Читать книгу Piagnolia - Matthias von Arnim - Страница 10
ОглавлениеSonntag, 1. April 1934, noch 70 Tage bis zum Endspiel
Die DO X war hart auf dem Wasser gelandet und hatte die Passagiere kräftig durchgeschüttelt. Der Vorteil dieses gigantischen Wasserflugzeugs war zugleich sein größter Nachteil. Man musste keine Landebahn dafür bauen und konnte auf ein Fahrgestell und die Federung verzichten. Die größte Landepiste der Welt, das Meer, war jedoch völlig unberechenbar, bei den hohen Geschwindigkeiten, mit denen das Flugzeug aufsetzte, steinhart – und fast niemals eben.
Nick Soriano schmerzte der Nacken. Offensichtlich hatte er sich den Hals leicht verrenkt. Wenn er seinen Kopf nach links drehte, fühlten sich die Sehnen oberhalb seiner Schultern wie überspannte Drahtseile an, an denen eine viel zu schwere Gondel hing. Mit schmerzend geneigtem Kopf lugte er aus dem Fenster des Wasserflugzeugs, das ihn zusammen mit den italienischen Fußballfunktionären und dem kleinen Tross an ausgewählten Journalisten von einer merkwürdigen Südamerikareise in den Hafen von Genua zurückbrachte. Die Ereignisse in der Qualifikationsrunde zur WM hatten sich überschlagen. Chile und Peru, die die Qualifikationsgegner der argentinischen und brasilianischen Auswahlteams gewesen waren, hatten mitgeteilt, dass sie „aus finanziellen Gründen“ nicht an der WM teilnehmen wollten. So waren Argentinien und Brasilien automatisch qualifiziert. Für die Sportjournalisten, die über die Qualifikationsspiele zwischen Argentinien und Chile sowie zwischen Brasilien und Peru berichten wollten, war der Trip ans andere Ende der Welt also vergebens gewesen.
Auch Nick war mit seinen Recherchen nicht zufrieden. Er hatte während der Tage in Buenos Aires alle seine Kontakte spielen lassen und keinen Peso gescheut, um an Informationen über die Hintergründe der ausgefallenen Spiele zu gelangen. Er war Vaccaro und seinem Begleiter, der, wie er herausgefunden hatte, Olivio Mela hieß, an verschiedene Orte gefolgt. Die beiden hatten mehrere Male die Confiteria Ideal aufgesucht. Soriano hatte gesehen, wie sie sich dort mit Vertretern verschiedener Fußballverbände trafen, mit einigen argentinischen Industriellen und sogar mit dem argentinischen Staatspräsidenten. Olivio Mela war mit seinem braunen Koffer einmal in einer Filiale der Banca d’Italia auf der Avenida Almirante Brown gewesen. Kurz darauf hatte er sich, ganz in der Nähe des Lezana-Parks, im Restaurant „La Ventana“ mit einem Mann getroffen, dessen fast rundes Gesicht und die abstehenden Ohren Nick ein wenig an Filotti erinnerten, den Bauern aus Piagnolia. Allerdings war Filotti etwas kleiner und trug einen Schnurrbart. Außerdem standen die Haare des Bauern immer ungekämmt und wirr in alle Himmelsrichtungen, während der Mann im La Ventana einen auffällig korrekt gezogenen Mittelscheitel trug. Soriano hatte den Mann nach dem Treffen im „La Ventana“ leider aus den Augen verloren. Doch zu seinem Erstaunen tauchte er später wieder auf. Nick erkannte ihn wieder, als er in das Flugzeug nach Genua stieg. Er war sich sicher, dass dieser Mann auf dem Hinflug nicht mit im Flugzeug gesessen hatte.
Während die mitgereisten Reporter in Buenos Aires mit belanglosen Pressekonferenzen beschäftigt wurden, war die kleine italienische Funktionärsdelegation in der argentinischen Hauptstadt sehr aktiv gewesen. Vaccaro hatte während seiner Reise viele Räder in Bewegung gesetzt und sogar im argentinischen Staatsrundfunk eine flammende Rede gehalten, um die Argentinier dazu zu bewegen, an der WM in Italien teilzunehmen. Die Ergebnisse der WM-Qualifikationsspiele erschienen Nick angesichts dieser Geschehnisse, die er beobachten konnte, mittlerweile nur noch nebensächlich. Hier wurden auf Funktionärsebene im Vorfeld der Weltmeisterschaft ganz andere Hebel in Bewegung gesetzt, über die er berichten wollte. Denn Italiens Fußballverbandspräsident Vaccaro und Olivio Mela, sein unscheinbarer Begleiter mit der Nickelbrille und dem braunen Koffer, hatten im Auftrag des Duce ganze Arbeit geleistet. Sie hatten für ihr Land ideale Ausgangsbedingungen für die kommende Weltmeisterschaft geschaffen: Die beiden Publikumsmagneten aus Südamerika – Brasilien und Argentinien – würden nun im Juni, ohne sich überhaupt qualifizieren zu müssen, an der WM in Italien teilnehmen, allerdings mit Amateurteams und ohne ihre stärksten Spieler. Die trugen nämlich längst, wie bereits im Spiel gegen die Griechen zu sehen war, das blaue Trikot der italienischen Fußballnationalmannschaft, das Trikot der „Squadra Azzurra“. Dass dies von den anderen an der WM teilnehmenden Nationen toleriert wurde, dafür hatten der Duce mit einem eigenen Gesetz und seine speziellen WM-Beauftragten mit dem braunen Koffer nachgeholfen. Auf dem Papier nahmen also zwei große Namen, zwei starke südamerikanische Mannschaften, an der WM teil. In Wahrheit war jedoch zu erwarten, dass sie keine Chance gegen die gut eingespielten europäischen Teams hatten.
Nick drehte unter Schmerzen den Kopf in die andere Richtung und sah, wie sich einige Fluggäste bereits darauf vorbereiteten, auszusteigen. Es würde nur noch wenige Minuten dauern, bis die Maschine am Landungssteg festgezogen war. Er war froh, das Flugzeug bald verlassen zu können, und sah noch einmal hinaus. Am Hafen stand wie immer, wenn eine DO X in Genua ankam, eine große Menschenmenge. Ganze Familien hatten sich eingefunden, die das Wasserflugzeug bestaunten, Kinder winkten den Passagieren zu, die Menschen unterhielten sich fröhlich. Selbst der Leichenwagen, der am Pier stand und offensichtlich eine besondere Fracht für das Flugzeug hatte, störte die entspannte Stimmung an diesem Sonntagvormittag nicht. Gestorben wurde eben auch bei schönem Wetter. Nicht weit von dem Wagen mit den weißen Vorhängen hinter den milchverglasten Seitenscheiben entfernt, entdeckte Nick Soriano eine Gestalt, die er schon einmal irgendwo gesehen hatte. Der Mann steckte in einem edlen schwarzen Anzug, wie ihn Parteisekretäre der faschistischen Partei häufiger trugen. Er überlegte kurz. Dann fiel es ihm wieder ein. Das war Achille Starace, der Mann, dem er zusammen mit diesem Oberst im Vorfeld des Griechenlandspiels in einem Café begegnet war und der sich nach dem Spiel in Mailand mit Olivio Mela gestritten hatte.
Guido Ventura saß im Hof der Witwe Garezza, wo er seit einer Woche wohnte, und reparierte die Wasserpumpe des Brunnens. Das hatte er der Witwe versprochen. Heute war sie bereits in aller Frühe mit dem Bus nach Genua gereist, um ihren anderen Gast, den amerikanischen Journalisten Nick Soriano, vom Hafen abzuholen. Nicks Vater war ein entfernter Cousin der Witwe Garezza, stammte aus Florenz und lag nun dort begraben. Vor vielen Jahren war er mit seinem Sohn einmal in Piagnolia gewesen. Guido konnte sich dunkel daran erinnern, wie er damals als Junge den kleinen Nick kurz kennengelernt hatte. Und heute schrieb dieser kleine Nick als ausgewachsener Reporter einer amerikanischen Zeitschrift Artikel über Fußballspiele in Italien. Man trifft sich wohl tatsächlich immer zweimal in dieser verrückten Welt. Guido setzte den Schraubenzieher an und versuchte, mit beiden Händen eine Schraube zu bewegen, die verrostet war und sich keinen Millimeter bewegen wollte. Neben ihm stand Garezzas Nichte Antonia und schaute ihm bei der Arbeit zu. Ab und an reichte sie ihm ein Werkzeug. Die beiden unterhielten sich und scherzten miteinander. Guido hatte in den vergangenen Tagen Freundschaft mit dem jungen, aufgeweckten Mädchen geschlossen, das ebenso wie Guido bei der Witwe Garezza wohnte und gelegentlich in der Trattoria als Bedienung aushalf, wenn viel zu tun war. Sie beeindruckte Guido nicht nur mit ihrer freundlichen Art, sondern auch mit ihrem hellen Geist. Die beiden hatten gleiche Vorlieben entdeckt und denselben Sinn für Humor. So war Antonia, ebenso wie Guido, der vor Jahren Ökonomie studiert hatte, offensichtlich mathematisch außergewöhnlich hochbegabt. Sie mochte Rechenspiele, genau wie Guido. Doch sie wusste ihre Zahlenbegabung nicht nur spielerisch, sondern auch praktisch zu nutzen. Sie bediente in der Trattoria grundsätzlich ohne Bestellzettel. Sie schien die Herausforderung geradezu zu lieben, möglichst viele unterschiedliche Bestellungen aufzunehmen, diese ohne Fehler an die Tische auszuliefern und später aus dem Kopf den Gästen die korrekten Rechnungen zu präsentieren. Sie war nie um einen kecken Spruch verlegen. Ihre Schlagfertigkeit war für ein Mädchen von vielleicht 16 oder 17 Jahren außergewöhnlich. Die Dorfbewohner und insbesondere die Männer liebten sie und belohnten ihre Tüchtigkeit mit üppigen Trinkgeldern. Die Bauern in der Umgebung zogen sie sogar zurate, wenn es um Geldgeschäfte ging. Sie war sichtlich stolz darauf, ohne dabei eingebildet zu wirken. Im Gegenteil: Sie trug eine unbeschwerte Freundlichkeit zutage, und sie lachte viel. Guido mochte ihr Lachen. Es erinnerte ihn an Adriana, die ebenfalls so herzerfrischend aus sich herausgehen konnte wie Antonia, wenn sie etwas witzig fand. Antonias lebensfrohe Art tat ihm gut. Denn in den Stunden, in denen er alleine war, fraß sich eine unendliche schwarze Leere durch sein Herz.
„Warum schaust du schon wieder so trübsinnig“, riss ihn Antonia aus seinen Gedanken. „Das ist wirklich erschreckend manchmal. Eben noch lachst du, und im nächsten Augenblick bist du schon wieder traurig. Soll ich dir etwas Lustiges erzählen?“, munterte sie ihn auf.
„Wenn es sein muss“ knurrte Guido.
„Na gut, du hast es so gewollt.“ Antonia konnte hartnäckig sein, wenn jemand drohte, trübe Gedanken in ihrer Gegenwart zu hegen.
„Also, kürzlich habe ich Mauro, dem Bauern, bei seiner Buchhaltung helfen sollen. Sein Sohn geht mit mir zur Schule. Und irgendwie hat sich herumgesprochen, dass ich ganz gut mit Zahlen umgehen kann. Und da hat mich also sein Sohn gefragt, ob ich …“
„Was ist daran lustig?“, unterbrach Guido.
„Na gut, also ich kannte Mauro nicht. Ich bin hin zu seinem Hof und habe in seinem Haus nur seine Frau angetroffen und gefragt, wo ich Mauro finde. Und die hat gesagt …“ Antonia begann zu kichern und sich über ihre Geschichte zu freuen. „Also Mauros Frau hat gesagt: Er ist im Schweinestall, du erkennst ihn an der blauen Mütze“, erzählte Antonia und lachte laut los. „Du erkennst ihn an der blauen Mütze!“, wiederholte sie, fasste sich an den Bauch vor Lachen und hatte offensichtlich riesigen Spaß. Doch Guido blieb ungerührt. Antonia schubste ihn leicht an, doch er wehrte ab. Er war in diesem Augenblick offensichtlich wirklich nicht zu Scherzen aufgelegt. Antonia hielt inne und sah ihn mit schiefem Kopf an. Sie ahnte, dass ihn etwas bedrückte. Die beiden schwiegen sich an. Eine Minute verging. Eine weitere, nicht enden wollende Minute schloss sich an. Guido starrte konzentriert auf das Werkzeug in seiner Hand. Und schwieg beharrlich. Doch Schweigen war nicht Antonias Sache. Sie holte zweimal Luft, bevor sie schließlich die Stille brach.
„Magst du mir sagen, was du gerade denkst?“, fragte Antonia vorsichtig nach. Guido schaute konzentriert auf die Wasserpumpe. „Ich ärgere mich nur ein wenig darüber, dass ich diese Schraube nicht dazu überreden kann, sich zu bewegen.“
„Lügner.“ Das Wort klang ernster, als Antonia es wollte. Sie erkannte schnell, dass Guido nicht darauf reagierte, sie lächelte verlegen, hakte dann aber nach. Ihr Gesichtsausdruck wurde nun tatsächlich ernst. Sie hatte sich die vergangenen Tage viele Gedanken gemacht über ihn und das Dorf. Nun war dies die Gelegenheit, ihn zu fragen.
„Ich sehe dir an, dass irgendwas nicht stimmt. Außerdem bin ich nicht blind. Seit du hier bist, passieren in Piagnolia Sachen, die ich nicht verstehe.“
„Was verstehst du denn nicht?“, fragte Guido, ohne Antonia dabei anzusehen. Er mühte sich immer noch mit dem Schraubenzieher.
„Angefangen hat es mit Pater Corello, der plötzlich Geld hat, um das Dach der Kirche zu reparieren. Bürgermeister Agostino, der mich normalerweise morgens mit seinen Flüchen weckt, wenn er über den Hof zur Toilette geht, pfeift neuerdings vor sich hin. Und der chronisch blanke Filotti ist in der vergangenen Woche gleich dreimal in Florenz gewesen, um seine Freundin zu besuchen. Gestern saß er bester Laune in der Trattoria und hat mir ein üppiges Trinkgeld gegeben. Das macht er sonst nie. Er ist normalerweise der Einzige, der nie ein Trinkgeld für mich übrig hat“, erzählte Antonia.
„Was ist denn schlimm daran, wenn die Leute gute Laune bekommen und dir mehr Trinkgeld geben?“, entgegnete Guido abwehrend.
„Natürlich nichts. Und ich finde es auch gut, wenn gute Laune ansteckend ist. Aber in diesem Fall gibt es einen sehr merkwürdigen Grund dafür.“
„Und der wäre …“
„… das Geld, das du offensichtlich großzügig unter den Dorfbewohnern verteilst. Fabio hat mir erzählt, dass du ihm die Renovierung seines Kellers bezahlst, damit er den Wein besser lagern kann. Von Bauer Mauro, dem ich, wie ich dir ja erzählt habe, bei der Buchhaltung helfen sollte, weiß ich, dass du ihm das neue Saatgut finanzierst. Pedro hat endlich seine Schulden bei den Großbauern in der Umgebung begleichen können. Außerdem wird seine Tochter demnächst heiraten. Er hat mir geflüstert, dass du die Aussteuer bezahlst. Andrea hat ein neues Fahrrad, Giulietta komplett neue Kleider und seit zwei Tagen einen kleinen Hund. Sogar die doofe Magdalena, die außer Fisch zu verkaufen nichts geregelt bekommt, hat plötzlich Geld, um in Florenz groß einkaufen zu gehen“, platzte es aus Antonia heraus. „Warum tust du das? Und, was mich noch mehr interessiert: Woher hast du so viel Geld?“, fragte Antonia und breitete ihre Arme weit aus. Sie sah Guido mit großen Augen an. Dieser hantierte etwas kräftiger an der Schraube. Mit einem Ruck bewegte sie sich.
„Na bitte, geht doch“, sagte er, wischte sich den Schweiß von der Stirn und packte das Werkzeug, das er neben sich ausgebreitet hatte, zusammen. „Morgen mache ich weiter, heute habe ich keine Lust mehr.“ Nick Soriano verfolgte aufmerksam, wie seine Taschen aus dem am Kai liegenden Wasserflugzeug geladen und auf eine Schubkarre gestapelt wurden. Die Schubkarre hatte sich die Witwe Garezza bei ihrem Cousin in Genua geliehen. So war es leichter, die Koffer zum Busbahnhof zu transportieren. Nick freute sich darüber, dass die Witwe so freundlich war, ihn abzuholen und nach Piagnolia zu geleiten. Er kannte sich nicht gut aus in Genua und war hoffnungslos überfordert damit, dass eigentlich nichts planmäßig funktionierte. Die Italiener kamen in diesem Durcheinander offensichtlich gut zurecht. Doch jemand wie er, der keine Verwandten in der Stadt hatte, drohte hier komplett verloren zu gehen. Nick erzählte der Garezza von seiner Reise und davon, dass Chile und Peru für die WM abgesagt hatten. Die Garezza war sichtlich überrascht. Sie war gespannt darauf gewesen, wie Brasilien gegen Peru am heutigen Abend spielen würde, denn sie hatte mit Filotti um ein paar Lire gewettet, dass Brasilien gewinnen würde. Nun, da hatte sie wohl die Wette gewonnen!
Die Nachrichten aus Südamerika hatten, so viel war Nick schnell klar, bislang noch nicht ihren Weg über den großen Teich bis nach Piagnolia gefunden. Die Witwe schüttelte den Kopf. Das sei doch eine wirklich verrückte Vorbereitungsrunde für die WM, meinte sie. Aber auch in Piagnolia habe sich einiges getan, wie sie zu berichten wusste. Nick erfuhr, dass Guido Ventura, der vor ein paar Tagen im Haus der Garezza ein Zimmer bezogen hatte, als er selbst nach Südamerika abgereist war, vor Jahren das Dorf verlassen hatte und nun wohl in den wenigen Tagen nach seiner Rückkehr eine gewisse Prominenz erlangt hatte. In der Zeit, in der er in der Fremde war, hatte Ventura es wohl zu einigem Wohlstand gebracht. Und er sei auch, ganz anders als die meisten reichen Menschen, sehr großzügig, berichtete die Garezza. Sogar die Kirche habe nun ein neues Dach. Die Witwe erzählte wortreich von den guten Taten, die Guido in der letzten Zeit vollbracht hatte. Doch Nick hörte nach einigen Sätzen kaum noch zu. Er konnte sich zwar dunkel erinnern, als Kind einmal Guido begegnet zu sein. Doch das war Jahrzehnte her. Er verband kein Gesicht mehr mit diesem Namen. Nick Soriano nickte der Garezza freundlich zu, drehte aber immer wieder seinen Kopf zur Seite, um das Geschehen neben ihm zu beobachten. Sein Nacken schmerzte dabei furchtbar. Er verfolgte gespannt zwei Szenen, die sich in einiger Entfernung abspielten. Sein Blick wanderte zwischen dem Leichenwagen, dessen Fahrer mit dem Flugkapitän über irgendetwas stritt, und Fußballpräsident Giorgio Vaccaro hin und her. Vaccaro, sein Südamerika-Begleiter Olivio Mela und der Mann mit den abstehenden Ohren, dem runden Gesicht und dem auffällig geraden Mittelscheitel unterhielten sich mit dem schwarz gekleideten Parteifunktionär, Achille Starace. Daneben standen zwei Männer in schwarzen Uniformen – den Abzeichen auf ihren Uniformärmeln nach zu urteilen Mitglieder der Schwarzhemden, einer Miliz der faschistischen Partei. Vaccaro, der Parteifunktionär und Mela diskutierten heftig miteinander. Schließlich legten die Uniformträger dem sichtlich überraschten Mela Handschellen an und führten ihn ab. Nick war kurz abgelenkt, denn auch der Leichenwagenfahrer und der Flugkapitän im Hintergrund schimpften heftig gestikulierend und fluchend aufeinander ein. Offensichtlich weigerte sich der Flugkapitän, einen Sarg an Bord zu nehmen. Nick schaute wieder zu der Gruppe um Vaccaro und sah eben noch, wie Mela in eine Limousine geschubst wurde, in die auch Starace und die Schwarzhemden stiegen. Er überlegte kurz, griff sich seine Taschen von der Schubkarre, packte die überraschte Garezza am Arm und stürzte mit ihr und seinem Gepäck zum nahestehenden Leichenwagen.
„Was soll das?“, rief die Witwe, die nicht wusste, wie ihr geschah.
„Wir folgen diesem Wagen dort. Ich will wissen, wo er hinfährt“, rief Nick, öffnete die hintere Tür des Leichenwagens, schmiss seine Koffer hinein und sprang nach vorne in den Wagen, immer die Garezza am Arm haltend. Die Witwe, völlig perplex, ließ es geschehen. Sie wehrte sich auch nicht, als Nick sie unsanft auf den Beifahrersitz schubste, um den Wagen herum rannte und sich selbst ans Steuer setzte. Als sie im Wagen saßen und Nick Gas gab, um der Limousine hinterherzujagen, starrte sie wie gelähmt nach vorne. Zum ersten Mal, seit Nick sie getroffen hatte, war sie vollkommen still. Doch dieser Moment dauerte nicht lange. „No…nonononono! Beim Leben meiner Mutter! Nicht mit diesem Auto!“, rief sie nach einigen wenigen Schrecksekunden. „Da hinten liegt doch eine Leiche drin!“
„Keine Angst, das hier wird ihrer Gesundheit nicht schaden“, antwortete Nick.
Die Räder drehten durch, der Leichenwagen jagte über das Pier. „No!“, rief der Fahrer des Wagens, der dort noch stand und aus seinem Streit mit dem Flugkapitän gerissen wurde, als er sah, dass ihm eine Leiche abhandenzukommen drohte. Er rannte auf sein Fahrzeug zu, das in diesem Augenblick aber schon beschleunigte. Fluchend und hustend blieb er in der Staubwolke, die sich gebildet hatte, zurück. Als er sich erneut umsah, lächelte ihn der Flugkapitän versöhnlich an, hob leicht die Schultern und breitete seine Arme aus.
„Was tun Sie? Halten Sie sofort an“, rief die Garezza. Doch Nick Soriano jagte zusammen mit ihr im Leichenwagen der Limousine mit den Parteisoldaten und Olivia Mela hinterher. Nick ignorierte ihr Zetern und Jammern. Der gefesselte Mann dort vorne im Wagen war eine der Schlüsselfiguren in einem ausgeklügelten Plan rund um die Fußballweltmeisterschaft. Nick wollte ihn auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Er würde der Garezza dies vielleicht bei Gelegenheit ausführlicher erklären. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Sie folgten der Limousine zunächst durch die Stadt. Nick verfluchte den schlechten Zustand der Straßen und die Geschwindigkeit, mit der die Wagen um die Ecken schossen. In jeder Kurve schien ein Messer durch seinen verspannten Nacken zu fahren. Er bekam Kopfschmerzen von der Fahrt und dem lauten Rumpeln, das hinten aus dem Laderaum drang. Schließlich verließen die Limousine und ihre Verfolger die Stadt und fuhren die Küste entlang nach Süden, immer der Via Aurelia folgend, bis Viareggio. Dort bogen die beiden Fahrzeuge ins Landesinnere ab. „Wohin führt diese Straße?“, fragt Nick.
„Wir fahren Richtung Florenz“, antwortete die Garezza, die sich allmählich beruhigte. Immerhin führte diese Straße auch an Piagnolia vorbei.
Filotti war so guter Laune wie schon lange nicht mehr. Der Motor seines Traktors war repariert worden, und er hatte trotzdem noch Geld übrig gehabt, um einige Male nach Florenz zu fahren. Eigentlich hätte er auch seine Schulden direkt mit dem Geld bezahlen sollen, das ihm Guido gegeben hatte. Doch Filotti war stolz darauf, viel schlauer gewesen zu sein, als einfach seine Schulden zu tilgen. Er hatte einen Teil des Geldes genommen, war damit in Florenz zu einem Buchmacher gegangen und hatte auf ein Vorrundenspiel der Weltmeisterschaft gewettet. Ein Freund in Florenz hatte ihm den heißen Tipp gegeben, dass Peru, der große Außenseiter, eine gute Chance hätte, heute Abend gegen Brasilien zu gewinnen. „Die Brasilianer wollen nur eine Amateurmannschaft schicken. Aber Peru hat mit Lolo Fernández und ein paar anderen Talenten wirklich großartige Spieler im Team“, hatte dieser Freund ihm vor einigen Tagen verraten. Eine große Überraschung lag in der Luft, und Filotti war sicher, mit dem Außenseitersieg von Peru seinen nicht geringen Wetteinsatz am Abend zu vervielfachen. Und ein paar Lire extra knöpfte er mit seinem Wissen sogar noch der Witwe Garezza und einigen anderen im Dorf ab, mit denen er auch noch private Wetten abgeschlossen hatte. So würde er sogar noch Geld übrig haben, um für Maria einen Strauß Blumen und weitere schöne Dinge zu kaufen. Mit einem Strahlen im Gesicht saß er auf seinem Traktor und fuhr Richtung Florenz. Eine goldene Kette wollte er seiner Maria kaufen. Ja, die würde ihr gut stehen. Maria war so wunderschön anzusehen und zu hören. Die kleine Musikkapelle in Florenz, in der sie sang, spielte Lieder bekannter italienischer Schlagersänger. Wenn Filotti Marias Auftritte besuchte, genoss er die beschwingte Heiterkeit der Musik. Er wippte mit den Füßen und summte leise mit. Besonders mochte er Allegro Ritornello, ein Lied des bekannten Sängers Carlo Buti, in dem Maria an den entscheidenden Stellen „Tatara tatara“ sang. Und natürlich Ma tu dormi, Marie! Maria unterstützte den Frontsänger der Kapelle mit einem „No, no, si, si“ nach dem Wort „Marie“ im Refrain. Das verlieh dem Stück eine ganz persönliche Note. Niemand sonst in Italien sang das so. Maria sang außer den Refrain-Stellen und einigen anderen Passagen der Lieder meistens nichts, aber sie schwang mit den Hüften, sandte Kusshände ins Publikum und wippte ihre Knie im Takt der Musik. Das machte sie großartig und anbetungswürdig. Sie hatte eine große Karriere vor sich. Das spürte Filotti. Und er wollte sie unterstützen, so gut er konnte. Er liebte sie, und sie dankte es ihm, indem sie ihm immer wieder bestätigte, wie sehr sie es genoss, Geschenke von ihm zu bekommen. Eines Tages würde sie vielleicht sogar seine Liebesschwüre erhören. Filotti hatte ein gutes Gefühl. Er wollte Maria, wie er es in letzter Zeit häufiger getan hatte, auf einen Kaffee einladen und sich an ihrer Gegenwart erfreuen. Dann würde er ihr die Kette, die er schon ausgesucht hatte und nun abholen wollte, um den Hals legen und sie fragen, ob sie seine Frau werden wolle. Am Montag würde er dann zum Buchmacher gehen, seinen großen Wettgewinn, den er erwartete, in Empfang nehmen und die Kette von dem Gewinn bezahlen. Trotzdem hätte er dann immer noch etwas übrig, um einen Teil seiner Schulden zu tilgen. Er freute sich auf Maria und bog an diesem verheißungsvollen Mittag mit seinem Traktor auf die Via Toscana nach Südosten, Richtung Florenz.
Olivio Mela verfluchte diesen Tag. Er saß zusammengekauert auf der Rücksitzbank der dunklen Limousine, in die man ihn am Hafen in Genua gestoßen hatte. Die Handschellen schmerzten. Man hatte sie ihm nicht abgenommen, auch als er längst im Wagen saß. Manchmal, wenn die Limousine über eine größere Bodenwelle fuhr, stieß er sich den Kopf an der Decke des Wagens. Vor ihm, auf den Vordersitzen des Fahrzeugs, unterhielten sich die beiden Schwarzhemden miteinander, die ihn festgenommen hatten. Rechts neben ihm saß Achille Starace und blätterte in den Seiten eines Aktenordners. Angeblich sollte Mela Geld unterschlagen haben. Doch er war sich keiner Schuld bewusst. Als er in Mailand vor dem Griechenlandspiel den Koffer mit den Zeitungspapieren gesehen hatte, war er selbst überrascht gewesen. Er hatte keine Erklärung dafür, wie sich die hunderttausend Lire, die ihm ein Kurier in dem Koffer übergeben hatte, in wertloses Papier verwandelt haben konnten. Der Parteisekretär Achille Starace machte ihn offensichtlich dafür verantwortlich und wollte ihn nun zur Rechenschaft ziehen. Olivio Mela hatte keine Vorstellung davon, was Starace damit meinte. Drohte ihm ein Prozess? Wurde er einfach so eingesperrt oder gar erschossen? Mela schaute aus dem Fenster. Vor einiger Zeit hatten sie die Küstenstraße verlassen und fuhren nun auf der Via Toscana Richtung Florenz. Die Landschaft wurde hügeliger und die Straße noch schlechter, als sie es schon auf der Küstenstrecke war. Er drehte sich mühsam um. Hinter ihnen fuhr immer noch der Leichenwagen, der ihm schon am Hafen in Genua aufgefallen war. Das war mit Sicherheit kein gutes Omen, wenn der Tod einen auf Schritt und Tritt begleitete. Olivio Mela bedauerte sich selbst. Kleine Tränen rannen unter seiner Nickelbrille über seine Wangen. Wer würde seiner Mutter Bescheid sagen, wenn er in einem Hinterhof von Schwarzhemden erschossen worden war? Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie sie leiden würde, wenn sie von seinem Tod erfuhr. Er schloss die Augen. Plötzlich musste die Limousine scharf bremsen. Mela versuchte reflexartig, seine Arme als Schutz zu nutzen, doch seine Hände waren gefesselt. Sein Oberkörper wurde nach vorne geschleudert, und seine Wange schlug an der Kante des Fahrersitzes hart auf. Über die Schulter des Fahrers hinweg sah er, wie vor ihnen ein Traktor auf die Straße einbog. Dem Fahrer des Landfahrzeugs war es offensichtlich gleichgültig, dass er die Vorfahrt missachtet hatte. Die beiden Schwarzhemden schrien lauthals, gestikulierten wild und bereicherten Melas Wortschatz um zahlreiche süditalienische Ausdrücke, die er noch niemals vorher gehört hatte. Auch Achille Starace lehnte sich aus dem Fenster und machte dem Bauern durch virtuose Fingergestik und die dazu passenden Flüche deutlich, welche Geringschätzung er ihm entgegenbrachte. Doch dem Fahrer des Traktors schien all dies völlig gleichgültig zu sein. Er lenkte sein Gefährt stoisch auf die Mitte der Straße. Er saß zufrieden auf dem erhöhten Sitz des Treckers und war sichtbar guter Laune. Er sang italienische Lieder, hielt mit einer Hand sein Lenkrad und schwang mit weit ausholenden Bewegungen wie ein Chordirigent seine andere Hand im Takt zur Melodie. Ab und zu kam ihm dabei ein „Tatara tatara“ und ein „No, no, si, si“ über die Lippen.
Als Filotti den Motor seines Traktors vor dem Juweliergeschäft in Florenz abstellte, war er furchtbar aufgeregt. Zum einen, weil er auf der Fahrt hierher fast in einen Unfall verwickelt worden war. Er hatte, als er auf die Via Toscana eingebogen war, ein von rechts kommendes Fahrzeug nicht beachtet. Eine Limousine konnte gerade noch rechtzeitig bremsen. Als der Wagen ihn überholte, schimpften die Insassen wild auf ihn ein. Wie sehr ihn das Schicksal ins Visier genommen hatte, meinte er zu erkennen, als nur wenige Sekunden später noch ein Leichenwagen mit hohem Tempo an ihm vorbeischoss. Filotti bekreuzigte sich noch einmal bei dem Gedanken daran und dankte der Mutter Gottes, dass er nun hier stand. Und das war der zweite Grund für seine Aufregung. Er würde nun hineingehen und das wundervollste Schmuckstück abholen, das ein Mann jemals einer Frau schenken konnte. Die Goldkette, die er vor Tagen bereits ausgesucht hatte, war teuer. Filotti musste sie heute jedoch noch nicht bezahlen. Der Juwelier hatte Verständnis dafür, dass manche Dinge nicht warten konnten, wenn es um die Liebe ging. Er hatte deshalb sogar angeboten, ausnahmsweise an einem Sonntag in seinen Laden zu gehen, um Filotti die Kette auszuhändigen, und hatte ihm großzügig Kredit für einen Tag gewährt. Filotti hatte dem Juwelier versprochen, am Montag zur Bank zu gehen und den Schmuck dann zu bezahlen. Er fasste sich an die Brust. Sein Herz schlug nur für Maria. Er klopfte an die Tür des Juwelierladens, wartete einen Augenblick, hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss der Tür umdrehte und sie sich schließlich öffnete.
Nick Soriano und die Garezza waren der dunklen Limousine bis zu einem großen Verwaltungsgebäude in Florenz gefolgt. Neben der großzügig geschnittenen Toreinfahrt wies ein schmuckloses Schild auf die Behörde hin, die hier ihre Arbeit verrichtete. OVRA stand darauf. Diese Abkürzung kannte in Italien jeder. Aber niemand legte Wert darauf, jemals einen Mitarbeiter dieser Behörde kennenlernen zu dürfen. OVRA stand für Opera Vigilanza Repressione Antifascismo, die berüchtigte Geheimpolizei Mussolinis, die vor sieben Jahren gegründet worden war und direkt von der faschistischen Partei kontrolliert wurde. Nick wandte seinen Blick vom Schild ab und blickte in den Innenhof. Dort stand der Wagen, den sie verfolgt hatten. Die Schwarzhemden waren mit Olivio Mela in einen Nebentrakt gegangen, während Achille Starace die Treppen im Eingangsbereich emporgestürmt war. Nick und die Witwe Garezza konnten von der Straße aus erkennen, wie Staraces Profil in einem der offenen Fenster, die zur Straße lagen, wieder auftauchte. Eine Person trat zu ihm, unterhielt sich kurz mit ihm, schaute auf die Straße und schloss dann das Fenster. „Den habe ich schon mal gesehen. Der war kürzlich bei unserem Bürgermeister“, sagte die Witwe. Nick Soriano sah die Garezza erstaunt an. „Dieser Mann dort war in Piagnolia?“, fragte er.
„Ja. Kennen Sie ihn?“
„Kennen ist übertrieben. Aber ich bin ihm schon mal ganz kurz in Mailand begegnet.“ Nick hatte Oberst Vittorio Briccone sofort erkannt.
„Wir sollten fahren“, sagte die Witwe. „Ein Leichenwagen ist als Beobachtungsposten ziemlich auffällig. Finden Sie nicht?“
Oberst Vittorio Briccone schloss das Fenster und bat den Parteisekretär Achille Starace, sich zu setzen. „Nun, was hast du in Erfahrung bringen können?“, fragte der Oberst schließlich. Starace ließ sich in den Sessel hinter dem Schreibtisch fallen, faltete seine Hände über dem Bauch und legte seine Beine sorgfältig, eines nach dem anderen, auf die Tischplatte vor sich. „Ich weiß, wer das Geld hat“, sagte er, sehr zufrieden mit sich selbst.
„Lass hören. Spann mich nicht auf die Folter.“
„Ich habe mit Luigi Cantero, einem Mitarbeiter hier aus diesem Haus, gesprochen. Er hat die hunderttausend Lire für die Griechen in Rom abgeholt und ist damit nach Mailand gefahren. Dort hat er einem Vertrauten das Geld übergeben. Und dieser sollte es, verpackt in einen Koffer, an Olivio Mela weiterreichen. Als Mela den Koffer in Mailand an Costas, unseren Verbindungsmann bei den Griechen, übergeben hat, war nur noch Zeitungspapier darin.“
„Also ist Mela der Dieb.“
„Nein. Aber wir werden das behaupten. Mela kann uns natürlich keinen Aufenthaltsort nennen, wo das Geld versteckt sein könnte. Er hat ja schließlich keine Ahnung. Weil er nicht geständig ist, wird er verurteilt, hart bestraft und verschwinden.“
„Aha. Also ist er unschuldig, aber wir schalten ihn aus. Was haben wir davon?“
„Wir haben einen Schuldigen. Wir können uns in der Zwischenzeit um das Geld kümmern.“
„Das klingt interessant“, sagte Oberst Briccone, kreuzte die Arme über der Brust und lehnte sich gegen den Schreibtisch. „Und wie machen wir das?“, fragte er nach.
„Wir holen uns das Geld bei demjenigen, der es tatsächlich hat.“
„Wer hat es denn?“
„Guido Ventura. Das ist der Vertrauensmann, dem Cantero das Geld in Mailand übergeben hat. Du kennst ihn gut. Er war dein Adjutant in Libyen und sollte dir hier in Italien eigentlich dabei helfen, unsere speziellen Geldtransfers zu organisieren. Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?“, fragte Achille Starace. Er kannte die Antwort und las im Gesicht seines Gegenübers, wie aus bloßem Erstaunen zunächst Fassungslosigkeit und schließlich offener Zorn wuchs.
„Guido Ventura“, sagte Briccone. „Wer hätte das gedacht?“ Er schüttelte den Kopf.
„Es gibt allerdings einen Haken“, unterbrach Starace die Gedankengänge Briccones. „Ich habe noch nicht herausgefunden, wo er sich im Moment aufhält. Hast du eine Idee?“
Briccone überlegte kurz. Ventura hatte ihm einmal von dem Dorf erzählt, in dem er geboren wurde. Doch jetzt wollte ihm der Name dieses Ortes nicht einfallen.
„Vielleicht finden wir ihn in seinem Heimatort. Sobald mir der Name wieder einfällt, gebe ich dir Bescheid“, sagte er.
„Na gut, dann muss ich mich wohl noch ein wenig gedulden“, sagte Achille Starace, nahm die Füße vom Tisch und sprang aus seinem Sessel auf. Einen Tag und vielleicht eine Nacht mehr in Florenz sollte ihm nicht die Laune verderben. Ganz im Gegenteil. Seine Geliebte, Maria, wartete sicher schon auf ihn. Als er die Treppe hinunterging, pfiff er ein italienisches Lied vor sich hin und sang zwischendurch leise „No, no, si, si“.