Читать книгу Irrlichter und Gespenster - Max Kretzer - Страница 5
Gegenseitige Abrechnung.
ОглавлениеKaum war Bandel wieder unsichtbar geworden, als es an der geschlossenen Thür klopfte und Heinz hereintrat. Er hatte eine Weile in dem kleinen Vorzimmer gesessen, in welches ihn Anton auf Wunsch des Hausherrn hereingebeten hatte unter der Ausrede, „Herr Bandel habe eben eine wichtige Konferenz“, war dann ärgerlich über diesen ungewohnten Empfang geworden und in ein kleines Seitenkabinet geraten, wo er sich einige ausgelegte Prachtwerke vorgenommen hatte. Und während man ihn hinten suchte, war er gerade wieder auf den Korridor und ohne weiteres ins Rauchzimmer getreten. In seiner Urwüchsigkeit glaubte er hier niemals viele Umstände machen zu brauchen, was wohl auch zum Teil daher kam, dass man ihn daran gewöhnt und sich befleissigt hatte, ihm selten etwas übel zu nehmen.
Als er die beiden Treulings erblickte, die er hier nicht mehr erwartet hatte, war aber ebenso verblüfft wie vor einer halben Stunde, als er Eberhard und Hertha überrascht hatte. Sofort aber fand er mit der Sorglosigkeit, die ein Hauptzug seines Wesens war, den richtigen Ton.
„Guten Abend! ... Bitte um Entschuldigung,“ begann er mit einer Verbeugung, die diesmal nur Treuling dem Älteren galt; „aber ich glaubte soeben, die Stimme des Herrn Bandel zu vernehmen ... Haben Sie ihn vielleicht gesehen?“
Der Alte drehte ihm den Rücken zu mit der deutlichen Absicht, sich seiner Aufdringlichkeit auf diese Art zu entledigen. Dafür erwiderte Eberbard kalt und gemessen:
„Allerdings war Herr Bandel soeben hier ... er suchte Sie. Wenn ich mich nicht täusche, so werden Sie von den Herrschaften hinten im Familienzimmer erwartet.“
„So?“ fiel Heinz mit einem spöttischen Lächeln ein.
„Ja ... Man wird sich jedenfalls sehr freuen, Sie zu sehen,“ fügte jener noch mit leichtem Spotte hinzu. Die letzten Vorgänge hatten ihn dermassen erregt, dass ihm ein ernstlicher Zusammenstoss mit Heinz gleichgiltig gewesen wäre.
Dieser war blass geworden, weniger infolge der Nichtachtung, die man ihm hier zu teil werden liess, als ans Gründen, die mit seiner Furcht vor kommenden Ereignissen zusammen hingen. Er hatte das unbestimmte Gefühl, als ginge hinter seinem Rücken etwas vor, was seinen Beziehungen zu diesem Hause ein für allemal ein Ende bereiten könnte.
„Also man erwartet mich? ... Ach, ich weiss schon — zu einer wichtigen Unterredung in Familienangelegenheiten!“ sagte er dann nach einer Pause der Verlegenheit. Die letzten Worte hatte er stark betont; sie klangen wie eine versteckte Drohung.
Er war schon bis zur Thür gekommen, als zum grossen Erstaunen Eberhards Treuling der Ältere plötzlich sagte:
„Irre ich mich nicht, so wollte Herr Bandel sofort zurückkehren, um Sie hier zu sprechen ... Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, uns einstweilen Gesellschaft zu leisten.“
Er war wie umgewandelt, zeigte die freundlichste Miene von der Welt und schob sogar Heinz einen Sessel entgegen. Diese Änderung seiner Gesinnung hing eng mit dem in ihm aufgetauchten Verdacht zusammen, der junge Bildhauer könnte Bandel die trübe Lage des Hauses Treuling enthüllen. Er traute diesem Menschen nicht, der bereits heute nachmittag einen so unangenehmen Eindruck auf ihn gemacht hatte und nun hier mit einer Miene herumlief, als müssten sich alle vor ihm fürchten. Heinz stutzte; dann aber, ersichtllich geschmeichelt durch dieses Entgegenkommen, erwiderte er mit einer höflichen Verbeugung: „Wenn Sie erlauben, bin ich so frei.“ Aha, er hat Angst! dachte er dabei .. Meinetwegen, so bleibe ich hier und warte, was nun kommen wird. Vielleicht gehen sie bald, und dann bleib’ ich allein hier.
Was ihn besonders zurückhielt, war der verschlossene Hass, den er Eberhard entgegenbrachte, und den er zu gern durch irgend etwas zum Ausdruck gebracht hätte. Er wartete förmlich auf den Augenblick, wo er mit ihm irgend ein Wortgefecht hätte vom Zaun brechen können, um ihm die Larve vom Gesicht zu reissen ... So ein Spitzbube, steht vor der Hochzeit mit meiner Schwester und versucht hier das alte Verhältnis wieder aufzunehmen, waren immer dieselben feindlichen Gedanken, die er seit einer Viertelstunde gegen jenen hegte. Trotzdem freute er sich darüber, dass seine Annahme vom Nachmittage sich nun verwirklicht hatte.
Eberhard war über die Aufforderung seines Vaters so verblüfft, dass er kein Wort zu sagen vermochte. Erst als er sah, dass Heinz ohne Zwang Platz nahm, die Hände in die Hosentaschen vergrub und ein Bein übers andere schlug, fiel er, zu dem Alten gewendet, ein:
„Du hast Dich wohl geirrt, Papa. Herr Bandel erwartet den Herrn bestimmt hinten ...“
„Aber nicht doch, Du irrst Dich,“ erwiderte Treuling und zwinkerte ihm mit den Augen zu. In seiner Erregung bemerkte Eberhard das nicht, und so sagte er aufs neue:
„Aber ich begreife Dich nicht! ... Die Damen erwarten den Herrn ja ebenfalls.“
„Ganz recht, aber zuvor wollte Herr Bandel bier erscheinen.“
„Aber streiten Sie sich doch nicht meine Herren,“ warf Heinz keck dazwischen. „Das ist ja auch schnuppe, wer von Ihnen recht hat. Ich kann mir wohl denken, dass Herr Bandel mich mit Ihnen bekannt machen wollte. Er weiss gewiss nicht, dass ich bereits das grosse Vergnügen hatte.“
Er machte eine leichte Kopfneigung nach rechts und links und fuhr fort: „Ich bitte also um die Vergünstigung, Ihre Gesellschaft so lange teilen zu dürfen.“
Neben ihm auf einem kleinen Tische stand die Kiste mit Zigarren. Er griff hinein, langte eine der „ausgewählten“ hervor, schnitt die Spitze ab und gab sich Feuer. Alles das that er mit einer Ruhe und Gelassenheit, als brauchte er nicht die geringste Rücksicht zu nehmen.
„Soviel ich weiss, liegt Herrn Bandel sehr wenig daran, diese Bekanntschaft zu vermitteln,“ fiel Eberhard rücksichtslos ein.
„Ihretwegen wohl?“ fragte Heinz herausfordernd. Seine Zuversicht schwand, seine Ahnung, dass man gegen ihn etwas im Schilde führe, verwandelte sich sofort in Gewissheit. Nur mit Mühe bewahrte er seinen Gleichmut, als er die ersten Rauchwolken von sich stiess.
„Wenn diese Bemerkung eine Beleidigung enthalten soll, so muss ich Ihnen zu meinem Bedauern hierauf erwidern, dass Sie mich gar nicht beleidigen können,“ erwiderte Eberhard mit einem Achselzucken, das seine Verachtung andeuten sollte.
„Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit,“ warf Heinz ein, ohne seine Lage zu verändern. „Da Sie diesen Ton anschlagen, so kann ich Ihnen dreist sagen, dass mir durchaus wenig daran liegen kann, offiziell Ihre Bekanntschaft zu machen. Ihren Wert habe ich bereits zur Genüge erkannt.“
„Ah, Sie sind ein ganz — —“
Die übrigen Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Gleich einer Sprungfeder war Heinz emporgeschnellt und dicht vor ihn hingetreten.
„Was soll ich fein? Sprechen Sie es aus!“ schrie er ihn, seiner Sinne kaum mehr mächtig, an. Er überragte Eberhard um Kopfeslänge, unwillkürlich trat dieser einen Schritt zurück.
„So wagen Sie es doch auszusprechen, wenn Sie den Mut dazu haben!“ brachte Heinz abermals ohne Mässigung hervor.
Treuling trat dazwischen.
„Aber ich muss doch bitten!“ sagte er in der Absicht, sie auseinander zu bringen. „Ich kann mir ja denken, dass mein Sohn keine Veranlassung hat, Sie allzu höflich zu behandeln. Sie werden sich wohl noch der Äusserung erinnern, die Sie über ihn in meinem Hause gemacht haben.“
„Sehr liebenswürdig von Dir, lieber Papa, aber ich werde mit diesem Herrn schon allein fertig werden. Ich werde einfach den Diener zu meinem Schutze herbeirusen. Ich war allerdings nicht darauf vorbereitet, hier einem Rowdy zu begegnen, der auf seine Körperlänge zu pochen scheint.“
Er wollte wirklich auf den Knopf der elektrischen Klingel an der Wand drücken, als sein Vater ihn davon abhielt. „Um Himmels willen, nur kein Aufsehen machen! Wir müssen ihn auf andere Weise los werden,“ raunte er ihm zu.
„Und ich war nicht darauf vorbereitet, einem ehrvergessenen Menschen zu begegnen, der seine Braut auf das gemeinste betrügt und hintergeht, indem er alte Beziehungen hier wieder aufzunehmen gedenkt.“
Eberhard war bleich wie Wachs geworden. Er zitterte am ganzen Körper. Beide standen sich gegenüber und massen sich mit ihren Blicken wie zwei Gegner, die sich im nächsten Augenblick entgegenstürzen wollen. Plötzlich aber sagte sich Eberhard, dass ihm die grösste Ruhe allein zum Siege verhelfen könne. So bezwang er sich mit aller Gewalt, drehte ihm den Rücken zu und sagte im wegwerfenden Tone:
„Sie sprechen wirres Zeug, das ich nicht verstehe. Fräulein Bandel sowohl als ich stehen zu hoch gewissen Leuten gegenüber, als dass diese imstande wären, durch ihre unnoble Gesinnung etwas zu erreichen.“
„Es wird Ihnen nicht gelingen, sich rein zu waschen,“ fuhr Heinz fort. „Oder wollen Sie bestreiten, dass Sie vorhin mit Fräulein Bandel Hand in Hand in einer Situation von mir betroffen wurden, die sich für einen Bräutigam, der mit einer anderen vor den Altar treten will, durchaus nicht schickt? Nur Menschen, die schon sehr vertraut miteinander sind, pflegen so beieinander zu sitzen und sich Liebenswürdigkeiten zu sagen.“
In diesem Augenblick hatte Treuling der Ältere die Empfindung, als hätte man ihm soeben die Nachricht gebracht, seine Börsenschuld sei nur eine eingebildete gewesen und der Verkauf seiner Grundstücke an die Stadt habe bereits mit einem ungeheuren Nutzen für ihn stattgefunden.
Ei, so weit waren sie also schon gekommen! dachte er. Nun verstehe ich auch die Aufgebrachtheit dieses Burschen. Natürlich ist er eifersüchtig und wütend darüber, dass man ihn jetzt beiseite schiebt.
Treuling der Ältere nahm plötzlich eine sehr ernste Miene an und sagte, nachdem er einen Blick in die Nebenzimmer geworfen hatte:
„Ich kann meinem Sohn nur völlig recht geben, wenn er es von sich weist, sich mit Ihnen in eine längere Auseinandersetzung einzulassen, die gar keinen Zweck hätte. Wenn Sie sich schon davon überzeugt haben, wie die Dinge liegen, so begnügen Sie sich gefälligst mit der genommenen Kenntnis und warten Sie die weitere Entwicklung ab. Ich glaube nicht, dass es Herrn Bandel angenehm berühren wird, zu hören, in was für einen Ton Sie hier verfallen sind.“
„Wissen Sie was, mein Herr?“ fiel Heinz ihm schnell ins Wort, indem er sich nun zu ihm wandte, „behalten Sie Ihre Belehrungen und Weisheiten für sich! Dass Sie die schmähliche Handlungsweise Ihres Herrn Sohnes verteidigen werden, das ist nur ganz selbstverständlich. Sie stecken eben beide unter einer Decke. Aber hören Sie ...,“ wandte er sich wieder alt Eberhard, „wenn Sie wirklich die Absicht haben sollten, meine Schwester noch im letzten Augenblicke sitzen zu lassen, um sich hier wieder heranzumachen, dann thue ich doch noch das mit Ihnen, was ich Ihrer Frau Mama bereits angekündigt habe: ich schlage Sie windelweich, wo ich Sie finde. Merken Sie sich das!“
Er zeigte sich durchaus nicht eingeschüchtert, that vielmehr so, als hätte er einen kleinen, ungezogenen Jungen vor sich, den er mit Erziehungsmassregeln drohen müsse. Gleichmässig stiess er den Dampf seiner Zigarre von sich. Die Hände in den Hosentaschen, hatte er sich wieder breitbeinig mit herausfordernder Miene vor Eberhard hingepflanzt.
„Ich glaube, Ihnen bereits einmal angedeutet zu haben, dass ich nicht gewohnt bin, auf einen derartigen Ton näher einzugehen,“ erwiderte dieser möglichst ruhig und gefasst. „Ich will zu Ihren Gunsten annehmen, dass Sie im Augenblicke nicht genau wissen, was Sie sprechen. Bei näherer Prüfung werden Sie selbst zu dieser Erkenntnis kommen müssen.“
„Ja, ich begreife gar nicht, wie Du Dich noch über die Tonart dieses Herrn wundern kannst,“ platzte nun Treuling sen dazwischen, der jede Gelegenheit benutzen wollte, nur seinem Ziele näher zu kommen: „Du hast doch wirklich Zeit genug gehabt, um Deine zukünftige Verwandtschaft näher kennen zu lernen. Eben wieder bekamst Du einen Beweis ihrer Gesellschaftsfähigkeit.“ Er lachte kurz und unterdrückt auf.
Eberhard fühlte diesen Stich und presste die Lippen aufeinander. Schweigend wandte er sich ab. Es geschah zum erstenmal, dass er sich nicht veranlasst fühlte, seinem Vater unrecht über diesen Punkt zu geben.
„Wenn Sie glauben, mich damit zu treffen, so irren Sie sich, alter Herr,“ wandte sich jetzt Heinz dem Fabrikbesitzer zu. „Ich habe mich längst für eine derartige Verwandtschaft bedankt.“
Er mass den Alten mit einem langen Blick von unten bis oben und fuhr fort: „Sie scheinen vieles mit jenen Leuten gemein zu haben, denen es mehr auf das Geld ankommt, als auf die Person. Als es sich darum handelte, uns fünfzigtausend Mark abzunehmen, war Ihnen die Verwandtschaft wohl gut, he? Und jetzt, da das Geld so gut wie flöten ist, möchten Sie sich von der Verwandtschaft drücken. Aber Sie werden mir morgen Rechenschaft abzulegen haben — verstehen Sie?!“
Er wollte noch etwas hinzufügen, aber ein kurzes, heiseres Lachen des Fabrikbesitzers, das wie ein schriller Aufschrei klang, liess ihn nicht dazu kommen:
„Da hast Du’s, da hast Du’s!“ rief dieser laut aus, ganz vergessend, wo er sich befand. „So etwas muss ich mir nun ins Gesicht sagen lassen, und Du warst es, der mir das Geld ins Hans gebracht hat. Förmlich aufgedrängt hat man es uns! Gehen Dir jetzt noch nicht die Augen auf?“
Ganz verstört im Gesicht, lief er im Zimmer umher. In diesem Augenblick fühlte er sich tödlich verletzt, empfand er doppelt die Schmach, die mit einer Verbindung der Familie Tetzlaff drohte. Ganz ausser sich vor Aufregung warf er sich dann in einen Sessel, holte tief und lang Atem, erhob sich wieder und blieb unentschlossen stehen.
Er wusste nicht, was er thun sollte. Jeden Augenblick konnte Bandel wieder auftauchen, und dann musste er gewärtig sein, noch weit schlimmere Dinge von diesem zudringlichen Menschen zu hören zu bekommen.
Eberhard merkte, was in ihm vorging. Dieselbe tiefe Entrüstung hatte ihn gepackt, die aufrichtig war, weil er nicht ahnte, was für eine Anklage sich unter Heinzens Worten verberge. Plötzlich hielt er es an der Zeit, dem unerquicklichen Auftritt ein Ende zu machen.
„Es thut mir leid, Papa, Dich so aufgeregt zu sehen. Aber Du hättest wirklich gar keine Ursache dazu gehabt. Dieser Herr hat gar nicht das Recht, seine Familie zu vertreten, die eine durchaus achtbare ist. Er gehört ebensowenig noch in sie hinein, wie er in die anständige Gesellschaft überhaupt hineingehört. Und deshalb wird er die Freundlichkeit haben, auf der Stelle dieses Haus zu verlassen, bevor ich sofort Herrn Bandel nebst Frau und Tochter hierher bitte, um ihnen die Geschichte von einem entarteten Sohn zu erzählen, der seinen Vater auf dem Totenbette bestahl, seine Brüder und Schwestern betrog und bei Nacht und Nebel wie ein richtiger Dieb ausrückte, um das gestohlene Gut so schnell als möglich an den Mann zu bringen! ... Seltsame Widersprüche im Leben: ein Mensch, der den Idealen nachstrebt, baut seine ganze Zukunft auf einer niederträchtigen That auf! Und das schlimmste ist, er täuscht alle Welt: er hat immer ein gewinnendes Lächeln auf seinen Lippen, wo er schamvoll in eine Ecke kriechen sollte. Er schleicht sich in anständige Familien ein, nistet sich in den Herzen edeldenkender Menschen fest, beutet ihre Schwächen aus und benimmt sich zum Dank dafür wie ein Strassenkehrer. ... Haben Sie mich nun verstanden? Oder soll ich noch deutlicher sein?“
Heinz hatte alle Farbe verloren. Ihm war zu Mute, als risse man ihm stückweise die Kleider vom Leibe, um ihn dem öffentlichen Hohne preiszugeben. Er fand zuerst gar nicht die Kraft, irgend etwas zu erwidern, starrte vielmehr mit dem Ausdrucke eines Verrückten, der die Sprache verloren hat, halb geöffneten Mundes auf Eberhard. Auf alles das war er nicht vorbereitet gewesen. Und er fand auch nicht den Mut, sich vom Fleck zu rühren, um sich Eberhard gegenüber zu einer Thätlichkeit hinreissen zu lassen, wie er es diesem erst vor wenigen Minuten angedroht hatte.
„Wer hat Ihnen denn das alles aufgebunden?“ presste er endlich, heiser vor erstickter Wut, hervor. .. „Wohl meine Schwester, hä?“ fügte er dann nach einer Pause hinzu.
„Da Sie es wissen, brauche ich es Ihnen ja nicht erst zu sagen ... Wollen Sie nicht die Güte haben, uns schleunigst zu verlassen — im anderen Falle würde ich mich genötigt sehen, Herrn Bandel herzubitten!“
„Ich glaube im Interesse dieses Hauses zu handeln, wenn ich die Aufforderung meines Sohnes unterstütze,“ fiel Treuling ein, dem nichts willkommener erschien als die Entfernung Heinzens, bevor Bandel käme.
„Was Sie betrifft, ehrenwerter Herr, so habe ich Ihre Schliche bereits durchschaut!“ schrie Heinz ihn wie besinnungslos an. „Sie haben eine Viertelmillion an der Börse verloren, stehen vor der Pleite und wollen diese Heirat hier nun einfädeln, um sich mit der Mitgift aus der Patsche zu helfen. Ja, blicken Sie mich nur so gross an, ich habe ebenfalls meine Beziehungen zur Börse. Aber man wird Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen!“
„Unverschämter!“ brachte Treuling der Ältere zitternd vor Erregung hervor. Das Angstgefühl trieb ihn an die geöffnete Thür, um abermals einen Blick in die Nebenzimmer zu werfen. Dazu gesellte sich die Ohnmacht eines Menschen, der einen fürchterlichen Schlag empfangen hat, ohne sich dagegen wehren zu können. Weil er im Augenblicke nichts Besseres zu thun wusste, so drückte er auf den Knopf der Klingel.
Anton erschien.
„Dieser Herr wünscht seine Garderobe zu haben,“ sagte er, indem er sich den Anschein gab, als handelte er mit Ruhe und Überlegung.
„Was wollen Sie?“ schrie ihn Heinz abermals an.
„So geben Sie dem Herrn die Garderobe lieber draussen, wenn er es durchaus wünscht,“ wandte sich Treuling der Ältere aufs nene dem Eingetretenen zu.
Anton blickte beide einige Augenblicke an, als hätte er zwei Menschen vor sich, die ihren Verstand verloren haben. Dann aber begriff er und erwiderte unterthänig: „Wie die Herren befehlen.“
Im Bewusstsein seiner steten Pflichterfüllung öffnete er die Thür zum Korridor, um Heinz zuerst hinauszulassen.
„Es hat keine Eile, Anton,“ fiel Heinz mit der herablassenden Handbewegung eines hohen Offiziers ein, der die Ehrenbezeugung einer Schildwache abwinkt.
„Wie Sie befehlen,“ sagte der Diener arglos und zog sich zurück. Schliesslich habe ich doch nur einem Herrn zu dienen, und nicht dreien, dachte er.
Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als Eberhard ausrief: „Ah, da kommt ja Herr Bandel! ...“
Er sah ihn nicht, aber er griff zu diesem Mittel, um Heinz aufs neue einzuschüchtern. Dieser machte eine Bewegung, als wollte er sich auf einen von beiden stürzen. Dann mass er sie zu gleicher Zeit mit Blicken von oben bis unten und sagte im Tone der Verachtung: „Rette Gesellschaft — Vater und Sohn!“ — lachte kurz auf und ging hinaus.
Eine Minute lang herrschte Stille im Zimmer. Man hörte ihn draussen ein paar Worte mit Anton wechseln, vernahm seine gedämpften Schritte und dann das Schliessen einer Thür.
Treuling der Ältere atmete auf, wie von einer Last befreit. Aber er wollte die volle Überzeugung haben. Er öffnete die Thür und steckte den Kopf in den Vorraum. Anton, der an einem kleinen Tische sass, gewärtig jeden neuen Befehls, erhob sich sofort und sagte, um sich entgegenkommend zu zeigen:
„Wenn Sie nach Herrn Tetzlaff suchen — er ist bereits fort. Er war sehr erregt und hatte grosse Eile.“
Mit unverschämter Liebenswürdigkeit lächelte er und blickte den Gast mit einem Ausdruck an, als wollte er sagen: O, ich weiss, was hier vorgeht. Halte mich nur nicht für dumm! Erinnere Dich meiner gefälligst beim Fortgehen. Er machte aber sofort ein langes Gesicht, als Treuling einfiel:
„Danach wollte ich gar nicht sehen. Mir schien es nur — —“
Befriedigt klappte er die Thür wieder zu und überliess es Anton, sich über den Zweck der Rengierde den Kopf zu zerbrechen.
Ehe er mit Eberhard noch irgend etwas sprechen konnte, vernahm man Bandels Kommen. Er räusperte sich laut, um seine Anwesenheit zu verkünden; dann trat er mit ernster Miene herein und sah sich ebenso erstaunt nur wie zuvor.
„Ja, zum Tenfel — ich sehe ihn ja noch nicht,“ brachte er ganz überrascht hervor. „Es sind noch keine fünf Minuten her, da sagte mir Anton, er sei hier herein gegangen.“
Eberhard gab ihm die nötige Aufklärung. Kaum war er zu Ende, so fiel sein Vater ein:
„Entschuldige, wenn wir Dich mit diesen peinlichen Dingen belästigen, aber es blieb uns kein andrer Ausweg. Wir hätten sonst selbst geben müssen, und da ich glaubte — —“
Bandel unterbrach ihn:
„Aber das wäre ja noch schöner gewesen! Ihr seid heute meine Gäste, meine liebsten Gäste, und er ist völlig Nebensache.... Ich kann Dir gar nicht sagen, was Du mir für einen Dienst erwiesen hast. Du hast mir eine Erleichterung geschaffen, eine wirkliche Erleichterung!“
Nach einer Pause rief er entrüstet aus: „Eine derartige Unverschämtheit ist mir noch nicht vorgekommen! Meine Gäste in meinem eigenen Hause zu beleidigen ... ganz zu vergessen, wo er sich befindet! Nun hat er sich natürlich gekränkt gefühlt und ist davon gelaufen. Ich werde ihm morgen einige Zeilen schreiben, und dann hat die ganze Sache ein Ende.“
Man hatte ihm die Einzelheiten des Streites verschwiegen, ihm vielmehr nur mitgeteilt, dass Heinz sich flegelhaft benommen habe. Er war auch gar nicht in der Verfassung, auf Einzelheiten einzugehen. Glücklich darüber, von einem ihm plötzlich lästig gewordenen Menschen befreit zu sein, brach er in ein lautes Lachen aus und sagte wiederholt:
„Er lief hier schon wirklich wie mein Sohn herum, wie mein eigner Sohn.“ Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Nun werden auch endlich meiner Frau die Augen aufgegangen sein. ... Jetzt aber soll’s erst gemütlich werden!“
In seiner freudigen Erregtheit merkte er gar nicht, dass Eberhard sehr schweigsam geworden war und wiederholt nach der Uhr sah. Ganz verwundert blickte er auf, als er plötzlich zu hören bekam:
„Sie werden es mir nicht übel nehmen, werter Herr Bandel, wenn ich jetzt aufbreche. Haben Sie die Güte, mich den Damen bestens zu empfehlen.“
Bandel hatte dafür sofort eine Auslegung bereit, was unzweideutig aus seiner Antwort hervorging:
„Aber machen Sie doch keine Geschichten — Sie bleiben noch. Sie werden sich doch deswegen nicht die gute Laune trüben lassen — das fehlte gerade! Meine Frau und Hertha erwarten uns hinten. Oder warten Sie ’mal — ich werde sie hierher bitten lassen. Mir auch angenehmer. Dann befindet sich meine Frau sozusagen am Schauplatz der That. Und wenn sie dann von dem nichtswürdigen Benehmen dieses Menschen erfährt, so wirkt das überzeugender.“
Er wollte schon nach dem Diener klingeln, aber Eberhard fiel aufs neue ein:
„Seien Sie überzeugt, Herr Bandel, dass ich Ihre Liebenswürdigkeit zu schätzen weiss, aber vielleicht wird es auch den Damen nach Kenntnisnahme dieses peinlichen Vorganges erwünscht sein, allein zu bleiben.“
„Im Gegenteil — sie werden jetzt erst recht etwas Zerstreuung wünschen,“ hielt Bandel ihm mit Zähigkeit entgegen.
„Aber so bleibe doch, Du siehst ja, wie geringe Bedeutung man dem Verschwinden dieses Herrn beilegt!“ warf nun auch Treuling ein. „Es wäre unbescheiden von uns, jetzt noch lange in uns dringen zu lassen.“
„Recht so, Alter, rede ihm nur zu! ... Da kommen sie ja schon selbst!“
Es waren wirklich Mutter und Tochter, die nun ebenfalls sichtbar wurden.
„Unser Herr Künstler ist plötzlich unpässlich geworden und nach Hause gegangen!“ rief Bandel ihnen entgegen.
Beide bemerkten sofort, dass etwas Besonderes vorgegangen war, hielten es aber nicht für angebracht, näher darauf einzugehen, um so weniger, da Bandel so that, als wäre alles ohne Aufregung abgegangen. Im Innern waren sie ebenfalls über diesen Ausgang befriedigt.
Und da Hertha durch nichts verriet, dass sie Eberhard irgend etwas übel genommen habe, so hielt es dieser für unartig, die erneuerte Einladung, zu bleiben, abermals abzulehnen.
Eine Stunde etwa blieb man noch zusammen. Als man sich jedoch trennte, hatten alle die Überzeugung, dass die Stimmung zuletzt eine sehr drückende gewesen sei.