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II

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Er wollte gerade gehen, als er durch Frobel senior zurückgehalten wurde, der aus der Wohnung hereintrat und sich gleich durch seine kleinen Liebenswürdigkeiten bemerkbar machte, die er für jedermann in derselben Form bereit hatte. Schon vorher hatte man durch die Tür sein helles Pfeifen vernommen: den Hohenfriedberger Marsch, in den er sich geradezu verliebt hatte und den er bis zum Überdruss pfiff, obendrein mit der Eintönigkeit eines musikalischen Analphabeten. Diese Melodie verfolgte ihn auf Schritt und Tritt, er schleppte sie gleichsam in seiner Seele mit wie die einzige Stimme eines Instruments, die nur dem Besitzer noch Vergnügen macht, weil er sich daran gewöhnt hat. Er wusste schon gar nicht mehr, dass er sie pfiff, und das diente ihm in den Augen seiner Frau, die diese Angewohnheit unausstehlich fand, als einzige Entschuldigung.

„Ei, sieh da, mein lieber Herold, sieh da, mein Lieber, Wie geht’s, wie schaut’s? Noch so spät tätig? Immer fleissig, immer fleissig? Recht so, recht so. Wer der alten Firma Frobel dient, dient sich selbst. Wie Vater selig schon zu sagen pflegte. Und er hatte es schon von seinem Alten.“

Er lachte mit seiner Kinderstimme, trotzdem eigentlich keine Veranlassung dazu vorlag. „Zigarre gefällig, he? Die hier, wie? Nehmen Sie nur, nehmen Sie nur. Zieren Sie sich nicht. Dem Verdienste seine Krone . . . Meine Sorte. Das sagt eigentlich genug.“ Und wieder lachte er einfältig wie ein grosses Kind.

Cornelius Herold, überrascht durch so viel Güte, krümmte den Rücken und griff mit zwei vorgestreckten Fingern in die ihm dargereichte Zigarrentasche, und zwar in die aufgeklappte Seite, wo die grossen und dicken mit goldener Bauchbinde steckten. Und sein Dank klang überstürzt, aus gespitztem Munde, und wurde noch wiederholt, als Herr Dietrich Frobel sich bereits seiner Gattin zuwandte und die Begrüssung fortsetzte.

„’n Abend, liebes Tinchen, ’n Abend! Entschuldige, wenn ich vielleicht stören sollte, denn du hattest gewiss wichtige Dinge mit unserem alten, lieben —. Ich sehe dich immer nur tätig, bis in den Abend hinein. Ich frage dich, weshalb? Pourquoi? Muss das sein? Darf das sein? Bin ich nicht da? Aber ich will nicht weiter in dich dringen, denn ich weiss, es macht dir Vergnügen — grosses Vergnügen.“ Und er wandte den Kopf wieder dem alten Getreuen zu. „Nicht wahr, mein lieber Herold? Sie müssen es doch wissen, denn Sie sind ja sozusagen vortragender Rat in unserem Handlungsministerium. Guter Vergleich, he?“ Und er lachte wieder zwecklos und sprach zu seiner Frau weiter. „Du bist die Herrscherin, und was bin ich? Der Chefgemahl bin ich. Du — das ist ein guter Witz, ein wirklich guter Witz. Mir eben erst eingefallen. Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet.“

Und abermals hatte er sein helles Lachen bereit, das eigentlich mehr ein Meckern war.

Das alles sagte er durchaus liebenswürdig, mit einer göttlichen Selbstverständlichkeit, die man nicht anzweifeln dürfe, während er sich dabei galant zu seiner Frau niederbeugte, ihre schön geformte weisse Hand ergriff, sie ein paarmal streichelte und dann einen flüchtigen Kuss darauf drückte.

„Ja, du triffst immer das Richtige, mein lieber Dietrich“, sagte Frau Frobel mit der gleichen Liebenswürdigkeit. Damit war ihre Anerkennung erschöpft, gleichsam wie in der Erkenntnis, dass es zwecklos wäre, sich dagegen zu wehren. Fest und bestimmt sass sie auf ihrem Sessel, fast unberührt von dieser Zärtlichkeit, die ihr nur als der Austausch häuslicher Gewohnheiten dünkte.

Herr Dietrich Frobel spazierte, die Hände auf dem Rücken, vor beiden auf und ab, wobei er sich nach allerlei geschäftlichen Dingen erkundigte, was immer etwas sinnlos geschah, seitdem ihm seine willensstarke Frau das Zepter entwunden hatte. Das war damals, als er wegen krankhafter Verschwendungssucht für geschäftsunfähig erklärt wurde und entmündigt werden sollte, schliesslich aber, um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden, in einen Kompromiss willigte, durch den er für die Firma einfach kaltgestellt wurde. Gewagte Börsenspekulationen, mit denen er sich über den drohenden Krach hinweg helfen wollte, hatten ihn noch mehr hineingerissen. Und so wurde er, als Ernestinens Mutter einsprang, um die Verhältnisse allmählich zu sanieren, plötzlich zum gehorsamen Kinde.

Er hatte überhaupt viel von einem Kinde an sich, das wohl mit den Jahren gewachsen war, bei dem sich aber der Verstand nicht gleichmässig entwickelt hatte. Das wussten alle im Geschäft, die diese elegante, verkörperte Null hin und wieder in dem breiten Gang zwischen den Pulten auftauchen sahen, wie sie freundlich, aber herablassend, ungefähr wie ein entthronter Fürst, grüssend nickte und dann leutselig mit diesem oder jenem älteren Herrn ein paar Worte über geschäftliche Dinge wechselte, die allerdings vorsichtig aufzufassen waren. Herr Dietrich Frobel hatte nie viel davon verstanden und sich schon vor seiner Kaltstellung auf Geschäftsführer und Prokuristen verlassen.

Aber er musste sich doch zeigen, beweisen, dass er noch am Leben war, und so tun, als hätte er nur aus Gesundheitsrücksichten abgedankt, ohne jedoch seinen Einfluss aufzugeben! Und man liess ihn auch in diesem Glauben, indem man vor ihm dienerte und ihm alle Ehren eines abgesetzten Chefs erwies. Denn schliesslich war und blieb er der Gatte der Frau Chef, der Träger des alten Firmennamens C. D. Frobel.

„Nun, gehst du heute nicht in den Klub?“ fragte Ernest, ine die sich wunderte, ihn noch hier zu sehen, da er, wie alle berufslosen Leute, seine eigenen Wege wandelte, ganz besonders des Abends, nachdem er sich den ganzen Tag über mit seiner Münzensammlung beschäftigt hatte, die reich an kostbaren Stücken war. Die halbe Nacht gehörte dann der Zerstreuung und dem Vergnügen, entweder bei seinen Freunden oder im Ballett und Zirkus, denn er behauptete, er müsse für sein ewiges Katalogisieren am Tage des Abends den nötigen Ausgleich finden. In Wahrheit vertrug sein Gehirn schwere, das Gemüt bewegende Sachen nicht, die ihm an die Nerven gingen. Und so war denn seine Lebensauffassung auf die leichten Genüsse gestimmt.

„Ich wollte dir doch wenigstens noch Adieu sagen, mein liebes Tinchen“, erwiderte er, ohne seine Wanderung einzustellen. „Und dann, siehst du, wollte ich doch noch mal einen Blick ins Kontor werfen; du weisst ja, mir fehlt sonst etwas. Vormittags war ich in der Fabrik.“

„So, so, du warst in der Fabrik“, sagte Frau Frobel völlig interesselos.

„Na, ich musste mich da draussen doch auch einmal sehen lassen. Es ist übrigens alles in schönster Ordnung. Und zu tun haben wir jetzt . . .! Keine Maschine steht still! Freut mich, freut mich ausserordentlich.“

Ersichtlich gehoben davon, als hätte es erst seines Eingreifens dazu bedurft, reckte er sich ein wenig; dann blieb er vor dem grossen Wandspiegel stehen, beäugelte sich selbstgefällig und zog die Spitzen des gefärbten Schnurrbarts aus, der allzu üppig über dem kurz gestutzten, ergrauten Spitzbart hing. Sein schräg wie ein Dach aufsteigender Schädel hatte schon gehörig Haare lassen müssen, die er sich frühzeitig wegamüsiert hatte; und so lagen da oben nur noch die letzten gebleichten Reste, die, in der Mitte kokett gescheitelt, wie ein dünnes Gewebe die Stirnwölbung krönten.

Stets ging er wie ein Lord gekleidet, in einem auffallend karrierten Jackettanzug aus englischem Stoff, einen weissen Vorstoss an dem Westenausschnitt, hinter der die rote Krawatte grell ins Auge stach. Dazu trug er modefarbige Hemden und steingraue Gamaschen über den tadellosen Lackstiefeln.

„So, so, es ist also alles in Ordnung da draussen“, ging Frau Frobel wohlmeinend darauf ein. „Es ist hübsch, dass du mal wieder hinaus warst. Das feuert gleich ein wenig an.“

„Siehst du, — das wusste ich ja, dass ich dafür deine Anerkennung finden würde“, rief er vergnügt aus und trat abermals auf sie zu, um ihr mit Herzensfreude die Hand zu drücken.

Und sie nickte und blickte ihn diesmal lächelnd an, denn sie wusste, dass er im geheimen immer noch die Hoffnung hegte, wieder in seine Rechte eingesetzt zu werden, und dass sie ihm keinen grösseren Gefallen tun konnte, als ihm hin und wieder ein gütiges Wort für sein abgestumpftes Interesse zu sagen.

Seine unverminderte Aufmerksamkeit für sie, seine Zärtlichkeit und die stete Hochachtung, die er ihr seit Überwindung der geschäftlichen Krisis und besonders ihrer Energie entgegenbrachte, enthielten etwas Rührendes, beinah für sie Beschämendes, gegen das sie sich manchmal vergeblich wehrte: obendrein aus tief verschlossenen Gründen wehrte, die er nicht einmal ahnen durfte. Und das war das Versöhnende in seinem Wesen, das alle seine sonstigen Fehler wieder gutmachte.

„Du — übrigens ist auch drüben alles in Ordnung“, meldete er sich wieder in bester Stimmung. „Annemarie fühlt sich wieder besser, denk nur. Aber ich reise doch mit ihr, selbstverständlich tue ich’s. Denn eine Last muss ich dir doch abnehmen.“ Dann wandte er sich wieder an Herold, der sich nicht zu verabschieden wagte, aber wie auf Kohlen stand. „Wie geht denn das Weihnachtsgeschäft, he? Was macht die Konjunktur in Messing, he? Man besass eine grosse Metallwarenfabrik in einem östlichen Vorort, wohin man sie vor zehn Jahren verlegt hatte. Hier war das Stadtlager, verbunden mit Musterlager und Korrespondenzbureau.“

Frau Frobel machte jedoch sofort dem Gespräch darüber ein Ende, indem sie den Alten endlich entliess. Und so kehrte Herold noch einmal an sein Pult zurück, begleitet von Frobel, den es lockte, noch einen Blick ins grosse Kontor zu werfen, denn er bildete sich ein, selbst um diese Zeit noch einmal nach dem Rechten sehen zu müssen. Da er aber niemand mehr vorfand, mit dem er sich hätte unterhalten können, so nahm er den Hohenfriedberger wieder auf, der diesmal, getragen durch die Leere des Raumes, ungemein laut erklang und den er erst allmählich ersterben liess, als er zu seiner Frau zurückkehrte. Man hörte ihn immer schon kommen, denn seine Beine knackten beim Gehen, was wohl mit seiner Magerkeit zusammenhing. Alsdann wandelte er eine ganze Weile durch das grosse Zimmer und schritt den Takt zu seinem Marsch.

Frau Frobel liess ihn ruhig gewähren, denn sie kannte diese Gedankenvertiefungen, die manchmal die langen Pausen zwischen ihnen ausfüllten. Das war immer so gewesen, schon zuzeiten, als Dietrich noch Herr im Geschäft war und von seinem Marsch noch nicht so verfolgt wurde wie heute. Denn sie hatten sich eigentlich nie viel zu sagen gehabt, wenigstens nicht, soweit zwischen Eheleuten die Sprache auch dazu dienen sollte, den innersten Gefühlen Ausdruck zu geben. Beide hatten sich geheiratet, wie sich ungefähr zwei Fabriken zusammentun, die eine stille Fusion bilden wollen, um die Kapitalmacht zu stärken und die Konkurrenzschlachten besser schlagen zu können. Die Industrie-Vetterschaft hatte es so gewollt.

Frau Frobel beschäftigte sich still weiter. Sie legte einige wichtige Papiere in die Schublade ihres Schreibtisches, verschloss den Kasten wieder und machte sich einige Notizen auf dem Papierblock, damit sie am anderen Vormittage sogleich an diese Dinge erinnert würde. Dann ging sie an den Geldschrank, nahm aus dem Tresor, der die Handkasse enthielt, etwas bare Münze, notierte die Summe auf eine kleine Tafel und verschloss dann Tresor und Schrank mit peinlicher Sorgfalt. Und nachdem sie das Geld einstweilen auf den Schreibtisch gelegt hatte, nahm sie denselben Weg, den ihr Mann vorhin nach dem grossen Kontor genommen hatte. Herold hatte auf ihren Wunsch seine Flamme noch nicht abgedreht, und so konnte sie sich noch rasch davon überzeugen, dass hinten der Letzte gegangen war. Das tat sie an jedem Abend, sobald sie über die Zeit hinaus arbeitete. Als dann auch im Nebenkabinett alles dunkel war, schloss sie die gepolsterte Doppeltür und drehte den Schlüssel zweimal um. An jedem Morgen sorgte hier der herrschaftliche Diener für Ordnung, während in den Kontoren und den sonstigen Räumen das niedere Kontorpersonal diese Arbeit verrichtete.

„Weisst du,“ begann Frobel endlich, „wenn man so sieht, mit welcher Gewissenhaftigkeit du mich hier in allen Dingen vertrittst, — ich könnte fast eifersüchtig auf dein Ansehen werden. Wirklich, das könnte ich.“

Frau Frobel lachte leicht auf. „Vertrittst? Aber, lieber Dietrich! Ich vertrete dich doch nicht, sondern ersetze dich. Vollkommen. Wenn wir allein sind, kann ich’s dir doch sagen.“

Sie sagte es heiter, aber hinter ihren Worten drohte das Grollen darüber, ihr ganzes verpfuschtes Leben an diesen Mann gehängt zu haben, der weder ihrer Seele noch ihrem Körper hatte Befriedigung geben können.

Frobel, der diese kleinen Spitzen bereits kannte, verschluckte seinen Ärger, nahm aber um so lebhafter seinen Weg durch das Zimmer. „Nun ja, nun ja, liebes Tinchen, das weiss ich schon längst“, sagte er dann durchaus würdig. „Du mein Gott, darein habe ich mich schon allmählich gefügt. Muss ich wohl auch! Und je älter ich werde, um so mehr. Denn du bist die Stärkere, — in allen Dingen bist du es. Aber sei mir nicht böse, wenn ich immer wieder daran tippe. Etwas Komisches, wirklich Komisches liegt darin, dich hier als reiche Frau sich abplagen zu sehen, da du es eigentlich gar nicht nötig hast. Da wir es gar nicht nötig haben. Verzeihe, dass ich mich wieder zum Geschäft rechne, aber ich kann’s nun mal nicht lassen. Den Chef hast du mir genommen, aber den Ehrgeiz, siehst du, den Ehrgeiz der grossen Firma kannst du mir nicht nehmen. Und dann kommt die Liebe zu dir hinzu, wahrhaftig, die Liebe zu dir. Du wirst natürlich wieder lachen. Aber deshalb kann ich dieses Gefühl doch nicht unterdrücken, — auch wenn ich von dir beiseite geschoben worden bin.“

„Ach, ich lache ja gar nicht“, warf Frau Frobel zerstreut ein. Sie hatte sich wieder gesetzt und sass nun, den Kopf in die Hand gestützt, wie sinnend da, ungefähr wie jemand, der nur aus Gefälligkeit zuhört, weil er gerade nichts zu versäumen hat.

Und Herr Frobel fuhr eifrig fort: „Und dann der Dank, mein liebes Tinchen, und die Bewunderung, die grosse Bewunderung! Was für eine Zähigkeit hast du, was für eine Ausdauer. Gar nicht zu reden von deiner Intelligenz, von deinem gesunden Weitblick. Wenn ich bedenke, wie schnell du dich in alle Dinge gefunden hast. Die grössten Kaufleute könnten vor dir den Hut ziehen. Und das tun sie ja auch. Kunststück! Du imponierst ja aller Welt. Soll ich mich mal sozial ausdrücken, so muss ich sagen: Du bist die verkörperte Lösung der Frauenfrage, in die höheren Schichten übertragen . . . Manchmal habe ich doch noch gute Gedanken, wie?“ Er lachte kindisch. „Wenn ich auch so halb und halb als Idiot gelte, oder doch als Trottel, meinetwegen auch als lädierter Nachtschmetterling. Lädierter Nachtschmetterling ist gut, wie? Das nebenbei gesagt . . . Aber hör mal, liebes Tinchen, — was wollte ich doch . . . gleich sagen?“

Manchmal verlor Herr Frobel den Faden; dann wurde er gewöhnlich rot, weil er befürchtete, man könnte ihm seine „Minderwertigkeit“ ansehen. Sein Erschrecken dauerte aber nur wenige Augenblicke; dann stolzierte er wieder vor seiner Frau auf und ab, wobei er ausrief: „Richtig, richtig! Das wollte ich sagen: Bist du eine gelernte Buchhalterin? Etwa eine, die aus der Geschäftsdamenwelt hervorgegangen ist? He? Hast du ganz vergessen, dass du eine Brüning bist, eine geborene Brüning? Die nun hier sitzt und sechs Stunden am Tage den Sessel drückt? Mindestens sechs Stunden, liebes Tinchen! Unerhört, unerhört! Und die sich mir dadurch entzieht. Mir, mir!“

Frau Frobel lachte diesmal mit Vergnügen. „Sei doch nicht komisch, lieber Dietrich.“

Herr Frobel liess sich nicht stören. „Ich weiss, ich weiss, es ist das alte Thema, immer das alte Thema. Mir aber bleibt es immer neu . . . Erlaubst du übrigens?“ und als er ihr Nicken gewahrte, holte er seine Zigarrentasche hervor und steckte sich eine von den schweren, torffarbigen an, die ihm eigentlich verboten waren, die er aber den ganzen Tag über und auch noch in den Nachtstunden rauchte, obgleich ihm das Gehirn davon platzen musste, wie seine Frau meinte.

Und als er die ersten Züge tat, kam um so grössere Munterkeit über ihn, wie immer, wenn er den vergnügenwinkenden Abendstunden entgegenging. „Mach doch endlich Schluss mit dieser Geschäftssimpelei. Setz dir einen Vertrauten hin, einen energischen Kerl. Räum Ahlmann deinen Platz ein. Er kennt die Dinge aus dem ff. Schon lange habe ich dich darauf gebracht. Wenn du nur Gründe dagegen hättest, mein liebes Tinchen, Gründe!“

Frau Frobel blieb diesmal ernst. „Gründe? Die habe ich allerdings, mein guter Dietrich. Ich will nicht.“

Sie sagte es so bestimmt, dass ihr Mann ganz verlegen wurde. „So, so, du willst nicht“, sagte er dann wahrhaft betrübt. „Das ist was anderes. Dann allerdings . . .“

Eingeschüchtert stand er da, schwenkte die grosse Zigarre vor seiner Nase und labte sich mit geschlossenen Augen an ihrem scharfen Duft.

„Nein, ich will nicht“, sagte Frau Frobel nochmals mit Nachdruck. „Solange ich gesund und arbeitsfähig bin, werde ich hier das sein, was du hier hättest sein müssen. Werde ich also auch den Sessel des Chefs einnehmen. Das sind meine Gründe. Lass uns also darüber nicht mehr streiten.“

„Nein, nein, es ist wohl auch schon besser“, sagte Herr Frobel nach einer gedankenschweren Pause. „Immerhin, weisst du, sind es eigentlich gar keine Gründe.“

„Aber du hörst es ja, — die Gründe liegen in meinem Willen.“

„Gut, gut, liebes Tinchen. Also Schluss darüber. Ganz und gar. Tout a fait.“

Beide schwiegen eine Weile, bis sich Frobel wieder meldete. „Was sagst du übrigens dazu, dass Emmerich wieder auf der Bildfläche erschienen ist, he? Hat er sich noch nicht bemerkbar gemacht?“

Ernestine, bereits darauf gefasst, erwiderte gleichgültig: „Da liegen sie im Papierkorb — die Logenbilletts.“

Herr Frobel blieb vor dem schön bemalten Kasten aus imitiertem Leder stehen, bückte sich etwas und warf einen gewichtigen Blick hinein. Und um noch sicherer zu gehen, führte er sein Monoele, das er immer lose in der Westentasche trug, dem rechten Auge zu, das nicht die Sehkraft des linken besass, weil es mit der Zeit durch den ewigen Gebrauch der Lupe bei Besichtigung seiner Münzen stark angegriffen war. Dann meckerte er sein Lachen hervor.

„Wahrhaftig, da liegen die roten Dinger, obendrein zerrissen! Ei, ei, das sollte er wissen, dieser kostspielige Schützling von einst.“

„I—a, das sollte er wissen“, sagte Frau Ernestine gedehnt, während sie einen Blick in die Zeitung warf, um ihre Gleichgültigkeit noch mehr zu bestätigen. Nicht aber konnte sie ihre innere Erregung bemeistern, denn ihre Brust ging stärker als zuvor. Eigentlich hätte sie lachen mögen über die Zumutung ihres einstigen Freundes, sich ihm dicht unter seiner Nase am Orchester zu präsentieren, damit er jede Regung in ihrem Gesicht verfolgen könne und sich sagen dürfe: Sie ist hier, sie hat noch Interesse für mich, sie hat mich noch nicht ganz vergessen . . . Das war einmal. Heute lag ein Abgrund zwischen ihnen, vor dem sie zurückschreckte, denn aus der Tiefe stiegen ekle Dünste empor, die er durch sein schmieriges Verhalten bereitet hatte. Und wenn sie doch noch Neigung zeigte, ihn einmal zu sehen, unbemerkt von ihm, — so folgte sie nur der Neugierde, nur ihr allein.

„Also ists diesmal nichts mit dem Sprichwort: Alte Liebe rostet nicht“, sagte Herr Frobel wieder, durchaus gemütlich. Früher, vor Jahren, als Emmerich noch nicht der tote Mann und ihr Interesse für ihn noch reger war, hatte er sie öfter damit geneckt, und nun erfasste ihn wieder der Spass dazu.

Ernestine warf die Lippen auf. „Nein, damit ist nichts mehr, mein Bester.“ Unaufhörlich überflog sie die Abendzeitung, als interessiere sie diese Unterhaltung nur so nebenbei.

„Er hat sich eigentlich auch nicht danach benommen“, sagte Frobel wieder, blieb dann stehen und bemühte sich, einige wohlgelungene Rauchringe aus seinem Munde zu stossen. Und als er von diesem Spiel genug hatte, trabte er wieder durchs Zimmer und fuhr fort: „Weisst du, liebes Tinchen, wenn du schon keine Lust hast, — ich möchte mir den alten Wunderknaben doch noch mal ansehen, oder eigentlich anhören. Na, beides zusammen. Bin sehr neugierig auf diese Ruine. Willst du?“

„Vergeude doch deine Zeit nicht“, fiel ihm Ernestine ins Wort.

Und ihr Gatte ging sogleich darauf ein. „Eigentlich hast du recht. Man ärgert sich dann noch über sein Geld. Schon genug, dass er uns immer noch in der Tasche liegt. Dir wenigstens. Entschuldige, entschuldige . . . Man liest es ja nachher auch in den Blättern. Wenn er uns nur keinen Besuch macht . . .“

„Er wird doch nicht“, sagte Frau Frobel mit demselben Gleichmut, aber sie bewegte sich unruhig auf dem Sessel. Noch weniger als zuvor las sie jetzt, denn er hatte plötzlich etwas berührt, woran sie schon mit Schrecken gedacht hatte.

„Als was tritt er doch gleich auf? Soeben habe ich es noch gewusst“, sagte Herr Frobel wieder, blieb aufs neue stehen und sann nach.

„Interessiert mich gar nicht, lieber Dietrich.“

Herr Frobel gab sich auch keine Mühe mehr, und da es ihm diesmal wirklich schwer wurde, sein Gedächtnis zusammenzusuchen, so liess er die Kapsel seiner goldenen Uhr springen, tat nun ungemein eilig und verabschiedete sich von seiner Frau, indem er wiederum galant ihre Hand an seine Lippen zog. Dann stolzierte er von dannen. Er hatte aber kaum die Tür hinter sich, als er den Kopf wieder hereinsteckte, denn sein Gedächtnis war ihm inzwischen gekommen.

„Du, ich hab’s jetzt“, rief er ihr zu. „Er singt den Herzog in Rigoletto. War mal seine Glanzrolle im Opernhaus, weisst du noch? Den wird er jetzt hübsch verzapfen . . . Nochmals gute Nacht. Bon soir.“

Dann klappte die Tür wieder.

Mut zur Sünde

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