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Puente la Reina, Sonntag, 03.06.2012

Wie es sich für einen Sonntag gehört, ging es heute deutlich später los als sonst. Das lag zum einen daran, dass sie ein Zweibettzimmer hatten und so nicht von anderen Pilgern vor der eigentlichen Aufstehzeit geweckt wurden, zum anderen lag es an ihnen selbst.

Die letzte Nacht hatte beiden wenig Schlaf gebracht. Wie ausgehungerte Wildtiere waren sie, kaum dass sie ihr Refugium für sich hatten, übereinander hergefallen.

Beim späten Frühstück um 08.30 Uhr hatten sie bereits mehrere Höhepunkte des Tages hinter sich. Die meisten in der Nacht am frühen Morgen, aber auch das Begrüßen der Morgensonne war mit erhöhter Hormonausschüttung einhergegangen.

So saßen sie, ohne auch nur einen Kilometer der aktuellen Tagesetappe nach Estella absolviert zu haben, geschafft und abgeschlafft am Frühstückstisch. Ihre seligen Blicke trafen sich unentwegt, jeder für sich war überzeugt, den eigentlichen Sinn des Weges längst begriffen zu haben. Ein Weiterwandern war eigentlich nicht mehr nötig, das Zimmer der letzten Nacht würde für die nächsten Wochen eigentlich reichen.

Schließlich marschierten sie dann doch weiter, einen vorzeitigen Abbruch des Weges wagte keiner zu thematisieren, und auch das Gehen hatte seine Reize. Am anderen Ende von Puente la Reina überquerten sie den Fluss Arga über die berühmte Brücke aus dem 11. Jahrhundert.

Königin Doña Mayor, die Frau des Königs von Pamplona, Sancho el Mayor, hatte sie dem Ort gestiftet und dadurch frühzeitig zu einer besonderen Bedeutung verholfen. Zwei große Jakobswege vereinigen sich ab hier, der navarrische und der aragonesische Weg. Mit dem Gefühl, dass hier alle Symbolik auf ihre persönliche Lebenssituation wie gemalt zutraf, machten sie sich gut gelaunt auf den Weg.

Besonders angetan hatte es ihnen das malerische Bergdorf Cirauqui, das sie nach knapp acht Kilometern erreichten. Der Name klang schon wie Musik, und die malerischen Gassen versprühten einen Charme, der beide in eine fast magische Stimmung versetzte. Hier herrschte das Gefühl, sich außerhalb der normalen menschlichen Wahrnehmungshorizonte zu befinden. Die Verbundenheit mit dem Weg sorgte für einen transzendental anmutenden Eindruck von Paralleluniversum oder Gleichzeitigkeit der verschiedenen Jahrhunderte.

Wie viele Pilger waren diesen Weg durch dieses wundervolle Örtchen nicht schon vor ihnen gegangen? Wie viele würden es noch werden? Und ohne sich zu kennen, schwang mit jedem Schritt die Verbindung zu all diesen Menschen mit. Vor Ehrfurcht ergriffen genossen beide still ihre Gedanken, die auf wundersame Weise schon nach so kurzer Zeit nahezu synchron aufeinander abgestimmt waren.

Einige Kilometer weiter drohte nun doch ein erstes Gewitterwölkchen am Himmel der frischen Liebe aufzuziehen. Sie hatten vor etwa einer halben Stunde das Dorf Lorca passiert, und Samuel hatte Nicola wissen lassen, dass eine Pause im nicht weit entfernten Villatuerta empfehlenswerter sei. Im blinden Vertrauen, dass Samuel schon wisse, was er tue, hatte sie trotz einsetzenden Hungers nachgegeben und war ihm zumindest widerspruchslos gefolgt. Die angekündigte kurze Strecke erwies sich dann aber doch länger als gedacht, ihr Hunger wurde dafür größer als befürchtet.

„Was hast du denn bloß in deinem Reiseführer gelesen?“ Ein leicht vorwurfsvoller Unterton begleitete ihre Frage.

„Es kann nicht mehr weit sein. Vielleicht noch einen knappen Kilometer.“

„Das hast du vor 20 Minuten auch schon mal gesagt. Ich habe dich zum Fressen gern, pass auf, dass ich nicht an dir nasche.“

„Tu dir keinen Zwang an, aber da vorn ist ein großes Partyzelt auf der Wiese, vielleicht kriegen wir da was zum Essen.“

Der 9 mal 9 Meter große weiße Pavillon kam wie aus dem Nichts und wirkte in der Landschaft völlig deplatziert. Wer hatte den denn dort aufgestellt?

„Lass uns mal nachschauen“, forderte er sie auf und marschierte schnurstracks auf das Zelt zu.

„Warte, wir können doch nicht …“

„Papperlapapp, typisch deutsche Beamtin, natürlich können wir“, unterbrach er sie und ging ohne zu zögern weiter. Da die Seitenteile komplett eingehangen waren, war von außen nichts weiter erkennbar und Samuel schritt voran, um ihr den Eingangsvorhang offen zu halten. Immer noch zögernd blickte sie vorsichtig ins Zelt, um sogleich wieder zurückzuschrecken.

„Da ist jemand drin, lass uns gehen.“

„Das will ich doch wohl hoffen“, mit sanfter Gewalt schob er sie ins Zelt.

„Darf ich bitten?“ Er machte nun sogar Anstalten, ihr den Rucksack abzunehmen.

„Samuel, nicht, wir gehören hier doch nicht hin.“

„Für mich sieht es so aus, als hätten sie nur auf uns gewartet.“ Ein Gitarrist spielte himmlisch schöne, romantische, fließend anmutende Melodien, und an den beiden Kopfenden der knapp vier Meter langen Tafel wartete jeweils ein Koch mit einladender Geste. Hinter den Köchen waren eindrucksvoll drapierte, ganz in weiß gehaltene Aufbauten, die der Speisenzubereitung und deren Zwischenlagerung dienten.

„Du hast das hier inszeniert“, begann sie langsam zu begreifen.

„Und deshalb konnten wir auch nicht in Lorca etwas essen.“

„Ich sehe mit Vergnügen, dass dein Verstand inzwischen auch bei uns angekommen ist“, grinste er schelmisch.

„Komm, lass mich dir behilflich sein.“

Galant half er ihr beim Ablegen des Rucksacks, geleitete sie zum einen Ende der Tafel und zog den mit weißer Husse bezogenen Stuhl zurück, damit sie sich setzen konnte.

„Danke, sehr freundlich“, war alles, was sie vor Verwunderung hervorbrachte.

„Champagner?“ Während der für Nicola zuständige Kellner sich schon fürsorglich um ihr Wohlergehen kümmerte, setzte nun auch Samuel seinen Rucksack ab und begab sich zur anderen Seite des Tisches, wo sein Kellner unaufgefordert mit dem Champagnereinschenken begann.“

„Wenn es dir genehm ist, starten wir unser kleines Mahl mit Jakobsmuscheln. Ich denke, das ist hier passend.“

Immer noch vollkommen verblüfft registrierte sie, wie ihr Kellner bereits vorlegte und sich, so gut es eben ging, augenblicklich diskret zurückzog.

„Guten Appetit, lass es dir schmecken.“

„Also die Überraschung ist dir aber wirklich gelungen.“

Nicola startete mit der Bearbeitung der ersten Muschel und hielt augenblicklich inne.

„Ich glaube, da ist sogar eine Perle drin, das gibt’s ja wohl gar nicht“, Nicola wurde von einer Überraschung zur nächsten im Höchsttempo geleitet.

„Und, also ich fasse es nicht, da ist sogar ein Ring dran.“

Jetzt musste sie lachen … und vor Rührung weinen zugleich.

Samuel erhob sich von seinem Stuhl, kam zu ihr herüber, kniete nieder und sagte: „Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als ich mir jemals eine Liebe vorstellen konnte. Werde meine Frau und ich verspreche dir, dass ich dich immer lieben werde und immer für dich da sein werde. In guten wie in schlechten Zeiten!“

Nach einer kurzen Kunstpause, in der Nicola unsicher war, ob sie nun antworten müsse, fuhr er fort: „Du musst dich nicht sofort entscheiden. Also ich weiß natürlich, was dir dein Unterbewusstsein rät, aber eine Antwort erwarte ich nicht sofort.“

Er lächelte verführerisch, aber es klang nicht so, als mache er wieder seine üblichen Witze.

„Nimm dir Zeit, ich werde warten.“

Ein Feuerwerk aus Hormonen aller Klassen und Güte prasselte auf Nicola mit einem Mal ein. Was waren das für unglaubliche zwei Tage? Was für ein wundervoller Mann? Er brachte sie zum Staunen und zum Lachen. Selbst das Weinen tat mit ihm nicht weh.

„Ja, ich will dich heiraten, ich werde deine Frau, ich liebe dich und ich bin verrückt nach dir.“ Nun legte sie eine kleine Pause ein, bedeutete ihm jedoch, dass sie noch etwas zu sagen habe: „Aber bitte lass mir Raum zum Atmen. Du hast mich im Sturm erobert und es geht alles so unglaublich schnell. Ich hoffe, dass du nicht schon für morgen den Priester und die ganze Feiergemeinde eingeladen hast …“

Sie las in seinen Augen. Da war Glück und Dankbarkeit zu sehen, aber auch etwas anderes …

„Du hast doch nicht etwa …?“

Er grinste und fiel ihr ins Wort: „Sie sind alle hier, wir müssen sie nur reinbitten.“

„Waaasss?“ Die Köche erschraken und der Gitarrist hatte Mühe, sein Stück fehlerfrei zu interpretieren.

„Spaß! Nur Spaß!” Er amüsierte sich prächtig und konnte sich vor Lachen kaum halten.

„Natürlich lassen wir uns bei alldem Zeit. Ich wollte nur klarstellen, dass das gestern alles ernst gemeint war.“

Bei diesen Worten ließ sie sich vom Stuhl auf den Boden gleiten, umarmte den immer noch vor ihr knieenden Samuel und küsste ihn leidenschaftlich.

Nach einer Zeit, die den drei Zeltgenossen endlos vorgekommen sein muss, die sie aber professionell erduldeten, half Samuel ihr wieder auf den Stuhl und holte den seinen zu ihrem Tischende heran.

„Du bist unglaublich, das gibt’s doch gar nicht. Vorgestern schien mir alles so schwer, heute habe ich Angst, dass ich abhebe und nie wieder herunterkomme. Apropos: Alles von gestern hast du ernst gemeint?“

„Alles!“

„Aber nicht den Vertrag mit dem Geld, oder?“

„Doch, alles!“

„Ich wollte die Zeit bliebe stehen. Es kommt mir vor, als sei das Paradies zu mir gekommen“, gestand sie und blinzelte durch ihre leicht feuchten Augen.

„Da vermag ich nicht zu helfen, aber es wäre schade, wenn die Zeit stehen bliebe. Schau nur, was die Köche noch alles vorbereitet haben.“

*

Als sie sich am Nachmittag schließlich wieder Richtung Estella aufmachten und sich für das perfekte Arrangement bei den drei Caballeros bedankt hatten, sickerten die großen Emotionen langsam bis zum Verstand durch.

„Wie konntest du das alles in der kurzen Zeit organisieren? Wir waren doch ständig zusammen.“

„Ich hatte Hilfe, wie du sicher schon vermutet hast. Es war in weiten Teilen auch für mich eine Überraschung. Das Einzige, was ich vorgegeben habe, war die Sache mit dem Ring in der Jakobsmuschel. Und klar, ich wusste natürlich, dass ich die Bocadillos von Lorca übertreffen würde. Gut, dass du dich da nicht allzu quengelig angestellt hast.“

„Wie wird das bloß mit uns weitergehen? Ich denke immer: Schnall dich an, sonst fliegst du aus der nächsten Kurve.“

„Ich verspreche, den Fuß vom Gas zu nehmen. Wir haben doch schon die ein oder andere Lektion zusammen gelernt, und das Wichtigste ist doch, dass wir zusammen sind. Gemeinsam werden wir das schon schaffen.“

„Und was stellst du dir als nächste Schritte vor?“

„Heute sind wir ja wieder mal spät dran“, lächelte er verschmitzt. Wir werden erneut echte Probleme bekommen, eine Unterkunft in einer der Herbergen zu finden. Es ist zwar nicht so ganz Jakobswegstil, aber ich habe vorsichtshalber ein schönes Hotelzimmer für uns reservieren lassen. Wir müssen ja heute Abend noch unsere Verlobung feiern. Um also auf deine Frage zurück zu kommen: Ich denke bei noch knapp 8 Kilometern sind die nächsten Schritte vorprogrammiert.“

„Du immer mit deinen Wortspielen“, aber innerlich musste sie zugeben, dass ihr sein Humor gefiel. „Von wegen Verlobung und so. Soll ich die frohe Kunde meiner Familie, also nur Eltern und Schwester mitteilen, oder sollen wir sie erst bei unserer Rückkehr einweihen?“

„Ganz wie du magst. Ich selbst habe niemanden, den ich noch benachrichtigen müsste. Chris und Nancy wissen es bereits, Chris hat sich um die Vorbereitungen gekümmert. Er hat auch den Ring ausgesucht. Wenn du möchtest, kannst du ihn übermorgen kennenlernen. Er war zuvor noch nie in Spanien und wartet in Logroño, wo wir Dienstag eintreffen müssten, auf uns. Passend zum Wechsel der Region von Navarra ins Rioja hat er sich angemeldet. Er schätzt den berühmten Tropfen Rotwein dort sehr.“

„Unbedingt. Ich bin schon ganz neugierig und will so viel wie eben möglich von dir erfahren. Wird er auch mitwandern?“

„Eher nicht – aber guter Witz!“

„Hä?“

„Er hat es nicht so mit Sport und Bewegung. Du weißt doch, er war eher der Danny-DeVito-Typ. Außerdem werden wir ihm einige Hausaufgaben mit auf den Weg geben.“

„Bitte, Samuel, übertreib es nicht. Was für Hausaufgaben?“

„Ist ja schon gut, die Botschaft ist angekommen. Während wir weiter nach Santiago wandern, kann er schon mal ein paar Dinge vorbereiten, die wir ihm von unterwegs auftragen. Vor allem stellt sich uns die Frage, wo wir eigentlich leben wollen. Eine Fernbeziehung ist nämlich keine Option für mich.“

„Das trifft sich aber gut, so sehe ich es auch. Wo werden wir denn leben?“

„Wo möchtest du denn leben?“

„Ich habe die Wahl? Ich habe gedacht, dass deine Arbeit, wie immer sie auch genau aussehen mag, das vorgeben wird.“

„Nur zum Teil. Stand heute müsste ich ein paar Wochen, vielleicht auch Monate pro Jahr in Kalifornien sein und es wäre schön, wenn du und irgendwann dann unsere erhofften Kinder mitkämen. Ob das in ein paar Jahren noch erforderlich sein wird, kann ich nicht sagen. Aber es ist schön dort und es wird dir gefallen.“

„Ist deine Wohnung denn groß genug für unsere Familie oder müssen wir uns was Neues suchen?“

„Auch das kannst du entscheiden. Genug Platz ist auf jeden Fall schon jetzt vorhanden, wenn es dir nicht gefällt, können wir Änderungen vornehmen. Du magst doch Architektur, da kannst du dich prima austoben.“

„Wo genau lebst du denn dort, in der Stadt oder auf dem Land?“

„Ich wohne im Norden von Frisco, keine Ahnung, ob dir das was sagt. Das Stadtviertel nennt sich Pacific Heights und man hat dort eine atemberaubende Aussicht aufs Meer. In der Woche bleibe ich aber meistens im Firmengebäude in Downtown. Ich habe da ein paar Zimmer für den privaten Bereich abgeteilt.“

„Das schaue ich mir auf jeden Fall an, wer würde nicht gern in San Francisco leben … wobei, was ist mit dem großen angekündigten Erdbeben?“

„Es wird kommen, so viel steht mal fest. Ob uns das sorgen sollte? Ich habe wie die meisten anderen das Problem verdrängt. Meine Häuser wurden aber nach den neuesten Standards gebaut oder umgebaut. Ich glaube, dass wir im Falle des Falles gute Überlebenschancen haben. Die Frühwarnsysteme werden auch immer besser, und wenn es hart auf hart kommt, dann hauen wir halt ab.“

„Das werden sich die anderen auch denken, und dann geht im Verkehrschaos nix mehr.“

„Wir kommen weg, keine Sorge.“

„Du meinst natürlich mit dem Hubschrauber oder Privatflugzeug oder so, ne?“

„Genau.“

„Was denn nun, Hubschrauber oder Privatflugzeug?“

„Ich denke, du hast die Reihenfolge gut gewählt.“

„Wusste ich’s doch, du veräppelst mich schon wieder. Aber egal, es macht trotzdem Spaß darüber nachzudenken. Jetzt mal im Ernst: Ist San Francisco etwas, wo wir uns einrichten könnten? Wäre das wohl was für mich?“

Samuel stellte sich ihr plötzlich in den Weg und zwang sie so, ebenfalls stehen zu bleiben. Er nahm ihren Kopf liebevoll in seine Hände und küsste sie mit Leidenschaft und Zärtlichkeit, um schließlich das Ergebnis seines Erkundungsausflugs mitzuteilen: „Ja, es wird dir dort gefallen, ich bin mir ziemlich sicher.“

„Weil ich, also mein Unterbewusstsein, zu dir gesprochen hat?“

„Yes, Mam, so ist es.“

„Schön, dass ich so einen direkten Draht zu mir gefunden habe. Ich bin stolz auf die Schritte meiner Selbsterkenntnis.“

„Prima, dann hätten wir das ja geklärt.“

„Langsam, immer schön langsam. Das haben wir doch schon vorhin besprochen. Ich komme bei deinem Tempo sonst nicht mit. Bis jetzt haben wir ja nur von Wochen oder Monaten gesprochen, wo leben wir denn in der übrigen Zeit?“

„Also in Deutschland bin ich nicht so gut aufgestellt. Ich habe da nur ein Haus in Hamburg im Angebot, plane aber einige Firmenerweiterungen in anderen Bundesländern. Wenn dir da etwas Konkretes vorschwebt, können wir Chris gleich Dienstag auf die Suche schicken.“

„Wie wäre es mit Düsseldorf, meiner Heimat?“

„Hatte ich ohnehin schon im Visier. Gerade für meine Unternehmen eine interessante Perspektive.“

„Also mein Traum wäre eine dieser schönen Altstadtvillen in Meerbusch auf der anderen Rheinseite, natürlich mit Blick auf den Rhein und mit schönem großen Garten. Wir müssen natürlich aufpassen, dass wir hoch genug liegen, wegen des Rheinhochwassers, ist ja klar.“

„Ich bin begeistert, wie sie euch deutsche Beamte auf alle Eventualitäten und möglichen Fallstricke des Lebens vorbereiten. Erdbeben, Hochwasser, nur gut, dass Deutschland keine Vulkanausbrüche oder Tsunamis zu befürchten hat.“

Köstlich, wie er ihre Ideen, kaum dass sie ausgesprochen waren, mit entwaffnender Ehrlichkeit aufgriff, die Nicola zu diesem Zeitpunkt aber unmöglich als wahr begreifen konnte.

„Mach dich ruhig lustig über mich, das mit dem Hochwasser ist schon häufig passiert.“

„Gut, wir werden das bei der Auswahl der Immobilie berücksichtigen.“

„Schön. Ich wäre dann nah bei meinen Eltern und du bei deinen zukünftigen Schwiegereltern, mit denen wir ja gerade die Lebensplanung begannen. Also, was meinst du: Soll ich sie anrufen, eine Karte schicken oder nehme ich dich beim Rückflug von Santiago einfach als Handgepäck mit und stelle dich als Überraschungsgast vor, der mir schon in Pamplona zugelaufen ist?“

„Das liegt ganz bei dir. Mal gesetzt den Fall, wir flögen von Santiago gemeinsam nach Deutschland. Ist denn in deinem Kinderzimmer überhaupt Platz für den Zugelaufenen?“

„Ne, das müssen wir natürlich schleunigst ändern. Wir haben da auch nur ein Bad, und es ist bei den Dingen, die wir zur Stabilisierung unserer frischen Partnerschaft doch regelmäßig pflegen sollten, eher ungeeignet.“

Nach einer kurzen, grüblerischen Pause erlebte Nicola ihr Heureka.

„Ah, jetzt begreife ich, welche Art Hausaufgaben wir Chris mit auf den Weg geben. Also die Sache mit Meerbusch sollte wohl kein Problem sein. Vielleicht hat er die ersten Exposés schon bis Burgos oder Leon. Wir könnten dann auf dem Weg die Details klären, und wenn wir aus Santiago zurück sind, ist alles für uns bereitet.“

„Einverstanden, hört sich für mich überzeugend an.“

Nicola lachte. Egal wie dick sie auftrug, er spielte einfach mit und tat so, als gäbe es in seiner Welt keine Limits.

„So schön es auch ist, mit dir zu träumen, lass uns mal einen Gang runterschalten und der Realität ins Auge blicken. Wie denkst du könnte es nach Santiago, wenn wir beide fit bleiben und ankommen, mit uns weiter gehen?“

„Wenn wir da sind, holen wir uns erst mal die Compostela, die Pilgerurkunde, die formell dokumentiert, dass wir den Weg erfolgreich absolviert haben. Wir sind dann, was mir in unser beider Leben durchaus attraktiv erscheint, von unseren Sünden befreit.“

Samuel musste bei dem Gedanken lächeln. Er selbst bezeichnete sich zwar als gläubigen Protestanten und hatte von Nicola schon erfahren, dass sie leidlich praktizierende Katholikin ist, die Sündenvergebung war dann aber doch eine Nummer zu groß für ihn. Dies galt umso mehr, als er den Hauptlotteriegewinn des Lebens fröhlich wandernd neben sich hatte. Da bedurfte es nun wirklich keiner weiteren Motivation zu so etwas Profanem wie einem Sündenerlass. Um da auch gleich für Klarheit zu sorgen, setzte er nach: „Allerdings wird die Sündenproblematik wieder zügig in unser Leben zurückkehren.“

„Wieso das?“

„Weil ich gedenke, die Ankunft am Ziel mit besonders gutem Sex in besonders guter Umgebung zu feiern. Entweder würden wir uns dann im Parador, dem berühmten Fünf-Sterne-Palast neben der Kathedrale von Santiago, ruckzuck versündigen oder wir müssten es so drehen, dass wir vor dem Ausstellen der Compostela noch schnell in der Kathedrale heiraten. Dann wäre die Sache mit dem Sex durch die Kirche abgesegnet und legitimiert.

Wie wir uns auch immer entscheiden, und ich habe schon verstanden, dass ich es mit dem Tempo nicht übertreiben soll, es gibt noch viel zu besprechen. Die Nebensächlichkeiten, wo wir danach wohnen werden, haben wir ja zumindest schon gedanklich geklärt. Bleibt nur zu hoffen, dass Chris in Meerbusch Erfolg hat.“

„Es ist eh schon zu warm und ich bin vom vielen Essen, Wandern und Denken irgendwie überfordert. Lass uns das morgen noch mal besprechen. Ob ich meine Familie informiere, entscheide ich auch morgen, im Moment bin ich zu müde dazu und was haben wir gerade gesehen? Noch drei Kilometer? Waren es eben nicht mal nur noch zwei oder haben wir uns verlaufen?“

„Ich war so in unser Gespräch vertieft, da habe ich gar nicht so genau auf die gelben Pfeile geachtet. Aber drei Kilometer, das schaffen wir doch noch, oder?

Rich Sam – Fassadenpoker

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