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05 TANGO 3000

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live Sonntagmorgen, 23.11.2014 – 00:13 Uhr

Die wahrscheinlich nicht sehr nette Antwort vom Swagger habe ich in dem Moment wieder vergessen, als er sie mir gegeben hat. Das liegt wahrscheinlich keine fünf Sekunden zurück, aber es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor.

Ich betrete die Pforten des Himmels, ich stürme die Türen der Liebe und breche die Tore der vollkommenen Reinheit auf, während sich von hinten über meine Schultern hinweg ein glockenreiner Engelschor ins Ohr schleicht, der mit sanften Stimmen die Village-People-Hymne „YMCA“ mit den ausgetauschten Buchstaben MDMA singt.

Das passiert natürlich nicht wirklich, denn ich verspüre keine Halluzinationen, aber anders kann ich das wunderschöne Gefühl nicht beschreiben, das gerade Besitz von meinem ganzen Körper ergreift. Dabei fällt mir ein, dass „Halluzination“ ein fast poetisches Wort ist, und sollte ich jemals eine Vereinigung des Friedens und der Liebe nach Vorbild der UN gründen, dann werde ich sie die Halluzi-Nationen nennen.

Ich fühle mich wohlig warm, mein Körper hat die optimale Temperatur angenommen, und ich möchte mich selber umarmen und mit mir kuscheln. Ich streichele meine weiche, zarte Haut am Arm und fühle mich wie in eine warme Decke am Kamin eingehüllt, während draußen der Sturm tobt. Die Lichtquellen im Club, die meine Haut streifen, fühlen sich wie Sonnenstrahlen an. Wie Sonnenstrahlen des ersten schönen Frühlingstages, an dem man nach einem langen Winter das erste Mal mit T-Shirt in der noch schwachen Aprilsonne sitzt. Die Grenze des Frierens ist genau überschritten und der weiche Strahl auf der Haut hält das Gefühl aufrecht, vor jeglicher Kälte geschützt zu sein.

Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden, ich liebe die Welt, das Leben und meine Mitmenschen. Ich schaue mich um und weine fast vor Glück. Ich möchte jedem hier sagen, wie dankbar ich bin, dankbar für diese Nacht, dankbar für Wasser, dankbar für Luft, dankbar für Energie und dankbar, dass jemand diesen bunten und friedlichen Planeten mit mir teilt. Ich stelle fest, dass auch „dankbar“ ein so kraftvolles und emotional tiefes Wort ist, dass ich die Aquarium-Theke kurzerhand in Dank-Bar umbenenne.

Ich möchte meine Wärme und all die Geborgenheit, die ich verspüre, mit der Welt teilen und betrete den Tanzflur. Trotz des mittlerweile gut besuchten Clubs finden sich hier neben Boritz nur sehr wenige Partypeople wieder, aber ... Nein, das Wort „aber“ ist nicht schön, es gibt kein „aber“ mehr in meiner Welt, denn ich sehe alles so klar, so unaufgeregt friedsam und perfekt, dass „aber“ auf einmal seine Bedeutung verliert. Ich ersetze „aber“ durch das Wort „frei“, und das ist sicher eine so revolutionäre Idee, dass ich dafür noch Preise bekommen werde.

Also, trotz des mittlerweile gut besuchten Clubs finden sich hier auf dem Tanzflur neben Boritz nur sehr wenige Partypeople wieder, frei das ist mir auf eine liebevoll emphatische Art und Weise gleichgültig.

Die Musik hämmert, sie gibt mir den Rhythmus, ich tanze alleine im Laserschein, ich blicke durch die nebeligen und laserdurchzogenen Schwaden des Raumes, die Bilder, die ich sehe, wirken wie in einem Traum, Geschlechter sind aufgehoben, Artikel verlieren ihre Bedeutung, schaut mich alle an, denn ich bin die Schönste, ich bin der Schönste und dann wieder die Schönste.

Ich bin voller Stolz, ich fühle mich toll, und da mir keiner hier das Wasser reichen kann, hole ich es mir selber. Meine Füße machen die Schritte im Takt der hämmernden Bässe ganz von alleine. Keiner hat so eine spektakuläre Fußtechnik und Schrittkombination drauf wie ich, meine Knie sind elastisch und wirken so, als hätten sie keine Knochen. Meine Hüfte pulsiert, losgelöst vom restlichen Körper wiegt sie sich im Gegentakt zum Rhythmus der Hi-Hat. Mit stolzgeschwellter Brust fungiert mein Oberkörper als Fels in der Brandung meines Korpus, mein Gesicht glüht, ich strahle, die Energie, die ich versprühe, verursacht Wellen in der Atmosphäre, und mir ist klar wie nie zuvor: Ich tanze am besten.

Ich tanze mich in Rage, ich tanze mich in Euphorie und ich tanze mich in Trance. Ich tanze mit dem Blick in Richtung Höllengang, denn ich bin im Himmel und genieße den Blick auf das Verderben. Ich bin etwas Besseres, frei nicht arrogant, ich bin die Krönung der Schöpfung, ich bin ich und werde immer icher.

Während ich ganz bei mir bin, übersehe ich fast einen massigen, aus der Hölle steigenden Typen. Nichts kann mich zurückholen aus meiner eigenen Welt, bestehend aus Beats und Bässen, eine Landung ist noch lange nicht in Sicht, frei das Gesicht dieses Typen kommt mir bekannt vor. Bekannt auf eine Art, die meine Instinkte weckt, auf der Hut zu sein, nicht bekannt auf eine Weise des Grüßens und sich Fragens, woher man sich kennt. Er ist kein Weißer, er ist auch kein Neger, er ist irgendwas dazwischen, und er ist kein Swagger. Er trägt eine zu große Base-Cap mit einem überdimensionalen „K“ in der Mitte. Seine Baggy Pants sind massig und weit und in sein weißes Shirt passe ich fünfmal. Sein Gesicht ist statisch und hart, und als unsere Blicke sich treffen, wird mir klar: Er kennt mich, aber im Gegensatz zu mir weiß er auch genau, woher.

Das „aber“ ist wieder da. Ich sehe mich um, die Laser und Lichtquellen blenden mich, ich sehe nur die zwei Swaggers und den Typ mit dem „K“ auf der Base-Cap, alle drei kommen mir viel zu cool vor, das Spiel bekommt neue Regeln, aus Liebe wird Krieg und das „K“ prangert an der Uniform eines Soldaten, ich habe das Gefühl, schon ewig hier an dieser Stelle zu sein, keiner kann mit mir, und auf einmal schlägt meine friedliche Empathie in Arroganz um.

Ich mobilisiere meine Kräfte, ich werde geil, meine Bizepse erhärten sich im Takt der Drums, ich spüre, wie mir die Bedrohung ganz andere, neue Kräfte einverleibt, mein Schwanz ist leicht steif und ich verkörpere die elektronische Musik, die mir ins Hirn haut. Wieder explodiert mein Körper auf dem Tanzflur, ich bin der Meister meines Metiers, ich ziehe die Luft schnaufend durch die Nase, während sich meine Lippen kräuseln und die Mundwinkel sich nach unten in Falten legen, ich schaffe mir Platz, denn der Radius meiner Moves und Schritte wird größer, platzhirschartige Körperspannung macht der Clubbevölkerung klar, wer hier der Chef im Ring ist, und jede Bitch, jeder Swagger, jeder Mr. „K“ hat ohne ein Wort von mir verstanden: Ich bin der Schönste, ich tanze am besten und ich will jetzt ficken!


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