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III.

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Am anderen Tage, nachmittags zwischen fünf und sechs Uhr, als Sonter gerade ein neues Aktenbündel vorgenommen hatte, liess sich eine Dame bei ihm melden, was etwas ganz Ungewohntes war. Käthe überbrachte die Visitenkarte, so in einer Art, als wüsste sie selbst nicht, was sie dazu sagen solle. Natürlich hatte sie rasch die Aufschrift gelesen, nachdem die Besucherin von ihr in den Salon geführt war.

„Frau Doktor Julia Birkenheimer? Kenne ich nicht“, sagte Sonter etwas kurz, ohne sich vom Sitz zu rühren. Er war ärgerlich über diese Störung, denn er hatte bereits Toilette zum Ausgehen gemacht, um einen kleinen Spaziergang zu unternehmen, denn seit neun Uhr morgens hatte er sich fast ununterbrochen mit den Auslassungen des streitsüchtigen Publikums beschäftigt.

„Eine sehr elegante Dame“, warf Käthe ein.

„Was wünscht sie denn?“

Käthe zuckte mit den Achseln. „Danach habe ich natürlich nicht gefragt, — das steht mir ja auch nicht zu. Wenn aber der Herr Landgerichtsrat wollen ...“

„Der Herr Landgerichtsrat wollen weiter nichts als ungestört sein“, äffte er sie an.

„Gut, dann werde ich es ihr sagen.“

„Käthe, du bist wohl verrückt?“

„Ja, das war ich mal“, sagte sie, nun auch ziemlich erregt, weil sie nicht wusste, wie sie sich in dieser Angelegenheit verhalten sollte.

Indem sie schon gehen wollte, erhob sich Sonter, um sich selbst zu der Dame zu bemühen, weil er sein Verhalten nun für unschicklich hielt. Ohne auf seine Frau noch Rücksicht zu nehmen, ging er, die Visitenkarte in der Hand, geradenwegs in den Salon. Käthe aber blieb mitten im Speisezimmer stehen und sah ihm nach, so im Zweifel an seiner Aufrichtigkeit. Schon seit gestern morgen empfand sie instinktiv, dass in ihm etwas Besonderes vorgehen müsse, was mit den Akten Goland kontra Goland zusammenhänge, denn gar zu sehr hatte er sich für diese Frau ins Zeug gelegt.

Draussen auf der Strasse lag die noch brennende Junisonne, und so ging Käthe auf den Balkon, um den durstigen Blumen etwas von dem Wasser zu geben, das die sorgsame Frau Klenke schon vorher hinausgestellt hatte. Käthe nahm das kleine, grün lackierte Giesskännchen, schöpfte damit aus dem Eimer und begann still die Blumen zu begiessen, wobei sie auf der Seite anfing, die dem Salon, dessen Fenster weit geöffnet waren, am nächsten lag.

Kaum war Sonter im Salon und hatte seine höfliche Verbeugung gemacht, als Frau Doktor Julia Birkenheimer, von dem grünseidenen Sessel aufhüpfend, ihm auch schon wie eine gute Bekannte entgegenrauschte und ihn, ohne seine Anrede erst abzuwarten, mit einem Schwall liebenswürdiger Worte zu benebeln begann, aus denen ihm vor allem die Entschuldigung im Ohre haften blieb, dass sie es wage, einen „vielbeschäftigten, in seinem Berufe so andauernd tätigen und“, wie man ihr gesagt habe, „schwer zugänglichen Herrn“, zu stören, — natürlich nur auf ein paar Minuten! Aber wenn der Herr Landgerichtsrat den Grund dazu erfahren haben werde, werde er diese unliebsame Störung gewiss verzeihlich finden. Ihr Mann habe ihr zwar gleich davon abgeraten, denn Richter seien keine juristischen Auskunftsbureaus, und besonders seien preussische Richter unnahbar in dieser Beziehung, namentlich wenn es sich um delikate Amtsdinge handle, aber was tue man nicht alles einer geliebten Schwester wegen, die zwischen Hangen und Bangen schwebe und eher den Tod vorziehen würde, als die Fesseln eines unwürdigen Ehejochs noch länger zu ertragen. Und eben deshalb ... und gerade deswegen — und so weiter.

Ein scharfer Duft von Veilchen erfüllte das Zimmer und strömte in sanften Wellen dem von vornherein stumm gemachten Sonter entgegen, der mit seinem Napoleonblick die elegante, in Seide knisternde, wenn auch nicht mehr ganz junge, so doch noch immer einladende, plappernde Modepuppe umfasste, ohne sie vorerst mit dem Herrscherauge zur Ruhe zwingen zu können.

„Gnädige Frau haben sich wohl im Hause geirrt“, kam er endlich zu Worte. „Sicher wollten Sie Justizrat Samter nebenan in Anspruch nehmen. Eine Verwechslung der Namen liegt sehr nahe.“

Frau Birkenheimer lachte, so dass die kleine Goldplombe an dem Seitenzahn aufblitzte.

„Nein, nein, ich komme direkt zu Ihnen, Herr Landgerichtsrat. Ich habe wohl ganz vergessen zu sagen, dass ich die Schwester von Frau Goland bin, wie? Dann bitte ich vielmals um Entschuldigung.“

Sie hätte das nicht erst zu bestätigen brauchen, denn die Ähnlichkeit mit ihrer Schwester war unverkennbar, wenn sie auch eine mehr lädierte Schönheit war, die unstreitig das Bestreben zeigte, sich durch kosmetische Mittel in den früheren Zustand zu versetzen. Jedoch war Sonter durch diesen Überfall so verblüfft, dass er sich durchaus ratlos vorkam. So stand er unter den Gefühlen eines Mannes, der zwischen Freude und Ärger schwankt und erst überlegen muss, was ihm vorteilhafter sein würde.

„Ich wollte es dem Fräulein nicht gleich sagen, sonst hätten Sie mich vielleicht gar nicht vorgelassen“, fuhr Frau Birkenheimer eifrig fort. „Ich seh’s Ihnen nämlich schon an. Seien Sie mir nur nicht böse, Herr Landgerichtsrat.“

„Durchaus nicht, gnädige Frau“, warf Sonter nun verbindlich ein, beinahe schon erfreut darüber, dass sie Käthe für sein Fräulein gehalten hatte; denn er sah gleichsam ein Hindernis fortgerückt, wonach er sich freier äussern dürfe.

„Ich weiss ja, dass Junggesellen immer etwas ungnädig sind, wenn man sie in der Arbeit stört“, sprach Frau Birkenheimer weiter und nahm ohne Aufforderung wieder Platz, weil sie eine längere Aussprache für selbstverständlich hielt.

Sonter wurde zwar etwas rot, erhob aber auch dagegen keinen Einspruch, weil er sich dazu nicht für verpflichtet hielt. Halb gezwungen setzte er sich ebenfalls, neugierig, was nun weiter kommen würde.

„Jedenfalls gibt es Ausnahmen, gnädige Frau“, bemerkte er leichthin, um über diesen Punkt doch etwas zu sagen.

„Cilly hat Sie für einen so scharmanten Herrn erklärt, dass mir der Gang dadurch bedeutend erleichtert wurde, wollen Sie glauben?“ ermunterte ihn Frau Birkenheimer, eine bessere Laune zu zeigen, denn seine Zurückhaltung konnte ihr nicht entgehen. „Wissen Sie, was sie gestern abend erst sagte? Sie sagte, dass sie bei der letzten Zeugenvernehmung ganz entzückt gewesen wäre von Ihrer Liebenswürdigkeit, mit der Sie sich ihrer angenommen haben, als Golands Anwalt allerlei unschöne Bemerkungen fallen liess. Das soll ja geradezu ein Patentekel sein. Ich bitte Sie! Es so hinzustellen, als könnte meine Schwester ihre Zofe und das übrige Dienstpersonal beeinflusst haben! Das ist doch überhaupt eine Unverschämtheit. Blaue Flecke am Arme macht man sich doch nicht zum Vergnügen. Ich habe das selbst gesehen. Mein Mann wollte nur nicht, dass ich mich da hineinmische. Drei ganz unparteiische Zeugen genügen ja auch schon ... Glauben Sie denn nun, Herr Landgerichtsrat, dass die greuliche Sache bald zu Ende sein wird? Sie können sich gar nicht denken, wie dankbar Ihnen Cilly ist, dass Sie ihren neuen Beweisanträgen immer stattgegeben haben.“

„Das erfolgt durch Gerichtsbeschluss, Frau Doktor“, sagte nun Sonter ziemlich kühl, obwohl ihm das Herz bei alledem ein wenig bebte. „Ich tue lediglich meine Pflicht als Referent, ganz ohne Ansehen der Person, nur im Interesse der Sache.“

„Na, na, Herr Landgerichtsrat, — ein wenig Sympathie bringen Sie uns armen, gequälten Frauen in einem solchen Falle doch wohl entgegen“, sagte Frau Birkenheimer ganz dreist und erhob den schelmischen Blick zu ihm. „Cilly hat wenigstens so die Auffassung, als betrachteten Sie ihre Angelegenheit auch von der rein menschlichen Seite. Und mit Recht, das sage ich. Würden Sie nun einmal die grosse Liebenswürdigkeit haben, mir ganz offen zu sagen, ob die Ehe zu Cillys Gunsten geschieden werden wird? Das Urteil muss doch bald herauskommen. Ihr Mann will die Sache jedenfalls nur verschleppen. Und bis dahin verpulvert er ihr Geld. Der Junge muss ihr doch auf alle Fälle zugesprochen werden, nicht? Denn aus dem würde ja was Schönes werden, wenn er bei seinem Vater bliebe. Er neigt jetzt schon zu allerlei Dummheiten. Wissen Sie, was er neulich sagte? Er bliebe nach der Scheidung nur da, wo das meiste Geld wäre. Wenn Sie wüssten, wieviel Tränen Cilly darum schon vergossen hat. Und dann faltet sie die Hände und betet förmlich zu Gott: ‚Käme doch noch der rechte Mann, der dir Erziehung beibrächte.‘ Meine Schwester ist recht zu bedauern, wollen Sie glauben.“

Darauf liess Frau Doktor Julia Birkenheimer das Händespiel von der rotseidenen Schmuckschleife ihres langstieligen Sonnenschirmes, den sie wie eine Lanze vor sich aufgepflanzt hatte, holte ihr Spitzentüchlein aus der silbernen Panzerhandtasche und tupfte sich damit auf die feuchtgewordenen Augen, aber doch vorsichtig genug, um den Eindruck der kosmetischen Mittel nicht zu verwischen. Dann zog sie den Schmerz durch die feine Nase und plinkerte ein wenig mit den schönen Augen, was so alles der Ausdruck ihrer durch die Tränen verursachten Stimmung war. Und zu alledem kam noch ein tiefer Seufzer über ihre schmalen Lippen, als sie hinzufügte: „Ja, ja, so ist das im Leben.“

Obwohl Sonter den Verlauf der Dinge schon ziemlich zu kennen glaubte, hielt er es mit seiner Amtsverschwiegenheit doch nicht vereinbar, aus seiner Zurückhaltung herauszugehen. Es wurde ihm nicht leicht, das fühlte er; denn je mehr ihm Frau Birkenheimer das Bild ihrer Schwester enthüllte, das ihm nun körperlicher vor Augen trat, als alle Schriftsätze es zu tun vermocht hätten, desto mehr fühlte er sich zu Cilly Goland hingezogen und versucht, ihr seine Anteilnahme zu beweisen.

„Das Schicksal Ihrer Frau Schwester tut mir ungemein leid, aber Sie werden es wohl begreiflich finden, dass ich mich über den Stand der Sache in keiner Weise äussern kann.“

„O, das ist recht schade“, warf Frau Birkenheimer ganz betrübt ein. „Und meine Schwester glaubte gerade, dass Sie sich für ihr Schicksal besonders interessierten. Sie kannten sie doch schon als Mädchen, nicht wahr?“

„Ich habe Fräulein Hoffmeister allerdings mehrfach in geselligen Kreisen gesehen, irre ich mich nicht, so war es zuletzt bei Geheimrat Frank.“

„Sehen Sie, Ihr Gedächtnis!“ rief nun Frau Birkenheimer lebhaft aus. „Mit Lydia Frank war sie ja eng befreundet.“

„Das heisst, ich kann mich auch irren“, wandte Sonter rasch ein. „Das sind schon mindestens zehn Jahre her; nach dem Tode des Geheimrats wurde es dort sehr still im Hause.“

„Nein, nein, es hat schon seine Richtigkeit, Herr Landgerichtsrat. Haben Sie nicht meiner Schwester damals den Hof gemacht? Ein Wunder wäre es ja nicht, denn Cilly war wirklich ein hübsches und nettes Mädel. Na, na, besinnen Sie sich einmal. Ein Verbrechen wäre es jedenfalls nicht gewesen, denn an einen Herrn Goland dachte sie damals noch gar nicht. Sie können sich ja wohl denken, wie das so ist bei uns jungen Mädchen. Wir träumen mit offenen Augen vom Himmel, und dann greift ein kecker Kerl zu und führt uns in eine Ehehölle. Das heisst, — ich kann mich ja nicht beklagen, Gott sei Dank nicht. Meinen Felix sollten Sie kennen lernen, der ist die Aufopferung selbst, der wird schon vorher rot, ehe er ein böses Wort herausbringt. Manchmal ist es mir schon zu viel Nachgiebigkeit, wollen Sie glauben?“

Frau Birkenheimer beschäftigte sich nun wieder mit der Schmuckschleife an ihrem Schirme, die sie über den Griff eine kleine Rutschbahn machen liess, abwechselnd von oben nach unten und umgekehrt. Ihre Nervosität zwang sie zu andauernder Unruhe, wodurch sie den ruhigsten Menschen anstecken konnte.

Sonter fand nur ein Lächeln, obwohl er plötzlich wieder rot geworden war, denn nur zu wahr hatte sie gesprochen. Damals schon hatte Fräulein Hoffmeister seine Aufmerksamkeit erregt, die über das gewöhnliche Mass der Beachtung von seiten junger Männer hinausgegangen war, denn sonst hätte sich dieses Interesse wohl nicht auf die Akten Goland kontra Goland übertragen. Er fand es nun ganz merkwürdig, dass Frau Goland bei ihrem Auftauchen an Gerichtsstelle durch nichts diese früheren Beziehungen zu erkennen gegeben hatte, die nun hier in dieser Unterhaltung ein ganz anderes Gesicht bekamen. Obwohl es ihm als Richter nur angenehm hatte sein können, war er innerlich doch ein wenig ärgerlich darüber gewesen, weil die alten Gefühle für sie in ihm noch nicht erloschen waren.

„Ist das Ihrer Frau Schwester noch in der Erinnerung geblieben?“ sagte er dann. „Bei der grossen Zahl der Verehrer, die Fräulein Hoffmeister damals hatte, konnte ich in meiner Unscheinbarkeit unmöglich so sehr auffallen. Es war schon damals meine Stärke, mich immer im Hintergrund zu halten.“

„Sie wussten wohl auch weshalb, Herr Landgerichtsrat“, schmeichelte nun Frau Birkenheimer darauflos. „Grosse Männer lassen die Ereignisse an sich herantreten. Unscheinbarkeit? Ich bitte Sie? Wer Ihren Charakterkopf einmal gesehen hat, der vergisst ihn doch nicht. Der beste Beweis, dass Sie meiner Schwester in der Erinnerung geblieben sind.“

„Und danach ging sie hin und heiratete einen Herrn Goland“, warf Sonter etwas boshaft ein.

„Leider. Diesen Flachkopf, diesen Idioten, der nur ihr Geld durchbringen konnte.“

„Dazu scheint er aber Verstand genug gehabt zu haben“, unterbrach sie Sonter und sah unwillkürlich nach der gossen Standuhr in der Ecke, die mit brummenden Schlägen angezeigt hatte, dass mittlerweile eine halbe Stunde verronnen war.

Frau Julia hatte diesen Blick auf ihre Weise gedeutet, erhob sich elegant und schwenkte ihre knisternde Seidenrobe mit ein paar Schritten durch den Salon, weil sie absolut nicht lange auf einem Flecke stehen konnte. Sie tat das auch gerne, um ihre hübsche Figur mit der biegsamen Beweglichkeit in ein vorteilhaftes Licht zu rücken.

„Haben Sie vielen Dank für den liebenswürdigen Empfang, Herr Landgerichtsrat“, sagte sie dann und reichte ihm die Hand. „Ich gehe zwar ebenso klug von hier weg, wie ich gekommen bin, aber ich freue mich doch, Ihre persönliche Bekanntschaft gemacht zu haben.“

„Diese Freude ist ganz auf meiner Seite, gnädige Frau“, diente ihr Sonter höflich. „Ich bedaure nur unendlich —“

Das gab Frau Julia wieder Mut. „Sagen Sie mal — Sie sind doch wirklich ein so scharmanter Herr —, können Sie mir nicht wenigstens Ihre Privatansicht als kleinen Trost mit auf den Weg geben? Eine kleine Freude möchte ich doch Cilly bereiten. Sie möchte so gern auf ein paar Wochen fort, schon des Jungen wegen. Darf ich übrigens um das Vergnügen bitten, Sie nächstens bei uns zu einer Bowle zu sehen? Es wäre reizend.“

Sonter verbeugte sich wie zum Dank, ohne jedoch darauf einzugehen. Ein Weilchen überlegte er, dann siegte sein Gefühl. „Wenn Sie meine Privatansicht wünschen, das ändert die Situation“, sagte er, die klugen, grauen Augen besonnen auf die nervöse Frau gerichtet. „In diesem Falle würde ich bitten, dass sich Frau Goland keine Sorge mache, möge sie ruhig die nächste Woche abwarten.“

„Das genügt mir, Herr Landgerichtsrat, tausend Dank. Auf Wiedersehen.“

Sonter öffnete ihr die Türe, die von hier aus direkt zum Korridor führte und begleitete sie bis zur Aussentür, durch die sie, mit einen nochmaligen: „Auf Wiedersehen“ ermunternd, das Rauschen der leichten Seide davontrug. Nur ihr starker Veilchenduft blieb zurück, der, aufgescheucht durch die Wellen des Luftzuges, nun auch den Korridor füllte.

Käthe hatte die Blumen ruhig weiter begossen; sie wollte sich schon der anderen Seite des Balkons nähern, als das Gespräch nebenan sie zu interessieren begann. Das Fenster stand weit offen, die Dame sprach laut und ungeniert, und auch Sonters Stimme liess an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die feinen, vorgezogenen Stores waren nicht dazu geschaffen, den Schall viel zu dämpfen, und so war es Käthe möglich, alles mit anzuhören, was sie um so lieber tat, als sie sich einbildete, als Frau ein gewisses Recht dazu zu haben, besonders da der Besuch sich beinahe wie eine gute Bekannte einführte und so aufdringlich liebenswürdig tat.

Einmal schlug Käthe das Gewissen, denn sie dachte an das Sprichwort: „Der Horcher an der Wand, hört seine eigne Schand!“ Denn es dünkte ihr beinahe wie eine Art Schande, dass Frau Birkenheimer sie für ein „Fräulein“ hielt, weil ihr dabei nur zu sehr zum Bewusstsein kam, wie sie als Sonters Frau gleichsam von ihm versteckt wurde, damit sein guter Ruf nur nicht unter dieser Ehe zu leiden habe.

Sie huschte von ihrem Lauscherposten hinweg und machte den Versuch, die Blumen weiter zu begiessen, aber das Giesskännchen zitterte in ihrer Hand. Es ging etwas in ihr vor, was sie bisher nicht empfunden hatte. Und diese sonderbare Empfindung verstärkte sich noch, als sie, unwiderstehlich zum Weiterhorchen angetrieben, nun noch hörte, dass ihr Mann das „Junggeselle“ ruhig einsteckte, ohne den Mut zu einer Richtigstellung zu finden.

Ihr Herz schlug heftig, und wenn sie nun Empörung empfand, so kam es daher, dass Sonter sie im Hause so offen zu einer Dame verleugnete, die aus jener Welt kam, in die sie niemals hineinkommen durfte, weil ihr Herr und Gebieter es so verlangte. Bisher hatte sie noch keine eifersüchtigen Regungen empfunden, was daher kam, weil ihr niemals Gelegenheit dazu geboten worden war. Nun aber passierte etwas anderes: Da war ein elegantes Weib erschienen, nannte sich Schwester der Frau Goland, erweckte in Sonter alte Erinnerungen an diese und lockte ihn schliesslich in ihre Wohnung.

Ei, dachte Käthe, da nimmt man dir ja eine schöne Binde von den Augen. Sie glaubte nun die Erklärung dafür zu haben, weshalb ihr Ehemann diese in Scheidung liegende Ehefrau verteidigt und sie so sehr als Dame herausgestrichen hatte, um den Unterschied zwischen ihr und seiner Frau festzustellen. Und das hatte sie am meisten gekränkt.

Was redet denn diese Person eigentlich noch so viel, er will doch fortgehen, dachte sie dann ganz aufgebracht, weil sie ihre Ohnmacht gegen diesen Zustand fühlte. Am liebsten hätte sie geklopft und hineingerufen: Herr Rat, Sie wollten doch Ihren Spaziergang machen!

Dann, als sie vernahm, dass Frau Birkenheimer nun endlich gehen wollte, ergriff sie hastig den leeren Wassereimer und huschte durch das Speisezimmer, hinaus über den Korridor.

Als sie dann mit einem vollen Eimer zurückkehrte, war Sonter gerade in sein Arbeitszimmer getreten.

Eine frische Zigarre zwischen den Lippen, trat er sacht auf den Balkon, wo sich Käthe gerade die Augen aussah, um noch etwas von der eleganten Dame zu erhaschen.

„Käthe, denken Sie nur, was alles vorkommt“, begann er, nun erfreut, eine geduldige Zuhörerin beim Ausschütten seiner kleinen Schmerzen zu haben.

Diesmal drohte nebenan nicht die fette Nachbarin, und so brauchte er wenigstens nicht auf seine Worte Rücksicht zu nehmen.

„Herr Rat sind ja so lange aufgehalten worden“, sagte sie mit dem Ausdrucke der Besorgnis, obwohl ihre Brust stürmisch ging. Ohne ihn anzusehen, begoss sie nun auf dieser Seite die Blumen, vorsichtig Topf für Topf.

„Es ging nicht anders. Denken Sie nur, kommt da eine Dame und will Auskunft von mir haben über einen schwebenden Prozess.“

„Ach was! Hätte ich das gewusst, so hätte ich sie gleich abgefertigt. Die Tür vor der Nase hätt’ ich ihr zugeschlagen.“

„Sie sind ja heute sehr zärtlich in Ihren Bemerkungen. Die Dame verlangte doch mich zu sprechen!“

„Das weiss ich, Herr Rat. Aber das muss mir doch der gesunde Menschenverstand sagen, dass sich ein Richter nicht über seine Akten aushorchen lässt, so viel habe ich doch auch schon vom Herrn Rat gelernt.“

„Diese Ansicht ehrt Sie, Käthe. Sie haben aber noch viel Schlimmeres begangen, Sie haben sogar hinter meinem Rücken die Akten studiert und alle meine Anmerkungen gelesen. Bedenken Sie nur.“

„Dafür bin ich auch Ihr — Fräulein, Herr Rat.“

Ein Lachen folgte, wie er es in dieser Art von ihr noch nicht gehört hatte. Was hat sie denn eigentlich, dachte er und setzte sich auf den Korbstuhl, der zur Hälfte schon im Zimmer stand, mit der Lehne diesem zugekehrt. Er zog den kleinen Balkontisch zu sich heran, legte die Arme auf den Tisch und verfolgte auf diese Art mit seinem ruhigen Blicke die Bewegungen der Fleissigen, die noch immer kein Auge für ihn hatte.

„Haben Sie sich über etwas geärgert, Käthe?“

„Geärgert? Ich? Herr Rat wissen doch, dass ich mich in alles schicke. Ich bin ja schon zufrieden, wenn man mich in Ruhe lässt ... Werden Herr Rat heute länger fortbleiben? Ich möchte gern einmal das Fenster im Arbeitszimmer putzen.“

„Das könnten Sie doch auch Frau Klenke machen lassen, Käthe. Sie wissen doch, dass ich das nicht gerne von Ihnen sehe.“

Wieder kam das halbverschluckte, helle Lachen, das ihm so fremd war.

„Die macht das nicht sauber genug, Herr Rat. Ausserdem ist das ja immer so gewesen. Ich bin an Arbeiten gewöhnt, und aus der Nachbarschaft mache ich mir gar nichts.“

„Käthe, Ihnen ist heute etwas in den Kopf geschossen. Seien Sie doch gemütlich, ich bin es ja auch.“

Wenn Landgerichtsrat Sonter mit seinen Akten durch war, dann legte er auch den Beamten allmählich ab, besonders wenn er schon einen „anderen Menschen“ angezogen hatte.

Käthe setzte die Giesskanne plötzlich hin, kehrte sich ihm nun zu und nestelte mit beiden Händen an ihrem üppigen Haar hinten, so dass ihre ganze Büste sich straffte. „Mir ist gar nichts, Herr Rat, wirklich nicht. Es ist nur heute so schrecklich warm ... Sie werden nun doch wohl ausser dem Hause essen?“

„Ich muss dir wohl schon den Gefallen tun, Käthe“, sagte er freundlich, indem sein Blick wieder ihre kräftige Gestalt umfasste, was ihn, da er kein Heuchler war, mit Wohlgefallen erfüllte. Manchmal glaubte er besondere Reize an ihr zu entdecken, und dann bedauerte er in Gedanken, dass in diesem Kopfe nicht ein anderes Hirn mit einem anderen Denkvermögen steckte.

„Herr Rat dürfen aber nicht vergessen, dass morgen früh die Akten abgeholt werden. Herr Rat scheinen mir heute nämlich ganz besonders gut aufgelegt zu sein, und dann könnte es vielleicht etwas spät werden.“

„Nicht daran zu denken.“

„Dann müssen der Herr Rat aber bald gehen. Die Dame hat Sie sehr lange aufgehalten.“

Damit ergriff sie einfach die Giesskanne und ging an ihm vorüber ins Zimmer, wobei sie sich seitwärts vorbeidrängte, um nicht mit ihm in Berührung zu kommen.

Sonter erhob sich, ging ihr nach und zwang sie dadurch zum Bleiben. „Eigentlich bist du doch ein ganz hübsches Mädel, Käthe“, sagte er, ganz unter dem Eindruck ihres Anblicks stehend.

Käthe wurde rot. „Das wissen Herr Rat jetzt erst?“ erwiderte sie dreist. „Andere haben mir das schon früher gesagt.“

Sonter lachte friedlich. „Du hast neben mir auch noch andere? Das ist ja ganz etwas Neues.“

Käthe spielte die Ernste. „Weiss ich denn, ob der Herr Rat nicht auch andere haben?“

„Dann wäre ja die Ehescheidung fertig“, platzte es Sonter heraus, beinahe mit demselben Ernst, den sie zeigte.

Käthe, die mit dem Rücken gegen das Büfett gelehnt dastand und mit dem Giesskännchen leise gegen ihr Kleid wippte, behandelte die Sache durchaus lustig. „Da könnten ja der Herr Rat mich bald wieder los werden.“

„Oder du mich, Käthe“, ging Sonter darauf ein und schritt vor dem Esstisch auf und ab durch die ganze Länge des Zimmers. Diese Unterhaltung interessierte ihn nun, denn es war da ohne sein Wollen ein Gespräch angeknüpft, über dessen Möglichkeit er seit längerer Zeit schon nachgedacht hatte.

Käthes Lächeln erstarb.

„Was mich betrifft, so ist das natürlich alles nur Scherz“, sagte sie, den Blick zu Boden gewandt. „Ich habe keinen anderen und habe auch nie einen gehabt. Dazu habe ich auch gar keine Zeit.“

„So habe ich das auch nur aufgefasst, Käthe, natürlich“, sagte Sonter ohne jedes Bedenken. „Aber hast du nie darüber nachgedacht, dass dieser Fall mal eintreten könnte — bei unserem ganz eigentümlichen Zusammenleben? Wie? Denn eigentlich, das musst du doch eingestehen, bist du doch nur ein verheiratetes Mädchen.“

„Das haben mir der Herr Rat schon einmal gesagt.“

„Und ausserdem bist du fünfzehn Jahre jünger, lebst unter einer Art Zwang mit mir zusammen, bist und bleibst immer die andere Welt. Dja.“

Käthe schickte sich mit einem Ruck an, das Zimmer zu verlassen.

„Herr Landgerichtsrat brauchen mich ja nur wieder fortzuschicken, dann gehe ich. Das wissen Herr Sonter ebensogut wie ich, dass ich mich schon darin fügen werde.“

Sie sah ihn nicht mehr an, weil sie ihm ihren stillen Kummer verbergen wollte, der ihrem Gesicht sofort einen anderen Ausdruck gab. Es zuckte wieder um ihren Mund, weil heimliche Tränen nur ihre einzige Waffe gegen derartige Angriffe dunkler Mächte waren, wie sie sich ihr Schicksal auslegte.

„Das ist leichter gesagt, als getan“, sagte Sonter begütigend. „Damit wäre uns beiden nicht gedient.“ Alsdann blieb er vor ihr stehen und fügte so mit leichtem Ärger über all die verwickelten Dinge hinzu: „Du bist ein ganz merkwürdiges Mädchen, Käthe, das muss ich dir immer wieder sagen. Nichts Frauenhaftes haftet dir an, keine Spur davon, und deshalb wird es mir auch so leicht, dich immer noch als Mädchen zu bezeichnen.“

„Das hängt wohl mit ganz anderen Ursachen zusammen, Herr Rat.“

Er gab dem Gespräch eine andere Wendung, gleichsam zur eigenen Beruhigung.

„Ich wollte dir ja noch sagen, dja, in welcher Angelegenheit die Dame kam“, begann er wieder. „Es war eine Schwester der unglücklichen Frau Goland, worüber wir gestern sprachen. Sonst hätte ich mich vielleicht nicht so lange aufhalten lassen. Nein. Nervös ist die Dame, ich kann es dir gar nicht sagen.“

„Ach, so hängt das zusammen“, verstellte sich Käthe und verliess nun das Zimmer, weil sie sich doch etwas unsicher fühlte. Sie wusste auch schon alles und brauchte daher das übrige nicht zu hören.

Als Sonter gegangen war, putzte Käthe rasch das Fenster. Dann ging sie an das Aktenbündel, das bereits verschnürt auf dem Schreibtisch lag, öffnete es vorsichtig und vertiefte sich wieder in die Sache Goland gegen Goland. Es reizte sie nun doch, auch die andere Hälfte zu lesen mit allem Zubehör und Beschlüssen, Zeugenaussagen und so weiter. Trotz des Verbotes ihres Herrn und Gebieters. Und als sie damit fertig war, hatte sie durchaus nicht mehr die Empfindung, dass der Mann allein die Schuld an dem Ehezerwürfnis trage, wie Sonter es dargestellt hatte. Und das war das Merkwürdige dabei. Aber vielleicht war sie zu dumm dazu, um alles richtig zu erfassen, so wie es die Herren Richter taten. Und damit wollte sie sich begnügen.

Der irrende Richter

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