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IV.

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Lorensen kam erst am frühen Morgen nach Hause, als die Sonne schon hell ins Zimmer schien. Beim Grauen des Tages war Kempen erwacht, und als er das Bett auf der anderen Seite leer fand, hatte er sich erhoben, die Tür aufgeriegelt und sich wieder schlafen gelegt. So konnte Lorensen sich dann hineinschleichen und den Freund über die Zeit täuschen, wie es oftmals geschehen war, wenn er keinen Schlüssel bei sich hatte und der Verführung unterlag. Diesmal jedoch war er ertappt, denn Kempen reckte sich mit offenen Augen, so dass die alten Bretter knackten, und machte ihm in seiner derben Art Vorwürfe. Seit einiger Zeit ernährten sie sich durch Kleinplastik, und so hatten sie dringende Aufträge erhalten, die rasch erledigt werden mussten. Es waren Vasen mit Amoretten, Einzelfiguren und Karikaturenköpfe — alles Fabrikware, die aber unter ihren Händen fix zu Geld wurde.

„Wie spät ist es denn?“ fragte Kempen, da sie keine Uhr besassen; und als er hörte, dass es erst vier sei, wusste er Bescheid, denn dieser Bruder Leichtsinn pflegte die Stunden gehörig zurückzuschrauben, sobald ihm das Gewissen schlug. „Dann wird’s wohl sieben sein,“ knurrte Kempen und wollte ihn veranlassen, den nötigen Schlaf ohne weiteres nachzuholen.

Lorensen jedoch, der ihm die üble Stimmung anmerkte, setzte sich zu ihm auf den Bettrand, noch im Mantel wie er gekommen war, und bat ihn, nicht den Bösen zu spielen. Bei solcher Gelegenheit empfand er seine verwerfliche Schwäche ganz besonders, fühlte er die Stärke dieses Braven, dessen gute Lehren sich auch stets in gleiche Handlungen umsetzten. Er zerfloss dann förmlich in Weichheit, schämte sich ein wenig und kramte einen Korb voll Entschuldigungen aus, zum Schluss mit der Beteuerung, dass es „das letzte Mal“ gewesen sein solle. Es sei eben nicht anders gegangen; Walzmann habe nicht nachgegeben, und so hätten sie alle mitbummeln müssen, noch in ein halbes Dutzend Cafés und wer weiss wohin! Zuletzt spielte er den grossen Trost aus, dass es ihn nichts gekostet habe, wobei er wohlweislich verschwieg, dass er die Abzahlung von Schmarr bis auf den letzten Pfennig an den Mann gebracht hatte.

„Aber die Zeit, die Zeit!“ stiess Kempen zwischen den Zähnen hervor, verzieh ihm dann aber schnell, weil er wusste, dass Lorensen, sobald er wieder bei der Arbeit sass, sich nicht umzublicken pflegte. Trotzdem schimpfte er auf Walzmann, auf diesen unglücklich veranlagten Könner, der durch seine Wüstheit die Jugend mit sich fortriss, hinein in den Sumpf, in dem er seinen Meistersessel aufschlug. Nun hatte er sich wieder um acht Tage gebracht und ihn, Kempen, auch, denn gern hätte er die Gelegenheit wahrgenommen, schon in dieser Woche einen Batzen Geld bei ihm herauszuholen. Er liebte den grossen Zug, das Arbeiten mit vollen Händen, wo man nicht zu finzeln brauchte.

Als dann die Aushilfezeit bei Walzmann wieder vorüber war, wurde Lorensen plötzlich in das Atelier seines Professors gerufen, der das Lehramt an der Akademie aufgegeben hatte und ihn nun bei der Ausführung eines grossen Brunnens für eine kleine Residenzstadt beschäftigen wollte. Erfreut willigte er ein, denn er bekam gut bezahlt und durfte dadurch auf weitere Beziehungen hoffen.

Einige Tage darauf trat man auch an Kempen mit einem Auftrag heran. Ein bekannter Kunstgiesser hatte in Paris eine Genrebüste gesehen, die viel gekauft wurde. Ein junges Mädchen trug einen zwitschernden Vogel auf der Schulter, mit dem sie sich anscheinend unterhielt. Er dachte an etwas Ähnliches für den Handel und versprach sich ein Geschäft davon. Kempen lag die Sache nicht, die Lorensen jedenfalls vortrefflich gemacht haben würde, wenn er jetzt den Tag über nicht aus dem Hause gewesen wäre. Trotzdem wollte er nicht gern ablehnen, um sich die Gunst des Mannes nicht zu verscherzen.

Es war morgens, als die Freunde beim Kaffee sassen und darüber berieten. Da der Februartag neblig und dunkel war, so hatte Lorensen es heute nicht eilig. Plötzlich, nachdem es bescheiden geklopft hatte, trat Klara Munk herein, einen kleinen Deckelkorb am Arme, aus dem ein leises Gurren sich vernehmen liess. Beide hatten sie nicht mehr gesehen seit dem Vormittag, wo sie wirklich aufgetaucht war, um nach Wäsche zu fragen, aber erfolglos, denn die Künstler hatten ihre besondere Alte, der sie nicht untreu werden wollten.

Nun stand die braune Hexe wieder vor ihnen, die Nässe des Tauwetters an den derben Schuhen, Feuchtigkeit im Kleidchen, im ausgefransten Jackett und auf dem glänzenden Haar, das noch wie früher schwer herniederhing. Ihre Augen blitzten im frischen Gesicht, und unter den vollen Lippen leuchteten die Zähne, denn sie lächelte vergnügt wie ein Kobold, der seine Mucken treibt.

Ob die Herren vielleicht ein paar Tauben kaufen wollten? Mutter habe noch zwei zu vergeben, die letzten von dem Dutzend, das sie sich gehalten hätten.

Sie hatte den Deckel bereits aufgerissen und eins der weissen Tierchen hervorgelangt, das sie nun fest an ihre Brust drückte, den Schnabel auf ihr Mündchen gerichtet.

„Bleib so stehen, bleib so stehen!“ rief Lorensen begeistert aus und sprang vom Tisch auf.

Ruhig verharrte sie in derselben Stellung, die langen Wimpern gesenkt, von köstlicher Ahnung bewegt, was die Männer am Fenster leise besprechen würden. Und als Lorensen sie bat, die dumme Jacke abzulegen und das Tierchen noch einmal so zu halten, erfüllte sie ohne weiteres diesen Wunsch. Sie war rot geworden, in jener freudigen Erregung eines flüggen Mädchens, das den Mittelpunkt eines wichtigen Vorganges bildet.

„Hör mal,“ sagte nun Kempen nach einiger Überwindung. „Könntest du wohl vormittags ein paar Stunden Modell sitzen? Du weisst doch, was das ist?“

Ein erhabenes Nicken kam, dem die Worte folgten: „Sie müssen aber erst Mutter fragen.“

Kempen kaufte die Tauben ohne zu handeln, was Lorensen merkwürdig fand. Dann tat der Bärbeissige die Tiere in eine Kiste, warf die Erbsen hinein, die noch im Korbe waren, und liess das Mädchen gehen.

In der Dämmerung machte er sich auf den Weg zu Frau Munk, die nicht weit wohnte, in einer der Strassen, die auf Schöneberger Gebiet lagen. Als er den schmalen, unsauberen Hof hinter sich hatte und dann glücklich durch den schwach beleuchteten Flur in die verbaute Parterrewohnung des Quergebäudes gelangt war, erstaunte er, keine von den gewöhnlichen Witwen zu finden, denen man ihr Gewerbe sofort ansieht, sondern eine stattliche Person, deren Eindruck an bessere Tage erinnerte. Fast geriet er in Verlegenheit, als sie ihn mit Anstand in das saubre Zimmer hinter der Küche führte, wo alles weiss von Wäsche war, die der Bearbeitung harrte. Es roch nach Stärke und nach Plätteisen, und die backige Wärme legte sich Kempen sofort auf die Lunge; aber mit einem gewissen Behagen atmete er diese Stubenluft, die ihn an die enge Klause der Mutter daheim erinnerte.

„Ah, der Herr Künstler!“ Nach einem Wink von ihr schlürfte ein kräftiges Mädchen in heller Bluse, das mit seinen derben, entblössten Armen am Fenster das Eisen gestrichen hatte, auf weichen Sohlen hinaus, wobei die Dielen erzitterten. Dann warf Frau Munk mit einem Schwung einen Berg Chemisetts von einem Stuhl auf das Sofa an der hinteren Wand und lud ihn zum Sitzen ein. Die einzige Lampe stand auf der Kommode; im tiefen Schatten des äussersten Winkels kicherte jemand, und als Kempen den Blick dorthin richtete, sah er Klara auf einer Fussbank hocken und ihren Kaffee trinken. Wie der Wind hatte sie sich bei seinem Eintritt verzogen, um versteckt zu hören, was man sprechen würde.

„So ist sie nun, immer hat sie Possen im Kopf,“ sagte die Mutter, ohne es ernst zu meinen. „Aber sie ist ein gutes Kind, brav und fleissig. Sie war immer die Beste in der Schule. Wenn ich sie jetzt nicht hätte —! Man hat es nicht leicht, Herr Kempen. O, ich weiss schon, wie Sie heissen. Und auch von dem drolligen Umzug hat sie mir erzählt. Sie spricht immer die Wahrheit und verschweigt mir nichts. Ist das nicht hübsch?“ Und als der Bildhauer, wortlos darüber, hier wie ein guter Bekannter behandelt zu werden, nur nickte, fuhr sie fort: „Ich habe lachen müssen. Ja, die Kunst geht nach Brot, das war immer so.“

Sie sprach in einem Zug weiter, von ihrem Vater, der noch als Greis ein schöner Mann gewesen sei mit roten Wangen und langem, weissen Bart, und den sich alle Maler geholt hätten, um ihn zu verewigen. Auf vielen Gemälden sei er zu sehen, und da oben über der Tür hänge noch sein Bild, nun schon verräuchert durch die Jahre, das ihm ein Künstler geschenkt habe. Er sei sparsam gewesen, aber ihr Mann, ein Mechaniker, habe mit seiner Erfindungssucht die paar tausend Mark wieder verpulvert, und nun müsse sie sich durchschlagen, wie es gehe. Aber nicht lange mehr solle ihre Tochter so herumlaufen, denn sie müsse in irgend ein Geschäft, um etwas Tüchtiges zu lernen. Merkwürdig sei nur, dass sie für Kunst schwärme, das müsse wohl so in ihr liegen; denn vor keinem Bilderladen könne sie vorübergehen, ohne nicht zu gaffen und zu staunen.

„Aber so lass mich doch, Mutter, das ist doch das einzige Vergnügen, das ich habe,“ klang es aus dem Winkel, mit einer gewissen Traurigkeit, so dass Kempen davon gerührt wurde. Er sah nur die Armut an diesem Ort und dachte an die gleiche Not seines Lebens, in der Tag für Tag brennend der Wunsch in seiner Brust gezehrt hatte, hinaus ans Licht zu kommen. Und dort in der Ecke sass Eine, die vielleicht dieselbe Sehnsucht hatte und deren kindliche Frische in dumpfer Luft erstickt wurde, ohne dass man ihr Hangen und Bangen begriff.

Weshalb sollte sie nicht als Modell gehen wie ihr Grossvater, wenn der innere Drang sie dazu trieb? Hermann Kempen hatte schon wieder seine Arbeit im Sinn, vergass ganz die Person und kam kurz und bündig auf die Sache zu sprechen. Zwei Stunden am Vormittag würden genügen, die man täglich bezahlt bekommen könnte.

Frau Munk hatte ihre Bedenken. Die Künstler, die Künstler! Das sei ein Völkchen mit leichten Anschauungen, und ihre Tochter sei ein unverdorbenes Kind; zwar schon aufgeweckt, aber doch unschuldig wie die Sonne. Nein, es ginge nicht, so sehr sie auch zu Gefälligkeiten geneigt sei.

Hermann Kempen, durchaus würdig anzuschauen, kehrte den Trotz des Mannes hervor, der etwas erreichen will. Er wolle doch nur den Kopf modellieren, das Gesicht mit den Grübchen!

Sie lachte und schickte Klara in die Küche. „Das sagen die Herren Künstler immer,“ fuhr sie dann fort. „Und dann wollen sie immer mehr sehen. Mein Vater hat schöne Geschichten darüber erzählt! Zum Kopf gehört doch auch ein Hals, und dann das übrige. Obendrein sind Sie zwei. Meine Tochter würde sich zu Tode schämen.“

Endlich, als Kempen auf seine Mannesehre versichert hatte, dass sie deswegen nicht in Unruhe zu schweben brauche, und er sich freuen würde, wenn sie mitkäme, um sich von der Harmlosigkeit der Arbeit zu überzeugen, gab sie nach. Die zwei Mark lockten auch, die fast mühelos ins Haus kommen sollten. So reichte ihr denn Kempen zum Schluss die Hand und verliess sie mit Befriedigung. Noch in der Küche hatte er Klara gesprochen; kaum aber war die Tür hinter ihm geschlossen, so hörte er sie drinnen wie jubelnd ausrufen: „Das wird schön, Mutter, das wird schön!“

„Das müssen wir erst abwarten,“ knurrte Kempen vor sich hin, wobei er aber nur an seine Kunst dachte.

Schon am andern Tage, kurz vor zehn Uhr, kam sie, gebracht von ihrer Mutter, die sofort sagte: „Ich muss doch einmal sehen . . .“ Und sie blickte sich wirklich neugierig im Zimmer um, lachte über die Venus auf dem Spind, der man einen alten Strohhut aufgesetzt hatte, und musterte auch sonst all die Dinge, die der Stube einen malerischen Anstrich gaben. Lorensen, der die Buntheit liebte, hatte seidene Fetzen ausgekramt, die in kühnen Falten vereint mit zwei Papierfächern zwischen den weissen Abgüssen hingen. Einer anatomischen Gipsfigur war ein billiger, roter Fez aufgestülpt, der von einem Atelierfest stammte. Photographien, Holzschnitte und Kupferstiche ohne Rahmen klebten an den Wänden, in jener göttlichen Unordnung, die der Philister so sehr hasst.

Über Nacht hatte es wieder streng gefroren, und so trat Frau Lemke mit einer Schürze voll Holz ein, um kräftig nachzufeuern; sie kannte das Mädchen wieder, sah die fremde Frau und dachte bei sich: „Was wird das nun werden?“ Kempen klärte sie auf, und sie ging mit jenem verdächtigen Blick, der mehr als Worte sagt. Diese Künstler zahlten wenig und verlangten viel — das war der ewige Gedanke, den sie in sich verschloss.

Klara trug ihr blaues Sonntagskleid mit Spitzen am Hals und an der Ärmelöffnung. Sie hatte Stiefel mit Lack an, und ihr Haar war sauber gekämmt und geknotet. Man sah, wie die Mutter sie zurecht gemacht hatte mit der Sorgfalt ehrbarer Frauen, die mit ihrem Liebsten prahlen möchten. Aber alles für die gute Stube, nur nicht für die Kunst! Kempen sagte es sich sofort und bat die Mutter, die Flechten auflösen zu dürfen, was sie mit einem sauren Gesicht zugab, denn sie hatte sich gehörig Mühe gegeben und ihre Arbeit darüber vergessen. Fast bis zu den Fersen reichte das Haar, das, nun ledig seiner Fesseln, die Kleine wie ein brauner Mantel aus loser Seide umwogte.

Kempen hatte zwei flache Kisten zusammengestellt, und als sie nun oben auf dem Stuhl sass, immer lautlos, mit pochendem Herzen, ergriff er ihren Naturschmuck und schlang ihn geschickt zu einem grossen Knoten, der mit seinen Enden nach vorn über die Schultern rieselte. Und er dachte sich dazu etwas anders: ein weisses, durchsichtiges Kleid, das den schwachen Schmelz ihrer Haut zeigen würde, die ganze Plastik dieser knospenden Büste, deren schöne Rundung selbst die mummelige Taille nicht verbergen konnte.

„Wie Sie das alles verstehen,“ warf Frau Munk ein und lachte abermals. Breit und fest hatte sie sich auf das Sofa gepflanzt, die Rechte auf den derben Schirm gestützt, mit der ganzen Koketterie einer noch hübschen Frau, die nun von Eitelkeit auf ihre Tochter erfüllt ist, in der sie ihr Ebenbild erblickt. „Ach, da bist du ja wieder, du liebes Turtelchen,“ rief sie dann aus, als Kempen die weisse Taube aus dem Behälter nahm und sie Klara in die Hände gab, um zu sehen, wie sich alles machen würde. „Lass dich nur nicht beissen, sie war immer so wild.“

Das Tier flügelte und schnäbelte nach dem Mund, sass dann aber still an der Brust wie lebender Flaum. Kempen rückte den Modellierbock zurecht und begann schweigend seine Arbeit, um die erste rohe Skizze zu haben. Kühn warf er den Ton an, knetete dann drauf los, wobei die Finger ihm das Werkzeug ersetzten. Alles wuchs unter seinen Händen, zwar nur in groben Zügen, aber als Abbild dessen, was er zeigen wollte. Niemand sprach ein Wort.

Zweimal noch liess Frau Lemke sich blicken, um sich am Ofen schaffen zu machen; aber ihre Miene verriet, dass nur die Neugierde sie hereingetrieben habe.

Die Mutter hielt wacker bis zum Schluss aus. Zwar war sie auch am andern Morgen wieder zur Stelle; als sie dann aber eine halbe Stunde unverwüstlich gesessen hatte und nur das ernste Arbeiten dieses merkwürdigen Mannes sah, der stets knurrte und brummte, höchstens mit den Fingern sein Modell zurecht rückte, sonst aber kein Lächeln und kein zärtliches Wort herausbrachte, fand sie diesen Bewachungsdienst ebenso langweilig als überflüssig, und so empfahl sie sich mit der Ausrede, noch einen wichtigen Gang zu haben.

Die Skizze war fertig und hatte gefallen. Nach einer zweitägigen Pause ging Kempen an die Ausführung im Grossen. Jeden Morgen pünktlich erschien Klara und nahm sofort ihren Platz ein; stets hatte sie ihren besten Staat an, in dem sie sich ungemein wohlig zu finden schien, denn sie bewegte sich freier, fühlte sich mehr als ein gewichtiges Persönchen, gehoben durch diese neue Welt, in die sie plötzlich versetzt worden war. Sie ahnte ihren Wert, sah sich ans Licht gebracht wie ein armseliges Hauspflänzchen, das erst der Sonne bedurfte, um sich zu entfalten. Frühzeitig sich selbst überlassen, hinausgeschickt in die grosse Stadt, um treppauf treppab zu laufen, war ihr Verstand geschärft worden, hatte sie sich jene Lebensklugheit angeeignet, die bei diesen Kindern den Jahren voraus zu eilen pflegt. Ihr grösster Stolz war, dass sie beim Nichtstun verdiente, immer geputzt wie zum Gang nach der Kirche. Wie hatte sie sich sonst manchmal abschleppen müssen, um nachher, sobald das Glück ihr günstig war, mit fünf Pfennigen Trinkgeld von dannen zu gehen! Wenn es jetzt nach ihr gegangen wäre, so hätte sie auch nachmittags so gesessen, in ihre Gedanken versunken, die kraus genug sich kreuzten, nachdem sie sich an die peinliche Stille im Zimmer gewöhnt hatte.

Kempen sprach bei der Begrüssung sein Dutzend Worte, die fast immer die Frage nach dem Befinden ihrer Mutter enthielten; dann war die Unterhaltung vorüber. Er sah nicht mehr das Mädchen, das heranwachsende Weib, sondern nur den atmenden Gegenstand, den er in ein andres Dasein zu übertragen habe: in das seiner Kunst, in die Empfindung seiner Schöpferwelt. Er blickte nur Linien und Rundungen, die er veränderte, sobald es ihm geeignet schien. Und sie sah, wie er das linke Auge zukniff und an seinem Modellierholz das Luftmass vornahm, verspürte seinen Hauch, wenn er dicht an sie herantrat, um die Feinheiten ihres Antlitzes zu studieren, was sie mit der Musterung eines Steines verglich, der ihn kalt lasse wie ein Gesicht aus gefrorenem Schnee. „Das sollte nur Mutter sehen mit ihrer Angst!“ dachte sie und kicherte innerlich. „Er könnte mich aufessen, ich würde nichts davon merken.“

Da war noch Lorensen ein anderer Kerl, als er eines Morgens nicht versäumte, der Sitzung beizuwohnen, um sich mit Kempen über die Arbeit auszusprechen. Die Gewohnheit hatte sie beide künstlerisch verwachsen gemacht, und so lieh sich jeder die Augen des andern, um seine eigenen Mängel entdeckt zu sehen. So lange sie ihre vier Wände teilten, war das Gleiche geschehen, denn niemals hatte Neid und Eifersucht ihre Seele bewegt; nur der eine Gedanke beherrschte sie: gemeinsam fortzuschreiten bis zur Höhe ihres Könnens.

Diesmal gab also Lorensen den nötigen Fingerzeig. Auch er trat dicht an Klara heran, damit er sich besser in ihre Züge vertiefen könne; aber er übte dabei nicht die Zartheit wie der Genosse. Kempen hatte sich nur den blossen Hals gedacht, der von einem feinen Linnen umschlossen sein sollte. Lorensen jedoch war anderer Meinung; er wollte dem Auge mehr sinnlichen Reiz bieten, was ganz seiner Natur entsprach.

„Halt mal, mein Kind,“ sagte er geschäftsmässig, löste die obersten Haken des Kleidchens und legte die Kanten nach innen um, so dass ein spitzer Ausschnitt sich zeigte. Trotzdem es nicht gefährlich war, stieg brennende Röte in ihr Gesicht, denn sie hatte seine Finger auf ihrer Haut gefühlt; sie wehrte sich nicht, aber wie vom Schreck gelähmt sass sie da, unfähig eines Wortes.

Lorensen, der sich nichts Schlimmes dachte, wollte noch weiter gehen. Kempen aber, der ihre Qual bemerkte, fuhr mit einem strafenden: „Nicht doch, nicht doch!“ dazwischen.

Krampfhaft hatte sie die Taube erfasst und schob sie wie schützend in die Höhe, bis zum Kinn hinauf, selbst nun ein furchtsames Tierchen, das von einem andern Hilfe erwartet.

Lorensen begriff ihn nicht, denn er wollte nur belehren und nichts erleben. Er hatte schon genug enthüllte Jugend gesehen, die dem edlen Zweck der Kunst dienen musste; und niemals war deswegen ein Zetergeschrei entstanden, denn man ergötzte sich daran mit geschlechtslosen Augen. Dieser herrliche Getreue aber wurde sofort von philisterhafter Neigung durchzogen, sobald sein Eigensinn sich regte; er hasste die Weiber, und doch hatte er etwas von ihrer Keuschheit, wenn er sein zartes Wesen offenbarte.

„Herrgott, hab dich doch nicht, Hermann,“ sagte Lorensen ärgerlich, ohne sich Zwang anzutun. „Zu was ist sie denn hier? Manchmal bist du furchtbar echt.“

„Sie ist doch noch ein Kind,“ brummelte Kempen durch seinen Bart zurück.

„Ja, wenn du so denkst, Hermann, weisst du — dann geh in keine Venushalle. Sie fleddern dich dort ordentlich. Das soll wohl sein.“

Trotzdem sie am Fenster standen, hatte Klara alles gehört; und als nun Lorensen, der bald fort musste, ein paar freundliche Redensarten zu ihr machte, die sie über den Zweck dieser winzigen Entblössung aufklären sollten, war ihr Schreck schon überstanden. Nein, sie wollte kein Kind mehr sein, wie Kempen von ihr behauptet hatte, denn dadurch fühlte sie sich gekränkt. Sie sollten doch sehen, dass sie keine Furcht vor ihnen hatte, dass sie wohl zu würdigen wusste, weswegen sie hier sass und was sie den Künstlern schuldig war. „Soll ich morgen ein Kleid mit Ausschnitt anziehen?“ fragte sie vergnügt und zeigte ihre kleinen Zähne. „Ich hab eins, ein weisses. Mutter kann es rasch waschen und plätten.“

„Wollen mal sehen,“ knurrte Kempen.

Lorensen jedoch, der das für Verstellung hielt, begann, sie plump zu loben, zugleich erfreut darüber, mit seiner Kenntnis von dieser Gattung den Sieg davongetragen zu haben. „Na, siehst du, blödes Kücken, das ist doch noch mal ’n Wort,“ sagte er gemütlich und griff zum neckischen Spiel in ihr loses Haar, wogegen sie diesmal nichts einzuwenden hatte. „Man nicht immer gleich so kratzbürstig, ’n hübsches Mädel darf sich niemals so zieren, höchstens mal, wenn es vor’m Spiegel steht. Und hier sitzt du vor der Kunst, die versteht keinen Spass . . . Das alles brauchst du Mutter nicht zu sagen, sonst steckt sie dich wieder in ’n Aschenkasten. Und hier, siehst du, hier sitzt du auf dem Präsentierteller und machst der Welt Freude, die dein Näschen bald bewundern wird.“

Sie lachte nun mit ihm, denn sie hatte bereits alles überwunden mit dem gesunden Frohsinn der Jugend, die schon für gute Worte dankbar ist; sie zürnte ihm nicht mehr, denn es sass ihr noch im Gedächtnis, dass er es gewesen war, der sie damals zuerst schön gefunden hatte, was nun jetzt von ihm wiederholt wurde. Und sie fand es merkwürdig, dass der andre bis jetzt nicht das gleiche getan hatte, dass er ihr zuerst aus dem Wege gegangen war, aber sie doch nun für würdig erachtete, sich so eifrig mit ihr zu beschäftigen, als wäre sie wunder was für eine erlesene Person. Lenzeseinfalt wohnte noch in ihrer Brust, und so sang sie mit, wo sie das Singen hörte, ohne an die Gefährlichkeit der Sänger zu denken.

Richtig erschien sie auch an andern Tag in ihrem weissen Kleidchen, das ihr Aussehen völlig veränderte. Vorher hatte sie in einem Sack gesteckt, nun aber prallte alles an ihr in zarter Rundung. Man sah es, sie war herausgewachsen aus diesem luftigen Gewebe, das oben und unten schon zu wenig hatte. Alles an ihr gewann: der schlanke Hals, die Schultern und die schon vollen Arme. Wie sanfter Schmelz schimmerte die glatte Haut unter dem durchbrochenen Stoff.

„Ei, das lass ich mir gefallen, du Zauberbalg,“ rief Lorensen aus, der auch heute wieder zurückgeblieben war. Er schritt um sie herum, labte sich an der köstlichen Nackenlinie, verschlang ihre Schönheit mit dem Blick des Kenners und dachte dabei an seine „Eva in Scham erglüht“, an das herrliche Gedankenbild, das ihn bewegte, wo er ging und stand.

Kempen sah zwar dasselbe, aber mit andren Augen. Sie erschien ihm plötzlich älter, gereifter, nicht mehr seinem Geschmack angemessen. Zum ersten Male befolgte er nicht den Rat Lorensens, der verwundert aufschaute, als er sie schon am andern Tisch wieder in dem „Blauen“ sitzen sah und nun bemerkte, dass die Brustpartie am Tonmodell hübsch züchtig gehalten war. „Schnökerst so viel an ihr herum und verbummelst die Zeit“, bekam er zu hören. Und versessen auf sein Werk, fügte Kempen noch hinzu: „Zur Taube gehört die Unschuld, in dir rast wieder mal der Fleischbeschauer.“ In Wahrheit befürchtete er, der Blonde könnte sie mit seinem Herumschnüffeln, begleitet von seinen dreisten Redensarten, aufs neue in Verlegenheit bringen und ihm die ganze Stimmung verderben.

Betrübt über den Querkopf, dessen Widerwillen an dieser Arbeit immer deutlicher wurde, machte Lorensen ärgerlich die Türe von draussen zu.

Dann lenkte ihn etwas von diesem Zwischenfall ab, das ihn in eine gewisse Gehobenheit versetzte. Sein Professor Heilke hatte ihn in aller Form zu einem Hausball geladen. Der Briefträger brachte die grosse, goldumränderte Karte, durch die das Künstlernest in Aufruhr geriet, denn noch niemals war ein solches Ereignis eingetreten. Stets hatte man zurückgezogen gelebt, wie häuslich verkapselte Junggesellen, die Familienverkehr weder kennen noch suchen. Trotzdem Kempen die Nützlichkeit eines gesellschaftlichen Verkehrs einsah, hatte er eine gewisse Scheu vor dem Sichaufdrängen, denn wie alle stillen Geister, die ihre Kraft in der Einsamkeit schöpfen, liess er sich lieber suchen. Aber es war bisher niemand gekommen, denn in den Kunstbuden, in denen sie herumwanderten, angelte man nicht nach unbekannten Grössen; es gab nur Anschluss nach unten, nicht aber nach oben. Nun aber stieg wenigstens der eine, und der andre freute sich darüber, als wäre es ihm selbst geschehen.

„Hermann, glaubst du, das kann uns nützen, so was bringt uns vorwärts,“ meinte Lorensen und griff immer wieder zu der Karte, mit der sich all seine Vorstellungen von der sogenannten grossen Welt verbanden. Stets hatte die Sehnsucht danach in ihm gebrannt mit der heimlichen Gier des Frauenfreundes, der von dem Glanz duftender Salons träumt, die er wie das gelobte Land bisher immer nur von weitem sehen konnte. Er vernahm bereits das Knistern der seidenen Kleider, berauschte sich an brillantgeschmückten Nacken und Armen, die ihm einen andren Reiz geben sollten, als die Blösse der gewöhnlichen Weiber.

Kempen nickte nur, war dafür aber um so mehr bei der praktischen Seite der Sache. Man musste einen Frackanzug pumpen, für all das Drum und Dran sorgen, das zu einem patenten Menschen gehörte, der kein gewöhnlicher Sterblicher war und obendrein in der Einbildung lebte, alles werde sich beim Eintritt um ihn drehen.

Kempen biss die Zähne zusammen und machte einen tiefen Griff in die Kasse, deren eigentliches Versteck Lorensen nie so recht ergründen konnte. Als dann der Abend kam und Lorensen als ein zwar etwas unbeholfener aber doch schmucker Kerl im Zimmer stand, mit jenem bangen Gefühl, das der Entdecker einer unbekannten Welt kurz vor dem Ziel empfindet, stiess Kempen krampfhaft hervor: „Na, nun kannst du ordentlich Süssholz raspeln. Sprich nicht zu viel Unsinn und denk nicht immer, du hast Schenkmamsells vor dir.“ Dann jedoch, als er ihm drei einzelne Markstücke gab, damit er nicht in Verlegenheit komme, ermahnte er ihn, noch etwas davon mitzubringen und sich nicht etwa zum Schluss einer Caféschlemmerei hinzugeben.

Der Zufall wollte es, dass um diese Zeit Klara Munk erschien, um Kempen zu benachrichtigen, dass am andern Tage die Sitzung ausfallen müsse, da sie für die Mutter einen notwendigen Gang zu besorgen habe. Kempen war es recht, denn jedenfalls würde der Freund erst am frühen Morgen nach Hause kommen und dann gehörig seine Naht schlafen. Als sie Lorensen im Ballanzug stehen sah, geriet sie in kindliche Bewunderung, der dann stilles Erstaunen darüber folgte, wie ein Mensch sich rasch verändern könne. Der Friseur hatte ihn nachmittags gründlich zurechtgestutzt, ihm die blonde Mähne ordentlich beschnitten und gescheitelt und das Schnurrbärtchen kokett gewichst und gespitzt, so dass etwas Geziertes und Geschnörkeltes an ihm entstanden war. Sie musste lachen, freute sich dann aber mit den beiden, denn, bereits eingelebt in ihre Verhältnisse, hatte sie schon seit Tagen lebhaften Anteil an diesem Vorgang genommen.

„Ach, bringen Sie mir etwas mit, und wenn’s auch nur eine Blume ist,“ bat sie ihn. „Die feinen Damen haben ja alle Buketts.“

„Das ist wahr, so ’n bisschen räubern kannst du,“ warf Kempen ein, dachte dabei aber an etwas andres. „Ein Frauenzimmer braucht ja nicht gleich dran hängen zu bleiben.“

Lorensen fühlte sich bereits in der Rolle des Eroberers; er wiegte sich in seiner schlanken Taille, um die der Frack ihm etwas zu eng sass, quälte sich probeweise mit dem linken Handschuh ab und sagte mit einer gewissen Grossartigkeit, während er den Blick nicht von dem alten Mahagonispiegel liess: „Du, Hermann, das kann gefährlich werden. Vielleicht bleibt ’ne Millioneuse dran hängen. Das war furchtbar echt.“

„Dann pack nur gleich mit deiner Kunst ein,“ zischelte Kempen zwischen den Zähnen. „Rückgrat gebrauchen wir, Rückgrat, aber keine Frau!“

Lorensen vergnügte sich wie gewöhnlich darüber, hängte sich seinen Mantel um, erschreckte zum Abschied Klara ein wenig, indem er den ebenfalls geborgten Chapeau claque fast an ihre Nase springen liess, beäugelte noch einmal die selbstlackierten Stiefel und ging dann von den besten Wünschen begleitet.

Kempen hatte bereits sein bescheidenes Abendbrot auf dem Tisch, und als Klara sich nun ebenfalls verabschiedete, fragte er gutmütig, ob sie nicht eine belegte Schnitte mitessen wolle; besser werde sie es wohl zu Hause auch nicht haben. Sie zierte sich nicht, nahm den Hut ab und setzte sich zu ihm, denn seitdem sie hier aus und ein ging, war etwas von der Ungezwungenheit dieser Künstlerwirtschaft auf sie übergegangen. Fast fühlte sie sich wohler als daheim, wo es weiter nichts zu sehen gab als die muffige Wäsche und den lichtlosen Hof, was nicht angenehmer wurde durch die Scheltworts der Mutter, sobald die Erinnerung an vergangene Zeiten sie schlecht gelaunt hatte.

Hier aber herrschte ein freier, heitrer Ton, wehte sozusagen Bildungsluft, erkannte man bereits die Vorzüge ihrer fünfzehn Jahre. Mit Lorensen würde sie gewiss nicht so unter vier Augen essen, denn er machte zuviel zudringliche Spässe, und wenn seine blauen Augen so lange auf ihr ruhten, fühlte sie heisse Röte in den Wangen. Kempen jedoch hatte etwas Väterliches für sie, das sich zwar polternd äusserte, sie aber ungemein ruhig stimmte. Oftmals, wenn sie so still gesessen, hatte sie Vergleiche zwischen den beiden angestellt, die ihrem frühzeitig entwickelten Scharfsinn alle Ehre machten. Kempen war jedenfalls der Bessere, fest und zielbewusst, aber nicht der Hübschere. Die Sorglosigkeit seines Äusseren gefiel ihr nicht, namentlich die Art, wie er seinen Bart verwildern liess. Wohl hatte er schöne, klare Augen, in denen nichts Böses schlummerte, aber seine Knickrigkeit, die fast an Geiz grenzte, stiess sie besonders ab. Nein, sie hätte ihn nicht zum Manne haben mögen, trotzdem sie sich gestehen musste, dass er immer solide beiben würde.

Lorensen war ein lockerer Vogel, immer geneigt zu einem lustigen Flug, wenn es auch nur in Gedanken geschah, auf die Zeit wartend, wo er zu Geld und Ehren gekommen sein würde. Eines Vormittags hatte er sich gehörig darüber ausgesprochen, so dass sie hingerissen davon wurde und in ihrer Einbildung die kühne Reise mitmachte. Ja, das musste schön sein, oben auf der Höhe zu stehen, bewundert von den Menschen, die meistens alle so eklig dumm waren, sich aber bezwungen fühlten, weil sie nicht so hoch hinaus konnten. Sie spürte selbst etwas von dieser Lebenslust, von dieser Keckheit, alles im Sturm zu nehmen; und wenn sie seine gesunden, weissen Zähne, seine vollen roten Lippen sah, so war er beinahe ihr Ideal, zumal heute, wo er fast den Eindruck eines feinen Mannes gemacht hatte. Und doch wäre er nicht nach ihrem Geschmack gewesen, denn er liess sich zu sehr von Kempen ducken, war zu viel Waschlappen, wenn es sich einmal darum handelte, die gleiche Selbständigkeit mit dem andern zu zeigen. Beide zusammen in einem — das hätte ihr am Ende gefallen können!

„Sie möchten wohl nicht, dass Herr Lorensen heiratet?“ fragte sie plötzlich, nachdem sie ein Weilchen emsig gekaut hatte.

„Wie kommst du denn darauf?“ gab er überrascht zurück.

„Na, ich denke es mir, ich hörte es doch soeben.“

„Ach, denk dir lieber etwas andres, du Kiekindiewelt!“ platzte es ihm heraus. „Was verstehst du schon vom heiraten.“

Sie verzog den Mund mit einem überlegenen Zucken, das sie immer bereit hatte, sobald man sie unterschätzte. Und seine Bezeichnung gefiel ihr im Augenblick so wenig, dass sie ihn einfach garstig fand; trotzdem fuhr sie gleichmütig fort: „Mutter sagt immer, dass die Männer dazu da sind, die Frauen zu heiraten.“

„Ja, wenn sie sich den Wind haben gehörig um die Nase wehen lassen, du Fräulein Superklug.“ entfuhr es wieder seinem Munde.

„Und wer es nicht täte, der wäre ein Feigling,“ sprach sie gelassen weiter, während sie sich wie ein Naschmäulchen die Butter von den Fingerspitzen leckte.

Kempen war so verblüfft, dass er sich durch ein Ausschweigen erst sammeln musste; dann aber lachte er kurz auf, wobei er den letzten Happen herunterwürgte. „So, was deine Mutter klug ist!“ knurrte er wieder. „Dann sage ihr nur, es gäbe auch Helden unter den Männern, die eine Stärke darin sähen, nicht zu heiraten. Weil sie keine Weibsknechte werden wollen, und ein Knecht ist immer ein unterwürfiger Kerl.“

Sie liess sich nicht mundtot machen: „Ich weiss aber aus der Bibel, dass selbst Riese Simson von der Delila bezwungen wurde, weil sie ihm heimlich die Haare abschnitt. Und Mutter sagte immer, jede Frau habe so eine Schere für den stärksten Mann, sie müsse nur verstehen, sie zu gebrauchen.“

Das war Kempen zu viel, denn er ärgerte sich, das alles aus dem Mund einer Halbwüchsigen zu hören, die ihm nicht gleichwertig erschien. Er liess sein Messer auf dem Teller klirren und fuhr sie fast wütend an: „Kau doch nicht solche dummen Dinge wieder, die du noch gar nicht verdauen kannst. Ich verbitte mir das, verstehst du? Überhaupt und so! Von dieser Seite kenne ich dich ja gar nicht . . . . In der Bibel stehn viele Märchen, das ist bekannt. Du bist ein naseweises Dummchen. Ja.“

Im nächsten Augenblick jedoch schon tat ihm dieser Zornesausbruch leid, denn völlig eingeschüchtert sass sie da und wagte nicht weiter zu essen. Blass geworden, senkte sie die Wimpern mit einem schmerzlichen Ausdruck im schönen Gesicht, der ihr etwas Madonnenhaftes gab. „Iss nur weiter, es hat dir doch geschmeckt?“ lenkte er milde ein. „Man nicht immer gleich so übelnehmsch sein. Siehst du, ich bin doch schon ein erfahrener Mann gegen dich, und deine Altklugheit, siehst du — das ärgert mich.“

„Das wollte ich doch gar nicht,“ hauchte sie und zerdrückte die Tränen unter den langen Wimpern. „Sie sind immer gleich so grob . . . Märchen werden doch manchmal wahr . . . Und wenn ich ein Dummchen bin, weshalb modellieren Sie mich dann? Sie können doch ohne mich den Kopf gar nicht machen. Sehen Sie! Wo bleibt da Ihre Stärke? Ja, und . . .“

Sie gluckste die Worte hervor, die sie zuletzt verschluckte.

Kempen sah aufs neue ihre Keckheit darin, und sofort war seine Gutmütigkeit verscheucht. Er, der diese Töpferarbeit nur der Not gehorchend machte, nicht dem eigenen Triebe, sollte diese Zurechtweisung ruhig einstecken, von diesem Balg sogar? Nein, das durfte nicht geschehen, er musste den Fürchterlichen zeigen. „Geh jetzt, du brauchst nicht mehr wiederzukommen,“ herrschte er sie an und erhob sich mit einem Ruck.

„Es ist gut, Herr Kempen.“ Sie stand auf, machte sich rasch fertig, bedankte sich und ging hinaus.

Dieses Ausreissen ohne Sang und Klang hatte er nicht erwartet. Er sah die angenässte, halbfertige Büste, dachte an die Eile seiner Arbeit, bezwang sich rasch und riss die Tür auf. Noch vernahm er ihre Schritte. „Hör mal, Klara, übermorgen lass dich noch einmal sehen— wenn du willst!“ rief er ihr nach.

„Schön, Herr Kempen, ich werde pünktlich kommen,“ schallte es zurück. „Ich dachte es mir gleich.“

Wieder drin im Zimmer, warf er die Tür hinter sich zu, als hätte er einen Feind abgetan. Dann knurrte er seine Wut in sich hinein wie ein bezwungener Held, der still austoben muss, um nicht verlacht zu werden.

Was ist Ruhm?

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