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Genauso wie die Gesellschaft ist die Sozialarbeit im Wandel. Die sozialen Phänomene, die mit Differenzierung der Lebenslagen, Pluralisierung, Individualisierung und Globalisierung benannt werden, sind in aller Munde und tangieren auch die Sozialarbeit unmittelbar. Die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse verändern alle sozialen Verhältnisse, sie verändern aber auch besonders das Verhältnis der einzelnen Menschen zur Gesellschaft und zu deren Institutionen.

Der Wohlfahrtsstaat wäre nicht mehr so finanzierbar wie bisher. Die Sozialarbeit gerät mehr und mehr unter Druck, ihre Hilfeangebote zu ökonomisieren, sie nach Effektivität (Zielwirksamkeit) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit) zu bemessen. Mehr denn je ist Ressourcenorientierung aktuell. Informelle Hilfepotenziale der Lebenswelten sind wieder verstärkt zu fördern. Die Eigenverantwortung der Bürger für ihre Belange ist von der Sozialarbeit zu stützen. Sozialarbeiterische Organisationen werden zu sozialen Dienstleistungsunternehmen umstrukturiert, die mündige Bürger erfordern – Bürger, die wissen, was sie an Hilfe brauchen und diesbezüglich auswählen können. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter werden in diesem neuen Arrangement zu Managern des Sozialen, die Angebote machen, an Ressourcen arbeiten, Vernetzungen herstellen sowie das informelle und formelle Angebot von Hilfe koordinieren.

Die Frage ist nur, ob sich die veränderten Lebenswelten und die individualisierten Individuen auf diesen Wandel des Sozialstaates und der Sozialarbeit einstellen können. Denn auch in der Lebenswelt ist alles in Veränderung. So differenzieren sich etwa Familienstrukturen aus. Die klassische Kernfamilie, sozusagen die familiäre Normalform, bestehend aus Vater, Mutter und Kind(ern), ist inzwischen ein Familienmodell unter vielen anderen geworden.

Einelternfamilien, bestehend aus allein erziehenden Müttern oder Vätern und deren Kinder, oder Stieffamilien, bestehend aus einem leiblichen Elternteil und einem Stiefelternteil sowie deren Kinder, galten noch vor einem halben Jahrhundert als besondere, eher seltene Familienformen; sie sind heute normal geworden. Parallel zu diesen Veränderungen befinden sich die individuellen Ansprüche an die Familie, an die Liebe allgemein und an die Selbstverwirklichung im Wandel. Die Geschlechterverhältnisse mischen sich neu, die klassischen familiären Rollenverteilungen verwischen sich. Partnerinnen und Partner stellen häufig hohe Erwartungen an ihre Beziehung, die – wenn überhaupt – nur über Dialogfähigkeit eingelöst werden können.

Eingebunden in diese Prozesse ist die Sozialarbeit, die sowohl mit einem veränderten Sozialstaatkonzept als auch mit sich verändernden Lebenswelten, in denen hoch anspruchsvolle Individuen zu Hause sind, konfrontiert wird. Von der Sozialarbeit sind daher Konzepte gefragt, die den beschriebenen Wandlungsprozessen Rechnung tragen, die mit den gesellschaftlichen Veränderungen mitgehen. Solche Konzepte wollen wir in diesem Buch für die Soziale Einzel- und Familienarbeit konstruieren und dazu einladen, diese Konzepte in der Praxis der Sozialen Arbeit auszuprobieren und zu überprüfen oder sie im Studium sowie in der Fort- und Weiterbildung zu diskutieren.

Wir, also Britta Haye, Andreas Hampe, Matthias Müller und ich, sind bereits seit mehreren Jahren im Gespräch darüber, wie die oben knapp beschriebenen Wandlungen in den Lebenswelten der Menschen und in der Sozialen Arbeit methodisch bewältigt werden können, und zwar so, dass daraus kein Abbau sozialarbeiterischer Standards resultiert. Vielmehr ist es uns ein Anliegen, innovative sozialarbeiterische Handlungsmethoden zu sichten, zu testen und gegebenenfalls so weiterzuentwickeln, dass sie den aktuellen Anforderungen gerecht werden. Ein erstes Ergebnis unserer Arbeitsgruppe, die vor allem ich in enger Kooperation mit Britta Haye an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin koordiniere, ist das vorliegende Buch, in dem wir versuchen, Ansätze zum Case Management mit methodischen Vorstellungen einer systemisch-konstruktivistisch orientierten, einer postmodernen Sozialarbeit (s. dazu Kleve 1999; 2000) zu koppeln. Wir wollen den Leserinnen und Lesern also methodische Ansätze vorstellen, die von einer klassischen zu einer postmodernen Sozialarbeit führen könnten, einer Sozialarbeit, die sich bewusst ist, dass sie nicht mehr so weitermachen kann wie bisher.

Nach unserem Verständnis ist die Gesellschaft und mit ihr auch die Sozialarbeit spätestens jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts in eine postmoderne Phase eingetreten. Während die moderne Sozialarbeit noch wusste, anhand welcher Normen die vermeintlich abweichenden Klienten in die Gesellschaft reintegriert bzw. für die Gesellschaft normalisiert werden sollten, geht einer postmodernen Sozialarbeit dieses Wissen mehr und mehr verloren. Die Frage ist dann, durch welche Methoden, professionellen Haltungen und theoretischen Orientierungen dieses Nichtwissen kompensiert werden kann – wir meinen: vielleicht durch ein Case Management, das sich vor allem hinsichtlich der Falleinschätzung und Hilfeplanung systemisch-konstruktivistisch orientiert.

Ein solches Systemisches Case Management geht von vier postmodernen Prämissen aus (vgl. dazu Kleve 2000, S. 59 ff.): Erstens sieht es das Primat von Kommunikation, also die soziale Tatsache, dass es nur realisierbar ist, wenn es Dialoge, Diskurse, Aushandlungen, kurz Gespräche zwischen Menschen initiiert, die die soziale Wirklichkeit allererst konstruieren; zweitens akzeptiert es die zu erwartende Möglichkeit der grundsätzlichen Verschiedenheit (Differenz) zwischen den lebensweltlichen Bezügen bzw. subjektiven wie sozialen Wirklichkeitskonstruktionen der SozialarbeiterInnen und der KlientInnen; drittens reflektiert es die Grenzen des sozialarbeiterischen Handelns und anerkennt die Unmöglichkeit instruktiver Interaktionen (s. dazu weiterführend Kersting 1991), vielmehr öffnet es sich für Kontingenz, für die Möglichkeit, dass alles immer auch anders kommen kann, als es geplant, erdacht oder intendiert war; viertens schließlich eröffnet es ein reflexives Vorgehen, das die SozialarbeiterInnen auffordert, dass sie das, was sie tun, permanent – z. B. mittels Evaluationen oder Supervisionen – verantwortungsbewusst hinterfragen, einschätzen und bewerten und sich neue, alternative Handlungsmöglichkeiten überlegen, wenn die bisherigen nicht zum gewünschten Ziel, der erfolgreichen Hilfe für KlientInnen, führen.

Systemisches Case Management

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