Читать книгу TANZFLUR MASTER - Mave O'Rick - Страница 4

02 ING! ONG!

Оглавление

live Samstagabend, 22.11.2014 – 23:37 Uhr

Ding! Dong!“ macht es an der Tür vom „Ing! Ong!“, als ich die Klingel am Eingang drücke. Boritz sprach mir gerade auf die Mailbox, dass er später komme, also gehe ich einfach schon mal alleine hinein und checke die Stimmung.

Das „Ing! Ong!“ ist der Club, in dem wir regelmäßig unsere Samstagnacht verbringen. Es ist teilweise wie eine kleine Familie, denn man kommt dort nur hinein, wenn man den Türsteher kennt oder mit jemandem dort aufschlägt, der den Türsteher kennt, und selbst das ist dann noch keine Garantie, hinein zu kommen. Es gab nur ganz seltene Fälle, dass jemand neu und ohne Connection sein Glück versuchte und dann doch von Piotr den Eintritt ermöglicht bekam, der letzte Fall dürfte wohl ich selbst gewesen sein.

Piotr kommt aus Polen und ist seit vier Jahren der Türsteher vom „Ing! Ong!“. Auf den ersten Blick wirkt Piotr aufgrund seiner Größe von nur 1,72 m nicht besonders durchsetzungsfähig oder gar angsteinflößend, aber wenn man weiß, dass er erhebliche Talente und Kenntnisse in sechs verschiedenen Kampfsportarten hat, einen Waffenschein besitzt und in vier Jahren 17 Menschen krankenhausreif geprügelt hat, dann überlegt man es sich zweimal, bevor man an der Tür vom „Ing! Ong!“ rumpöbelt oder gar Piotrs Anweisung missachtet.

Mein klarer Vorteil in Sachen Türpolitik des „Ing! Ong!“ besteht darin, dass ich einen riesigen Stein im Brett bei Piotr habe, was wohl daran liegt, dass ich ein riesiges Schwein im Bett bei Piotr bin. Drogen machen interessante Sachen mit einem Menschen, und ab einem gewissen Punkt des Drogenexzesses ist es vollkommen egal, ob dir nun eine Tunte oder eine Bitch einen bläst. Piotr ist bedingungslos in mich verschossen, bei ihm war es Liebe auf den ersten Blick und so komme ich mittlerweile umsonst in den Laden. Dafür darf er mir ab und an den Verstand aus dem Schwanz blasen, ich finde, das ist ein fairer Deal.

Das kleine Türfenster auf Kopfhöhe von Piotr geht auf, er sieht mich an, und das ehrliche Lächeln bringt eine irgendwie schizophrene Sanftheit in sein ansonsten sehr hartes slawisches Gesicht. Die Tür geht auf und ich trete ins Foyer, Piotr würde mir sicher am liebsten einen Kuss geben, aber keiner weiß, dass Piotr eine Tunte ist, zumindest gehe ich davon aus, dass das keiner weiß, und so ist ihm das sicher zu riskant. Mir wäre das ja total egal, wenn er mich begrüßte wie ein aufgeregtes pubertierendes Mädchen, denn ich weiß überhaupt nicht so genau, was ich wirklich bin, und ich denke darüber auch nicht nach, denn ich habe in diversen vollkommen übertriebenen Drogennächten alles gebumst, was zwei Beine hat, und mich würde es nicht wundern, wenn es in dem einen oder anderen Fall auch mal vier gewesen wären.

Statt mir mit einem vorgetäuscht männlichen Handschlag Hallo zu sagen, wie das sonst so seine Art ist, nutzt Piotr die Gunst der Stunde meines alleinigen Erscheinens und begrüßt mich mit einem zielsicheren Griff zwischen meine Beine, denn auch Renate von der Kasse ist gerade nicht am Platz. Es scheint noch nicht so viel los zu sein, denn neben Piotr und mir befindet sich im Eingangsbereich nichts außer gähnender Leere, und so ergreift er seine Chance, mir unmissverständliche Avancen für die Nacht zu machen.

Eine Garderobe gibt es nicht. Wer eine Jacke mitbringt, schmeißt sie einfach in die Ecke rechts neben der Eingangstür, 90 % der Gäste kommen eh ohne Jacke. Der Mix aus Drogen, den die meisten Clubbesucher hier intus haben, verhindert sowieso jegliches Empfinden für die eigene tatsächliche Körpertemperatur und die klimatischen Begebenheiten draußen. Am Ende der Party gehen alle nackter nach Hause, als sie kamen, und wer dennoch Angst hat, sich auf dem Weg nach Hause den Tod zu holen, greift eine der paar Jacken ab, die in der Ecke rechts neben dem Eingang bereit liegen. So ist es übrigens dazu gekommen, dass ich im Laufe der letzten Jahre eine beachtliche Sammlung von Jacken vorweisen kann – mit Jacken, die mir gar nicht gehören.

Ansonsten gibt es im Foyer nur noch die Kasse mit der eben erwähnten, 68-jährigen Clubbesitzerin Renate, einen Bildschirm, der live das Geschehen auf der Tanzfläche überträgt, eine Tür zu den Toiletten und den Eingang in den Club in Form eines ca. zehn Meter langen, leicht abfallenden Ganges.

Renate ist die unangefochtene Königin und Mutter des Nachtlebens dieser Stadt. Sie ist eine unglaublich herzliche und warme ältere Dame, die zugleich härter und kompromissloser sein kann als ein Profi-Boxer. Ist sie einem wohl gesonnen, so hat man ein leichtes Leben, wenn sie einen nicht mag, dann kann man sich eigentlich sofort eine neue Stadt suchen.

Der Bildschirm im Foyer und die dazugehörige Kamera im Club hat Piotr einbauen lassen, um jederzeit die Situation im gesamten „Ing! Ong!“ unter Kontrolle zu haben. Ich glaube allerdings, dass er das nur hat installieren lassen, um mich zu beobachten. Man nennt Boritz und mich hier die Tanzflur-Master, weil wir in der Regel den kompletten Clubaufenthalt auf der Tanzfläche verbringen, und so hat Piotr immer die Möglichkeit, mich, seinen Schwarm, zu stalken. Mir macht das keine Angst, ich finde das im Gegenteil sogar sehr schmeichelhaft und es macht mich etwas geil.

Der Gang ist auch gerade wie ausgestorben, ich bin aber auch selten so früh im „Ing! Ong!“. Ich hatte etwas Angst, dass die Drogen zu wirken anfangen, bevor ich hier bin, und bei all dem Scheiß, der sich bereits in meinem Körper darauf vorbereitet, Fasching zu feiern, war das sicher auch eine gute Entscheidung. Nur leider ist der Club gerade echt ein Trauerspiel. Die Musik, die aus dem Club in den Gang ballert, ist irgendwie auch noch nicht so das, worauf ich gerade Bock habe. Aber egal, kommt die Droge, dann kommt die Stimmung.

Der Gang ist von allen Seiten mit diesen Metallplatten verkleidet, die man von den Seitenzugängen bei Karussellen und beim Autoscooter auf der Kirmes kennt. Die Bässe der Elektromucke lassen die Bleche im Sekundentakt krachen, so dass dieser Gang tatsächlich wie der Vorhof zur Hölle erscheint. Beleuchtet wird er nur durch ein paar Schwarzlichtbirnen, die Schuppen und Sperma auf dunkler Kleidung immer ganz besonders hübsch ins rechte Licht setzen, und von Letzterem fließt hier auch im Gang in besonders exzessiven Nächten einiges.

Im Club selber sind tatsächlich noch nicht mehr als ein Dutzend Bitches, die ich zwar vom Sehen her kenne, aber ich muss mir jetzt wirklich keinen aufgezwungenen Small-Talk geben und umgehe jegliche Anzeichen, an einer sozialen Interaktion Interesse zu haben. Der DJ versaut gerade einen Übergang aufs Derbste und ich frage mich, ob es an meinem noch sehr klaren Zustand liegt, dass mir der Club und der DJ so mies vorkommen, oder ob das objektiv immer so ist. Drei Lines Koks machen eben noch keinen Sommer und die Wirkung der Pillen hat noch nicht eingesetzt.

Der Club an sich ist recht schnell beschrieben. Um die quadratische Tanzfläche herum gibt es vom Höllengang her kommend an der linken und gegenüberliegenden Seite Amphitheater-ähnliche Sitzbänke mit jeweils drei Reihen nach oben und rechts von der Tanzfläche ist die Bar.

Diese ist echt sehenswert, denn der Tresen ist gleichzeitig ein großes Aquarium mit allerlei Sorten von bunten Fischen. Ich bin mir sicher, dass dies zwar Tierquälerei ist und irgendein Tierschutzverein hier längst eine großangelegte Befreiungsaktion plant, aber für mein Verständnis geht es den Viechern ganz gut. Ich habe das Gefühl, dass die Fische schneller schwimmen als Fische in natürlicher Wohnzimmerumgebung, denn sicher hat irgendein Clubbesucher das Wasser mal mit „G“ verfeinert. „G“ wird auch Liquid Ecstasy genannt, also perfekt für einen fischvollen Unterwassertrip. Auf mich hat die Bar immer eine sehr beruhigende Wirkung, gerade dann, wenn der ganze Mix an Lines, Pillen und Co. in meinem Schädel zu laut Synapsen-Fasching feiert. Und so geht es vielen hier, einige der Clubbesucher hatten mit den schuppigen Partyfischen die besten Konversationen ihres Lebens – wie ich weiß, da ich daneben gesessen und ganz gebannt zugehört habe, was die Fische so an Tipps und Ratschlägen von sich geben.

Rechts neben der therapeutischen Bar geht eine Wendeltreppe in den Keller. Dort gibt es einen kleinen Darkroom aus früheren Zeiten, als der Laden noch „Pink Pussy“ hieß und lediglich für Schwule zugänglich war. Da dieser immer dunkel ist, erklärt es sich von alleine, dass ich die Details dieser Lokalität mal nicht so ausführlich beschreibe.

Das „Ing! Ong!“ ist zwar ein gemischter Laden, sprich Heten und Homos verkehren hier gleichermaßen, und es gibt keine Grenzen an sexueller Vielfalt von Gästen und Besuchern, doch am Ende bumst hier alles kreuz und quer und durcheinander, jeder jeden, und ein Darkroom ist eigentlich unnötig. Hier stört sich keiner daran, wenn im Gang, auf der Tanzfläche, im Foyer oder auf den Sitzreihen gefickt wird, oder irgendwer irgendwem alle möglichen Gegenstände in diverse Körperöffnung einführt. Aber für die feine Gesellschaft, die gerne im Dunkeln bumst, hat die Clubbesitzerin Renate das Loch halt einfach da gelassen, wo es immer war, und für die Hässlichen oder Verklemmten erfüllt der Darkroom dann auch ab und an seinen Zweck.

Mein Blick geht auf die Tanzfläche, die einfach nur aus Betonplatten besteht, ich nenne sie Tanzflur. Hier und da ein kleines Schlagloch, und am Ende einer jeden Party ist der Tanzflur übersät mit Unmengen an Kippen, Joints, Glasscherben und allerlei Dingen, die man in freier Wildbahn nicht zu sehen bekäme.

Man nennt Boritz und mich wie schon gesagt die Tanzflur-Master, da wir nicht nur die ganze Nacht auf dieser verbringen, sondern dort auch immer unsere selbstdarstellerischen Shows abziehen. Wir teilen den gleichen niveaulosen, beleidigenden und vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Humor, und das spiegelt sich irgendwie auch immer in dem Benehmen auf dem Tanzflur wieder, zumal wir on top auch noch beide hervorragende Tänzer sind.

Vor ca. einem Jahr hatten Boritz und ich eine kleine Choreographie entwickelt, die eine Schlägerei simuliert. Wenn ich mit der rechten Faust in sicherem Abstand in Richtung seines Gesichtes schlage, dreht Boritz sich elegant weg, tanzt einen kleinen Kreis und kehrt nach drei bis vier Schritten wieder in die Ausgangposition zurück. Dies geschieht natürlich alles im Takt der Mucke. Zurück am Platz holt Boritz mit seiner linken Faust aus und alles geht rollenverkehrt seinen Weg wie beschrieben. Im Laufe der allwöchentlichen Partynächte kamen so viele Moves, Kicks, Tritte, Schläge und Schritte dazu, dass wir mittlerweile eine dreiminütige Elektrodance-Schlägerei aufs Parkett zimmern können, mit der wir jede Staffel einer Talent-Casting-Show locker gewinnen würden.

Vor zwei Monaten haben wir diese Elektrodance-Schlägerei zum vorerst letzten Mal performt. Jeder im Club hatte im Laufe der Monate diese spektakuläre Show bereits gesehen und wusste, dass es gesünder für ihn oder sie sein dürfte, für diese drei Minuten den Tanzflur großräumig zu meiden. Zu ausschweifend und gespielt brutal war dieses Spektakel mittlerweile geworden, aber auch zu sehenswert.

Eine Bitch namens Vera war an diesem Abend vor zwei Monaten das erste Mal im „Ing! Ong!“ und wahrscheinlich auch zum letzten Mal. Vera hatte logischerweise unsere berühmt-berüchtigte Show nie zuvor gesehen und war sich der Gefahr, als sie auf dem kürzesten Weg zur Bar die Mitte der Tanzfläche überqueren wollte, nicht bewusst. Ich befand mich gerade in einer fünf Schritte umfassenden Runde mit dem Rücken zu Boritz, nachdem ich einen rechten Haken von Boritz krachend entgegengenommen hatte. Der kommende Move sah vor, dass ich noch in der Drehbewegung zum Gegner mit einer temporeich geschwungenen Linken Boritz zu Boden strecke, indem er im hohen Bogen nach hinten fliegt, sich durch eine gekonnte Schraube in der Luft dreht und sich mit den Händen zuerst der Körperlänge nach elegant auf dem Betonboden abrollt. Vera konnte nichts davon und fiel wie ein nasser Sack, ohne Schraube und vor allem ohne elegantes Abrollen, mit dem Rücken zuerst auf den Tanzflur. Ich hatte soeben den härtesten linken Haken meines Lebens in Veras Gesicht versenkt und somit angefangen, Frauen zu schlagen.

Boritz und ich haben unangemessenerweise erst gekotzt vor Lachen, zu perplex, überraschend und unerwartet war dieser K.O. in Veras „Runde 1“. Zugeballert mit Koks und Pillen fiel auch in den nächsten Sekunden und Minuten unser Mitgefühl für Vera nicht gerade groß aus, und bevor es zu einem unüberschaubaren Handgemenge zwischen Veras Freundinnen und den Tanzflur-Mastern kommen konnte, ging auch schon Piotr zwischen die zwei Fraktionen, der das ganze Programm ja am Bildschirm im Foyer aus der ersten Reihe beobachten konnte.

Auch wenn Piotr wusste, dass es mein linker Haken war, der Vera ein massiv blaues Auge und vier Tage Kopfschmerzen verabreicht hatte, sorgte Piotr für die einzig richtige Lösung und schmiss Vera mit all ihren Freundinnen mit folgenden Worten aus dem Club: „Lasst Ihr Euch hier noch einmal blicken, gibt es von mir noch eins aufs andere Auge.“ In jener Nacht durfte Piotr mir zweimal den Schwanz lutschen, das war ich ihm schuldig.

Ein zweiter denkwürdiger Moment auf dem Beton-Tanzflur des „Ing! Ong!“ liegt schon etwas länger zurück, aber er war nicht weniger großartig als Veras kurzer Gastauftritt.

Boritz und ich haben die lästige Angewohnheit, die Leistung des anderen toppen zu müssen; wir sind ehrgeizig und besserwisserisch und können nicht verlieren. Nehme ich vier Ecstasy, nimmt Boritz fünf, zieht er zwei Lines, ziehe ich zur Vorsicht gleich vier. Diese unangenehmen Charaktereigenschaften erklären nicht nur unseren übertriebenen Drogenkonsum, sondern auch die folgende kurze Anekdote.

Mir ist die gottgegebene Gabe zuteilgeworden, dass ich aus dem Tanzen heraus mit der rechten Hand meinen linken Fuß festhalten kann, um dann mit dem rechten noch am Boden stehenden Bein über den linken Fuß durch den rechten Arm springen zu können, um dann cool weiter zu tanzen. Das hört sich kompliziert an, ist es aber nicht und sieht verdammt lässig aus. Boritz war stets neidisch auf diesen Move, aber ihn einfach nur nachzumachen, wäre unter seiner Würde gewesen. Stattdessen musste diese Sache getoppt werden, und so erinnerte er sich an eines seiner Lieblingsmusikvideos. In diesem rannte ein Tänzer auf eine Hauswand zu, lief diese mit zwei bis drei Schritten hoch, um sich dann mit Kraft nach hinten abzustoßen und nach einem Rückwärtssalto auf beiden Beinen landend weiter zu tanzen. So die Theorie.

Nach einem abermaligen erfolgreichen Durch-die-Beine-Springen von mir hatte Boritz die Schnauze voll. Er nutzte die Gunst der Stunde und rannte mit voller Energie auf die Wand neben dem Eingang zum Höllengang am Anfang des Tanzflurs zu, um all das im Video Gesehene spektakulär in die Tat umzusetzen. Boritz hatte neben Koks, Pillen und etwas „G“ auch zu viel Wodka Red-Bull gesoffen und sprang einfach gegen die Wand. Es folgten weder zwei bis drei Schritte nach oben auf dem Weg zum Sieg gegen meine Wenigkeit, noch gab es einen Rückwärtssalto oder ein coole Landung. Was folgte war ein dumpfer Schlag auf den Betonboden und ein unbeweglicher Boritz, der wimmernd zugab, dass ich diese Runde wohl gewonnen habe.

Diese Nacht endete für Boritz unter Einnahme von schmerzlindernden Drogen, dieses Mal ärztlich verabreicht, in der Notaufnahme des Krankenhauses St. Katharina mit einer Gehirnerschütterung, einer Stauchung der Wirbelsäule und mehreren Blutergüssen an Ober- und Unterkörper.

Meine Nacht endete mit zwei portugiesischen Latinas namens Carmen und Olivera, die ich nach nicht zu verachtenden Mengen an Crystal Meth und zwei bis drei Viagras mit einer immer wunder werdenden Eichel acht Stunden in den Himmel vögelte.

Boritz hat seit diesem Abend nie wieder versucht, mein Durch-die-Beine-Springen zu toppen, und wo ich gerade vom Teufel spreche, steht er auf einmal vor mir mit einem Glas Wodka Red-Bull in der Hand. Ich begrüße ihn mit: „Ey, dislike Alter, da bist du ja endlich.“

TANZFLUR MASTER

Подняться наверх