Читать книгу Irrlichter und Gespenster - Max Kretzer - Страница 4
Störung, Missverständnis und Wirrung.
ОглавлениеHeinz befand sich im Gesellschaftsanzuge. Entgegen der Verabredung, am Abend mit Freudenfeld zusammenzutreffen, hatte er seinen Plan geändert. Er hatte sich über den Bankier geärgert und war, nachdem er sich von Hipfel getrennt hatte, auf den Gedanken gekommen, den Abend hier zu verbringen. So war er denn nach seiner Wohnung gefahren, hatte sich schleunigst ungezogen und war hier herausgeeilt. Als Hausfreund, der stets willkommen war, durfte er es sich gestatten, selbst zur ungelegenen Stunde zu erscheinen. Anton, in der Meinung, die Familie und Gäste seien nach wie vor in diesem Zimmer beisammen, hatte ihn auf die Thür gewiesen, durch welche er hereingetreten war.
Was Heinz besonders bewogen hatte, Bandels auch heute seinen Besuch zu machen, war die Ahnung kommender grosser Ereignisse, die sich hier hinter seinem Rücken abspielen könnten, hauptsächlich aber der bereits gehegte Verdacht, Eberhard könnte wirklich ein falsches Spiel treiben und die alten Beziehungen zu der Familie seines Gönners aufnehmen. Hinzu kam, dass ihn nicht zuletzt die Absicht drängte, bei Gelegenheit etwas über das, was er am Nachmittage über die geschäftlichen Verhältnisse der Firma Treuling erfahren hatte, fallen zu lassen. Stets darauf bedacht, Vorteil für seine liebe Person herauszuschlagen, witterte er, dass ihm das nur von Nutzen sein werde.
Schliesslich hatte er sich auch vorgenommen, Bandel um Rat darüber zu fragen, was er thun solle, um Hannchen vor dem Verluste ihres Geldes zu bewahren. Über diese Neuigkeit würde man jedenfalls am meisten in Staunen geraten und ihm infolgedessen das grösste Bedauern entgegenbringen. Alles natürlich zum Nachteile der von ihm gehassten Treulings!
Sein unverhofftes Erscheinen brachte Hertha zur Besinnung. Fast unbewusst stiess sie einen leichten Schrei aus, zog die Hände zurück und erhob sich.
Treuling, der einen ihm völlig fremden Herrn erblickte, that dasselbe. Er wusste nicht, ob er sich über den Störenfried ärgern oder freuen sollte. Von der Seite mass er ihn mit einem Blick, der nicht viel Gutes enthielt.
Heinz, der Treuling ebenfalls nicht kannte, das unbestimmte Gefühl aber hatte, einen gefährlichen Nebenbuhler vor sich zu haben, verbeugte sich und sagte höflich, aber mit unverkennbarem Spotte:
„Bitte um Entschuldigung, wenn ich gestört haben sollte ... aber ich hoffte, Ihre Eltern hier zu finden,“ fügte er, zu Hertha gewendet, hinzu. „Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen, Fräulein Hertha?“
Ganz vertraulich streckte er ihr die Hand entgegen mit der Absicht, dem anderen verstehen zu geben, was er sich hier erlauben dürfe.
Hertha, hochrot im Gesicht, beachtete diese Form der Begrüssung gar nicht; in diesem Augenblicke fand sie dieselbe mehr unverschämt als keck, trotzdem sie die Empfindung hatte, aus einer qualvollen Lage befreit worden zu sein.
Sie zitterte am ganzen Körper und hatte die dunkle Ahnung von einer ihr angethanen Schmach, gegen welche sie wehrlos wie ein Kind sei; sie nahm aber alle ihre Kraft zusammen, um sich zu beherrschen.
„Wenn Sie erlauben, ziehe ich mich sogleich wieder zurück,“ sagte Heinz wieder, von Ingrimm erfüllt über ihre Zurückhaltung.
„Bitte, bleiben Sie nur, Sie haben durchaus nicht gestört,“ presste sie mühsam hervor. „Darf ich Sie bekannt machen? Herr Tetzlaff — Herr Treuling.“
Heinz zuckte zusammen und verneigte sich leicht. Dann aber wollte er sich beliebt machen und zu gleicher Zeit den Herausforderer spielen. Er streckte Eberhard die Hand entgegen und sagte mit etwas unbeholfener Verbindlichkeit:
„Ah, freut mich ungemein. So habe ich doch endlich ’mal das Vergnügen, meinen zukünftigen Herrn Schwager kennen zu lernen ... Hannchen hat mir bereits viel von Ihnen erzählt.“
Nur mit Mühe bezwang er sich; am liebsten hätte er eine ganz andere Sprache führen mögen.
Er log; Eberhard, der das wusste, fiel sofort ein:
„Ich bedaure, Ihnen gestehen zu müssen, dass ich über Ihre Beziehungen zu Ihrem Fräulein Schwester etwas anders unterrichtet bin.“
Er beachtete die ihm dargereichte Hand ebenfalls nicht, hatte auch keinen Grund, sich über diese Begegnung besonders zu freuen. Unwillkürlich wandte er sich nach Hertha um. Völlig fassungslos stand diese gegen den Tisch gelehnt. Die flammende Röte in ihrem Gesichte war einer Blässe gewichen; stürmischer als zuvor klopfte ihr Herz, und es war ihr, als stürzte sie aus einer Tiefe in die andere. Noch immer vermochte sie den ganzen Vorgang nicht zu begreifen. Hatte sie sich doch getäuscht, Eberhard missverstanden? Sollte der kalte Ton, den er jetzt anschlug, der Beweis dafür sein, dass er mit der Familie Tetzlaff vollständig gebrochen habe? Vielleicht wollte er vorhin nur seine Grossmut zeigen, ihr beweisen, dass er unter dem Zwange der Verhältnisse sein bisheriges Verhältnis zu der anderen aufgebe, diese aber trotzdem noch für würdig halte, von ihr, Hertha, beachtet zu werden. ...
Ihre Neigung zu ihm war so gross, dass sie sich mit der Einfalt eines verliebten Mädchens nur zu gern jeder Möglichkeit hingab, die zu ihren Gunsten gesprochen hätte.
Heinz that so, als fühlte er sich durchaus nicht getroffen. „Wie soll ich das verstehen?“ fragte er lächelnd.
„Ich überlasse es Ihnen, den Sinn meiner Worte ganz nach Belieben zu deuten,“ erwiderte Treuling ruhig. „Ich meinerseits glaube nicht die Verpflichtung zu haben, mich in eine längere Erörterung darüber einzulassen.“
Dann wandte er sich kurz an Hertha:
„Darf ich um Ihren Arm bitten, gnädiges Fräulein? Ich bin überzeugt, dass man uns bereits erwartet.“
Hertha nickte nur; sie wusste kaum, was sie that. Und so legte sie denn ihren Arm in den seinigen und liess sich von ihm hinausführen.
Langsam schlenderte Heinz hinterher, mit der verbissenen Wut eines Menschen, der sich beiseite gesetzt fühlt und vergeblich nach Worten sucht, um seinem Groll Luft machen zu können.
Im Ecksalon war niemand, aber im Rauchzimmer standen Treuling der Ältere, Bandel und dessen Frau zusammen und unterhielten sich laut. Zufällig drehten sie alle drei Eberhard und Hertha die Rücken zu, so dass diese von ihnen nicht bemerkt wurden.
„Dass der auch heute gerade kommen muss!“ brachte Hertha atemlos hervor, eigentlich nur, um etwas zu sagen. „Haben Sie irgend etwas mit ihm vorgehabt?“ setzte sie dann hinzu.
„Persönlich nie etwas. Ich habe ihn heute zum erstenmale gesehen, Sie müssen das ja gemerkt haben.“
„Ich habe es ganz überhört ... Entschuldigen Sie nur — ich war im Augenblick so zerstreut.“
„Dann möchte ich Ihnen vorschlagen, in diesem aufgeregten Zustande sich lieber nicht Ihren Eltern zu zeigen. Bleiben wir noch ein wenig zurück, man scheint uns noch nicht gesehen zu haben,“ erwiderte er leise.
„Sie haben recht.“
Sie liess sich auf einem Sessel nahe dem Fenster nieder, und er lehnte sich hinter ihr gegen die Wand. Beide sprachen kein Wort; er hatte keine Lust dazu, und sie wartete auf irgend etwas, was er sagen würde und was eine Folge seiner Erörterung von vorhin sein könnte. Er sah aber, wie sie tief Atem holte und wie sie noch immer ganz ausser Fassung war.
Unter dem Vorhange der Thür, die auf der anderen Seite ins Musikzimmer führte, tauchte nun Heinz auf, ohne dass sie es bemerkten. Als er sie abermals beisammen sah, lächelte er spöttisch, hatte aber nicht den Mut, an ihnen vorüberzugehen. So zog er sich denn zurück und ging, da er die Stimmen der Alten gehört hatte, auf den Korridor hinaus, um von hier aus nach vorn zu gelangen. Es machte ihm nicht viel Umstände, da er sehr genau Bescheid wusste. Bevor er es aber wagte, einzutreten, erkundigte er sich bei Anton, der im Garderobenraum herumlungerte, wer alles anwesend sei.
„Der alte Treuling auch? Ach was!“
„Ja, die Herrschaften waren lange nicht hier,“ gab Anton ehrerbietig zur Antwort. Er hatte mit der Zeit die guten Trinkgelder des Künstlers schätzen gelernt und benutzte daher jede Gelegenheit, sich entgegenkommend zu erweisen. Und so fuhr er gleich fort, leise und unterdrückt, mit der Unverschämtheit eines schlauen Schlingels, der sich beliebt machen möchte:
„Die Herrschaften waren etwas gespannt, jetzt scheint aber die Versöhnung gekommen zu sein. Herr Treuling junior und das gnädige Fräulein kennen sich schon von Jugend auf.“
„So?“ warf Heinz gleichgiltig ein. Er hielt es unter seiner Würde, noch weitere Fragen zu stellen, trat vor den Spiegel, zupfte an seiner Krawatte und musterte sich von allen Seiten. Was er vernommen hatte, genügte ihm vollständig. Er überlegte einige Augenblicke, ob er ohne weiteres hineingeben sollte, dann aber sagte er:
„Wissen Sie, Sie könnten mich lieber anmelden.“
Anton blickte ihn verwundert an. „Wie Sie wünschen, Herr Tetzlaff,“ sagte er, trat an die Thüre, die ins Rauchzimmer führte und klopfte leise.
Hertha war allmählich ruhiger geworden. Wo steckt er denn nur? dachte sie und blickte hinter sich in der Meinung, Heinz werde ihnen gefolgt sein. Einige Augenblicke wartete sie; dann, als er nicht kam, wandte sie sich zu Eberhard:
„Sie sehen mich in einer grenzenlosen Verlegenheit — wollen Sie mir eine Frage geradezu beantworten?“ flüsterte sie.
„Verfügen Sie ganz über mich, Fräulein Hertha. Was es auch sei — Sie sprechen zu jemand, der Ihnen vollste Diskretion zusichert.“
Es lag etwas in seiner Stimme, was sie aufs neue zurückschreckte. Plötzlich erhob sie sich und ranschte ein paar Schritte von ihm weg.
„Nun?“ fragte er erstaunt.
„Nein, lassen wir es lieber!“ sagte sie leise wie zuvor. „Es sollte auch gar nichts besonderes sein — es ist ja alles dummes Zeug.“
Ihr Stolz empörte sich bei dem Gedanken, es könnte zwischen ihnen ein Missverständnis herrschen und sie die Gedemütigte sein ... Er soll nichts merken, niemals soll er die Gewissheit haben, falls man mir wirklich die Unwahrheit gesagt haben sollte! Entschlossenheit kam über sie; der Mut eines gekränkten Weibes, das mit Verzweiflung im Herzen es für notwendig hält, die Gleichgiltige zu spielen. Wenn wirklich alles für sie verloren war, dann brauchte er nicht anzunehmen, dass sie sich ihm aufdrängen wollte.
„Nun will ich Ihnen auch die Antwort auf Ihre Frage von vorhin geben,“ begann sie wieder, indem sie ihn fest anblickte und sich Mühe gab, ihre Haltung zu bewahren. „Ja, ich willige ein, treue Kameradschaft mit Ihnen zu halten. Schlagen Sie ein!“
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die er herzlich drückte, dann an die Lippen zog und küsste. Dabei fühlte er, wie ihr ganzer Körper erbebte.
„Sie sind gut und edel, Fräulein Hertha. Es mag viel Tugenden geben, aber die grösste ist doch die, Verzeihung zu üben und auch einem anderen Gutes zu gönnen. Haben Sie vielen Dank! Vielleicht bin ich anmassend, wenn ich behaupte, ich wäre Ihnen nie ganz gleichgiltig gewesen. Aber Sie können auch überzeugt sein, dass ich stets Verehrung für Sie gehabt habe.“
Er küsste ihre Hand aufs neue, und sie liess es ruhig geschehen. Widerstandslos durchkostete sie die ganze Seligkeit, die ihr seine Nähe bereitete.
Noch immer hörte man die Stimmen der übrigen aus dem Arbeitszimmer hereinschallen, das durch einen grossen Salon von diesem Zimmer noch getrennt war. Plötzlich kam sie zum Bewusstsein ihrer Lage. Sie entzog ihm die Hand und sagte einfach:
„Ihre Anerkennung meiner Tugenden ehrt mich sehr, aber ich bin nicht viel besser als Sie.“
„Finden Sie es wenigstens ehrenwert, Fräulein Hertha, dass ich ein Mann bin, der sein Wort hält! Ich weiss, Sie werden das Ihrige auch halten,“ erwiderte er, ganz betroffen von ihrem Aussehen.
Sie wusste genug, konnte sich aber nicht mehr bemeistern. Ihm abgewendet stand sie am anderen Fenster, stumm und unbeweglich. Das Zucken ihrer Schultern verriet, was in ihr vorging. Vorsichtig trat er auf sie zu; er sah die Thränen, die an ihren Wimpern hingen. Dieser Anblick rührte ihn, so dass er sie einige Augenblicke betrachtete, ohne etwas zu sagen.
Zum ersten Male fiel ihm ihre ganze, merkwürdige Schönheit auf: ihre herrliche Gestalt, der Glanz ihres Haares, die ganze Vornehmheit ihrer Erscheinung, die unzertrennbar von ihrer Umgebung war. Bisher hatte er sie immer nur als heiteres, leicht durchs Leben tänzelndes Geschöpf kennen gelernt, das ihm keiner tieferen Regung fähig erschien; nun aber glaubte er ein ganz anderes Wesen vor sich zu haben, mit anderen Sinnen und anderen Gedanken. Wie taktvoll sie sich benommen hatte, wie zurückhaltend sie sich zeigte, wie natürlich ihr die ganze Entwickelung des Verhältnisses zwischen ihr und ihm vorkam! Und doch konnte sie ihren Schmerz um das verloren gegangene Glück nicht verbergen. Wie tief musste sie ihn also lieben! ...
Merkwürdig — es war, als wollte sie ihn behexen. Und zum zweiten Male konnte er einen Vergleich zwischen ihr und Hannchen nicht zurückdrängen ... Wie würde sich diese Kleine wohl in einer ähnlichen Lage zurechtfinden, war der Anfang der stillen Betrachtung, die er austellte. Und plötzlich sah er sie im Geiste hier herumlaufen, sich ungeschickt benehmen, und sich selbst sah er als Hausherrn, der ihr ärgerlich Vorwürfe machte.
Dann nahmen seine Gedanken eine andere Richtung ... Du bist ein schlechter Kerl! ... Er verwünschte nun die Stunde, die ihn hierher geführt hatte und Vorstellungen und Bedenken in ihm wach rief, welchen er längst entgangen zu sein glaubte.
Endlich hielt er sich für verpflichtet, ein paar tröstende Worte zu sagen. Abermals ergriff er sanft ihre Hand und rief ihr mit gedämpfter Stimme zu:
„Fassen Sie sich, Hertha! Es thut mir im Herzen weh, dass ich die Veranlassung zu dieser Stimmung gegeben habe.“
Sie schämte sich ihrer Schwäche, aufs neue fühlte sie sich entschlossen. Sie richtete sich auf, fuhr mit dem feingewebten Taschentuch über die Augen, lächelte und sagte mit erzwungener Heiterkeit:
„Es ist schon vorüber. Sehen Sie, es ist mein Unglück, dass ich solche dumme Anwandlungen habe. Es wäre thöricht, Ihnen gegenüber zu heucheln. Ich war Ihnen gut, ich will es nicht leugnen ... Aber nun wieder lustig und guter Dinge! Ich bin Ihnen nicht böse, wahrhaftig nicht.“
Nochmals reichte sie ihm die Hand, die er nun in aufrichtiger Freundschaft drückte.
„Ich möchte mich jetzt nicht Ihrem Papa zeigen. Wollen Sie die Güte haben und Mama sagen, dass ich sie gern sprechen möchte?“
„Aber selbstverständlich.“
Er wollte forteilen, sie hielt ihn aber zurück.
„Einen Augenblick noch ... Sie versprechen mir doch, noch hier zu bleiben und zu thun, als wäre nichts Besonderes zwischen uns vorgefallen?“
„Sie können sich fest darauf verlassen.“
Nun wollte er gehen, als er unwillkürlich nochmals zögerte. Bandels Stimme war sehr laut geworden.
„Wer ist angekommen?“ schrie der Färbereibesitzer, mehr als er sagte ... „Herr Tetzlaff?“
Dann sprach er gedämpfter. Er sagte zu dem Diener etwas, was man hier nicht verstehen konnte. Dann klappte die Thür wieder ... wahrscheinlich war der Diener hinausgegangen.
„Das ist mir heute aber sehr unangenehm,“ sagte Bandel dann wieder laut. „Geh doch, Marie, und lootse ihn nach hinten! Wo bleibt denn nur unser Pärchen? ...“
Treulings Stimme wurde dann vernehmbar: „Du musst mich schon entschuldigen, wenn ich aufbreche, aber ich möchte dem jungen Mann wirklich aus dem Wege gehen.“
„Aber deswegen doch nicht? Thorheit! — Du bleibst hier. Jetzt soll’s ja erst gemütlich werden ... Das sind nun die Folgen von unserem Entgegenkommen. Jetzt kommt er schon ungerufen!“
Frau Bandel fiel ein: „Sei doch nur nicht so lant, er könnte Dich sonst hören ... Mein Gott, wir haben ihn ja verwöhnt ...“
„Nimm mir es nicht übel, aber Du allein hast die Schuld daran ... Du wolltest ein Wundertier haben. Man kann sich doch nicht alles gefallen lassen.“
„Sei doch nicht so aufgebracht — was soll denn Herr Treuling denken!“ erwiderte sie.
„Meinetwegen keine Umstände! Wie gesagt, ich ziehe mich bald zurück,“ sagte Treuling abermals. „Jedenfalls möchte ich eine Begegnung mit ihm vermeiden — auf alle Fälle. Denken Sie deshalb nicht geringer von mir, beste Frau Bandel.“
„Du sollst ja auch mit ihm nicht in Berührung kommen ... gar keine Ursache zur Erregung, warf Bandel wieder ein. „Wie die Verhältnisse sich nun einmal gestalten, halt’ ich es auch fürs Beste, ihm einen Wink zu geben, für die Zukunft etwas weniger aufdringlich zu sein.
„Aber wir können ihn doch nicht hinauswerfen — ich verstehe Dich gar nicht!“ liess sich Frau Bandel aufs neue, lauter als zuvor, vernehmen. Man hörte, wie sie unruhig auf- und abging.
„Das wird nun davon abhängen, wer uns näher liegt, liebes Kind. Schliesslich hat das Kunstbeschützertum auch seine Grenzen. Dass Du einen Narren an ihm gefressen hast, weiss ich schon lange.“
„Sei so gut und mässige Dich ein wenig in Deinen Ausdrücken in Gegenwart eines Gastes.“
„O, betrachten Sie mich ganz als Nebensache,“ fiel Treuling ein.
„Entschuldigen Sie, wenn ich Zuhörer dieser Unterhaltung sein muss, Fräulein, aber es geschieht ja unfreiwillig — wie Sie sehen,“ sagte Eberhard, indem er sich wieder zu Hertha wendete. „Ich bin wirklich im Zweifel, was ich thun soll.“
„Ich wusste, dass diese Auseinandersetzung zwischen Papa und Mama einmal kommen würde,“ erwiderte sie. „Es ist doch wirklich eine sehr unangenehme Situation, um so mehr, da Sie selbst eine Aversion gegen ihn haben. Wirklich unangenehm, sehr unangenehm ... Da kommt ja Mama schon!“
In der That kam Frau Bandel angerauscht, rot vor Aufregung im Gesicht und mit dem deutlichen Ausdruck verhaltenen Ärgers.
„Denk Dir nur an, Tetzlaff ist hier!“ sagte sie sofort, indem sie Eberhard ganz übersah. „Ich werde irgend eine Ausrede gebrauchen, um ihn bald zum Gehen zu bringen.“
„Wir hatten bereits das Vergnügen, Mama ... Er war heute gerade so unausstehlich.“
„Das sagst Du auch mit einem Mal?“
Jetzt erst schien sie Eberhard zu bemerken und sich wieder bewusst zu werden, was für eine grosse Aufgabe sie und ihr Mann heute zu erfüllen habe. Und als sie beide anscheinend so gemütlich beisammen sah, glaubte sie, alles sei im schönsten Fluss und die erhoffte Aussprache zum Glücke der jungen Leute bereits erfolgt. Sofort bekam sie ihre Laune wieder.
„Sie werden erwartet, lieber Eberhard ... Entschuldigen Sie uns beide nur auf ganz kurze Zeit. Wir werden bald wieder auf der Bildfläche erscheinen.“
„Bitte sehr, gnädige Frau!“
„Lassen Sie doch endlich das ‚gnädige Frau‘. Es kleidet Sie jetzt wirklich nicht mehr.“
Sie nickte ihm wohlmeinend zu, nahm Hertha am Arm und rauschte mit ihr ins Musikzimmer.
Eberhard blickte ihnen einige Augenblicke nach. Diese Freundlichkeit fängt nun beinahe an, unheimlich zu werden, dachte er. Was mein zufälliges Auftauchen doch alles machen kann! Das sieht ja beinahe so aus wie eine Familienkomödie, die meinetwegen in Scene gesetzt worden ist. Plötzlich starrte er vor sich hin, mit halbgeöffnetem Munde, als hätte er die Lösung eines grossen Rätsels vor sich. Er wollte den Gedanken, der in ihm aufgetaucht war, von sich abwehren, aber es gelang ihm nicht. Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
War er denn vernagelt, trug er denn eine Binde vor seinen Augen, vermochte er nicht mehr richtig zu hören, dass ihm diese ganzen Vorgänge, dieses Wechselspiel von Entgegenkommen und Verständnislosigkeit unklar geblieben waren? Keine Frage — man hatte ihn hierher gelockt, um in letzter Stunde noch den alten Heiratsplan zustande zu bringen! Und die Angaben seines Vaters waren nur der Vorwand dazu, um ihn allmählich in die goldenen Fesseln hinüberzuleiten.
„Fein ausgeheckt, wirklich sehr sein!“ sagte er zu sich. Diese unblutige Verschwörung erschien ihm im Augenblick so komisch, dass er hätte auflachen mögen, wenn er allein gewesen wäre. Aber merkwürdig — schon im nächsten Augenblick dachte er viel ruhiger darüber, fand er gar nicht die Neigung, seinem Vater irgend welche Vorwürfe zu machen. Etwas Gutes würde er doch mit nach Hause nehmen, und das war die Enthüllung eines Mädchencharakters, wie er sie überraschender nicht erwartet hatte. Sonderbar, dass er nicht umhin konnte, immer aufs neue an Hertha zu denken. Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre ihm in diesen Minuten Hannchen ganz aus dem Gedächtnis gekommen.
Voll innerer Unruhe, die er sich nicht zu erklären vermochte, ging er längs der beiden Fenster, die nach der Strasse führten, auf dem weichen Teppich auf und ab, unsichtbar für die beiden Alten, die laut zusammen sprachen. Er hörte gar nicht darauf, dachte an nichts Weiteres als an seine Unterhaltung mit Hertha. War sie auf sein Erscheinen vorbereitet gewesen, oder war sie ahnungslos geblieben? Das war die Frage, die er sich wiederholt vorlegte. Die ganze Art und Weise des Empfanges sprach für die erstere Annahme, und doch hielt er sie einer unschönen Koketterie nicht für fähig. Schliesslich war er geneigt, sie auch in diesem Falle zu entschuldigen.
Konnte man es einem jungen Mädchen verdenken, wenn es alles aufbot, um den Mann zu erringen, den es liebte? Würde er als Mann in einem derartigen Falle nicht ebenso gehandelt haben? Und sie liebte ihn, wahr und aufrichtig mit jener Herzensgesinnung, die Unverfälschtheit heisst, weil sie sich auch in die Entsagung zu finden vermag. Alles das war ihm nun ausser allem Zweifel.
Seltsame Sprünge, die seine Auffassung machte! Auf was für einem Wege befand er sich denn, er, der den Verlobungsring bereits trug und allen Ernstes eine Verbindung fürs ganze Leben eingeben wollte, die er für unwiderruflich hielt? — eine Verbindung, über welche man im geheimen bereits zur Genüge gespöttelt hatte!
Und unwiderruflich deswegen, weil er als Mann von ausgeprägtem Ehrgefühl das Wort, das er im Liebesrausch gegeben hatte, zu halten gedachte? ... Und war das seine vielgerühmte Stärke, dass er so kurz vor dem Ziele wankelmütig wurde?
„Schlechter Kerl, Du!“ murmelte er vor sich hin, „schäme Dich. Hält man Dich für borniert, so ertrage es wenigstens mit Anstand und Würde.“
Endlich fand er es an der Zeit, diesen Einflüsterungen zweier unsichtbarer dunklen Gewalten ein Ende zu machen und sich bei den Alten sehen zu lassen. In dem Glauben, neugefestigt zu sein in seinen alten Anschanungen, schritt er auf sie zu.
„Na, wo haben Sie denn Hertha gelassen, lieber Eberhard?“ redete ihn Bandel sofort an.
„Sie versprach, sogleich wieder zu erscheinen — Ihre Frau Gemahlin hat sie in Anspruch genommen.“
„So. Dann entschuldigen Sie mich wohl auch auf einige Augenblicke — Ihr Papa weiss, warum. Ich bin sogleich wieder hier.“
„Bitte sehr, Herr Bandel, lassen Sie sich nicht abhalten.“
Eberhard blickte ihm nach, bis er hinten verschwunden war. Dann ging er einigemale im Zimmer auf und ab.
Treuling merkte sofort, was in seinem Sohne vorging, that aber so, als berührte ihn das nicht. Im Gegenteile warf er mit heiterer Miene leicht hin:
„Findest Du nicht, dass die Damen heute besonders aufgelegt sind?“
„Den Grund dazu wirst Du wohl am besten wissen,“ erwiderte Eberhard freundlich, aber kurz.
„Wenn man bedenkt — nach alledem, was zwischen uns vorgefallen ist,“ fuhr der Alte unbeirrt fort. Er hatte sich gegenüber der geöffneten Thür gesetzt und liess die Zimmer, die vor ihm lagen, nicht aus den Augen.
„Gerade das hat die grösste Verwunderung in mir erregt,“ siel Eberhard ein.
„Wie kann man sich über das höfliche Entgegenkommen gebildeter Leute wundern?“
„Unter so eigentümlichen Verhältnissen wohl, Papa. Hätte ich geahnt, dass dieser Besuch eine derartige Ausdehnung annehmen würde, so hätte ich es doch lieber vorgezogen, die freundliche Einladung abzulehnen.“
„Du hattest gar keinen Grund dazu — Beweis: die Liebenswürdigkeit, mit der man Dir wie in früheren Zeiten entgegengekommen ist.“
„Deren Zweck Du wohl ebenfalls kennen wirst.“
Treuling der Ältere that auch diesmal so, als verstände er seinen Sohn nicht. In demselben leichten Ton wie zuvor fuhr er fort:
„Die Hauptsache ist, dass Dich diese Liebenswürdigkeit nicht peinlich berührt hat.“
„Das gerade aber ist der Fall gewesen. Mir scheint es, als habe man hier gewisse Vorbereitungen getroffen.“
„Gewiss — zu unserm Empfang. Die Sache ist sehr einfach. Bandel hatte herübergeschickt hinter meinem Rücken. Es ist doch auch ganz selbstverständlich, dass man alte Bekannte würdig zu empfangen pflegt.“
Plötzlich blieb Eberhard vor ihm stehen und sagte eindringlich: „Höre, Papa, Du willst mich nicht verstehen — wir wollen uns doch keine Komödie vorspielen!“
Noch immer blieb der Alte unbeweglich, den Blick geradeaus gerichtet. „Wenn ich Dich bitten darf, sei nicht so laut, man könnte uns hören. Wir besinden uns nicht in unserem Hause.“
„Das weiss ich. Ich werde Dir auch nicht viel zu sagen haben. Sei nur so freundlich und beantworte mir die eine Frage: Hattest Du die bestimmte Absicht, mich hier wieder mit Bandel zusammen zu bringen?“
„Aber sei doch nicht komisch! Ich hatte Dir doch telephoniert, dass Du hier sein möchtest.“
„Ja, aber nur rein geschäftlich.“
„Aber lass mich doch nicht wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe. Es hatte sich eben alles so gemacht.“
„Ich habe aber den Eindruck empfangen, dass Mutter und Tochter der Ansicht lebten, ich wollte die alten Beziehungen wieder anknüpfen.“
„Ach was! Haben sie Dir das etwa in zarter Weise zu verstehen gegeben? Junge, dann könntest Du Dich ja glücklich schätzen, und Du wärst der grösste Narr dieses Jahrhunderts, wenn Du nicht noch in letzter Stunde zur Besinnung kämst.“
„Papa — es ist ja nicht zu glauben! Ja, jetzt verstehe ich alles! Also ein richtiges Komplott, um Dein Lieblingsprojekt verwirklicht zu sehen?“
Er trat ein paar Schritt zurück, verschränkte unwillkürlich die Hände und starrte seinen Vater gross an. Er wollte weiter sprechen, aber der Alte hatte sich mit Leichtigkeit erhoben, war auf ihn zugetreten und legte beide Hände auf seine Schultern. Und mit unterdrückter Stimme sagte er:
„Ja, ich will es offen gestehen, ich habe Dich mit Bewusstsein hierhergebracht, um Dir die goldene Brücke wieder zu bauen, um Dich vor dem Abgrund Deines Lebens zu bewahren! Noch hast Du nicht vor dem Altar gestanden, noch Dich nicht an ein Mädchen gekettet, das seiner Bildung und Abstammung nach nicht zu Dir passt, das Dich elend machen wird, wenn Du erst dieselben Wände mit ihm teilst. Junge, Junge, höre auf mich! Es ist ein alter, welterfahrener Mann, der zu Dir spricht. Mein Herz blutet in diesem Augenblick, wenn ich daran denke, dass mein Einziger, der Stolz seiner Eltern blindlings ins Verderben rennen will ... Nein, wende Dich nicht ab, höre mich weiter an! Es ist ein Verzweiflungs- und Warnungsruf zu gleicher Zeit, der aus mir schallt. Du bist ein Phantast, ein Schwärmer, aber kein vernünftig denkender Mensch — ein idealer Revolutionär, der im engen Kreise einen Ausgleich der gesellschaftlichen Unterschiede schaffen möchte! Aber Du wirst Dir den Schädel dabei einrennen, verlass Dich darauf. Geliebte und Frau sind zwei ganz verschiedene Wesen, zwei entgegengesetzte Pole, die man weit auseinanderhalten muss, wie die Natur es verlangt. Die Geliebte ist nur der Körper, die Frau ist aber die Seele und der Geist dazu.
„Und so wahr es ist, dass Feuer und Wasser sich nicht vertragen, so wird ein Mann von Deiner Erziehung und Deiner gesellschaftlichen Bildung niemals aus einer ehemaligen Arbeiterin eine Frau nach seinem Geschmacke machen. Du wirst sie nicht emporziehen, sondern sie wird Dich herunterziehen, sie wird nicht Deine Eigenschaften annehmen, sondern Du die ihrigen. Es ist nun einmal so im Leben: das Schlechte tötet das Gute im Menschen zehnmal eher als umgekehrt. Eberhard, Herzensjunge, unterliege nicht der Schwäche aus falschem Ehrgefühl, sondern zeige Dich als Mann, der mit den Thatsachen rechnet, wie sie sind! ... Ich strecke Dir die Hände förmlich entgegen, um Dich an die Brust zu ziehen und nicht mehr zu lassen.“
Noch niemals hatte Eberhard ihn so sprechen hören: mit bebenden Lippen und einem Ausdruck im Auge, wie ihn ein Verzweifelter hat, der die letzte Bitte seines Lebens ausspricht. Das war nicht mehr der kalte Geschäftsmann, der nur mit Zahlen rechnet, wie an jenem Abend, als sich das Gespräch um denselben Punkt gedreht hatte — das war der Vater, der mit übervollem Herzen zu seinem Sohne spricht.
Das bestimmte ihn, sanft zu antworten:
„Es thut mir herzlich leid, Papa, dass Du aufs neue darüber in Erregung gerätst. Lassen wir doch jetzt die ganzen Auseinandersetzungen — versuchen wir lieber, sobald als möglich uns zu empfehlen. Es betrübt mich wirklich, Dir nicht so danken zu können, wie Du als Vater es von mir erwarten könntest. Und das soll nicht etwa heissen, dass Deine Anschauungen unrichtig sind — im Gegenteil, ich bin gerecht genug, sie für richtiger als die meinigen zu erklären, wenigstens dem landläufigen Begriffe nach.“
„Nun, dann müsstest Du wahnsinnig sein, wenn Du nicht das thätest, was tausend andere Menschen in derselben Lage thun würden.“
Treuling der Ältere hatte das mit etwas schwacher Stimme gesagt, nachdem er die Hände von seinem Sohne zurückgezogen hatte. Es klang gerade so, als hielte er nun selbst seine Redekunst für erschöpft.
Eberhard war durch das Zimmer gegangen, blieb nun wieder stehen und fragte ruhig:
„Bandels wissen doch um Deine Absichten, nicht wahr? Jetzt kannst Du es mir ja gestehen ...“
„Ja, Du sollst nun auch alles wissen. Ich habe dem Alten gesagt, dass Du wieder vollständig frei seist, man hätte Dir das Jawort zurückgegeben.“
„Also hast Du Ihnen die Unwahrheit gesagt, Papa?!“
„Wenn Du es so nennen willst ...“
Eberhard ging wie ausser sich im Zimmer umher. Stumm rang er die Hände; dann rief er erregt aus: „Mein Gott, in was für eine Situation bin ich geraten! ... Und Hertha ist derselben Meinung, dass ich —?“
„Möglich, dass ihr Andeutungen darüber gemacht worden sind ... wahrscheinlich sogar.“
„Ja, jetzt ist mir ja alles begreiflich! Aber wie konntest Du nur —“
„Seid ihr denn zu irgend einer Aussprache gekommen?“
„Das kannst Du Dir doch denken ... wenn ihr die Sache so leicht gemacht wird ... Zum Glück hat unsere ganze Unterhaltung nur aus Andeutungen bestanden.“
„So? Sie ist also sozusagen aus Dir nicht klug geworden?“
„Was heisst klug geworden! Wir sind uns beide wie zwei grosse Rätsel vorgekommen.“
„Dann kann also die Lösung immer noch folgen,“ warf Treuling, nun wieder ruhig geworden, in einer Anwandlung von Heiterkeit ein.
„Ich begreife nicht, wie Du wieder eine lustige Miene zeigen kannst, Papa ... Ich muss mich nur schämen, ihr unter die Augen zu treten. Was werden die Alten dazu sagen, wenn sie von ihr die Aufklärung erhalten!“
„Wenn sie aus Dir nicht ganz klug geworden ist, so wird sie sich hüten, gleich alles verloren zu geben. Junge Mädchen sind darin etwas wunderlich, sie geben die Hoffnung nicht eher auf, bis der Prediger über den Scheitel der anderen den Segen ausgesprochen hat.“
Die leichte Art, mit der nun der Alte die unerquickliche Angelegenheit behandelte, reizte Eberhard zum Widerspruch:
„Mir wird nun weiter nichts übrig bleiben, als ihnen die Wahrheit zu sagen. ...“
„Damit ich vor ihnen als Lügner dastehe, was?“ warf nun sein Vater im Flüstertone ein. „Ich will Dir etwas sagen ... Gott ist mein Zeuge, dass ich’s nur gut gemeint habe. Bandels sind der Meinung, dass sich alles thatsächlich so verhält, wie ich es ihnen gesagt habe. Hinzu kommt, dass ich dabei bin, mit ihm ein grosses Geschäft zu machen, das mir Hunderttausende einbringen kann. Ich bin überzeugt, dass er sich nicht dazu entschlossen hätte, wenn er gewusst hätte, dass mit Dir noch alles beim alten wäre. Wenn Du mich aber sozusagen als Lügner hinstellen willst, der unter Vorspiegelung falscher Thatsachen Vorteil erlangen wollte, so wirst Du Deinen Vater heute zum letzten Male vor Augen gehabt haben. Das schwöre ich Dir bei dem Blut, das in meinen und Deinen Adern fliesst! So — und nun thue, was Du nicht lassen kannst!“
Der fürchterliche Ernst, der aus seiner Miene sprach, schüchterte Eberhard ein. Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass sich das bewahrheiten könne.
„Gut! So bleibt mir denn nichts anderes übrig, als zu gehen. Wahrscheinlich werden die Herrschaften hinten noch eine Weile zurückgehalten werden. Du kannst ja irgend eine Entschuldigung gebrauchen. Meinetwegen sage, ich sei unwohl geworden, oder was Du willst ... nun ist ja doch alles aus!“
Er wollte der Thür zuschreiten, als der Alte ihn zurückhielt. „Du wirst bleiben!“ sagte er in einem Tone, der keinen Widerspruch duldete.
„Nun gut, so mach mich zum Lumpen! Vielleicht gefällt es Dir besser, wenn ich mit Dir um die Wette henchle.“
„Was soll dieser Ton? ... Du hast Dich nach wie vor liebenswürdig zu benehmen — weiter verlange ich nichts! Wir werden bald aufbrechen, und dann wird sich vielleicht eine Ausrede finden ... Ruhig, es kommt jemand!“
Es war Bandel, der eiligst hereinkam und sich im Zimmer umsah.
„Ich dachte schon, er wäre hier,“ begann er ganz ausser Atem. „Wo steckt er denn eigentlich, der Mensch? Wir sitzen schon eine ganze Weile hinten und warten auf ihn. Wir haben nämlich jetzt beratschlagt, was wir heute für eine Ausrede gebrauchen werden, um ihn los zu werden. Entschuldigt beide meine Offenheit, aber die ganze Situation bringt es so mit sich. Hertha ist auch in einer Stimmung, dass sie sich nicht viel mit ihm unterhalten möchte. Ist ja auch ganz erklärlich — heute gerade. Nun möchte ich wirklich wissen — — ich sagte doch Anton, er sollte ihn nach hinten führen. Vielleicht ist er nach oben gegangen. Er hat nämlich die Unverfrorenheit, sich hier wie zu Hause zu fühlen. Treff’ ich ihn doch neulich, wie er oben dem hübschen Stubenmädel in die Wange kneift! Kriegt er alles fertig! Entschuldigt nur nochmals. Es wird nicht mehr lange dauern. Bitte, genieren Sie sich nicht, lieber Eberhard, greifen Sie in die Kiste und rauchen Sie!“
Nach diesen Worten drehte er sich um und ging denselben Weg zurück, den er gekommen war.