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Antisemitismus und Xenophobie
ОглавлениеDie spärlichen antisemitischen Statements in den SSO- und RuSHA-Akten der Ostmärker dürften darauf zurückzuführen sein, dass es einfach keinen zwingenden Grund gab, für sich die Rolle des schärfsten Antisemiten zu beanspruchen. Wer sich um Aufnahme in den Himmler-Orden bewarb, wusste, dass dort alle die Juden hassten. Nach dem Krieg erschien es dann nicht ratsam, sich als unbelehrbarer Nazi zu outen. Dennoch stößt man hin und wieder auf Aussagen, die vor wie nach 1945 gemacht wurden und eine deutliche Sprache sprechen. Ein Beispiel für die Wirkungsmächtigkeit des „paranoiden Antisemitismus“ (Stefan Breuer) liefert der 1905 in Zattig geborene Alfred Trenker, der nach dem Anschluss an der Spitze verschiedener Stapo-Stellen stand (jeweils als stellvertretender Leiter), ehe er 1944 in den Sipo/SD-Einsatz nach Ungarn kam und zuletzt im RSHA Verwendung fand. 1968 von den bundesdeutschen Ermittlungsbehörden nach Erschießungskommandos im Zweiten Weltkrieg befragt, erinnerte sich der ehemalige Obersturmbannführer: „Unter den Erschossenen haben sich häufig auch Juden befunden. Das überraschte mich als alten Österreicher nicht, denn ich wußte aus dem ersten Weltkrieg, daß gerade die jüdische Bevölkerung Polens und Rußlands damals Spionagedienste für die Russen geleistet hat.“63 Das Hirngespinst, die Juden hätten die siegreichen Truppen der Mittelmächte 1918 erdolcht, war für Nationalsozialisten eine unumstößliche Gewissheit, die Hitler wie Himmler in Reden und Schriften gebetsmühlenartig wiederholten.64 Da die Deutschen nicht noch einmal um den Sieg betrogen werden sollten, räumten im Zweiten Weltkrieg Sicherheitspolizei und SD hinter der Front auf, wie Trenker dem Landgericht Berlin erklärte:
„Aufgabe dieser Kommandos war es, diese rückwärtigen Gebiete von subversiven Elementen freizumachen. Zu diesen Elementen gehörten Partisanen und Spione. Darunter waren natürlich auch viele Juden. Nach unserer damaligen Auffassung war jeder Jude verdächtig.“65
Eine besonders gallige Kostprobe ihres Antisemitismus gab die Verlobte des stellvertretenden Wiener Stapo-Chefs Karl Ebner, die 1913 in der k. u. k. Monarchie zur Welt kam und 1932 an der staatlichen Lehrerinnenbildungsanstalt in Wien die Reifeprüfung „mit Auszeichnung“ ablegte. Trotz ihres sehr guten Abschlusses fasste sie im Berufsleben nur schwer Fuß. Sie stieß auf einen überfüllten Arbeitsmarkt, der sie zwang, als Hauslehrerin ihr Geld zu verdienen: „Die Stellen waren schlecht bezahlt, die Auftraggeber meistens Juden, da sich arische Familien selten eine Schulnachhilfe leisten konnten. Im Jahre 1934 wurde mir angetragen, einen von der Gemeinde Wien subventionierten Kinderhort zu führen, ich würde dann vielleicht eine Anstellung als Lehrerin erhalten. Ich nahm an, froh, endlich von Judenkindern nichts mehr zu sehen.“66 Nur um von den „Judenkindern“ wegzukommen, arbeitete Ebners Verlobte über ein Jahr lang unentgeltlich. Nach fünf Jahren in der Warteschleife erhielt sie 1937 die begehrte Stelle als Volksschullehrerin. Die Lehrbefähigungsprüfung legte sie wiederum „mit Auszeichnung“ 1939 ab.67 Auf Ebner, den sie 1941 heiratete, war sie vermutlich besonders stolz. Er brüstete sich im März 1945 damit, Wien, die „verjudetste Großstadt des Großdeutschen Reiches“, von den Juden befreit zu haben. Ebner war in der Tat kein Aufschneider. Ihm sind über 48.000 deportierte und ermordete Juden anzulasten.68
Geradezu moderat nimmt sich dagegen der handgeschriebene Lebenslauf von Viktor Schmidt aus, der 1904 in Böhmen geboren wurde, den Sipo/SD-Einsatz in Ungarn mitmachte und 1945 den SD-Abschnitt in Linz führte. Er begnügte sich mit dem Hinweis, er habe sich schon Jahre vor der Machtübernahme als offener Judengegner und radikaler Antisemit einen Namen gemacht.69 Reiner Gottstein, sechs Jahre jünger als Schmidt, aber ebenfalls in Böhmen zur Welt gekommen, trumpfte im sicherheitspolizeilichen Einsatz in Budapest groß auf. Der junge Mann, der imponierende 1,87 Meter maß, erwarb sich als Verteidiger der von den Sowjets und Rumänen eingekesselten Stadt das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse sowie das Ritterkreuz des EK. Mit seinem Landsmann Otto Skorzeny hatte er im Oktober 1944 den Sohn des ungarischen Reichsverwesers entführt, um die Regierung Horthys zu Fall zu bringen. In der Stadt selbst machte der „schneidige Gottstein“ (Ernst Kaltenbrunner) Jagd auf Saboteure und Deserteure. Als überzeugter Antisemit hatte er da natürlich die rund 120.000 noch in Budapest lebenden Juden im Auge, für deren Vernichtung er als Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD eintrat.70 Sachsens Gauleiter Martin Mutschmann hatte sich schon im Juli 1944 besorgt an Himmler gewandt, als er erfuhr, „dass es in Frankreich und in dem Festungs- und Operationsgebiet überhaupt noch Juden gibt“. Denn solange auch nur ein einziger Jude in Europa lebe, so Mutschmann, würden Partisanen, Verbrecher und Saboteure einen Führer besitzen.71 Himmler versuchte den aufgebrachten Kameraden zu beruhigen: „Was die Judenfrage in Europa anbelangt, so war das totale Abfahren der Juden aus Frankreich wegen der sehr mißlichen Verhältnisse mit dem dortigen Wehrmachtbefehlshaber äußerst schwierig. Aus Ungarn haben wir jetzt 450.000 Juden abgefahren und gehen jetzt an den Abtransport der zweiten Hälfte heran.“72
Die Nazis fühlten sich von ihren Opfern bedroht und schikaniert. SD-Führer Viktor Schmidt kreidete einem Juden an, Schuld an seiner mit Verspätung abgelegten Anwaltsprüfung gewesen zu sein. Der Ostmärker Robert Schmied verprügelte als Patient einer psychiatrischen Klinik einen jüdischen Arzt, der ihn angeblich piesackte. In Gerhard Basts Elternhaus galten die Juden, ohne dass man das groß erklären musste, einfach als Schweine, genauso wie die Amerikaner, Franzosen und Tschechen.73
Den Antisemitismus der Deutschösterreicher befeuerten Deklassierungsängste, die aus der liberalen Verfassung von 1867, die den Juden volle Gleichberechtigung brachte, erwuchsen. Nunmehr war es den jahrhundertelang Unterdrückten möglich, Grundbesitz zu erwerben sowie den Beruf, das Studienfach und den Wohnort frei zu wählen. In Wien stieg der Anteil der jüdischen Bevölkerung rasch an. Hatten dort 1860 etwas mehr als 6000 Juden gelebt, so bevölkerten 1910 über 175.000 die Stadt. Damit machten sie rund neun Prozent aller Wiener aus. Die Städte mit dem höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil in der k.u.k. Monarchie waren aber Krakau, Lemberg, Budapest und Prag. In Deutschland wie in Österreich gab es nach der Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert einen Run jüdischer Schüler auf Gymnasien und Universitäten. Ihr prozentualer Anteil an Pennälern und Studenten lag jeweils über dem zur Gesamtbevölkerung. Im Wintersemester 1886/87 betrug das Verhältnis in Preußen etwa zehn zu eins. In Wien waren 1913 mehr als 40 Prozent der Medizinstudenten Juden; bei den Juristen mehr als ein Viertel. „Selbstemanzipation kraft Bildung“ (Götz Aly) erzeugte ungewohnte Konkurrenz: Während es Ende der 1860er Jahre in Wien nur 33 jüdische Anwälte gab, konnte man 20 Jahre später zwischen 394 wählen. Über die Hälfte der Wiener Advokaten waren somit Juden. In der subjektiven Wahrnehmung der Turner und Burschen setzte die „Verjudung“ Deutschösterreichs nach 1866 ein, als klar war, Preußen beschreite den Weg zu einem deutschen Nationalstaat ohne die Ostmark. Tatsächlich besaßen die Verhältnisse in Wien aber keinen repräsentativen Charakter. Gerade einmal 4,68 Prozent der 1910 in der westlichen Reichshälfte lebenden Einwohner waren Juden.74
Abb. 2: Reiner Gottstein (BAB, BDC, RuSHA-Akte Gottstein)
Die vor Pogromen in Russland und vor Armut aus Galizien fliehenden Menschen boten den Antisemiten ein leichtes Ziel. Ohne Geld hatten sie sich als Bettler und Hausierer nach Wien, Berlin, Prag und Budapest durchgeschlagen, wo ihr orthodoxes Äußeres (Schläfenlocken, Kaftan, hohe Hüte) und ihre Sprache (Jiddisch) selbst auf die alteingesessenen assimilierten Juden befremdlich wirkten: „Sah ich einen polnischen oder galizischen Juden, sprach ich mit ihm, bemühte ich mich, in sein Inneres zu dringen, seine Art zu denken und zu leben zu ergründen, so konnte er mich wohl rühren oder verwundern oder zum Mitleid, zur Trauer stimmen, aber eine Regung von Brüderlichkeit, ja nur von Verwandtschaft verspürte ich durchaus nicht. Er war mir vollkommen fremd, in den Äußerungen, in jedem Hauch fremd, und wenn sich keine menschlich-individuelle Symbiose ergab, sogar abstoßend“, so der ganz persönliche Eindruck des jüdischen Schriftstellers Jakob Wassermann über die gewachsenen Unterschiede zwischen Ost und West.75
Die Gleichsetzung von „Kaftanjuden“ mit Zuhältern und „Völkerparasiten“, wie sie um 1900 tagaus, tagein in den Zeitungen zu lesen war, gipfelte in der Vorstellung, „die“ Juden führten die Weltherrschaft im Schilde. Dabei würden sie auf die Kontaminierung des arischen Blutes setzen, indem sie „blonde Christenmädchen“ schändeten. Alte (religiöse) Vorurteile kleideten sich hier in einem neuen Gewand. Im Mittelalter kam die Vorstellung von der „Teufelsrasse“ auf, die den christlichen Erlöser auf dem Gewissen habe, zur Osterzeit Ritualmorde begehe und Brunnen vergifte. Seit 1498 machte das Wort von den „nagenden Würmern“ die Runde. Karl Lueger, von 1897 bis zu seinem Tod 1910 Bürgermeister von Wien, schürte die Angst vor dem „Gottesmördervolk“, das bettelarm die Hauptstadt überschwemme, die Lüge anbete und sich an Christenblut labe.76 Als Führer der NSDAP warnte Hitler seine Anhänger: „Er ist und bleibt der ewige Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt. Die Wirkung seines Daseins aber gleicht ebenfalls der von Schmarotzern: wo er auftritt, stirbt das Wirtsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab.“77 In Mein Kampf schildert Hitler, wie die Juden versuchen würden, ihren größten Feind, den Arier, auszuschalten: „Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und damit seinem, des Mädchens, Volke raubt. Mit allen Mitteln versucht er die rassischen Grundlagen des zu unterjochenden Volkes zu verderben.“78 Schon in Artur Dinters Roman Die Sünde wider das Blut, einem der ersten Bestseller der Weimarer Republik, erfuhr der Leser, eine Frau, die von einem Juden ein Kind empfange, sei irreparabel geschädigt. In einer gut sortierten Stapo-Bibliothek fehlte diese Hetzschrift denn auch nicht. Laut Dinter konnte aber selbst der strammste Arier keinen wertvollen Nachwuchs zeugen, wenn jüdisches Blut in den Adern seiner Angebeteten floss:
„Die Geburt vollzog sich in natürlicher Weise zur vollsten Zufriedenheit des Arztes. Es war ein Knabe. Als aber der Vater glückstrahlend hereinkam und seinen Sohn, den ihm die Wärterin überreichte, auf die Arme nehmen wollte, prallte er entsetzt zurück. Ein dunkelhäutiges, mit pechschwarzem Kopfhaar bedecktes, menschenunähnliches Etwas schrie ihm entgegen. Tiefdunkle Augen blinzelten ihn unter langen schwarzen Wimpern aus einem uralten Gesichte an. Eine plattgedrückte Nase gab dem Kopfe etwas Affenähnliches.“79
Doch wer glaubt, Dinters und Hitlers Paranoia wäre eine unpopuläre Denkfigur gewesen, sieht sich getäuscht. In einer Beilage der österreichischen Bundesturnzeitung wurde 1924 folgende Warnung veröffentlicht:
„Denk an das Schicksal so vieler Tausende deiner blonden Schwestern! Jung, froh, lebenslustig waren sie wie du, hell lachte ihr Blick, wie der deine. […] In einer schwachen Stunde kam der Verführer. Er hatte viel Geld und sie erlagen. […] Krank und siech verließ er sie. Unfähig einem deutschen Manne je deutsche Kinder zu geben, wurde so unserem Volke unermeßlicher Schaden zugefügt. Und solche Verführer gibt es tausende. Jüdische Ladenjünglinge und Kommis, Börsenschieber und Lebemänner aller Art sind es, die jährlich unzählige deutscher Mädchen verführen und untauglich machen zur gesunden Ehe. Juden sind es, die sie aus ihren Stellungen vertreiben, damit der jüdische Mädchenhandel blühen kann. Und gerade ihr Blonden seid es, auf die es der Fremdrassige abgesehen hat!“80
Im Österreich um 1900 keimte ebenfalls die Wahnvorstellung, das Judentum bediene sich des Marxismus und der Sozialdemokratie, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Die Deutschtümler perhorreszierten den Internationalismus der Linken, der die Ungleichheit der Rassen negierte. Im propagierten Klassenkampf witterten sie einen Trick zur Spaltung der Nation. Die Ostdeutsche Rundschau tönte 1908, die Sozialdemokratie sei das neue Gift, das die Juden den Ostmarkdeutschen einflößten. Ein rechtes Gewerkschaftsblatt warnte im selben Jahr seine Leser, die Juden seien dabei, die Führung des Arbeiterstandes zu übernehmen. Viel mehr als auf die jüdischen Wurzeln führender Theoretiker und Politiker zu verweisen, fiel den Antisemiten allerdings nicht ein. Als Paradebeispiele mussten Karl Marx, Ferdinand Lassalle, Viktor Adler, Wilhelm Ellenbogen und Leo Trotzki herhalten.81
Massiv bedroht fühlten sich die Anhänger Schönerers und Luegers aber nicht allein von den Juden. In einem multiethnischen Reich aus Deutschen, Tschechen, Slowaken, Polen, Serben, Kroaten, Ruthenen, Slowenen, Italienern, Rumänen und Ungarn wähnten sie sich von einem Herrscherhaus verraten, das sich allerdings nur bemühte, es allen Untertanen recht zu machen. So lösten Ende des 19. Jahrhunderts die Sprachenverordnungen des Ministerpräsidenten Kasimir Graf Badeni heftige Krawalle aus, die zu Prügelszenen im Wiener Parlament, der Rücknahme der Verordnungen und Badenis Ausscheiden aus dem Amt führten. Stein des Anstoßes war die Vorschrift, in Böhmen und Mähren müssten Beamte Deutsch und Tschechisch beherrschen. Da dies aber nur für die Tschechen kein Problem darstellte, gingen die Deutschen auf die Barrikaden.82
In Wien kam es im November 1908 zu einer Auseinandersetzung zwischen deutschen und italienischen Studenten, bei der Schüsse fielen. Ausgelöst hatte die Schlägerei mit mehreren Schwerverletzten die Forderung der Italiener nach einer eigenen Jura-Fakultät. Die Polizei fand bei den Studenten Revolver, Messer, Totschläger, Schlagringe und Bleistöcke. Glimpflicher ging hingegen – was allerdings so nicht vorauszusehen war – der „Kampf um den Nibelungengau“ ab. Diesmal fühlten sich die Deutschen von tschechischen Arbeitern provoziert, die mit ihren Familien im Sommer 1909 einen Sonntagsausflug in die Wachau planten. Eben jenes Tal, in dem die Schönerianer 1888 dem Sieg der Germanen in der Schlacht von Noreia mit einem Sonnenwendfeuer gedachten. Militär und Polizei sorgten dafür, dass es bei der Donaufahrt der Wiener Tschechen keine Toten und Verletzten gab. Die rund 9000 Gegendemonstranten, viele von ihnen mit dem Zug aus der Hauptstadt angereist, schmetterten dem Schiff vom Melker Ufer aus die Wacht am Rhein entgegen, reckten drohend Stöcke in den Himmel und schwangen schwarz-rot-goldene Fahnen. Ein Redner aus dem alldeutschen Lager beschwor die Segnungen des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich.83
Eine Manifestation der „Slawisierung“ schien das Wiener Parlament zu sein. Im Abgeordnetenhaus der westlichen Reichshälfte stand es den Deputierten offen, Deutsch, Tschechisch, Polnisch, Ruthenisch, Serbisch, Kroatisch, Slowenisch, Italienisch, Rumänisch oder Russisch zu sprechen. Übersetzer gab es aber genauso wenig wie eine Redezeitbeschränkung. Im Frühjahr 1909 entzündete sich erneut ein Streit zwischen Tschechen und Deutschen an einer Sprachenverordnung für die böhmischen Länder, die wiederum im Parlament in Tumulten ausartete. Während der Ministerpräsident die Vorlage präsentierte, artikulierten tschechische Abgeordnete ihren Protest mit Pfeifen, Trompeten, Ratschen und Glocken. Wer so etwas nicht mitgebracht hatte, richtete eben Krach mit dem Auf- und Zuschlagen des Pultdeckels an. Die damit erzeugte Lautstärke war so gewaltig, dass sich Abgeordnete und Besucher die Ohren zuhielten. Passanten verfolgten die „Debatte“ von der Straße aus. Die Regierung erklärte daraufhin das Abgeordnetenhaus für geschlossen, was die Parlamentarier überraschte, dann aber übereinander herfallen ließ.84
Aller Wahrscheinlichkeit nach besuchte Hitler das Parlament in den Jahren 1908 und 1909.85 Was er damals vermutlich nur mit Befremden zur Kenntnis nahm, stilisierte er nachträglich zu dem „Leichengeruch“ einer „fauligen“ und „verkommenen“ Dynastie und ihrer „dahinsiechenden“ Herrschaft: „Je mehr das Sprachentohuwabohu auch das Parlament zerfraß und zersetzte, mußte die Stunde des Zerfalles dieses babylonischen Reiches näherrücken und damit aber auch die Stunde der Freiheit meines deutsch-österreichischen Volkes.“86