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04 SWAGGERS ... WAS GEHT?

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live Sonntagmorgen, 23.11.2014 – 00:04 Uhr

Ich werde ihn auslachen. Ich werde Boritz so derbe auslachen, ich werde nie wieder aufhören, ihn auszulachen, aber davor muss ich dringend kurz aufs Klo, pissen.

Die drei Meter bis zur Klotür sind die befriedigendsten Meter meines Lebens, das Grinsen könnte mir kein Boxer dieser Welt aus dem Gesicht zimmern, denn ich habe gewonnen, ich habe Boritz nach allen Regeln der Kunst geschlagen, ihn vernichtet, den Endsieg errungen und nach ganz großem Tennis mit 7:5 im fünften Satz den Pokal in die Höhe gestreckt. Boritz Schultze imitiert meinen Move, das Spiel ist aus, ich habe es gesehen und mein Antlitz hängt auf ewig in der Sieger-Galerie des Universums.

Auf dem Klo stehen bereits zwei „Swaggers“ an den Pissoirs, und ich könnte neben meiner Freude über Boritz Niederlage direkt über diese zwei Hampelmänner weiterlachen. Ein Swagger ist eine Gattung Mensch, die ich einfach nur verachte. Bei diesen Idioten kommt alles zusammen, wofür ich Gott hassen könnte, wenn es ihn denn gäbe. Swaggers sind, kurz gesagt, dumm und prollig, haben keine Ahnung von der Welt, treten immer im Rudel auf und sind auch nur in diesem „Auflauf von Zurückgebliebenen“ so unglaublich „swag“, laut und überheblich, wie sie eben sind. Privat und in Wahrheit sind es komplexbeladene, arme Würstchen, deren Selbstvertrauen tief im Keller steckt und die eine Frau nur dann abbekommen, wenn diese stockbesoffen kotzend im Busch liegt und auf einen Namen wie Chantalle-Shakira hört.

Swaggers stehen mit Vorliebe in den Großraum-Discotheken dieser Nation die ganze verschissene Nacht an der Bar oder am Rand der Tanzfläche und machen sich über jene lustig, die von allen anerkannt gut tanzen oder einfach freigeistlich mutig das machen, was ihnen die Droge gerade zu tun vorgibt. So kompensiert der Swagger seinen komplexbeladenen Frust und projiziert ihn auf das Objekt, das er selber gerne wäre, denn weder kann er selber tanzen, noch besitzt er Taktgefühl, Stil oder irgendetwas, für das sich zu leben lohnt.

Swaggers haben auch alle den gleichen Kleidungsstil. Sie tragen die Base-Cap, wenn sie eine tragen, noch rückwärts, haben Polo-Shirts mit Seiten- oder Längsstreifen an, dazu eine normale blaue Jeans und schwarze Lederschuhe, die ich nicht einmal zu meiner Konfirmation getragen hätte. Die etwas besser situierte Variante des Swaggers stellt dazu noch den Kragen des Polo-Shirts auf und wählt die FDP.

Und genau zwei Exemplare von diesen Doktorsöhnchen stehen nun also neben mir am Pissoir. Beide haben einen größeren Schwanz als ich, was auf jeden Fall unfair ist, denn diese beiden Fachidioten hätte ich gar nicht erst ins Leben gelassen und schon gar nicht ins „Ing! Ong!“. Aber Piotr kennt Gott und die Welt und es lässt sich nicht ändern, dass auch in dieser abgefuckten Bude so spießige Spastis rumlungern und versuchen, einen Fick zu ergattern. Leider gibt es halt auch die passenden „Swaggerinnen“ dazu, aber um diese einzigartige Bratzigkeit auch noch zu beschreiben, bräuchte ich irgendeine Droge, die mich beruhigt, und dafür ist es definitiv noch zu früh am Tag.

Und als hätte ich es nicht geahnt, beweisen sie mit einem Satz und einer Geste direkt das Klischee, denn Swagger A hält Swagger B die rechte Hand vor die Nase und sagt: „Alter, riech mal hier, die hatte ich eben noch in Lisas Muschi.“ – woraufhin Swagger B nur blöde lacht.

Ich bin fassungslos, denn wahrscheinlich kennt Swagger B wirklich nicht den Geruch einer Fotze, und Swagger A hatte gerade das erste Mal in seinem Leben seine Finger in der feuchten Möse irgendeiner Swaggerin oder halt in einer kotzenden Chantalle-Shakira. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Swagger B gerade den uringetränkten Geruch von Swagger As Pimmel einatmete, denn diesen hielt Swagger A ja noch, kurz bevor er seine rechte Hand Swagger B unter die Nase gerieben hat. Lecker.

Und so sind wirklich nur „swagge“ Idioten drauf. Nicht dass Boritz und ich den Geruch einer frisch angefeuchteten Muschi nicht zu schätzen wüssten, aber keiner von uns käme auf die Idee, so prollverseucht dämliche Sprüche oder Aktionen zu bringen. Wir fingern, genießen und schweigen.

Ich folge den Swaggers aus der Toilette durch den Gang in den Club, und natürlich stellen die beiden sich an den Rand des Tanzflurs mit einem Bier in der Hand und fangen an, sich mehr oder weniger auffällig über Boritz zu amüsieren.

Boritz tanzt wirklich gut, nichts wirkt wie aufgesetzt, durchdacht oder gar einstudiert. Ich würde sagen, Boritz schöpft aus einem Fundus von 30 Dance-Styles, hunderten von Moves und Schritten, er hat eine enorme Koordinationsfähigkeit, seinen Oberkörper kann er losgelöst von Unterkörper und Beinen grooven lassen, und dabei hat sein Gesicht eine Ausstrahlung, die ihn zu einem echten Star machen könnte. Ich bin ein bisschen stolz, sein bester Freund zu sein, und erinnere mich daran, wie alles vor knapp vier Jahren angefangen hat.

Wie bei vielen großen Freundschaften oder Lieben begann alles mit purem Hass. Und das nur, weil jeder im jeweils anderen eine Bedrohung sah, die eigentlich nur das eigene Spiegelbild bedeutete. Wir haben uns bis aufs Blut gehasst, auch wenn wir nie ein einziges Wort miteinander geredet hatten. Es war nicht so, dass der eine fand, der andere sähe besser aus, es war auch nie so, dass der eine besser tanzte als der andere.

Bitches haben wir beide abgeschleppt, nie kamen wir uns in die Quere. Wir wurden beide von den Bitches im Club gleichermaßen angehimmelt, und die Typen haben uns beide gleichermaßen dafür beneidet. Aber wir waren uns, und sind es auch heute noch, zu ähnlich, um über den Schatten zu springen und um aus den Gemeinsamkeiten heraus zusammen eine kraftvolle Front gegen das böse Swaggertum zu bilden.

Nachdem dieser Hass über ein paar Wochen in uns beiden wuchs, kam es zu einem Moment hier im „Ing! Ong!“, der alles änderte und der die eigentlich unbegründete Abneigung in die beste Freundschaft umschlagen ließ, die ich mir vorstellen kann.

Boritz saß an der heilbringenden Aquarium-Bar und trank seinen Wodka Red-Bull. Ich hatte ihn gar nicht gesehen und stellte mich direkt rechts neben ihn an das Fischbecken, um mir einen Drink zu bestellen. Genau in diesem Moment drängelte sich ein Swagger zwischen uns an den Tresen und rämpelte uns beide an. Boritz schaute leicht irritiert schnell nach rechts, sah erst mich an und guckte dann dem Swagger nur kurz in die Augen, woraufhin dieser das Wort ergriff und sagte: „Sag mal Alter, hast du ein Problem? Was geht?“

Boritz, verkokst bis unter die Schädeldecke, nahm mit einer unfassbaren Gelassenheit einen großen Schluck Wodka Red-Bull durch seinen Strohhalm. Sein Blick, der die Augen des Swaggers fixierte, ließ keine Zweifel darüber aufkommen, dass diese Konversation noch in vollem Gange war, und so antwortete er nach einem andächtigen Schlucken ganz ruhig und entspannt im O-Ton: „Würde die von dir repräsentierte Dummheit exponentiell so schnell anwachsen wie die Inflation in Deutschland im Jahr 1923, dann führten schon morgen Island und Sri Lanka miteinander Krieg.“

Bäbämmm. What the fuck? Mein bisheriger Hass schlug in kaiserliche Hochachtung um. Der Swagger hatte kein Wort verstanden, drehte sich um und ging zu seinen Proletenfreunden. Boritz lächelte mich an, ich lächelte zurück und wir fingen beide an zu lachen.

Was wie der Beginn eines schwulen Pornos klingt, war einfach nur der Beginn einer Freundschaft zweier gut situierter Drogenfreaks, die den komplett identischen Film fahren, dieselben Leute verachten und sich sowieso für etwas Besseres halten. Wie so oft musste erst einmal das Eis brechen, bevor der Wodka fließen kann. Wir verbrachten die restliche Nacht an der Bar und kauten uns gegenseitig das Ohr ab, denn da wir ja keine Sandkastenkumpels waren, hatten wir ein paar Jahre nachzuholen. Die dazu passenden Drogen erleichterten das Kennenlernen der Tanzflur-Master logischerweise erheblich.

Und so kann ein einziger Satz halt über Krieg oder Frieden entscheiden, denn hätte der Swagger mich blöd angemacht, würde ich wahrscheinlich gesagt haben: „Dei Mudda is dei Vadda, und die hängt jetzt in meinem Keller im Sling und lutscht deinem Bruda den Schwanz.“

Ob daraus dann die große Freundschaft mit Boritz das Licht des Lebens erblickt hätte, bleibt unbeantwortet, mit Sicherheit aber hätte Piotr mir an dem Abend das erste Mal das Leben retten müssen, und ich hätte schon etwas früher erfahren, wie es sich anfühlt, sich als Gegenleistung von einer Schwuchtel einen blasen zu lassen.

Und zack, da bin ich schon wieder vollkommen in Anekdoten abgedriftet. Boritz gibt auf dem Tanzflur echt alles, meine Stimmung ist noch immer bombastisch, aber die Schadenfreude über meinen Sieg bei der Tanzflur-Master-Dance-Battle ist ein wenig einer wohligen Melancholie über die gerade erzählte Geschichte gewichen. Eigentlich möchte ich gerade lieber als Zeichen meiner Freundschaft mit Schmackes gegen die Betonwand rechts neben dem Eingang zum Höllengang springen, als Boritz für sein Nachmachen meines Durch-die-Beine-Springen Dance-Moves auszulachen.

Ich entscheide mich für eine dritte Option, nämlich dafür, einen Drink zu mir zu nehmen, und lasse Boritz in seiner Tanzwut allein. Seine Gedanken kreisen wahrscheinlich gerade eh wieder um den Merkur oder die Venus, und ich möchte ihn dabei nur ungern stören.

Ich merke, wie die Pillen langsam die Macht über mich ergreifen, und stütze mich vorsichtig auf die Fischtheke. Der Knall kommt mit schnellen Schritten auf meine Synapsen zu, doch bevor es endgültig zum großen Showdown in meinem Hirn kommt, drängelt sich Swagger A von links an die Bar. Er guckt mich scheiße von der Seite an, doch bevor er auch nur ein Wort von sich geben kann, halte ich ihm den Mittelfinger meiner linken Hand unter die Nase und sage: „Hier, riech mal, diesen Finger hatte ich gerade im Arsch meines besten Freundes Boritz.“

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