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Sozialarbeiterische Methodik von der Moderne bis zur Postmoderne

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Die berufliche, professionelle Soziale Arbeit, so wie wir sie heute kennen, ist ein Ergebnis der gesellschaftlichen Evolution; sie ist beispielsweise hervorgegangen aus der Armenpflege der freien Reichs- und Hansestädte, der bürgerlichen Frauenbewegung, der sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Arbeiterbewegung, der sozialreformerischen Bemühungen staatlicher Institutionen, der so genannten Armenpolicey, der diakonischen und karitativen Bemühungen der Kirchen sowie der Jugendbewegung. Gesellschaftshistorisch lässt sich die Soziale Arbeit neben vormodernen Hilfeformen als die moderne Form des sozialen Helfens bewerten (vgl. Luhmann 1973).

Vormoderne Moderne
Archaische Gesellschaft (»Urgesellschaft«) Hochkultivierte Gesellschaft (»Feudalistische Gesellschaft«) Moderne Gesellschaft (»Kapitalistische Gesellschaft«, »Industriegesellschaft« etc.)
primär differenziert in soziale Segmente (z. B. in Familien, Stämme etc.) primär differenziert in soziale Schichten und Klassen (Bauern, Handwerker, Adel etc.) primär differenziert in Funktionssysteme (z. B. Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Erziehung, Soziale Arbeit etc.)
reziproke (wechselseitige) persönliche Hilfen auf der Grundlage von Hilfe- und Dankeserwartungen moralisch bzw. religiös inspirierte Hilfen zwischen verschiedenen Schichten/Klassen gesetzlich definierte, abgesicherte und organisatorisch durchgeführte Hilfen (rationalisierte, bürokratisierte und ökonomisierte Hilfe, Sozialstaatsprinzip, moderne und professionelle Sozialarbeit)

Abb.: Hilfeformen im Wandel

Soziales Helfen kann verstanden werden als Beitrag zur Befriedigung der Bedürfnisse von Menschen, die diese nicht mehr selbst befriedigen können. Sozialarbeiterische Hilfen beziehen sich auf materielle und symbolische (soziokulturelle) Bedürfnisse, die für die physische und psychische Reproduktion von Menschen erforderlich sind bzw. gesellschaftlich so bewertet werden. Somit wird soziales Helfen auch verstanden als ein Bedarfsausgleich im Hinblick auf ungleich verteilte und verfügbare soziale Ressourcen und Kapazitäten – z. B. Unterkunft, Nahrung, Gebrauchsgegenstände, Geld, Arbeit, Freizeit, Erziehung, Bildung, Betreuung, persönliche Beziehungen, soziale Netzwerke.

In der modernen Gesellschaft lassen sich vor allem vier unterschiedliche Hilfeformen beobachten, die nebeneinander existieren:

situationsgebundensituationsübergreifend
personengebunden1. personengebunden und situationsgebunden Hilfe in Familien, unter Freunden, in Nachbarschaften, in Selbsthilfegruppen3. personengebunden und situationsübergreifend Professionelle soziale Hilfe (in Interaktionsprozessen, z. B. Soziale Arbeit mit Einzelnen und Familien)
personenübergreifend2. personenübergreifend und situationsgebunden Spontane Hilfe unter Fremden4. personenübergreifend und situationsübergreifend Hilfen durch den Sozialstaat (Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe etc.), Versicherungsleistungen

Abb.: Hilfeformen in der modernen Gesellschaft (vgl. zur Übersicht Hillebrandt 2001, S. 44)

Die Professionalisierung (Verberuflichung) der sozialen Hilfe zur Sozialen Arbeit geht einher mit der Etablierung der modernen Gesellschaft. So ist die Soziale Arbeit Teil eines Projektes, das als ein permanentes Ringen um Ordnung, Eindeutigkeit, Rationalisierung, Kontrolle, Klassifizierung, Bestimmung und Identifizierung beschrieben werden kann: nämlich des Moderne-Projektes (vgl. Bauman 1991). Die Durchsetzung der Moderne, der modernen Gesellschaft, die ihren Ursprung in der aufkommenden Aufklärung des 17. Jahrhunderts hat, kann auf die Zeit des Beginns des 20. Jahrhunderts datiert werden.

Der Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert war ebenfalls der Zeitpunkt, an dem sich die soziale Hilfe von einer primär moralisch bzw. religiös inspirierten »Mildtätigkeit« (vgl. Luhmann 1973) deutlich zu wandeln begann in die professionelle – zunächst ausschließlich frauenberufliche – Sozialarbeit. Nun wurde auch versucht, soziale Hilfe, Armen- und Jugendfürsorge, mithin das, was wir heute Sozialarbeit, Sozialpädagogik bzw. Soziale Arbeit nennen, den Kriterien der gesellschaftlichen Modernisierung, sprich: der Rationalisierung, Verrechtlichung und Bürokratisierung, kurz: der formalen Organisation unterzuordnen.

In diesem Zusammenhang der Modernisierung steht auch die Entwicklung der Methoden und Arbeitsformen Sozialer Arbeit (Soziale Arbeit mit Einzelnen und Familien, Soziale Gruppenarbeit, Gemeinwesenarbeit); sie sind der Ausdruck dafür, dass das geplant, rationalisiert, bürokratisiert und ökonomisiert im öffentlichen Bereich der Gesellschaft anzubieten und durchzuführen ist, was in der Vormoderne wenig rationalisiert eher im privaten Bereich oder ausgehend von privaten Motivationen und Interessen geleistet wurde: eben soziale Hilfe.

Inzwischen ist Soziale Arbeit zu einem normalen Teil der modernen (Dienstleistungs-)Gesellschaft geworden. Das 20. Jahrhundert, in dem sich Soziale Arbeit entwickelt und auf alle Gesellschaftsbereiche ausgedehnt und etabliert hat, kann daher auch als das »sozialpädagogische Jahrhundert« (vgl. Thiersch 1992 oder auch Rauschenbach 1999) bezeichnet werden.

Wie sich die Soziale Arbeit in der Postmoderne des 21. Jahrhunderts weiterentwickeln wird, ob es etwa zu einer Re-Familialisierung der sozialen Hilfe kommen wird, bleibt abzuwarten.

Systemisches Case Management

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