Читать книгу Was ist Ruhm? - Max Kretzer - Страница 5

II.

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Gleich am Abend des zweiten Tages fanden sich sonderbare Gestalten bei ihnen ein, um die neue Bude einweihen zu helfen. Als erster klopfte Schmarr an, ein kleiner verwachsener Mann mit einem auffallend grossen Kopf, der stets eine Satyre bereit hatte, sobald der breite Mund mit den schlechten Zähnen sich öffnete. „Na, wollt Ihr Eure Ehe immer noch fortsetzen?“ fragte er sogleich mit einer Anspielung auf die bereits sprichwörtlich gewordene Unzertrennlichkeit der beiden und reichte jedem von ihnen seine lange Pfote, die dürr und knochig aus dem zu kurzen Ärmel ragte.

Dieser von der Natur so stiefmütterlich behandelte Mensch, der fast hässlich wirkte, aber wunderschöne, grosse Augen hatte, suchte etwas darin, seiner Kleidung einen kokett-künstlerischen Anstrich zu geben, was sich namentlich in den bunten, auffallend punktierten Selbstbindern zeigte, deren geschwungene Schleifen schmetterlingsartig in riesiger Ausdehnung auf dem Rockkragen lagen. „Ich hörte doch irgendwo, Ihr wolltet Euch endlich scheiden lassen, weil Kempen Absichten auf seine alte Waschfrau habe. Junges Gemüse hat ihm ja nie geschmeckt.“

Um seine Witze anzubringen, erdichtete er immer das Hörensagen. Kempen brummte nach seiner Gewohnheit, Lorensen jedoch lachte hell auf, angesteckt von der Lustigkeit, die dieser Spötter immer hereinbrachte, dessen eigentlich tiefes Gemüt in köstlichen Kindergruppen zum Ausdruck kam, die sozusagen seine Spezialität waren. Seine Doppelbüste „Singende Knaben“ hatte ihm ein Studienjahr nach Rom eingetragen, von dem er noch immer wie ein Weltreisender zehrte. Dreimal war diese Gruppe von ihm verkauft worden, was mit einem gewissen Zunftstolz von seinen Freunden erzählt wurde.

Maler Blankert, dünn und hochaufgeschossen, umschlottert von seinem ewigen Pelerinenmantel, für den, weil er viel zu kurz und zu eng war, Lorensen die Bezeichnung „Talentwindel“ erfunden hatte, meldete sich zugleich mit dem beweglichen, unverwüstlichen Musiker Nuschke, der, kaum die Tür hinter sich, einen täuschend ähnlichen Trompetentusch hervorbrachte und dann seine Gelenkigkeit bewies, indem er mit dem rechten Bein über eine Stuhllehne setzte. Ein sogenanntes verrücktes Huhn, besass er die Gabe, die verschiedensten Instrumente nachzuahmen, was namentlich zwerchfellerschütternd wirkte, wenn er die Klarinette dudelte.

Beide wurden mit einem Halloh empfangen. „Ja, Kinder, habt Ihr denn immer noch kein Klavier?“ fragte Nuschke sofort, was er jedesmal tat, sobald er die Bildhauer besuchte. „Das wird ja bald strafwürdig von Euch. Pfui Teufel, seid Ihr unmusikalische Menschen. Ihr geht in kein Konzert, in keine Oper, und wenn ich Euch dann mal ein bisschen Schliff durch meine neueste Komposition beibringen will, dann verlangt Ihr, ich soll die Suppe bei Euch blasen; und die gibt’s nicht mal. Schmarr, ist das ’ne Gesellschaft, was? Gipsbolzen sind’s. Ton kennen sie, aber an Gefühl für Töne mangelts.“

Und während der Verwachsene wieherte vor Wonne, prüfte Nuschke, der stets patent gekleidet ging, vorsichtig die Stühle auf ihre Reinlichkeit, denn wiederholt war es vorgekommen, dass er aus der früheren Bude der beiden sichtbare Zeichen ihres Kunstmaterials mit davongetragen hatte.

„Sag mal, wo schindest du denn jetzt fremde Schlafstellen?“ fragte Blankert den kleinen Bildhauer, von dem alle wussten, dass er, da er kein rechtes Heim hatte, in den Ateliers der Jungen herumnassauerte, wo er bald hier, bald dort etwas modellierte, das er dann zu verkaufen versuchte. „Ich habe mir ein paar Sohlen abgelaufen, um dich zu suchen.“

Schmarr blickte gewohnheitsmässig in schiefer Richtung zu dem Langen empor. „Wieso, wolltest du mich anpumpen?“ gab er ruhig zurück, sicher der Wirkung seiner Worte. Im Innern von Trauer erfüllt über seine Lage, stimmte es ihn stets ärgerlich, sobald man ihn zu offen daran erinnerte. „Ich kann solch einem unsicheren Kantonisten unmöglich längeren Kredit gewähren,“ fuhr er durchaus ernst unter dem Heiterkeitsausbruch der übrigen fort . . . . Du malst ja schon seit zwei Jahren an deiner Auferweckung des Lazarus. Sämtliche Toten werden inzwischen lebendig, darunter die zwölf Droschkenkutscher, die als Modell unter deinem Pinsel gestorben sind.“ Nun konnte er nicht mehr an sich halten, und so schüttelte er sich förmlich vor Lachen.

Der Maler stimmte vergnügt mit ein, denn trotzdem sich die beiden zeitweilig auf diese Art rieben, waren sie sich doch sehr zugetan, und man sah sie oft brüderlich vereint in den Strassen wandern, was sich sehr komisch ausnahm, wenn der Kleine den Langen untergehakt hatte und von diesem fast mit fortgeschleift wurde. Blankert legte seinen fadenscheinigen Dallesmantel ab (diese zweite Bezeichnung dafür hatte Nuschke erfunden) und faltete ihn mit einer Sorgfalt zusammen, als hätte er teuren Sammet zu behandeln. Dabei sagte er wieder in seiner geschraubten Sprechweise, die ihm etwas Überlegenes geben sollte: „Nein, nein, diesmal irrst du dich, mein Kleiner. Ich habe da einem Böotier in petto, dem ich furchtbar viel von dir vorgeschwefelt habe, was natürlich angesichts deiner soeben erwiesenen Behandlung gegen mich unverantwortlich von mir ist. Ja.“ Er machte eine Kunstpause. „Unter anderem log ich ihm auch vor, du könntest vortrefflich Kindsköpfe porträtähnlich machen, auch die blödsinnigsten.“

Schmarr, der darin nur verstecktes Lob sah, lachte lautlos in sich hinein, so dass man die Erschütterung an seinem ganzen Körper merkte.

„Und siehst du,“ sprach Blankert nun mit Gönnermiene weiter, so ist es mir denn glücklich gelungen, sein Interesse für dich zu erwecken. Unverdientermassen für dich. Jawohl, jawohl! Blök doch nicht! Dein Gebiet ist doch nur das Genre . . . . Aber es gäbe einen niedlichen Auftrag. Dreihundert Mark will er anlegen. Vorläufig Gips, vielleicht schwingt er sich später mal zu Marmor auf. Er versteht sich darauf, weisst du, denn es ist ein sehr kunstliebender Herr. Früher hatte er ein Milchgeschäft, jetzt ist er Hausbesitzer. Mein Gönner nämlich, dem ich die Miete für meinen Taubenschlag, Atelier genannt, schuldig bleibe. Ein Vierteljahr habe ich bereits abgemalt, indem ich seine ehrenwerte Gattin porträtierte. Zur völligen Zufriedenheit, weisst du, denn aus dem dreifachen Kinn machte ich ein durchaus natürliches, ohne jede Aufregung. Ja. So strahlt sie nun als ihre jüngere Schwester über dem Sofa. Die Ähnlichkeit ist einfach herzbrechend.“

Nuschke konnte nicht mehr lachen. Er ging im Zimmer umher und schlug sich mit den Händen fortwährend auf die Schenkel, so dass es klatschte. „Zum Küssen, zum Küssen! Das sind ja grossartige Noten! Wagners Ballet im Tannhäuser!“ schrie er förmlich vor Vergnügen, während er sich mit seinen schmalen Schultern an den übrigen vorbeiwandte.

„Du wirst deine Freude an dem Jungen haben,“ fuhr Blankert mit der Miene des Schauspielers fort, dem man bei offener Szene soeben Beifall geklatscht hat. „Er ist zwölf Jahre alt, hat eine platte Nase und schielt mit schiefstehenden Augen; ausserdem hat er mächtige Horchlappen. So was übersehen aber geniale Geister wie du, denn Zahlung erfolgt nach Ablieferung, eventuell hundert Emm Vorschuss, wenn ich ein gutes Wort einlege. Ich bin ihm ja sicher. Selbstverständlich! Hast du ihn ganz ähnlich gemacht, dann gibt’s noch ein Frühstück mit Weissbier. Gesteh jetzt also, wo du deine Empfangsstunden hast. In irgend einem Winkel musst du ihm doch imponieren. Natürlich habe ich ihm vorgeschwindelt, du hättest ein eigenes Atelier und wärest mit Aufträgen überschüttet. Besinn dich nicht lange, so einen Blaseengel mit Zahnschmerzen backst du ja in acht Tagen zusammen. Wie ich dich kenne! Übrigens garantiere ich für sein Stillsitzen, denn unter zwei Jahren macht er nie eine Klasse ab.“

„Das ist zuviel, das ist zuviel! Ich muss die Musik dazu machen!“ quietschte Nuschke jetzt auf, und er flötete, stimmte dann die Klarinette an, fiedelte auf seinem Arm, trompetete, schlug die Trommel, bis er plötzlich diese Orchestermusik mit einem grossen „bum, bum“ schloss, das das schallende Gelächter ringsum wie mit einem letzten dumpfen Paukenschlag durchschnitt. Dann warf er sich auf das Sofa, strampelte mit den Beinen und schrie mit krampfhafter Luftschöpfung: „Ein Trauerspiel, ein Trauerspiel, oder ich lach mich tot!“ Und er sprang wieder auf, ergriff Blankerts beide Hände und sagte voll Begeisterung: „Du wirst wohl deinen Lazarus nicht eher ausstellen können, mein Sohn, als bist du eine Landschaft daraus gemacht haben wirst. Diese Seite liegt dir viel besser — ich hab’s dir immer gesagt. Aber das hast du grossartig erzählt. Einfach plastisch. Geh zur Bühne und werde Komiker.“

Frau Lemke, die auf ihr Klopfen kein Herein fand, trat erschreckt ins Zimmer. Was denn los sei? Die Lehrerin nebenan habe sie gerufen. Der Anblick der vielen Herren, die im Tabaksdampf förmlich schwammen, denn man qualmte Pfeifen und rauchte Zigaretten, schüchterte sie ersichtlich ein; aber deutlich sprach aus ihren breiten Zügen, dass sie sich diesen Skandal nicht hätte träumen lassen. Nuschke, der nie seine Geistesgegenwart verlor, bot ihr sofort galant einen Stuhl an und machte aus ihr ein „verehrtes Fräulein“, wodurch er ihr ein schämiges Lächeln abzwang, was von einer Verbeugung begleitet wurde, die sich beinahe wie ein Knicks ausnahm.

Kempen beruhigte sie leise und gab ihr die nötige Aufklärung, wobei er ihr Geld zusteckte mit der Weisung, ein Dutzend Flaschen Bier holen zu lassen, so dass sie mit einer Entschuldigung wieder verschwand. Während die übrigen durcheinander schwatzen und ihre Possen trieben, hatte er im Hintergrunde an einem kleinen Tischchen gestanden und Brotschnitten mit Butter bestrichen, die er nun mit Aufschnitt belegte. Am Tage vorher war für Lorensen eine Kiste aus der Heimat eingetroffen, die einen Schinken und Dauerwürste enthielt, so dass man heute gehörig prassen konnte.

Schmarr war still geworden, wie immer, wenn ihn etwas Besonderes bewegte. Dieser koboldartige Spötter hatte seine Tiefen, in die er sich zeitweilig versenkte, so dass er mit Gewalt aus ihnen hervorgeholt werden musste. Er setze sich auf das schäbige Sofa, wobei an der eingedrückten Ecke seine spillerigen Beine tief unter dem Tische verschwanden. Wie ein ungeschlachter Zwerg sass er da, dessen Kopf nur auffällt. Er hatte seinen alten Zustand, in dem der Kunstsinn mit der Not den grossen Seelenkampf führte; denn überall hing er mit kleinen Schulden, und es war wieder einmal gänzlich Ebbe in seiner Kasse. Diese verlockenden dreihundert Mark hätten ihn gründlich flott machen können von dem rauhen Riff seines augenblicklichen Daseins; aber er hasste alle Porträtarbeit, die ihn mit Widerwillen erfüllte, weil er keinen Fortschritt darin erblickte.

Minutenlang blieb er unbeachtet, denn Blankert erzählte den andern eine lustige Geschichte. Er malte in einem alten Bodenraum der Luisenstadt, den ihm der Hauswirt durch dünne Kalkwände hatte erträglich machen lassen, weil er mit seinem Vater bekannt war. Eine unstete Natur, hatte er, kaum flügge geworden, die Akademie verlassen und sich zwischen den vermörtelten Latten eingekapselt, von dem Wahn befallen, er könnte sich schon jetzt durch ein unsterbliches Meisterwerk sein Glück erzwingen. Allen diesen jungen Leuten, in denen es fortwährend gärte, schwebte immer etwas Grossartiges, noch nie Dagewesenes vor, das sie allein bewältigen müssten; sie hatten etwas von Einsamkeit gehört, aber nicht richtig verstanden. Und so patzte auch Blankert auf seinen erweckten Lazarus die unmöglichsten Farben, kratzte sie immer wieder ab und strich aufs neue drauf los, ohne Befriedigung zu finden. Es war die Zeitvergeudung eines Menschen, der zur Höhe möchte, ohne die nötige Kraft zu haben. Schon verschiedene Male hatte er die ganze Zeichnung umgestossen, je nachdem er einen andern Kerl fand, der sich gegen wenig Geld hinaufschleifen liess, um sich einige Stunden als Lazarus zu fühlen. Letzthin nun tat ihm ein Dienstmann den Gefallen, der aber plötzlich die Krämpfe bekam, so dass Blankert, tödlich erschreckt, schon glaubte, er werde ihn als Leiche in seinem Atelier haben.

„Ich lief hinaus, um Hilfe zu holen,“ schloss er dramatisch, „und denkt Euch nur, als ich zurückkomme, sitzt der Kerl wieder gesund da, lacht mich an und sagt vergnügt: „Nun bin ich wirklich erwacht“. Was für einen Effekt habe ich mir entgehen lassen!“

„Du, den hätt ich gleich lebend nach der Ausstellung getragen,“ witzelte Nuschke. „Die kleine goldene wär dir sicher gewesen.“

„Das kommt nur alles davon, wenn man die Dienstleute nicht an der Ecke stehen lässt,“ mischte sich Kempen trocken ein und reichte nun das belegte Brot herum. Das Bier kam, und man ass und trank.

„Nein, es geht nicht, es geht wirklich nicht,“ sagte Schmarr plötzlich wie aus einer Betäubung erwacht, während die andern sich den Mund gehörig stopften. Und er begann, Blankert auseinanderzusetzen, dass ihm niemals etwas gelänge, sobald er Fratzen vor sich habe; er möchte es ihm nicht übelnehmen, wenn er seine Bemühungen mit Dank ablehne. Er war nicht mehr der Spötter, sondern der Duldsame, der andern nicht mehr weh tun möchte.

„Was, es geht nicht!“ hauchte ihn Nuschke nun an, der rasch das zweite Glas Bier heruntergestürzt hatte. „Lieber Sohn, bist du verrückt geworden? Dreihundert Mark, bedenke doch! Das ist ja ein kleines Kapital. Du könntest dir gleich die Haare schneiden lassen und uns alle zu einem Diner bei Dressel einladen.“

„So viel Geld gibt’s ja gar nicht,“ warf der Maler ein.

Und auch Lorensen stimmte in diese Entrüstung mit ein. „Das ist mal wieder furchtbar echt von dir, dieser Eigensinn,“ sagte er kauend. „So etwas nimmt man doch mit, man lernt doch dabei.“

„Nein, es geht nicht,“ wiederholte Schmarr und liess die langen, dürren Finger durch den sprossenden Christusbart gleiten, während er die klaren, braunen Augen zu den Freunden aufschlug. „Seht Ihr, ich kann nur hübsche Gesichter vor mir sehen, dann gelingt mir’s. Die Schönheit ist der Quell, aus dem ich schöpfe und der mich begeistert. Die Hässlichkeit stösst mich immer ab, und dann erstarrt mir der Ton in den Händen. Es ist wirklich so. Mein Auge will trinken, aber nur das, was meiner Seele schmeckt. Schlag mich tot, Blankert, nennt mich alle einen Faulpelz, meinetwegen, einen Idioten, aber es ist nicht zu ändern; ich kann keine verkrüppelten Linien sehen.“

„Aber Herrgott, einmal ist doch keinmal,“ liess Lorensen nicht locker, der noch zwanzig Mark von ihm bekam und nun hoffte, bei dieser Gelegenheit die Schuld getilgt zu sehen.

„Doch, doch!“ fuhr Schmarr mit geröteten Wangen fort, die seinem schmalen Gesicht den Glanz lebhaften Feuers gaben. „Einmal ist manchmal hundert Mal. Wie viele haben dasselbe gesagt und sind dann hübsch weiter gepatscht, bis sie ihr Ideal in einem Sumpf begraben haben. Kinder, lasst mir doch das bisschen Eigensinn. Wenn ich in dieser kunstfeindlichen Welt mal verhungern sollte, möchte ich wenigstens von der Schönheit beweint werden. Na, und ein paar Putten werden auch noch zur Seite stehen.“

Es war sein altes Lied, das er sang und das die Streber, die gern gut lebten, nicht verstanden. Selbst von der Natur missgestaltet, betete er sie doch an, aber nicht im Lichte seines Spiegelbildes, sondern in aller Herrlichkeit ihrer Vollendung, die ihm die eigene Gebrechlichkeit erträglich machte. Er ass und trank jetzt nicht, denn wenn er bei diesem Punkt angelangt war, brachte er seine Überzeugung gründlich zum Durchbruch, wobei ihm die Rede von den Lippen perlte. Stets die Ahnung von einem frühen Tode in der schwachen Brust, klammerte er sich förmlich an sein Kunstevangelium, wie an einen heiligen Retter, der ihn in dem Drangsal seines Leidens beschirmen müsse.

„Das gefällt mir, bleib dir nur treu,“ mischte sich Kempen hinein, der seine eigene Meinung von ihm verfochten sah.

„Seht Ihr, ein bisschen Ruhm möchte ich doch auch noch erleben,“ fuhr Schmarr fort und griff nun endlich zu, erfreut über die Anerkennung des Hamburgers.

„Ach, was heisst Ruhm?“ hielt ihm der lebenslustige Nuschke entgegen, der gern zum Wortstreit herausforderte, sobald die Gelegenheit es mit sich brachte. „Erst kommt der Erhaltungstrieb, dann die Widerstandskraft und dann allmählich das Klettern auf die Höhe. Ich könnte nur schaffen, wenn ich meine Bequemlichkeit hätte.“

„Ruhm ist Martyrium, eine lange Kette von Enttäuschungen,“ wandte Schmarr ein.

Die Frage war angeschnitten und brachte nun ein wüstes Durcheinander der Ansichten hervor. Nuschke schrie am lautesten und lachte jedesmal, sobald ihm etwas gegen den Strich ging; in solchen Dingen unterdrückte er gern seine Überzeugung und liess seine Witze los, um recht zu behalten.

„Der Ruhm ist ein schwaches Weib, das heute steht und morgen fällt,“ rief Lorensen eifrig und wiederholte es mehrmals, weil er ganz etwas Besonderes gesagt zu haben glaubte.

„Sehr richtig! Wer besitzt mehr Launen als ein Frauenzimmer,“ übertönte ihn Blankert. „Das habe ich neulich erst erlebt. Eine ganze Stunde habe ich vergeblich an der Normaluhr gewartet. Mein Mädel kam nicht.“

Selbst Kempen musste lachen, wogegen Nuschke, neidisch auf den Erfolg dieses Witzes, sich einen „anderen Gast“ ausbat.

Dann aber behandelte Blankert die Sache doch ernst. „Schliesslich hat Lorensen doch recht,“ sagte er wieder, indem er auf seinen langen Beinen im Zimmer umherstelzte, „schon deswegen, weil wir Künstler ohne die Weiber nicht leben können. Was sollten wir wohl machen, wenn wir keine Modelle hätten! Mancher alte Kracker, der heute als Grosser rumläuft, würde seinen Lorbeer hübsch zerfetzt sehen, wenn der weibliche Ateliergeist ihm ausbliebe. Na, und von der Liebe, die uns inspiriert, will ich gar nicht reden! Etwas fürs Herz müssen wir immer haben. Ergo: Das Weib führt immer zum Siege.“

Plötzlich mischte sich Kempen hinein, der nach seiner Gewohnheit wenig gesprochen hatte. „Ach, was wollt Ihr denn! Der Schöpfer ist immer der Mann, und der Ruhm ist ein Zwillingsbruder von ihm,“ knurrte er hervor, wobei er die kurze Holzpfeife nicht aus dem Munde liess. „Glaubt es mir. Das Weib ist nur die Begleiterscheinung, die wir als notwendiges Übel mit in den Kauf nehmen müssen, der Parasit, der sich an uns vollsaugt und uns die beste Kraft nimmt, sobald wir ihn nicht überwinden können. Sie sind gerade gut genug, uns die Suppen zu kochen und die Strümpfe zu stopfen. Glaubt es mir. Man muss sich ja doch aus einem Dutzend zusammensuchen, was der einen fehlt, die wir brauchen.“

Alle lachten, weil sie ihn kannten. Nuschke jedoch rief sofort: „Hermann, das hast du wieder einmal gut gesagt.“ Und als die andern nun eifrig dagegen sprachen, fuhr er mit erhobener Stimme fort: „Aber natürlich doch, es ist so, es ist so! Das Weib ist schöpferisch immer subaltern und kann nur reproduktiv wirken. Seht Euch doch die ganze moderne Frauenbewegung an, dann habt Ihr den Beweis dafür. Wo ist da Grösse, wo der geniale Zug? Wenn sie malen, sind’s Blumen und Stilleben. Lampenschirme, Fächer, Ofenvorsetzer sind das Schlachtfeld, auf dem sie sich messen. Und wenn sie modellieren, dann gibt’s Vasen mit Schlangen und Nixenköpfe mit Seerosen an der Brust. Was sie den Männern abgeguckt haben, bringen sie als dritten Aufguss glücklich auf die Tafel . . . Jawohl, mein lieber Sohn Lorensen — du bist natürlich schon total verweiblicht, daher deine Opposition in solchen Dingen . . . Prosit, Kempen, auf dich als Schöpfer!“

„Dein Lieblingsthema!“ rief ihm der Holsteiner zu und wickelte ein langes Redeknäuel auf, in dem er sich schliesslich verhaspelte. Stets auf der Suche nach Bildung, las er alles, was ihm unter die Augen kam, und verteidigte dann mit Zähigkeit die Ergebnisse seiner letzten Geisteswanderung. So hatte er einen Zeitschriftartikel: „Die Frau in der Kunst“ noch nicht gehörig in sich verarbeitet und schwamm nun in dem Gedankenstrom des Verfassers. „Die Frauen sind bisher immer von den Männern unterdrückt worden, ihre Sklavinnen gewesen,“ kaute er sorgsam wieder, was er in sich aufgenommen hatte, „sie sind immer als Menschen zweiter Güte behandelt worden.“

„Das sind sie auch,“ schrie ihn Nuschke nun fuchswild an. „Schon die Natur hat sie dazu gestempelt, denn sonst würden sie nicht mit breiten Hüften auf die Welt gekommen sein, die nur dazu geschaffen sind, die Röcke festzuhalten. Der Mann jedoch schreitet in seiner ganzen Gloriole dahin —.“

„Und zeigt dafür auch manchmal seine krummen Beine,“ warf Blankert rasch ein. „Ob das nun gerade ästhetisch ist . . .“

„Und die George Sand, die Rosa Bonheur, wie?“ mischte sich Schmarr hinein.

„Ach, das sind Ausnahmen,“ erwiderte Nuschke. „Entschieden ein Versehen der Natur. Sie fühlten es auch, sonst wären sie nicht in Männerkleidern herumgelaufen.“ Und plötzlich, als Lorensen mit seiner Gegenmeinung schon erschöpft war, begann er, ihnen allen aufs neue einen schlagenden Beweis für seine Behauptung zu geben, worauf er erst kürzlich nach ernstem Denken gekommen sei. Man spreche so viel von der Gefühlswelt im Weibe, von der Weichheit seines Seelenlebens, von der Empfindungszartheit der Frau. Mitleid sei der Grundzug ihres Wesens, göttliche Schwäche ihre Stärke, Anschmiegung und Hingebung die köstlichsten Seiten ihrer Natur. Alles in ihr vereinige sich zu einem grossen Orchester herrlichster Töne, das die Männer mit Circengewalt in den Musikrausch dieses Geschlechts treibe. Und doch sei es dem Weibe gerade am meisten versagt, dieses innere Leben in das umzusetzen, wozu es von Natur geradezu geschaffen sei: in Töne nämlich. Die Kunst der Tondichtung sei ihm völlig verschlossen, denn nirgends höre man von einer Komponistin, nicht einmal von einer solchen, die ein klangvolles Lied zustande gebracht habe, ganz zu schweigen von einer Sonate, einer Symphonie, oder gar von einer Oper! Das könne gar nicht scharf genug betont werden, um die Schöpferohnmacht des Weibes gründlich festzunageln. Es sei und bleibe nur Mitempfinderin, die wohlige Schlingpflanze am starken Lebensbaum des Mannes, die kümmerlich am Boden dahinkriechen müsse, wenn sie ihren mächtigen Halt verliere; ihr Saft würde vertrocknen und ihre natürliche Kraft verderben. Die Natur lasse sich eben nicht meistern, sondern wandle ihre ewigen, fest vorgeschriebenen Bahnen.“

Alle waren über diese neue Auslegung verblüfft und schwiegen still, um sich erst zu sammeln. Nuschke jedoch benutzte diese Pause und liess sofort den Schalk in ihm wieder steigen, indem er vergnügt ausrief: „Deshalb sage ich: die beste Frauenbewegung ist ein guter Walzer . . . Spielt nur gehörig auf, und sie werden sich sorglos in Eure Arme hängen, die Führung Euch überlassend. Schon Eva tanzte, als die Vögel sangen. Der Geist des Weibes liegt in seinen Reizen. Basta.“

In dem lauten Lachen, das jeden Widerspruch auflöste, wurde dreimal so stark geklopft, dass Kempen fast erschreckt die Tür öffnete.

Was ist Ruhm?

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