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Pater Bel II

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Der Pater hatte die Formel gesprochen, die für die Aufnahme unschuldiger Seelen in das Himmelreich des Einen Gottes bat. Er hatte die Tora dreimal über den frischen Gräbern geschwenkt und den Totengesang angestimmt. Schließlich war er zurückgetreten. Die Särge waren in die sandigen Gruben hinabgelassen worden. Die Angehörigen hatten Erde darauf geworfen. Viele hatten Votivbildchen, Zettel oder Briefe, die ledrigen Glieder von Meditationskakteen oder kostbare Zthrontatkristalle in die Gräber gebettet. Dann waren die Männer vorgetreten, die die undankbare Aufgabe hatten, die Reihe von fünfzig neuen Grabstätten zuzuschaufeln und die provisorischen Grabsteine aus gestanztem Elastil aufzustellen. Kaum jemand hatte geweint. Die Zeremonie war in großer Würde und Stille über die Bühne gegangen. Der staubige Nachmittagswind, der jenseits der großen Palisade durch die Ebenen heulte, war oft das einzige Geräusch gewesen.

Pater Bel hatte sich am Ende der Reihe postiert. Die Trauergäste schritten den ganzen Kordon der schmalen Gräber ab. Dann kamen sie bei ihm vorbei, der sie noch einmal segnete und versuchte, ihnen ein Wort des Trostes mit auf den Heimweg zu geben. Von einem zum anderen wurde es immer noch schwerer.

Die Tradition hatte gefordert, die Toten des morgendlichen Angriffs noch vor Sonnenuntergang beizusetzen. Sie durften nicht unbestattet bleiben, wenn die Nacht hereinbrach. Das war mit knapper Not gelungen. Fünfzig Gräber hatten aus dem steinharten Boden gebrochen werden müssen. Fünfzig Särge hatten gezimmert werden müssen, die meisten von ihnen kleine Kindersärge. Fünfzig Leichen hatten gewaschen und in weißes Leinen gebettet werden müssen. Zuvor waren die Toten zu identifizieren gewesen, was nicht mehr in allen Fällen gelungen war. Viele der Kinder waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. In einzelnen Fällen hatte man sich mit einer Handvoll Asche beholfen, die man auf gut Glück aus den noch immer schwelenden Trümmern der Schule geborgen hatte. Die Zuweisung zu einem Namen erfolgte nach der Schulliste. Irrtümer waren ausgeschlossen. Alle Kinder, die an diesem Tag nicht nach Hause gekommen waren, mussten verbrannt sein, auch wenn man nicht mehr die geringsten Überreste von ihnen fand. In einem Kibbuz mit wenigen Tausend Einwohnern, in dem jeder jeden kannte und der auf allen Seiten von Wüste umgeben war, gab es keine andere Möglichkeit, nichts, woran sich die Hinterbliebenen der »Vermissten« klammern konnten.

Der Pater segnete die Angehörigen. In den meisten Augen las er Trauer und Resignation, aber auch Auflehnung und Trotz. Natürlich wurde kein Wort gesprochen. Dennoch funkelte ihn aus vielen Gesichtern die schwindende Bereitschaft an, all dieses Leid unwidersprochen hinzunehmen. Viele schienen ihn mit zurückgestautem Vorwurf anzustarren. War er denn für das Grauen verantwortlich? In gewisser Weise schon, dachte er, während er wieder und wieder die Segensformel sprach, insofern als er sich zum Fürsprecher eines Gottes gemacht hatte, der Verbrechen wie diese geschehen ließ. Zu einem Gott zu beten, der Akte purer Grausamkeit nicht verhinderte? In vielen der stolzen Mienen, die sich ihm entgegenhoben, zu stolz, um zu weinen, und zu stolz, um anzuklagen, glaubte er so etwas zu lesen. »Wer bist du«, schienen sie zu fragen, »dass du dich zum Anwalt eines solchen Gottes machst?«

Eine der letzten in der Reihe war Shorena. Sie hatte, wie alle anderen Frauen auch, das schwarze Trauergewand angelegt, das ihre dunkle Schönheit noch vertiefte. Ein schwarzer Schleier aus handgestickter amisher Seide fiel über ihren Scheitel, verbarg ihr Gesicht, ihre Schultern und Arme. Dennoch sah er ihre dunklen Augen darunter lodern. Sie deutete die Beugung ihres Knies nur an, als sie den Segen empfing. Dann stand sie da, gab den Weg nicht frei, für die wenigen, die noch nach ihr kamen, sondern musterte den Pater unter ihrem Schleier hervor. Es war eine Herausforderung, ein Affront. Aber dennoch wich sie nicht vor ihm zurück. Sie schlug die Augen nicht nieder, sondern sie forschte in seinem blassen, von Trauer, Schock und Resignation gezeichneten Gesicht. Was suchte sie? Suchte sie die Seele hinter der Maske des Geistlichen, der seine Zuflucht zu Formeln und Ritualen, Dogmen und Zeremonien nehmen konnte? »Du hast nie geliebt«, schien ihr glosender Blick zu sagen, »wie kannst du ermessen, was es heißt, um seine Lieben zu fürchten? Du hast keine Kinder; wie kannst du ermessen, was es heißt, ein Kind zu verlieren?«

»Du musst weitergehen …«, sagte er leise.

Sie ließ es geschehen, dass er sie mit sanftem Nachdruck weiterschob. Aber sie ging nur ein paar Schritte und wartete dann in einer Gruppe von Männern und Frauen, die sich – im Gegensatz zu allen anderen – noch nicht zerstreuten. Der Pater hatte die Segensformel zum letzten Mal gesprochen und den Totengräbern das Zeichen gegeben, dass die Zeremonie beendigt war. Es war keine Minute zu früh. Die Sonne war hinter den Palisaden verschwunden, in deren Schatten es empfindlich kalt zu werden begann. Lediglich die höheren Gebäude und der stumpfe Kegel, der jenseits der Unterstadt ansteigenden Pueblos wurden noch von ihren Strahlen angeschienen. Die weiß gekalkten Flächen wurden zinnoberfarben, als wolle die Wüste alles, was sich über sie erhoben hatte, in sich zurücksaugen. Dann dunkelte das Rot schnell ein, wurde blutig, rostig, purpurn. Am Himmel wurden die ersten Sterne sichtbar. Einer davon schoss mit erheblicher Geschwindigkeit gegen das unbewegte Feld der anderen dahin. Es war eine Raumstation, die auf ihrem Orbit in den Schatten des Planeten tauchte.

Dann fiel die Nacht ein. Der Pater verharrte noch einige Minuten in stillem Gebet vor der endlosen Reihe frischer Gräber.

Als er sich umwandte, war die Gruppe immer noch da. Ein Dutzend Männer und Frauen. Shorena war unter ihnen, Ari ben Guron, der ihm am Morgen das Leben gerettet hatte, und einige andere, deren Namen ihm wieder einfallen würden.

»Pater«, sagte Ari zögernd, »auf ein Wort …«

Er schien sich zum Sprecher der Gruppe gemacht zu haben. Die anderen warteten schweigend ab. Unter den Frauen war Shorena diejenige, die einen Schritt vor den anderen stand. Ihre Haltung drückte Trotz und Unbeugsamkeit aus.

Der Pater nickte. Er führte die Männer und Frauen zum Gemeindezentrum, das nur wenige Gassen entfernt war. Auch hier waren durch die Wucht der morgendlichen Explosion die Scheiben zerborsten. Ein Teil des Daches war abgedeckt. Man hatte die Fenster durch einen provisorischen Schutz aus Elastilfolien ersetzt. Auch das Dach war mit Folien repariert und mit Steinen beschwert, um diese gegen den starken Wind zu sichern. Der Pater ging hinein. Die Gruppe folgte ihm. Er kannte sie alle seit Jahrzehnten. Die meisten hatten von seiner Hand die ersten Sakramente empfangen, waren in die Gemeinschaft der Gläubigen eingeführt worden, er hatte sie getraut.

Er hatte ihre Kinder begraben, dachte er.

Pater Bel begab sich zu der Seitenkapelle, murmelte die rituelle Formel vor dem Meditationskaktus und zündete einige Lichter an.

Dann sah er sich nach denjenigen um, die er im Stillen schon die Verschwörer nannte. Was wollten sie von ihm? Trost? Mehr Trost, als er es gerade getan hatte, konnte er nicht spenden. Auflehnung, Anklagen und Fragen? Sie vertieften nur das Leiden, waren wie das Stochern und Wühlen in einer Wunde, die allenfalls die Zeit schließen konnte.

Der kleine Gemeinderaum bot einen trostlosen Anblick. An den Fenstern und der niedrigen Decke zeichneten sich die Spuren der Verheerung ab. Man hatte einige halbverkohlte Schulbänke und andere Zeugen des morgendlichen Angriffs untergestellt. Ansonsten war er leer. Kein Schmuck, keine Bildnisse. Die Schritte und Stimmen klangen hart und kalt. Die Luft roch brandig und schal.

»Was wollt ihr?«, fragte der Pater. Ihm war bewusst, dass es barsch klingen musste. Aber er brauchte diese Schutzhaltung, um den letzten Rest des eigenen Lebenswillens aufrechtzuerhalten.

Sie standen um ihn herum. Wie von ungefähr hatten sie einen Halbkreis gebildet. Die düstere Atmosphäre in dem kleinen Saal schien ihre aufrührerische Stimmung, die er draußen an den Gräbern gespürt hatte, zu dämpfen. Plötzlich waren sie alle wieder die Kinder und Jugendlichen, die er hier in den Glauben eingeführt hatte. Sie waren verstockt wie damals, als sie ein Kapitel auswendig hersagen sollten und es nicht gelernt hatten.

Endlich trat Shorena vor. Sie legte den Schleier ab und sah ihn trotzig an.

Die Erde auf dem Grab ihrer Tochter war noch nicht festgestampft und sie warf schon die Trauerkleidung ab. Es war ein furchtbarer Affront, eine fürchterliche wortlose Klage.

Zugleich sah er, dass der tiefe Ernst noch ihre Schönheit verstärkte. Shorena war seit je die schönste Frau des ganzen Kibbuz S’Deró gewesen. Alle Männer hatten für sie geschwärmt und alle waren auf ben Cyrion neidisch gewesen, als er sie heimgeführt hatte, als blutjunges Mädchen noch. Wenn ben Cyrion nicht so angesehen gewesen und bei allen im höchsten Respekt gestanden wäre, hätte der Neid böse Früchte tragen können. So war die allgemeine Empfindung gewesen, dass die beiden einander angemessen waren. Sie waren das schönste und angesehenste Paar im Kibbuz und im ganzen Distrikt Kirjasch Moná. Sie hatten sieben Kinder gehabt …

Der Pater bemühte sich, Shorenas anklagenden Blicken standzuhalten. Er fühlte sich erschöpft und ausgebrannt wie seit Langem nicht mehr. Die Last der Jahre lag auf ihm und drückte ihn zu Boden. Doch in der Schönheit dieser Frau lag auch etwas, das ihm Kraft gab. Er war alt und er hatte das Gelübde gesprochen. Aber er war auch ein Mann und er hatte Augen im Kopf.

»Wie lange sollen wir das noch hinnehmen?«, sagte sie leise und mit drohendem Unterton.

Auch die anderen Frauen legten jetzt die Schleier ab. Die Männer zogen die schwarzen Kippas von den Köpfen. Der Pater erstarrte. Wollten sie den Glauben abtun?

»So kann es nicht weitergehen, Pater!«, sagte Ari, der neben Shorena getreten war und sie am Unterarm fasste. Ihre Hand zu nehmen, hätte er nicht gewagt. Sie war eine verheiratete Frau. Schon, dass er sie auf diese Art berührte, kam einem neuerlichen Tabubruch gleich.

Wollen sie alles über Bord werfen?, durchzuckte es Pu Rhea Bel. Die Sitte, die Tradition, das Herkommen, die Werte ihrer tausendjährigen Gemeinschaft?

»Was wollt ihr?«, fragte er kraftlos.

Er rechnete mit Fragen, mit Anklagen. Und innerlich wappnete er sich. Er rief sich die scholastischen Definitionen und Syllogismen seiner Ausbildung ins Gedächtnis. Gott rechtfertigen? Das Böse in der Welt erklären? Kein Problem, wenn man im theologischen Seminar saß. Doch hier, vor einem Dutzend aufgebrachter Eltern, die gerade ihre Kinder zu Grabe getragen hatten? Der Pater wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Würden sie es wagen, ihn tätlich anzugreifen?

Aber dann las er etwas anderes in ihren versteinerten Mienen. Es ging ihnen nicht um Worte oder Begriffe, um endlose Darlegungen und Erörterungen, es ging ihnen nicht um Aufhellung des Warum. Es ging ihnen um etwas viel Konkreteres.

»Was wollt ihr?«, wiederholte er und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme ängstlich zitterte.

»Wir haben uns entschlossen«, sagte Ari ben Guron. Und die Art, wie dieser muskulöse Mann das sagte, ließ daran auch keinen Zweifel aufkommen.

Der Pater hatte mit seiner halb bewussten Einschätzung recht gehabt. Sie probten den Aufstand!

»Was habt ihr vor?«, erwiderte er rasch.

»Wir werden das nicht länger hinnehmen«, warf Shorena ein.

»Wir lassen uns nicht wehrlos abschlachten!«, rief ben Guron.

»Was wollt ihr?«, fragte der Pater zum vierten Mal.

»Sie müssen das Zeughaus aufschließen«, sagte ben Guron bestimmt.

Der Pater taumelte. Im Zeughaus lagerten die Waffen des Kibbuz. Was sie gegen Scythergeschwader ausrichten konnten, blieb dahingestellt. Aber es waren immerhin Strahlenwaffen und Feldwerfer, auch Minen und sogar einige Detonatoren, mit denen man eine kleine Armee ausrüsten konnte. Ihre Freigabe blieb dem Votum des Rates vorbehalten. Der Rat musste einberufen werden. Cyrill würde den Vorsitz führen müssen, doch er weilte auf jenem Kongress am anderen Ende der Galaxis.

»Die Amish waren seit Jahrhunderten …«, begann der Pater zögernd.

»Dem Ethos der Gewaltfreiheit verzichtet«, beendete Shorena seinen Satz im leiernden Tonfall einer Halbwüchsigen, die eine auswendig gelernte Stelle wiedergibt. »Und was hat es ihnen gebracht? Terror und Verfolgung über ein Dutzend kolonisierter Welten. Die Hälfte davon mussten sie wieder aufgeben, da sie nicht in der Lage waren, sie zu verteidigen. Endloses Leid, endlose Opfer und alles war immer wieder umsonst gewesen.«

»Sie müssen uns ins Zeughaus lassen«, insistierte ben Guron mit seinem schweren Bass. »Wir könnten es auch aufbrechen, aber wir dachten, es wäre – ehrlicher, wenn Sie uns den Schlüssel geben würden, Pater!«

Der Pater musste wider Willen lächeln. In der Sicht dieses Bären von einem Mann hatte diese Argumentation einen geradezu dialektischen Charme.

»Wir müssen den Rat einberufen«, beharrte er. »Der Rat wird entscheiden. Die Waffen dürfen nur im Kriegsfall herausgegeben werden und nur der Rat kann über Krieg und Frieden befinden.«

Shorena warf sich mit verächtlichem Lachen herum.

»Und was ist das!«, rief sie und ließ die ausgebreiteten Arme über die verkohlen Überreste der Schulbänke gleiten. »Was war das heute Morgen wenn nicht Krieg? Haben Sie schon vergessen, wo wir gerade herkommen? Sieht so der Frieden aus?«

»Die Amish sind jetzt Mitglied der Union«, unternahm der Pater einen letzten, verzweifelten Versuch. »Die Charta der Union …«

Weiter kam er nicht.

»Der Krieg ist geächtet«, brummte ben Guron. »Alle Konflikte werden auf dem Verhandlungsweg gelöst.« Er hatte das massige Haupt stolz erhoben und sah kühl auf Pater Bel herab. Offensichtlich war es nicht notwendig, noch mehr zu sagen.

»Wir werden eine Petition einbringen«, sagte der Pater leise.

»Eine Petition«, äffte Shorena aufgebracht. »Sind wir denn Bittsteller?« Sie wandte sich in aufpeitschender Gebärde an die anderen. »Sind die Amish Bittsteller? Müssen wir um das Leben unserer Kinder bitten?!«

Der Pater erinnerte sich, dass sie im Schulchor immer die Soli gesungen hatte. Ihr reiner, klarer Mädchensopran hallte ihm noch im Ohr. Er zwang sich wieder ins Hier und Jetzt zurück. Die Männer und Frauen waren dichter zusammengerückt. Zugleich drängten sie gegen ihn an. Er wusste, dass seine Person mit der höchsten Autorität ausgestattet war, die zu empfinden sie alle fähig waren. Dennoch schien ihm an diesem Abend alles möglich zu sein. Sie würden über Leichen gehen. Sie würden sogar ihn, den Pater, lynchen, wenn er sich ihnen in den Weg stellte.

Shorena hatte sich jetzt neben ihn geschoben. Sie sprach nicht mehr aus der Gruppe der Verschwörer auf ihn ein, sondern an seiner statt zur Gruppe.

»Cyrill hat heute Morgen auf dem Kongress eine Protestnote eingereicht«, berichtete sie. »Ich habe seither noch keine Nachricht von ihm. Aber ich weiß, dass man sie zu den Akten genommen hat, ohne dass etwas geschehen wird.«

Pater Bel versuchte, sie am Arm zu fassen. Sie schüttelte ihn ab.

»Von diesem Kongress dürfen wir uns nichts erhoffen«, rief sie aus. »Von der Union dürfen wir uns nichts erhoffen. Das haben wir immer wieder erlebt!«

»Die Union denkt politisch«, pflichtete ben Guron bei. »Sie sucht den Ausgleich mit den Zthronmic, denn diese vertreiben das Zthrontat.«

»Aber es ist doch unser Zthrontat«, rief eine der Frauen. »Unsere Männer gewinnen es unter Lebensgefahr in unseren Minen!«

»Wir sollten ihnen das Zthrontat verweigern«, sagte ein Mann mit kahlem Schädel und rotem Gesicht. »Wir vertreiben es selbst, das hätten wir schon längst tun sollen!«

»Das werden die Zthronmic nicht hinnehmen«, wandte ben Guron ein. »Sie werden ihre Angriffe verstärken!«

»Deshalb sollten wir ihnen hier und heute einige empfindliche Nadelstiche beibringen«, sagte Shorena. »Wir können nicht länger warten! Schon morgen früh, in wenigen Stunden, werden sie wieder angreifen, ob wir ihnen dafür einen Vorwand liefern oder nicht. Die Scyther fliegen sowieso.«

»Aber diesmal werden wir sie gebührend empfangen«, rief Ari ben Guron laut, dass der niedrige Bau des Gemeindesaals von seiner tiefen Stimme dröhnte.

»Geben Sie uns den Schlüssel!«, sagte Shorena.

Der Pater begriff, dass es die letzte Möglichkeit war, die Sache noch zu steuern. Er durfte sie nicht weiter in die Enge treiben. Am Ende führte er sie nur in die Versuchung, sich der Waffen über seiner Leiche zu bemächtigen.

Die zwölf Männer und Frauen spürten, dass er seine Meinung geändert hatte. Nachdem sie sich gegenseitig aufgeputscht hatten, verstummten sie plötzlich und sahen ihn voller Spannung an. Der Pater nestelte an seinem Talar. Dann hielt er den schweren Schüsselbund in der Hand. Ihm war bewusst, dass es ein Anachronismus war: Im Zeitalter interstellarer Raumfahrt, intelligenter Systeme, gravimetrischer Türen hielt er einen Bund mit zahllosen schweren Eisenschlüsseln in der Hand. Aber dieser Anachronismus – das waren die Amish selbst! Sie würden ihre Seele verkaufen, wenn sie dieses Prinzip aufgaben.

Er ließ den Blick prüfend von einem zum anderen schweifen. Sie öffneten eine Büchse der Pandora. Aber die Gesichter der Verschwörer glänzten wie die von Kindern am Weihnachtsabend, wenn das Bescherungszimmer aufgeschlossen wird. Wussten sie, worauf sie sich da einließen? Mit einer Handvoll Feldwerfern und Strahlenpistolen würden sie die zthronmischen Geschwader nicht in Schach halten können. Gewalt würde Gegengewalt provozieren. Die Spirale endloser Vergeltungsmaßnahmen würde sich schneller und immer schneller drehen. Dennoch begriff er, dass es keine Alternative mehr gab. An diesem Morgen war eine Schwelle überschritten worden. Die Duldsamkeit der Amish, in Jahrhunderten erprobt, war überstrapaziert worden, das Fass war übergelaufen. Er konnte sich dem Gang der Dinge nicht länger entgegenstellen. Hieße das nicht auch, Gott in den Arm fallen wollen? Hier waren Mächte im Spiel, die stärker waren als er oder irgendein anderer Einzelner. Er musste den Weg frei machen und sie passieren lassen. Gott allein wusste, was daraus folgen würde. Er sammelte sich innerlich und empfahl seine Seele in aller Demut dem Höchsten.

Dann wand er mit einer raschen Bewegung den Schlüssel aus dem Bund und drückte ihn Ari ben Guron in die Hand.

Der Zthronmische Krieg

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