Читать книгу Tagträume: Die ersten Erzählungen - Matz Riga - Страница 9
ОглавлениеRigaland oder: Aus dem Leben eines Reichsbürgers
Macht. Reichtum. Erfolg. Schon als kleiner Junge wollte ich Kohl werden. Heute weiß ich, das heißt Bundeskanzler. Und wir leben in einer Demokratie, der Leiter der Regierung (Stand 2019: Merkel) muss seine Macht mit dem Parlament teilen bzw. sich durch dieses wählen lassen. Und vom Bundesverfassungsgericht kann auch jederzeit eine Klatsche kommen, wenn die Gesetze nicht verfassungsgemäß ausgearbeitet sind. Wir kommen mit der Politik einfach nicht vorwärts, immerhin sind ein Drittel aller Wähler Rentner und Pensionäre. Da müssen wir uns kein bisschen über den Armutsbericht wundern, nötige Sozialreformen werden durch die Angst vor der alten Garde, welche ihre Lebensleistung vollbracht hat, verhindert. Was wir wirklich in Deutschland brauchen, ist ein wohlwollender Diktator. So einer wie Putin oder Erdogan, nur müsste der sich an die Werte des Grundgesetzes halten. Da gibt es nur einen: mich!
Also auf zur Machtergreifung! Nur wie? Ich könnte eine Partei infiltrieren, z. B. die AfD. Aber dann müsste ich mich hocharbeiten, das dauert zu lange, Deutschland braucht mich jetzt, in diesem Moment. Und buckeln sowie anbiedern liegt mir nicht. Ich bin schließlich eine Autorität, die haben sich vor mir zu beugen!
Ich könnte alternativ eine eigene Partei gründen, die DfD. Diktatur für Deutschland. Motto: Germany first, Deutschland zuerst. Die müsste dann allerdings angemeldet werden, ich bräuchte willige Mitstreiter, Unterschriften müssen gesammelt werden für eine Zulassung zur Bundes- oder Landtagswahl. Das ist alles wieder viel zu viel Arbeit, es muss einfach schneller gehen! Es bleibt nur eine Lösung: ein Putsch muss her! Eine Militärdiktatur wäre in der Lage, die Demokratie zu retten. Als oberster General und Präsident auf Lebenszeit würde ich sicher gut aussehen. Ich würde wie Fidel Castro immer eine Uniform tragen, und als Zeichen der Wehrhaftigkeit unserer neuen Republik stets eine Desert Eagle mit mir führen. Für einen Marsch auf Berlin fehlen mir jedoch die Menschenmassen, ein Aufruf bei Facebook führte gerade mal zu einem Flashmob mit 23 Mitstreitern. Ich muss also klein anfangen, ganz klein wohlgemerkt. Ich werde auf meinem Grundstück Rigaland ausrufen, und von hier aus erst die Gemeinde, dann den Kreis Coesfeld, dann Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Europa und zuletzt die ganze Welte unterwerfen! Es ist nur zu ihrem besten.
Der Ausweis, der eigene Führerschein und sonstige Dokumente sind schnell erstellt. Die Fahne ist gelb-hellgrün, zwei Querstreifen mit einem roten Pferd in der Mitte, ein kleiner Gruß an Westfalen.
Alles dufte. Ich steige aufs Dach und hisse meine Flagge. „Heute dieses Haus, morgen die ganze Welt!“, rufe ich lauthals.
„Herr Riga, hören sie auf zu saufen, nehmen sie ihre Pillen und zahlen sie endlich ihre Miete!“, schallt es von unten aus der Wohnung meines Vermieters. Stimmt, ist ja gar nicht mein Haus. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, irgendetwas Entscheidendes übersehen zu haben. Übernahme gescheitert.
Ich beschließe daher, reich zu werden und mit Hilfe meiner Lobbyisten die Geschicke der EU und anderer Regierungen aus dem Hintergrund zu lenken. Man muss nicht immer in erster Reihe stehen, wichtig ist nur die Fäden in der Hand zu halten. Networking nennt man das. Möchten sie vielleicht meine Karte?
Bei der Lektüre dieser Geschichte könnte man dich für einen Rechten halten. Löschen.
„Das Ding ist reine Ironie und bleibt stehen. Übrigens bin ich realo-linksgrünversifft.“