht – denn dass es zu Zwischenfällen kommen würde, stand für sie außer Zweifel. Vielleicht die letzte Nacht zu Friedenszeiten.
Sie instruierte die beiden Offiziere ihrer spartanischen Crew, die sich die Nachtwache teilten. Auch Borissowitsch hatte sie angewiesen, die Brücke auf Alpha Ceti Tau im Dreischichtrhythmus besetzt zu halten. Der maulfaule Russe hatte es ihr zugesagt, ebenso unverbindlich, wie er ihr einen Nächtigungsplatz auf seiner Raumstation angeboten hatte. Aber sie hatte wenig Lust verspürt, das Domizil mit einem Dutzend gelangweilter, frustrierter und sexuell ausgehungerter Männer zu teilen. Da waren ihr die beiden gesetzten Familienväter, die sie sich auf die ENTHYMESIS geholt hatte, lieber.
Jennifer ging nicht davon aus, dass es in der Nacht zu Übergriffen kommen würde. Aber man konnte nie wissen. Die Gemengelage in diesem abgelegenen Quadranten war undurchsichtig. Hier blühte die Korruption, wucherte der Schwarzhandel, feierten Fanatismus und religiöse Verbohrtheit fröhliche Urständ.
Während sie ihre Kabine aufsuchte, die gravimetrische Tür verriegelte, die Schiffsautomatik auf Alarm stellte, sich auszog und in die Nasszelle ging, kreisten ihre Gedanken um die Ereignisse dieses Tages. War es wirklich erst an diesem Morgen gewesen, dass sie den Sprung durchgeführt, sich das Scharmützel mit den zthronmischen Schmugglern geliefert und die Orbitalstation angeflogen hatte. Auf dem Planeten unter ihr war es Nacht und wieder Tag geworden. In den Morgenstunden lokaler Zeit hatten zthronmische Scyther einen schweren Angriff auf amishe Kibbuzim geflogen. Derweil hatte sie mit Kommandant Borissowitsch die Station inspiziert.
Sie stand unter der Dusche und ließ sich von warmem Wasser berieseln. Es war ein Luxus, den man sich auf einem so kleinen Schiff wie einem ENTHYMESIS-Explorer nicht jeden Tag gönnen konnte. Für gewöhnlich duschte man mit Ultraschall. Die selbstreinigende sensorielle Kleidung sorgte dafür, dass man während einer Mission nicht allzu viele Gedanken an die Körperpflege verschwenden musste. Hin und wieder zog sie jedoch ein richtiges Bad vor, mit warmem Wasser und parfümierter Seifenlösung. Und anschließend frottierte sie ihren Leib, bis er zu glühen schien.
Sie zog sich nicht an, sondern nahm in Meditationshaltung auf der gravimetrischen Matratze ihres Bettes Platz. Dann schloss sie die Augen und versetzte sich in eine leichte Trance. Die oberen Schichten der Prana-Bindu-Meditation waren für das Bewusstsein durchlässig. Sie schaltete nur alle störenden Einflüsse ab, unterdrückte Assoziationen und den persönlichen Teil ihres Gedankendickichts. Sie war wie ein Computer, der rational und effektiv ein vorgelegtes Problem bearbeitete. Nachdem sie den Plan für die morgige Falle, die sie den Zthronmic gestellt hatte, noch einmal durchgegangen war und ihn auf logische Fehler abgeklopft hatte, konzentrierte sie sich auf Kommandant Borissowitsch. Neben Kommissar Rankveil blieb er eine der Unbekannten in diesem Spiel. Der Russe war undurchdringlich. Er hatte nichts von sich preisgegeben. Privat schon gar nicht. Aber auch über sein Dienstverständnis und seine Einschätzung der Situation hier draußen konnte man nur mutmaßen. Er wollte seine Ruhe haben, so viel war durchgedrungen. Solange er selber nicht an Leib und Leben gefährdet war, blieben ihm die Vorgänge einige Hundert Kilometer weiter unten herzlich egal. Sein Job war sicher. Er hatte ihn bis jetzt weitgehend unkontrolliert, in eigener Regie ausgeführt. Zu erkennbaren Unregelmäßigkeiten war es nicht gekommen. Wie viel er für die eigene Tasche abzweigte, wie viel des florierenden Zthrontathandels über seine speckige Konsole lief oder wie lukrativ seine sonstigen Deals mit den Zthronmic waren – darüber konnte man nur spekulieren. Er hatte sich mit der Lage hier draußen arrangiert. Gut möglich, dass er an die entsprechenden Stellen der Unionsverwaltung eine Art von umgekehrtem Schutzgeld zahlte, um nicht abgelöst zu werden. Der Verlust der ENCOURAGE hatte ihn nicht besonders schwer getroffen. Er war nicht eingeschritten, als der Frachter aufgebracht worden war, und hatte auch nichts unternommen, als er manövrierunfähig auf seiner instabilen Bahn dahintrieb. Seine Trauer über das Scheitern der Mission, den Absturz des Schiffes und den Tod der Mannschaften hatte sich in Grenzen gehalten.
Jennifer musste sich nicht eigens dazu ermahnen, ihm nicht über den Weg zu trauen. Bei Gelegenheit würde sie ein wenig investigativ werden: Vielleicht ließ sich in den Tiefen des StabsLogs etwas darüber auffinden, was er hier draußen trieb oder wie er zu diesem Posten gekommen war. Aus Bemerkungen, die er während des Gespräches hatte fallen lassen und die sie mit der Chronologie der häufig wechselnden zthronmischen Führung kurzgeschlossen hatte, glaubte sie, ableiten zu können, dass er schon während des Sinesischen Krieges in diesem Quadranten zu tun gehabt hatte. Wie war das aber möglich? Die Ikosaeder-Kampfstation war damals noch von den Sinesern selbst betrieben worden. Diese hatten schwerlich einem Offizier der Union Zugang gewährt. Freilich, glaubte sie, sich zu erinnern, hatte die Union schon nach Persephone ein Netz von Verbindungsoffizieren zu verschiedenen Völkern in der Tiefe der Galaxis aufgebaut. Die Zthronmic waren während der Schlacht um Sina neutral geblieben. Sie hatten eine der Phasen durchgemacht, in denen sie auf Distanz zum Sinesischen Imperium zu gehen pflegten. Es war denkbar, dass Borissowitschs Kontakte bis in diese Zeit zurückreichten. Das herauszufinden, würde eine mehrstündige Tiefenrecherche im StabsLog erfordern, was wiederum nur auf der MARQUIS DE LAPLACE möglich war. Jennifer machte sich einen Vermerk im Hinterkopf, sich beizeiten um die Sache zu kümmern. Dann schüttelte sie die Trance ab, stand auf und warf sich ein leichtes Negligé aus Tloxi-Seide über. Während sie ihre schlanke Gestalt mit dem verführerischen durchscheinenden Kleid im Spiegel betrachtete, kam ihr noch ein weiterer Gedanke.
Sie nahm ihr MasterBoard vom Pult, setzte sich im Lotossitz aufs Bett und rief die Dialogfunktion auf. Dann wählte sie sich mit ihrer Identifizierung als Kommandantin in die Brückenautomatik der ENTHYMESIS ein. Danach ließ sie sich den Status der Quantenbox geben. Anhand einiger elektronischer Spuren, die sie hinterlassen hatten, erkannte Jennifer, dass ihre beiden Offiziere das Gespräch mit der MARQUIS DE LAPLACE belauscht hatten. Das war nicht nur gegen die Vorschrift, sondern auch gegen ihre ausdrückliche Anweisung. Andererseits war es ihr egal. Es würde ihr das morgendliche Briefing sparen. Die Gesichter des 2. Piloten und des WO, wenn sie ihnen sagte, dass sie ja ohnehin schon Bescheid wüssten, würden köstlich sein.
Aber sie hatte jetzt gar keine Lust, allzu lange bei diesen Dingen zu verweilen. Sowie sie sich in die interne KI der Quantenbox eingeloggt hatte, rief sie die Brücke der MARQUIS DE LAPLACE.
Die Bestätigung kam erstaunlich rasch.
»Das ging aber schnell«, sagte sie, während sich die Übertragung aufbaute und die HoloFunktion ihres MasterBoards das Videobild erzeugte.
»Ich hatte so ein Gefühl …«, grinste Norton auf der anderen Seite, während er noch irgendwas an seinem Gegenstück der Box zu fummeln hatte.
»Du hast Gefühle?!«, sagte Jenny grob. Sie schmunzelte, um anzudeuten, dass es nicht ganz ernst gemeint war.
Frank schien mit der Einstellung der Technik zufrieden zu sein. Er trat einen Schritt zurück und nahm in seinem gravimetrischen Sessel Platz. Ganz so wie am Nachmittag, nur dass er jetzt allein war.
»Ist sie bei dir?«, fragte Jennifer.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, gab er zurück. Das jungenhafte Grinsen schien er überhaupt nicht mehr abstellen zu können.
Jenny ließ sich wider Willen davon anstecken.
»Deine – Anwärterin«, sagte sie, knipste ihr Lächeln wieder aus und legte abwartend den Kopf schief. Er würde jetzt ihr kurzes Haar sehen, das noch ein wenig feucht war und stachlig nach allen Seiten abstand. Sie hatte es nur mit einem Handtuch abgerubbelt und weder geföhnt noch gekämmt. Außerdem bot sie ihm das energische Kinn, den Halsansatz und die nackte Schulter. Ihre Brust zeichnete sich deutlich unter dem transparenten Nachthemd ab.
Sie sah, wie er sich alles wohlwollend besah.
»Lieutenant Milesi ist zur Schulung in Pensacola, falls du das meinst«, antwortete er abwesend. »Rufst du mich deshalb an?!«
»Ich wollte mal sehen, was du so treibst!«, entgegnete sie.
Dann beugte sie sich vor und änderte die Übertragungsrate.
»Wir gehen auf Audiokanal«, verkündete sie. »Die Qbox ist teilweise erschöpft. Wir dürfen ihre Kapazität nicht vorzeitig aufbrauchen, und der LiveStream frisst zu viele Bytes …«
Die Matrix brach zusammen. Der Bildschirm wurde schwarz. Nur noch ein blinkender Schriftzug teilte mit, dass sie weiterhin online mit der Brücke der MARQUIS DE LAPLACE verbunden war, zehntausend Lichtjahre entfernt.
Ihr ging auf, dass es für Norton wie reiner Sadismus wirken musste. Sie präsentierte sich in einem ihrer erlesensten Negligés, um dann den Monitor zu löschen. War sie grob? Er hatte versöhnlich geklungen und ausgerechnet an diesem Abend gab sie sich kurz angebunden. Andererseits brauchte er nicht immer so leicht davonzukommen.
»Bist du noch da?«, fragte sie zögernd.
»Ich kann dich hören«, kam seine Stimme. »Aber das ist nicht das Gleiche …«
Sie musste unwillkürlich glucksen.
»Willst du Telefonsex machen? Über ein paar Hundert Parsecs?«
Auch er unterdrückte auf der anderen Seite ein halblautes Prusten.
»Das wäre zumindest ein neuer Rekord.«
»Lass uns zur Sache kommen«, sagte Jennifer. »Wie ist die Besprechung bei euch aufgenommen worden?«
»Ganz gut …«
Sie sah es vor sich, wie er die Achseln zuckte.
»Keine Beanstandungen – was mich gewundert hat. Keine weiteren Kommentare.«
»Das wundert mich«, sagte sie leise.
»Rogers scheint es leid zu tun, dass er nicht dabei sein kann. Aber es ist besser so. Er wird allmählich alt.«
»Rankveil?«
Je weniger aus dieser Richtung kam, umso nervöser wurde sie.
»Hat sich alles angehört, hat alles abgenickt und ist dann wieder gegangen.«
Jennifer holte Luft.
»Irgendetwas führt er im Schilde. Allein schon, um seine Zuständigkeit unter Beweis zu stellen, muss er doch etwas aushecken!«
»Was soll er tun?«, fragte Norton gleichgültig. »Er hat nichts in der Hand. Noch hat er keinen Stab, kein eigenes Schiff, nicht einmal so ausgefeilte Kommunikationsmittel, wie wir sie hier missbrauchen.«
Was war denn los mit ihm, fragte Jennifer sich im Stillen. Frank wirkte so aufgeräumt. Entweder hatte er gerade mit der Kleinen gevögelt oder er hatte sie tatsächlich zur Schulung geschickt und war froh, sie loszuhaben. Über keines von beiden vermochte sie sich so recht zu freuen. Und dennoch sendete er versöhnliche Signale aus.
Ihr wurde bewusst, wie absurd die Situation war. Bis gestern hätten sie einander jeden Tag sehen können, waren sich aber aus dem Weg gegangen. Und nun saßen sie Billiarden Kilometer voneinander entfernt in den winzigen Kabinen ihrer Schiffe und verzehrten sich nacheinander. Sie fragte sich, ob sie den ganzen Trip nur angestrengt hatte, um genau diese Empfindung herbeizuführen. Es waren schon Kriege angezettelt worden, weil ein Liebespaar nicht den rechten Ton gefunden hatte.
»Dann lassen wir die Sache also steigen«, stellte sie fest.
»Die Staffelführer sind instruiert«, kam es von drüben. »Sie halten sich im erdnahen Raum bereit. Die Sprungkoordinaten sind ihnen auf abhörsicheren Qverbindungen übermittelt worden. Reynolds selbst hat das bewerkstelligt. Er hat ein System ausgeklügelt, wie auch mehrere Partner an solchen Quantenkommunikationen teilnehmen können. Jede Qbox besteht eigentlich aus mehreren Modulen, die irgendwie über Kreuz miteinander verschränkt sind, sodass sie jeweils als Relais dienen und man sie miteinander vernetzen kann … So irgendwie. Du würdest das mit Sicherheit viel besser kapieren als ich.«
Dass er ein bisschen zu dumm für seinen Job sei, war eine seiner Maschen, auf die man nicht immer eingehen musste.
»Umso besser«, sagte Jennifer knapp. »Dann können wir den Einsatz noch enger koordinieren.«
»Wenn er denn nötig wird«, wandte Norton ein.
Aber ihnen beiden war bewusst, dass dieses Wenn rein hypothetisch war. Die Zthronmic würden die Gelegenheit nicht verstreichen lassen. Ihnen musste klar sein, dass es sich um eine Falle handelte. Aber nach Muqa Zthés auftrumpfender Rede vor dem Konvent war auch klar, dass sie viel zu selbstbewusst waren, um einer solchen Falle auszuweichen. Sie würden es darauf ankommen lassen.
»Dann also: Gute Nacht!«
Der Satz war zweideutig. Sie ließ ihn in der Schwebe. Doch als sie sich schon verabschieden wollte, sprang plötzlich die Videofunktion wieder an. Noch einmal baute sich das HoloBild auf. Franks graublaue Augen waren auf einmal ganz nahe vor ihr.
»Ich wollte dich noch einmal sehen«, sagte er linkisch. Immer wenn er den großen Buben spielte und sich seiner Sentimentalität hingab, war er besonders süß. Natürlich wusste er das auch.
»Da bin ich«, gab Jennifer zurück. Sie registrierte, dass sie einen Kloß im Hals hatte.
Über einen Abgrund von abertausend Lichtjahren sahen sie einander an.
»Pass auf dich auf!«, sagte Norton leise.
Dann war die Übertragung beendet.
Am Morgen marschierte Jennifer alert auf die Brücke der Raumstation Alpha Ceti Tau. Während der Nacht war nichts vorgefallen. Jetzt begab sie sich zu Kommandant Borissowitsch, um gemeinsam mit ihm das Eintreffen des Versorgungsfrachters ENCOURAGE IV abzuwarten.
Der Kommandant saß vor seiner Konsole und studierte die hereinkommenden Meldungen. Dabei mampfte er etwas aus einem selbsterhitzenden Elastilbehälter in sich hinein. Es sah aus wie recyceltes Müsli, in dem kleine Fleischstückchen trieben. Jennifer hätte sich beinahe der Magen umgedreht.
»Wie war die Nacht?«, fragte sie, bemüht, sich die Irritation nicht anmerken zu lassen.
Borissowitsch sah kaum von seinem Frühstück auf. In zusammengesunkener Haltung, die seinen runden Rücken noch runder, die hängenden Schultern noch hängender erscheinen ließ, schlang er vor sich hin.
»Angenehm ruhig«, sagte er undeutlich. Dennoch schien er die Worte zu betonen. »So ruhig, wie wir es vor Ihrer Ankunft immer hatten.«
Jennifer zuckte die Achseln.
»Und unten?«
Sie trat an die mächtige, konvex gekrümmte Scheibe aus polarisiertem Elastalglas. »Unten«, das war der Planet Zthronmia, dessen zinkoxidfarbene Wüsten und Gebirge in der Tiefe dahinzogen. Rostrote und ockerbraune Landstriche, die so menschenleer und gottverlassen waren, als hätte nie ein lebendes Wesen diese Welt betreten. Und doch war sie zum Zankapfel geworden. Möglicherweise zum Auslöser eines interstellaren Erbfolgekrieges.
»Erstaunlich friedlich«, kaute der Russe. »Ein paar Scytherangriffe auf amishe Kibbuze. Die Opferzahlen werden gerade kompiliert.« Er schlürfte geräuschvoll den Grund der Schüssel aus und wandte Jennifer sein aufgedunsenes Gesicht zu. »Nicht halb so schlimm wie gestern, beispielsweise.«
Die Daten würden aufbereitet und komprimiert, auf eine Warpdrohne überspielt und zum Torus gefeuert werden. Dort würden sie automatisch ins StabsLog überschrieben und auf diese Weise »veröffentlicht« werden. Jeder, den es interessierte, würde sich ein Bild machen können. Auch in dieser Nacht war es auf Zthronmia nicht ruhig geblieben. Ruhiger als in der vorangegangenen Nacht allerdings, und das würde in der an prozentualen Verschiebungen und Ableitungen orientierten Öffentlichkeit als Erfolg erscheinen.
»Es gab Opfer«, stellte sie nüchtern fest.
»Ein paar.« Borissowitsch ließ die Elastilschüssel auf den Boden gleiten. Aus irgendeinem Versteck kam die Katze Morgan hervor und stürzte sich darauf, um sie genüsslich auszulecken.
In einer Welt der Statistiken und der elegant aufbereiteten dreidimensionalen Diagramme, die ohnehin niemand las, spielten absolute Zahlen keine Rolle, und wenn sie Menschenleben repräsentierten.
»Was wollen Sie?«, rief der Kommandant, der sich den Mund an seinem schwarzen Pullover abwischte. »So geht das hier seit ich weiß nicht wie vielen Jahren – seit ich denken kann. Und noch nie hat sich irgendjemand darüber aufgeregt. Nicht einmal die Amish selbst. Sie nehmen es hin wie Sandstürme, Grubenbeben und andere Misslichkeiten ihrer selbst gewählten Existenz hier draußen auch.«
»Aber wir nehmen es nicht hin«, sagte Jennifer knapp. Sie stand breitbeinig, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, an der Panoramascheibe und blickte hinunter. Sie passierten gerade wieder die Tag-und-Nacht-Grenze, die ihre Flugbahn in einem spitzen Winkel schnitt. Dort unten lagen Mütter in ihren Betten und trauerten um ihre Kinder, die im Aerosol verbrannt waren. Und gleich nebenan, von hier oben aus nur einen Steinwurf entfernt, ließen die Scythergeschwader vielleicht schon wieder die Turbinen warm laufen, um im Morgengrauen anzugreifen.
Die Tag-und-Nacht-Linie wanderte erstaunlich schnell über die rötlichen Gebirgszüge, wenn auch nicht ganz so schnell wie Alpha Ceti Tau auf ihrer elliptischen Bahn, die den Planeten alle siebenundneunzig Minuten umrundete. In der dünnen Atmosphäre Zthronmias, in der es kaum Dämmerungszonen zu geben schien, war die Schattenlinie scharf ausgeprägt, wie auf einem Mond ohne schützende Luftschicht. Es gab Licht und es gab Schatten. Dazwischen war nichts.
Im wirklichen Leben, dachte Jennifer, zumal im komplexen Feld der interstellaren Politik, war es leider nicht so einfach. Recht und Unrecht, Gut und Böse, Freund und Feind waren oft kaum voneinander zu unterscheiden. Die Welt schien in einem beständigen Zwielicht dazuliegen, einem moralischen Claire obscure, in dem die Konturen verschwammen und die Gegensätze sich ineinander auflösten.
Die Schattenlinie, die über die Bergkämme und Geröllwüsten kroch, war gezackt. Sie wirkte wie ein Sägeblatt, das den Planeten Nacht für Nacht in zwei Hälften schnitt.
»Nun, darum kümmern wir uns später …«
Jennifer wandte sich um. Borissowitsch hatte die Katze Morgan auf den Arm genommen und kraulte sie. Dabei begegnete er ihrem Blick. Seine Miene war vollkommen ausdruckslos.
»Sie wissen Bescheid.« Jennifer sah nach der Uhr. »Wenn der Frachter attackiert wird, fordern wir Geleitschutz an. Ich möchte, dass Sie auch hier die Geschütze bemannen und alle Stationen besetzt halten …«
Der Kommandant wollte einen Einwand vorbringen, aber Jennifer verurteilte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen.
»… soweit es Ihre knappen Ressourcen an Mannschaften, über die Sie mich nicht belehren müssen, gestatten.«
Sie funkelte ihn finster an.
»Die drei Mann«, Borissowitsch zelebrierte jedes einzelne Wort, »der Frühschicht haben in diesem Augenblick Feierabend. Sie haben die ganze Nacht nicht geschlafen …«
Jennifer stieß amüsiert die Luft durch die schmale Nase.
»Sie werden Feierabend bis ans Ende ihres Lebens haben«, sagte sie. »So oder so.«
Ihr Blick bohrte sich in die schwammige Visage des Kommandanten.
»Ich befehle Ihnen, sämtliche relevanten Stationen zu bemannen und die Station gefechtsbereit zu machen.«
Borissowitsch feuerte die Katze quer über die Brücke; sie fing sich mit einem Salto ab, schüttelte sich einmal und ging dann unter einem der Konsolenpulte in Deckung. Der Kommandant erhob sich schwerfällig, bückte sich keuchend, hob den Elastilbehälter auf und stopfte ihn mit ostentativem Seitenblick in einen der schwarzen Kompressionssäcke. Jennifer verfolgte das umständliche Manöver ungerührt.
»Und dann haben wir ja noch immer etwas in der Hinterhand«, sagte sie fröhlich.
Borissowitsch aktivierte die Durchsagefunktion der Automatik.
»Alle Mann auf Gefechtsstation«, sagte er emotionslos. »Der Schichtplan ist aufgehoben. Ich wiederhole: Alle Mann auf Gefechtsstation. Dies ist keine Übung!«
Mit herablassender Geste ließ er den Kanal zurückschnappen.
»Ich weiß nur noch immer nicht, wozu der Aufwand gut ist«, brummte er in Richtung Jennifer. »Glauben Sie im Ernst, die Zthronmic werden Ihnen den Gefallen tun und auch diesen Frachter angreifen?«
Jennifer zuckte die Achseln.
»Es ist immer gut, wenn man noch einen Trumpf im Ärmel hat!«
Borissowitsch war zur Tür geschlurft, deren Steuerung schon wieder ausgefallen zu sein schien. Er musste die Flügel mit den Händen auseinander drücken.
»Ioan«, brüllte er in den Gang, der sich dahinter im Halbdunkel verlor, »und bring mir einen Kaffee!«
Damit kehrte er an seinen Hauptbedienplatz zurück und ließ sich schwerfällig in seinen gravimetrischen Sessel fallen, dass der Feldgenerator aufstöhnte und die Federung aus virtueller Schwerkraft nachgab. Er aktivierte die Statusfunktion seiner Konsole und sah regungslos zu, wie seine Männer Reaktoren hochfuhren, Schutzschilde aufbauten und Geschütztürme besetzten.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragte er, während seine fettigen Lippen sich zu einem frechen Feixen aufbliesen.
»Halten Sie einfach die Klappe!«, blaffte Jennifer zurück.
Sie hatte sich wieder umgedreht und musterte die Nachtseite des Planeten, die lautlos unter ihnen in der Finsternis trieb und sich erwartungsvoll dem blutigen Horizont des Morgenrots entgegendrehte.