Читать книгу Piagnolia - Matthias von Arnim - Страница 9
ОглавлениеDienstag, 27. März 1934, noch 75 Tage bis zum Endspiel
Nick Soriano hatte noch mit der Zeitverschiebung zu kämpfen. Er hatte kaum geschlafen und es nicht geschafft, frühzeitig aufzustehen. Es war kurz vor elf Uhr Ortszeit, und es fiel ihm schwer, die Augen offen zu halten, als er sich im Frühstücksraum des Hotels ein paar Toastbrote, ein Rührei, etwas Speck, einen Kaffee und den „Buenos Aires Herald“ an den Tisch bringen ließ. Verschlafen stocherte er mit der Gabel im Rührei herum, schmierte etwas Butter auf einen Toast, blätterte ein wenig in der Zeitung und überflog während des Frühstücks – mehr aus neugieriger Langeweile als aus wirklichem Interesse – die Schlagzeilen und Artikel in der einzigen englischsprachigen Tageszeitung der argentinischen Hauptstadt.
Als er die Sportseiten aufschlug, war er jedoch von einem auf den anderen Moment hellwach. „Fußballweltmeisterschaft ohne Argentinien und Brasilien?“ lautete eine Überschrift auf der ersten Sportseite. Nick konnte kaum glauben, was er da las: Weder der argentinische Amateurverband AAF noch der konkurrierende Profiverband LAF wollten dem Zeitungsartikel zufolge eine Nationalmannschaft zur WM in Italien senden. Der Grund: Italien hatte die besten argentinischen Spieler im Vorfeld der Weltmeisterschaft für seine eigene Nationalelf abgeworben. Möglich wurde das durch ein speziell dafür vom Duce ersonnenes Gesetz, wonach jeder Argentinier mit italienischen Vorfahren stante pede zum Italiener erklärt werden konnte. Die argentinischen Fußballverbände, sonst einander spinnefeind, waren in diesem Punkt einig: Sie weigerten sich, an der WM teilnehmen zu wollen. Eine ähnliche Situation ergab sich auch in Brasilien. Der dortige Profiverband war von der FIFA nicht anerkannt worden und durfte deshalb keine Mannschaft nach Italien schicken. Der brasilianische Amateurverband wiederum wollte es nicht, denn ihm fehlten qualifizierte Spieler. Und so schien es den stolzen Brasilianern offensichtlich besser, erst gar nicht anzutreten, anstatt sich auf dem Fußballfeld zu blamieren. So drohten also gleich zwei der interessantesten Teilnehmerländer für die WM auszufallen.
Nick legte die Zeitung zur Seite und nahm einen tiefen Schluck Kaffee. Er musste nicht lange überlegen, um zu erahnen, dass Giorgio Vaccaro nicht einfach hier war, um sich in Ruhe ein paar Qualifikationsspiele anzusehen. Aber was war seine Mission? Hatte er dafür zu sorgen, dass Brasilien und Argentinien doch noch an der WM teilnahmen? Immerhin waren die beiden Mannschaften Publikumsmagneten und konnten für vollere Stadien sorgen. Wenn Argentinien und Brasilien nicht zu den Qualifikationsspielen antraten, wären automatisch Peru und Chile für die Teilnahme in Italien qualifiziert. Doch wer in Italien wollte die beiden Außenseiter schon sehen? Bislang hatte sich das italienische Publikum ohnehin nur mäßig für die WM interessiert. Die Kartenvorverkäufe liefen schleppend. Die Bürger ärgerten sich sogar über das Großprojekt Weltmeisterschaft, denn die Neu- und Umbauten der acht WM-Stadien hatten Unsummen verschlungen. Die Folge waren Steuererhöhungen, Sonderabgaben und hohe Eintrittspreise für die WM-Spiele. Mit Argentinien und Brasilien träten zwei Mannschaften an, die mit ihrer Popularität bei der italienischen Bevölkerung immerhin etwas zur Finanzierung der Weltmeisterschaft beitragen konnten. Vor allem Argentinien: Fast jeder Italiener hatte mindestens einen Verwandten, der dorthin ausgewandert war. Und bei Boca Junior, der beliebtesten Profimannschaft Argentiniens, deren Fans sich „Xeneizes“ nannten, was so viel bedeutete wie „Bewohner Genuas“, spielten fast ausschließlich Spieler mit italienischen Wurzeln.
Aber vielleicht war es auch Vaccaros Aufgabe, gerade Argentinien und Brasilien von der WM fernzuhalten. Schließlich fielen damit ja auch zwei ernstzunehmende Konkurrenten Italiens um den WM-Titel aus. Vielleicht sollte ja der Weg für einen italienischen Durchmarsch geebnet werden. Nick biss in sein Toastbrot und nahm einen letzten Schluck Kaffee. Er rief sich noch einmal den merkwürdigen Verlauf des Qualifikationsspiels gegen Griechenland ins Gedächtnis. Er roch förmlich, dass sich hier eine Story verbarg, die guten Stoff für eine Titelgeschichte liefern konnte. Hier ging es nicht einfach nur um Fußball. Offensichtlich setzten die Italiener einige Hebel in Bewegung, um ihre Weltmeisterschaft zum Erfolg werden zu lassen. Nick musste Vaccaro auf den Fersen bleiben.
Der Verbandspräsident war, wie alle Funktionäre und die italienischen Journalisten, die den Tross begleiteten, im selben Hotel abgestiegen wie Nick. Vielleicht konnte Soriano ja in Erfahrung bringen, wo und wann er Vaccaro finden würde. Er ging zum Concierge und sprach ihn freundlich an. Einige argentinische Pesos später wusste Nick Bescheid. Er erfuhr, dass Vaccaro am Abend in der Confiteria Ideal verabredet war, einem Café, in dessen erster Etage auch Tango getanzt wurde. Nick war gespannt, welchen Tanz Vaccaro heute Abend tanzen würde. Er schaute auf die Uhr. Es war kurz vor zwölf.
In Rom, das der Zeit in Buenos Aires um vier Stunden voraus war, sortierten die Beamten gerade sorgfältig ihre Bleistifte, um pünktlich um vier Uhr ihre Schreibtische zu verlassen. Tagesgespräch in den Büros der Hauptstadt war noch die Volksabstimmung am vergangenen Wochenende. Benito Mussolinis faschistische Partei war mit absoluter Mehrheit im Amt bestätigt worden. Doch nicht das Wahlergebnis, sondern die erstaunlich hohe Effizienz der italienischen Wahlämter gab den Beamten Anlass zu heiterer Diskussion. Denn obwohl am Sonntag 25 Millionen Stimmberechtigte in ganz Italien ihre Stimme abgegeben hatten und sich keiner der römischen Beamten daran erinnern konnte, am Sonntag gearbeitet zu haben, oder einen Kollegen kannte, der dies getan hätte, wurde bereits am Montagmorgen das Ergebnis der Wahl verkündet. In den Amtsstuben nahm man es hin und freute sich auf den Espresso mit den Kollegen in den nahe gelegenen Cafés.
Achille Starace war dagegen weniger guter Laune, trotz des beeindruckenden Wahlergebnisses für seine Partei, das ihn natürlich nicht überraschte. Er hatte sich so diskret, wie es seine Art eben zuließ, durch die Amtsstuben in Rom gefragt, um die Details der ersten geplatzten Bestechung der griechischen Fußballmannschaft in Mailand zu rekonstruieren. Das war nicht so einfach. Denn er war auf sich alleine gestellt, Oberst Briccone war irgendwo auf dem Land unterwegs. Nur wenige Personen waren in die Geldgeschäfte Briccones involviert. Manche derjenigen, die es waren, kannten Starace nicht und wollten zunächst keine Auskunft geben. Andere stellten sich zunächst unwissend. Selbst Briccones unterschriebene Bestätigung, dass man dem Parteisekretär Starace Auskunft auf alle Fragen zu erteilen habe, wirkte nicht immer. Doch am Ende des Tages setzte sich in dem Notizbuch des Parteisekretärs ein Mosaik an Informationen zusammen, das ihn bis zu einem gewissen Punkt den Lauf des Geldes nachvollziehen ließ: Am Tag vor dem Qualifikationsspiel war das Geld in Rom von einem Geldboten von der Banca d’Italia abgeholt worden. Der Geldbote war mit diesem Koffer nach Mailand gefahren, wo er einer Vertrauensperson den Koffer aushändigen sollte. Diese Vertrauensperson hatte Olivio Mela den Koffer zu übergeben. Dann sollte das Geld an einen Griechen namens Costas ausgehändigt werden. Der Name des Boten, der das Geld in Rom abgeholt hatte, lautete Luigi Cantero, er war ein Mitarbeiter aus einem Parteibüro der faschistischen Partei in Florenz. Den Namen der Vertrauensperson, die das Geld in Mailand entgegennehmen sollte, hatte Starace noch nicht herausbekommen können. Briccone konnte er im Moment nicht fragen. Also bestellte Parteisekretär Starace in der Zentrale einen Fahrer mit Wagen und ließ sich nach Florenz fahren. Das erste Mal an diesem Tag lächelte er. Denn eine Fahrt nach Florenz kam ihm grundsätzlich immer gelegen. Der Grund hieß Maria. Sie arbeitete in einem Lokal als Sängerin. Wann immer Achille Starace es einrichten konnte, führten ihn seine Wege dorthin.
Als sich Pater Corello, Bürgermeister Agostino und Filotti am Abend in der kleinen Trattoria trafen, hatten alle drei sehr merkwürdige Erlebnisse hinter sich. Schweigend saßen sie vor ihren Weingläsern. Ab und an nippte Filotti an seinem Wein, Pater Corello kraulte gedankenverloren seinen Hund Benito, der neben ihm auf dem Boden lag. Zwischendurch zog er mit dem Finger auf dem Rand seines Glases immer wieder Runden. Auch Agostino stierte nur vor sich hin. Er hatte sein Weinglas schon längst mit einem ersten großen Schluck geleert. Schließlich war es Pater Corello, der das Schweigen brach.
„Ich muss euch etwas erzählen, Freunde“, begann er. Filotti und Agostino schauten auf. Sie wirkten nicht wirklich überrascht, doch sie waren offensichtlich sehr gespannt.
„Gestern Abend, kurz nachdem wir unseren Herrn Jesus am Kreuz zur Seite geschoben und wir drei uns eigentlich schon voneinander verabschiedet hatten, kam Guido noch einmal zu mir. Er hat mich gefragt, was es kosten würde, das Kirchdach zu sanieren. Ich habe mir erst nichts dabei gedacht und ihm den Preis genannt, den ein fähiger Handwerker wohl nehmen würde. Und dann passierte ein Wunder. Der Herr in all seiner Güte hat in Guido wohl ein Instrument gefunden, uns Gutes zu tun. Denn Guido hat nicht lange überlegt. Er hat in seine Jackentasche gefasst, ein Bündel Geldscheine hervorgezogen und mir die nötige Summe in die Hand gedrückt.“
Pater Corello schaute in die Gesichter seiner Freunde. Deren Staunen war zwar nicht zu übersehen. Doch es war nicht die Art von Staunen, die er erwartet hatte. Kein Kommentar, kein Hallo, keine außergewöhnliche Freude über die großzügige Spende. Corello ahnte, dass da noch mehr war. Die beiden schwiegen.
„Habt ihr gar nichts dazu zu sagen?“, fragte Corello schließlich.
„Doch, doch“, stotterte Filotti. Er zögerte und wand sich sichtlich, erzählte aber schließlich doch vom gestrigen Tag. „Ich habe gesehen, wie Guido dir Geld gegeben hat“, sagte er leise.
Corello und Agostino sahen ihn an.
„Ja, und da bin ich zu ihm hingegangen und habe ihm erzählt, dass ich Probleme habe. Gestern ist der Motor meines Traktors kaputtgegangen. Und ich habe kein Geld, ihn zu reparieren. Ich habe Schulden. Auf meinem Hof lastet eine Hypothek. Da habe ich ihn gefragt, ob er mir vielleicht mit etwas Geld aushelfen könnte“, gestand Filotti.
Corello konnte es kaum fassen. „Und, hat er dir welches gegeben?“ fragte der Priester.
„Ja, er hat es mir nicht nur geliehen, sondern sogar geschenkt“, sagte Filotti.
„Das war aber sehr großzügig von Guido“, sagte Corello.
Er ärgerte sich über Filotti, war aber auch gleichzeitig bestürzt. Nicht nur, weil sein Freund ihn beobachtet hatte und direkt zu Guido hingegangen war, um ihn um Geld zu bitten, sondern weil er auch wusste, dass Filotti nicht nur wegen des Traktors in finanziellen Schwierigkeiten war. Dieser Tölpel hatte sich in eine angeblich außergewöhnlich begabte junge Sängerin in Florenz verliebt, deren Talent aber offensichtlich vor allem darin bestand, sich von Filotti großzügige Geschenke machen zu lassen. Man musste Filotti nicht unbedingt seine Naivität vorwerfen. Doch dass er sich so sehr in Schulden gestürzt hatte, war Corello bis jetzt nicht klar gewesen. Wie verzweifelt musste Filotti gewesen sein, dass er Guido um Geld gefragt hatte. Sein Blick wanderte zu Agostino. Der hielt sich an seinem leeren Glas fest und untersuchte offensichtlich intensiv dessen Verarbeitungsstruktur.
„Gibt es vielleicht etwas, was auch du uns erzählen möchtest?“, fragte Corello höflich nach.
„Ist das hier ein Beichtstuhl?“, entgegnete Agostino schroff.
„Nein, natürlich nicht. Erstens bist du nicht katholisch, zweitens sitzen wir hier in einer Trattoria, drittens hat man in einem Beichtstuhl selten weitere Zeugen wie beispielsweise Filotti hier neben sich. Und der ist noch nicht einmal Priester. Damit wären die formalen Fragen geklärt. Aber vielleicht gibt es ja trotzdem etwas, was du nicht einem Priester, sondern deinen Freunden erzählen willst“, setzte Corello nach.
Agostino schien einen Kratzer auf der Glasoberfläche gefunden zu haben und schabte mit dem Finger daran herum.
„Agostino?“, fragte Corello freundlich.
„Na gut“, setzte Agostino an. „Ich habe auch gesehen, wie Guido dir Geld gegeben hat. Dann habe ich gesehen, wie er Filotti Geld gegeben hat, und dann bin ich zu ihm hingegangen“, erzählte der Bürgermeister.
Filotti und Corello sahen ihn neugierig an.
„Schaut nicht so. Ich war in einer echten Notlage. Ich habe euch ja erzählt, dass in meinem Büro ein gewisser Oberst Briccone saß und Sonderabgaben für die Fußballweltmeisterschaft einziehen wollte. Außerdem hat er gedroht, uns in Zukunft Steuern zahlen zu lassen. Er hat nämlich herausgefunden, dass wir uns die vergangenen Jahre darum gedrückt haben“ erzählte Agostino.
„Piagnolia hat keine Steuern bezahlt?“, fragte Filotti erstaunt nach. Agostino verdrehte die Augen. „Nein, wir haben keine Steuern bezahlt. Ich habe immer dafür gesorgt, dass wir im Finanzministerium in Rom nicht auffallen. Es gibt uns quasi gar nicht. Auf der Steuerlandkarte Italiens existieren wir nicht. Und jetzt steht plötzlich ein uniformierter Sonderbeauftragter des Duce vor meiner Tür und will nicht nur Sonderabgaben eintreiben, sondern droht auch noch, dass er uns den Finanzbehörden melden will“, erzählte Agostino. „Briccone ist natürlich auch klar, dass wir die ausstehenden Beträge für die vergangenen Jahrzehnte niemals würden aufbringen können“, ergänzte der Bürgermeister.
„Jahrzehnte?“, fragte Filotti.
„Naja, dieser Briccone scheint es faustdick hinter den Ohren zu haben. Er hat mir zu verstehen gegeben, dass er gegen eine persönliche Sonderzahlung ohne Quittungsbeleg darüber hinwegsehen würde, das Finanzamt auf die zu fordernde Steuernachzahlung aufmerksam zu machen.“
„Das ist Erpressung und Aufforderung zur Bestechung“, empörte sich Corello.
„Bist du erstaunt? Das ganze Land funktioniert so. Und jetzt tu bloß nicht so, als ob die Kirche davon frei wäre“, entgegnete Agostino und ignorierte Corellos bösen Blick. „Jedenfalls war ich ganz schön in der Klemme. Und als ich gesehen habe, wie Guido einfach so die Lire-Scheine verteilt hat, habe ich mir gedacht, ich könnte ihn auch mal fragen, ob er die Gemeinde in der Not unterstützen will.“
„Und? Wollte er?“, fragten Corello und Filotti fast im Duett. „Guido kennt diesen Oberst Briccone offensichtlich. Als ich den Namen genannt habe, ist er ganz bleich geworden. Da habe ich mir gedacht, ich erzähle ihm vielleicht, dass der Oberst nach ihm gefragt hätte.“
„Der Oberst sucht nach Guido?“, fragte Corello.
„Nein, davon hat er nichts gesagt. Aber es ist ja offensichtlich, dass Guido irgendwelche Geheimnisse hat. Und da dachte ich, wenn Guido glaubt, dass ein italienischer Offizier hinter ihm her ist, gibt er mir vielleicht noch lieber das benötigte Geld, damit ich den Oberst bezahlen kann und er schnell wieder aus Piagnolia verschwindet.“
„Du hast Guido angelogen“, sagte Pater Corello.
„Ja.“
„Hat er dir Geld gegeben?“
„Ja.“
„Du hast damit den Oberst bestochen?“
„Ja.“
Corello seufzte tief und sah Bürgermeister Agostino streng an. „Findest du nicht auch, dass du das dringend irgendwie in Ordnung bringen solltest“, sagte er und legte seine Hand auf Agostinos Schulter. Der nickte stumm. Corello überlegte kurz und dachte über die Frage nach, die bislang noch keiner ausgesprochen hatte. Und doch musste sie allen drei Männern unter den Nägeln brennen. Woher hatte Guido so viel Geld? Hatte er es verdient, beim Wetten gewonnen oder sogar gestohlen? Auf jeden Fall sollten Filotti, Agostino und er ihr Wissen erst einmal für sich behalten. Denn wenn sich herumsprach, dass Guido jedem, der danach fragte, Geld schenkte, würde er sich vor Anfragen kaum noch retten können. Corello wollte erst einmal unter vier Augen mit Guido darüber reden.
„Filotti, Agostino“, setzte er an, „wir sollten das, was wir da gestern …“
Fabio, der Wirt der kleinen Trattoria, trat in diesem Augenblick an den Tisch. Er hatte sich die Szene, die sich da abspielte, eine Weile angesehen. Selten sprachen Männer in seiner Trattoria so leise. Das war sehr, sehr ungewöhnlich und machte ihn neugierig. „Sagt mal, so habe ich euch ja noch nie erlebt. Schmeckt euch mein Wein nicht?“, fragte er.
Pater Corello schaute kurz zu ihm auf und schüttelte den Kopf. Doch Filotti bat ihn, sich an den Tisch zu setzen. „Fabio, kannst du etwas für dich behalten?“, setzte er an.
„Natürlich“, verkündete Fabio, der noch niemals etwas in Piagnolia nicht erfahren hatte und niemals etwas für sich behalten konnte. Pater Corello sah Filotti mit scharfem Blick an und wollte ihm ein Zeichen geben, den Mund zu halten. Er schüttelte ganz leicht den Kopf, doch da war es schon zu spät.
„Guido hat Pater Corello Geld geschenkt, damit er das Dach in der Kirche reparieren kann. Mir hat er Geld gegeben, damit ich den Motor meines Traktors reparieren kann. Und Bürgermeister Agostino hat er mit Geld ausgeholfen, damit wir keine Steuern zahlen“, erzählte Filotti in vertraulichem Flüsterton.
Pater Corello ließ den Kopf sinken.
„Das ist ja wirklich interessant“, sagte Fabio.
Als Nick Soriano in der Confiteria Ideal ankam, waren kaum noch Plätze frei. Das Café war an diesem frühen Abend Treffpunkt für Geschäftsleute aus aller Welt. Argentinische Rinderbarone sowie Handlungsreisende aus Europa und den Vereinigten Staaten unterhielten sich angeregt an den runden Tischen. Die Männer saßen breitbeinig vor ihren Getränken, rauchten kubanische Zigarren und lachten über Anekdoten, die sie sich gegenseitig immer wieder gerne erzählten. Fast nebenbei besprachen sie in der angenehmen Atmosphäre zwischen den antik anmutenden hohen Säulen des Cafés die Lieferungen für den Herbst. Nick hörte, wie in dem Stockwerk oberhalb des Cafés ein Orchester noch einmal ein paar Stücke für den bevorstehenden Tango-Abend probte. Ein Bediensteter nahm ihm seinen Hut und den Mantel ab. Nick musterte die anwesenden Gäste. Vaccaro war offensichtlich noch nicht angekommen. Also ließ sich Soriano zu einem Tisch in der hintersten Ecke des Cafés führen, um die Tür und die Geschehnisse gut im Blick halten zu können. Kaum hatte er sich gesetzt, als er schräg hinter sich einen Schatten wahrnahm. Dort war noch eine Tür, die zu einem anderen Raum führte. Und als er hinsah, konnte er gerade noch sehen, wie ein kleiner Mann mit Nickelbrille die Tür hinter sich zuzog, zu einem der Kellner ging, etwas bestellte und zu der geheimnisvollen Tür zurückging, um sofort wieder in dem Nebenraum zu verschwinden. Nick behielt den Kellner im Blick. Er hatte Glück. Denn genau dieser Ober bediente auch seinen Tisch. Als er kam, um die Bestellung aufzunehmen, schob Nick einige Pesos über die Tischplatte und erfuhr, dass sich dort im Hinterzimmer der italienische, der peruanische, der chilenische, zwei brasilianische und zwei argentinische Fußballpräsidenten getroffen hatten. Wer der Mann mit der Nickelbrille war, wusste der Kellner nicht.