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Ein schwerer Gang.

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Es war am andern Tage gegen elf Uhr vormittags, als Vater Wilhelm fertig zum Ausgeben mit einem Paket aus der Kammer in die Wohnstube trat. Es war dasselbe, das die Weihnachtseinkäufe Heinzens enthielt, und das Robert am Abend vorher mit nach Hause gebracht hatte.

Trudchen, die am Fenster stand und auf einem Bindfaden die grosse Puppenwäsche aufhing, die sie seit einer Woche tagtäglich hatte, blickte verwundert auf den Alten.

„Grossväterchen nimmt wohl dir Geschenke vom Onkel Ruprecht wieder mit?“ fragte sie.

„Ja, denk Dir nur au, Mäuschen! Er hat ganz falsche Sachen gebracht, und nun muss ich gehen, um sie bei ihm umzutauschen.“

„Das ist aber recht schlecht von ihm, Grossväterchen. Dann wollte er uns wohl zum Narren halten?“

„Wahrscheinlich, er hat jetzt so viel zu thun und verwechselt alles. Statt hübsche Sachen für ein artiges Mädchen, hat er solche für artige Jungens gebracht. Und wir haben doch gar keine artigen Jungens hier!“

Die Kleine lachte hell auf. „Nein, Grossväterchen, es ist auch ganz gut, sonst würden sie mir alles zu Weihnachten wegnehmen. Die bösen Jungens sind doch immer viel stärker als die kleinen artigen Mädchen!“

„Dafür müssen sie auch Soldaten werden.“

„Und Schildwachstehen — nicht wahr, Grossväterchen? Und wir Mädchen branchen bloss Essen zu kochen ...“

„So stimmt es — Du weisst schon ganz genau Bescheid, wie es auf der Welt zugeht.“

Diesmal lachte er laut und schallend auf, was ihr immer besonderes Vergnügen bereitete. Er hatte das Paket auf den Tisch gelegt, umhüllte es mit einem Bogen steifen Papiers und schnürte es dann zu. Und während er nun die Adresse schrieb, plänkelte er mit der Kleinen lustig weiter.

„Also einen Brief willst Du deswegen an den Weihnachtsmann schreiben? Sieh ’mal an!“

„Ja, Grossväterchen, Strafe muss sein. Ich will nur erst die Hemdchen für die Puppen aufhängen, sonst haben sie an den Feiertagen nichts anzuziehen.“

„Recht so, die Wirtschaft geht immer vor.“

Sie stand wie eine kleine Hausfrau mit aufgeschürztem Kleidchen und aufgekrempelten Ärmeln auf den Zehen und bemühte sich, die „Leine“ zu erreichen.

Robert kam vom Flur aus herein. Ausnahmsweise war er heute zu Hause geblieben, weil der Alte den Weg zu Treuling vorhatte.

„Nun, hast Du Paketadressen bekommen, ja? Dann setz Dich nur gleich, und schreib Du die andere Adresse. Ich glaube wahrhaftig, mir fangen die Finger schon ein bisschen an zu zittern.“

„Du willst es ihm also wirklich zurückschicken, Grossvater? Die unschuldigen Sachen können doch nicht dafür,“ warf Robert ein, während er seinen Überzieher ablegte. Der Alte gab ihm im geheimen ein Zeichen, indem er auf Trudchen wies. „Mäuschen, hol doch Grosspapachen ein Glas Wasser aus der Küche,“ sagte er dann laut, „lass doch auch das Wasser ein bisschen ablaufen!“

„Und dann bring ich mir gleich frisches Spülwasser mit.“ Sie nahm ihre Puppenwanne und eilte hinaus.

„Du hast recht, die unschuldigen Sachen können nicht dafür,“ wandte der Alte sich an Robert, „aber ihr Anblick würde mir niemals Frende machen, immer müsste ich daran denken, dass er sie gekauft hat.“

„Aber es war doch hübsch, Grossvater, dass er überhaupt daran gedacht hat?“

„Zufall, mein Junge, Zufall! Du hast mir ja selbst gesagt, dass er ganz erstaunt war darüber, Weihnachten so nahe zu sehen. Es war wieder die alte Grossmannssucht, die aus ihm sprach. Er wollte Dir gegenüber prahlen und beweisen, dass er auch ’mal etwas drauf gehen lassen könne ... Ich will, so lange ich lebe, keine Gemeinschaft mit ihm haben — weder innerlich noch äusserlich! Punktum ... So, nun war’ ich ja wohl fertig.“

Es gab darüber nicht mehr viel zu reden. Die Zurücksendung war bei dem Alten nun einmal beschlossene Sache, und da Robert seine Zähigkeit kannte, so zog er es vor, zu schweigen.

Die Kleine kehrte zurück, reichte mit einem Knir dem Alten das Glas und sagte: „Bitte schön, mein Herr, ein Glas Gänsewein. Wohl bekomm’s! Lassen Sie aber nichts übrig, denn er ist sehr teuer.“

Robert lachte, der Alte aber, der gar keinen Durst hatte, würgte sich das kalte Wasser herunter, nur um seinem Liebling ein kleines Ergötzen zu bereiten. Nach jedem Schluck verdrehte er vor Behagen die Augen, schnalzte mit der Zunge und nickte bedeutungsvoll; dabei sagte er:

„Das ist ja ganz vorzüglicher Wein, kleines Fräulein. Haben Sie noch mehr davon?“

Trudchen wollte sich ausschütten vor Lachen und verrenkte vor Vergnügen die Glieder.

„Eine ganze Wasserleitung voll, mein Herr,“ fiel sie dann lustig ein. „Ich kann Ihnen auch gleich welchen hier aus der Wanne geben, dann brauch’ ich nicht mehr ’rauszugehen. Es ist ganz rein, ich habe nur die Hände drin gehabt.“

Sie wollte das Glas nehmen, aber der Alte wehrte sie lachend ab: „Das nächste Mal, das nächste Mal! Für heute habe ich doch genug. Man muss mit dem teuren Wein nicht so asen.“

„Nein, was Du auch immer für Witze machst, Grossväterchen, manchmal bist Du doch zu drollig.“

„Nun will ich aber endlich zum Weihnachtsmann gehen, sonst treffe ich ihn nicht mehr zu Hause,“ sagte er dann mit gut gespieltem Ernste. Er zog die gefütterten Handschube über, setzte den Hut auf und nahm Stock und Paket. Dann reichte er Robert die Hand, gab der Kleinen einen Kuss und ging.

Er suchte die nächste Postanstalt auf, gab das Paket ab und bestieg hierauf die Pferdebahn, die ihn beinahe bis an sein Ziel brachte.

„Ist der Herr Fabrikbesitzer zu sprechen?“ fragte er freundlich aber würdig, als er den Fabrikhof durchschritten hatte und nun an der geöffneten Thür des grossen Comptoirs stand.

Man bat ihn, einzutreten, und zwar in etwas herablassender Weise, da man sofort einen Blick auf seine Kleidung geworfen hatte, die eher auf einen kleinen Handwerksmeister als auf einen „Kunden“ hinwies. Der alte, ausgediente Zylinderhut, der immer noch den Trauerflor zeigte, und das dicke Halstuch, das etwas wild über den Kragen des Überziehers hinausragte, gaben den gezierten jungen Leuten zu denken.

Als er aber die Kopfbedeckung abgenommen hatte und das ehrwürdige, edle Haupt mit dem silberweissen Haar nun voll zur Geltung kam, fühlte man sich doch veranlasst, ihm mit zuvorkommender Höflichkeit zu begegnen.

„Wünschen Sie den Herrn Chef in Geschäftsangelegenheiten zu sprechen?“ fragte ihn ein hochaufgeschossener, bartloser junger Mensch, der jedenfalls ein Lehrling war.

„Ja ... das heisst — eigentlich auch in Privatsachen,“ erwiderte er.

„Ist es denn sehr dringend?“

„Sehr!... Herr Treuling ist doch anwesend?“

„Allerdings, aber ich weiss nicht, ob er jetzt gerade zu sprechen sein wird. Er hat nämlich sehr viel Konferenzen.“

„Das kann ich mir wohl denken,“ fiel Vater Wilhelm etwas spöttisch ein, worauf der junge Mann ihn gross anblickte. „Aber gerade eine ganz ähnliche Konferenz möchte ich mit Ihrem Herrn Chef ebenfalls haben.“

Einige der Herren an den Pulten hatten die Köpfe erhoben und hörten nun aufmerksam zu, nachdem sie unwillkürlich einen Blick auf die kleine Thür mit matten Scheiben geworfen hatten, die zu einem kleinen Gang führte, der sich mit dem Arbeitszimmer des Chefs verband. Das Wort „Konferenz“ hatte sie plötzlich stutzig gemacht.

Seit acht Tagen ahnten alle, dass etwas in der „Luft“ liege, was eng mit dem Zustande des Geschäfts zusammenhängen müsse. Man hatte hin und her geraten, bis man schliesslich auf den Gedanken gekommen war, der „Alte“ habe wieder grosse Verluste an der Börse gehabt, deren Deckung ihm Kopfschmerzen verursachte. Man wusste gar nicht, wie richtig man geraten hatte. Nicht im entferntesten dachte man daran, dass das Geschäft an und für sich darunter leiden könnte, war man doch überzeugt, dass das Privatvermögen des Chefs ausreichend sein werde, um etwaige Schäden gut zu machen — Schäden, die jedenfalls nicht zu gross sein würden. Denn ein so gewiegter Geschäftsmann wie Carl Friedrich Treuling würde sich jedenfalls niemals in allzuhohe Spekulationen einlassen, ohne das Bewusstsein dabei aufzugeben, genügendes Kapital hinter sich zu haben.

Buchhalter und Kassierer namentlich waren dieser Meinung, und die mussten es doch zu allererst wissen. Der erstere stellte einen ausserordentlich grossen Reingewinn für dieses Jahr in Aussicht, und der letztere erklärte die Kassenverhältnisse für ganz vorzügliche. Allerdings hatte er nicht die geringste Ahnung von den Wechseln in Höhe von beinahe einer Viertelmillion, die gleich Würgengeln des Kaufmannsstandes im Hintergrunde lauerten.

Kein Tag verging, ohne dass sich nicht etwas Besonderes ereignet hätte. Heute früh, gleich nach neun Uhr, hatte es hinten im Arbeitszimmer des Alten zwischen Vater und Sohn einen Auftritt gegeben, wie man ihn zuvor niemals erlebt hatte. Als der Kassierer die Glasthür geöffnet hatte, um den Gang zu betreten, war er entsetzt zurückgeprallt — derartig hatte ihn das Zorngeschrei des Alten entsetzt.

Niemand wagte hineinzugehen. Und als Treuling der Jüngere dann ins grosse Comptoir getreten war, hatte man ihm die Erregung vom Gesicht ablesen können, dessen Blässe auffallend gewesen war.

Alles zitterte vor Treuling dem Älteren, und so war es ganz natürlich, dass man es zu vermeiden suchte, ihn unnötig zu belästigen.

„Es wäre mir auch eben so angenehm, den jungen Herrn Treuling zu sprechen,“ sagte Vater Wilhelm wieder, da er nicht aufdringlich erscheinen und diesen Gang nicht unnütz gemacht haben wollte.

„Dann müsste ich erst recht bedauern; Herr Treuling junior ist augenblicklich nicht anwesend.“

Nun sagte Vater Wilhelm ziemlich kurz:

„Dann muss ich Sie bitten, mich dem alten Herrn zu melden! ... Mein Name ist Tetzlaff ... Wilhelm Tetzlaff. Der Herr Chef kennt mich bereits persönlich.“

Nach diesen Worten hörte man ein halbes Dutzend Pultschemel zu gleicher Zeit knarren infolge der plötzlichen Wendung, die die Körper der auf ihnen Sitzenden machten; und ebensoviele Armbewegungen deuteten darauf hin, dass die Feder ihre Arbeit eingestellt habe.

Von dem letzten Pult löste sich eine mittelgrosse Gestalt mit freundlichem Gesicht und trat näher. Es war Herr Knauerhase, der die Chefs in dringenden Angelegenheiten zu vertreten hatte.

„Ich irre mich wohl nicht — der Herr Grosspapa von der Braut des jungen Herrn Chefs?“ mischte er sich mit ausgesuchter Höflichkeit in das Gespräch.

„Zu dienen, mein Herr, der bin ich.“

„Haben Sie die Güte, und nehmen Sie einstweilen Platz! Ich werde Sie sofort anmelden.“

Er schob ihm einen Stuhl hin und schritt der Thür mit den matten Scheiben zu, während der Alte nach geäussertem Danke sich niederliess.

Aufs neue knarrten die Drehschemel, und die Gesichter wendeten sich nun den Fenstern zu, um das boshafte Lächeln zu verbergen. Seit langem amüsierte man sich bereits innerlich über die „verbohrte Idee“ Treulings des Jüngeren, wie man dessen Heiratsplan im geheimen nannte. Und nun genoss man das Vergnügen, das Oberhaupt der zukünftigen Verwandtschaft in eigner Person vor Augen zu haben. Wie ein Geheimer Kommerzienrat sah er allerdings nicht aus, davon war man sofort überzengt.

Einige der jungen Leute stiegen von den hölzernen Böcken herab, traten zusammen und machten spitze Bemerkungen über den „hohen Besuch“.

„Er kommt wohl, um die Höhe der Mitgift festzusetzen, wie?“ flüsterte der eine, worauf nach einem unterdrückten Kichern ein zweiter sofort einfiel:

„Ich mache den Vorschlag — wir schenken ihm zur Hochzeit einen neuen Zylinderhut.“

Unterdrücktes Lachen folgte aufs neue. Plötzlich wurde die Glasthür hinten wieder geöffnet, und die kleine Gruppe stob auseinander. Jeder bestieg seinen Drehschemel. Einer der Vorwitzigsten rief laut: „Herr Knauerhase, jagen Sie uns doch nicht immer solchen Schreck ein!“

Der Augeredete erwiderte nichts, sondern wandte sich sofort an Vater Wilhelm:

„Herr Treuling lässt lebhaft bedauern ... Ob Sie nicht die Güte haben wollten, sich morgen nachmittag herzubemühen? Der Chef ist augenblicklich sehr beschäftigt und muss sogleich in die Stadt.“

Das hat doch wieder etwas zu bedeuten — dachten die übrigen Comptoiristen und warfen sich aufs neue bedeutungsvolle Blicke zu.

„Dann muss ich sie bitten, noch einmal zu Ihrem Herrn Chef hineinzugehen und zu sagen, dass meine Unterredung keinen Aufschub duldet. Es handelt sich um eine durchaus wichtige Angelegenheit.“

Kaum hatte er das gesagt, als die Glasthür abermals geöffnet und Treuling des Älteren Kopf sichtbar wurde. Er hatte sich besonnen und es vorgezogen, selbst zu erscheinen.

Da er den Alten nicht gleich erblickte, so rief er fragend herein: „Ist Herr Tetzlaff noch hier?“ Dann fügte er sofort hinzu: „Ah — jetzt sehe ich Sie erst — bitte, treten Sie näher! Ein Viertelstündchen habe ich doch noch Zeit.“

Er liess die Thür offen und machte sich unsichtbar. Vater Wilhelm erhob sich, nahm den Hut vom Tisch und verschwand ebenfalls hinter der kleinen Thür.

„Nun, wie gehts Ihnen, mein lieber Herr Tetzlaff?“ begann Treuling sofort mit auffallender Freundlichkeit, als sie beide ungestört waren. „Guten Tag — geben Sie mir doch erst die Hand!“

„Ich danke; man ist gesund und zufrieden, und das ist wohl die Hauptsache,“ erwiderte Vater Wilhelm, nachdem er der Aufforderung Folge geleistet hatte. Er stellte Hut und Stock beiseite und begann langsam die Handschuhe abzustreifen.

„Entschuldigen Sie nur, dass ich Sie nicht gleich vorgelassen habe, aber ich bin jetzt derartig mit Geschäften überhäuft, dass selbst meine besten Freunde darunter zu leiden haben.“

„Ja, ich habe davon gehört.“

Treuling stutzte. „Wovon haben Sie gehört?“

„Nun, von Ihren grossen Geschäften ... von den Spekulationen. So etwas spricht sich ja bald herum.“

„Was für Spekulationen meinen Sie denn? ... Aber so legen Sie doch ab, Herr Tetzlaff — Sie werden sich sonst erkälten, wenn Sie wieder ’rauskommen.“

„Ich werde mich nicht lange aufhalten.“

„Aber so machen Sie doch! ... Mir fällt gerade ein, dass ich den Gang auch aufschieben kann.“

Er ruhte nicht eher, bis der Alte Tuch und Überzieher beiseite gelegt hatte. Vater Wilhelm kam diese Liebenswürdigkeit verdächtig vor, und so dachte er: Dahinter steckt etwas; aber ich werde auf der Hut sein!

Dann nahm er Platz. Treuling bot ihm eine Zigarre an, die er indessen mit dem Bemerken ablehnte, er fühle sich etwas verschnupft und müsse deshalb danken. Dagegen zündete sich Treuling eine an und setzte sich ihm gegenüber.

„Ich bin hierher gekommen, Herr Treuling, um hier als ehrlicher Mann ganz offen eine Bitte zu äussern, die Sie mir hoffentlich nicht übel deuten werden,“ begann Vater Wilhelm, nachdem er gewohnheitsmässig seine Hände über den Leib gefaltet hatte.

„Weiss schon, weiss schon — kann sie mir wenigstens denken,“ fiel ihm Treuling ins Wort. „Aber sagen Sie mir jetzt, wie gehts Ihren Mündeln? Namentlich der Kleinsten — ich entsinne mich noch mit Vergnügen der halben Stunde, die ich ’mal bei Ihnen verbracht habe. Offen gestanden, ich hatte mich damals ausserordentlich wohl bei Ihnen gefühlt. Einfach, aber nett und behaglich! Wie gut haben es doch die Leute in Ihrem Stande ... sie haben keine geschäftlichen Sorgen, brauchen keine Konkurrenz zu fürchten und können ohne jede Aufregung ihr Dasein hinbringen. ... Sagen Sie offen — möchten Sie nach Höherem streben?“

„Das wäre wohl mein letzter Wunsch, Herr Treuling.“

„Nun, dann begreife ich nicht, dass Sie zu der Heirat ihrer Enkelin Ihre Einwilligung gegeben haben. Verzeihen Sie, dass ich gerade darauf komme, aber die Sache macht mir noch immer grosse Kopfschmerzen. Ich glaube, wir sprachen schon einmal darüber, und da war’s mir, als hielten Sie auch nichts Gutes von einer derartigen Verbindung.“

„Das ist auch heute noch meine Ansicht, und deshalb habe ich meine Einwilligung zur Heirat als Vormund noch nicht gegeben und werde sie auch nicht geben.“

„So, so? Das habe ich ja noch gar nicht geäussert,“ warf Treuling hastig ein. „Dann wird sich nun wohl das Vormundschaftsgericht damit befassen müssen, he?“

Das wird wohl nicht mehr nötig sein, Herr Treuling.“

„Wie meinen Sie das?“

„Nun, so viel ich gehört habe, gedenkt Ihr Herr Sohn die Verlobung rückgängig zu machen und noch im letzten Augenblick zurückzutreten. ... Er hat doch bereits eine andere Braut in Aussicht, eine mit sehr vielem Gelde?“

Treuling machte ein völlig verblüfftes Gesicht. Es dauerte eine Weile, ehe er wieder zu sprechen begann.

„Woher wissen Sie das?“

In sein Erstaunen mischte sich die geheime Freude, plötzlich diesem Manne gegenüber, dessen Geradheit und Offenheit er fürchtete, einen Schritt weiter gekommen zu sein. „Sagen Sie mir doch ... wer hat Ihnen darüber berichtet?“

„Also geben Sie selbst zu, dass es sich so verhält? Dann könnte ich doch am Ende meine Enkelin mehr beglückwünschen als bemitleiden. Denn wenn Ihr Herr Sohn sich plötzlich als ein so leichtfertig denkender Herr entpuppt, dann giebt er dadurch am besten zu verstehen, wie unglücklich er meine Enkelin gemacht hätte.“

„Nun, das hätte wohl auf Gegenseitigkeit beruht,“ bemerkte Treuling lächelnd.

Zu einer anderen Zeit hätte ihn eine derartige Sprache erzürnt gemacht. Jetzt aber, wo er seine eigene Gesinnung zu vernehmen glaubte, zeigte er sich ruhig und gelassen.

Ei, das geht ja alles vortrefflich! dachte er. Doch gut, dass ich mich besann und ihn vorgelassen habe. Nun wird auch der letzte Widerstand beseitigt werden.

„Nun also — woher wissen Sie das?“ drang er dann laut aufs neue in Vater Wilhelm. „Seien Sie so freundlich, und antworten Sie mir erst, dann werde ich Ihnen gern weitere Aufklärung geben.“

Tetzlaff besann sich eine Weile, dann sagte er ohne weiteres:

„Es ist das nur meine Annahme. Ihr Herr Sohn wird sich doch jetzt gezwungen sehen, eine sehr reiche Partie zu machen. Sie stehen doch vor dem Bankerott, wie ich gehört habe — das heisst, ich urteile ja nur nach Hörensagen.“

„Herr, was wagen Sie?“

Treuling schnellte von seinem Sitze auf und blickte ihn drohend an. Binnen wenigen Augenblicken hatte sich sein Aussehen verändert. Bleich im Gesicht, mit zusammengezogenen Brauen stand er da, nur mühsam seinen Zorn bemeisternd.

„Wie kommen Sie dazu, mit einem Mal diesen Ton anzuschlagen, nachdem ich Sie mit so grosser Freundlichkeit empfangen habe? ... Seien wir kurz, teilen Sie mir mit, was Sie wünschen! ... Das Geld Ihres Mündels — nicht wahr? Die Augst vor dem Verlust hat Sie doch hierher getrieben, nachdem irgend ein unverschämter Verleumder Ihnen etwas ins Ohr geblasen hat! Wahrscheinlich Ihr ältester Herr Enkel, der sogenannte Künstler, der gestern von seinem Gönner an die Luft gesetzt worden ist. Es ist doch so? Ich rate Ihnen aber in Ihrem eigenen Interesse, derartige Verdächtigungen für sich zu behalten. Ich müsste Sie sonst zwingen, vor Gericht Ihre Gewährsmänner anzugeben. ... Die Folgen könnten recht fühlbar für Sie werden.“

Er gab seinem Sessel einen Stoss und schritt durch das Zimmer.

„Bitte sehr um Verzeihung, wenn ich vielleicht etwas zu weit gegangen sein sollte,“ erwiderte Vater Wilhelm, etwas erschreckt über die Wirkung seiner Worte. „Es platzte mir gerade so heraus, weil meine Gedanken so waren. Wenn es aber nicht wahr sein sollte, dann bitte ich vielmals um Entschuldigung ... vielmals. Es liegt meiner Natur durchaus fern, jemand unberechtigterweise wehe zu thun.“

Er erhob sich ebenfalls und blickte sich nach seinen Sachen um.

Treuling wollte wie alle Leute, die sich getroffen fühlen, eine derartige Einrede nicht gelten lassen. Er wurde nun noch aufgebrachter. „Ach was — mit Ihrer Verzeihung ist mir gar nicht gedient! Thatsache ist und bleibt, dass Sie eine schwere Verleumdung ausgesprochen haben. Ich will Rücksicht auf Ihr Alter nehmen und mich nicht hinreissen lassen, etwas zu sagen, was Ihnen ebenfalls nicht passen würde.“

Plötzlich stellte er sich gebieterisch vor den Alten hin, der nun den Eindruck eines eingeschüchterten Menschen machte, und fuhr fort:

„Machen wir nicht viele Worte! Das Geld Ihres Mündels steht Ihnen morgen nachmittag zwischen fünf und sechs Uhr auf Heller und Pfennig zur Verfügung. Sie können nicht verlangen, dass ich Ihretwegen andere Angelegenheiten vergesse, ich habe mich Ihnen nicht aufgedrängt. Aber das hat man davon, wenn man sich auf all und jedes Geschäft einlässt! Ich glaubte Ihnen einen Gefallen zu erweisen, wenn ich Ihnen das Geld gut verzinste, und Sie haben es nur meiner Gutmütigkeit in diesem Augenblicke zu verdanken, wenn ich sofort Anweisung gebe, dass man Ihnen eine Aufstellung und Zinsenberechnung bis zum morgigen Tage macht.“

„Bitte nochmals um Verzeihung,“ brachte Vater Wilhelm wiederum hervor. Das ganze Auftreten Treulings machte ihn derartig befangen, dass er seine voreilige Äusserung verwünschte.

„Sie wissen doch ganz genau, dass damals ausgemacht wurde, das Kapital dürfe nur vierteljährlich gekündigt werden ... Ich sehe Ihr ganzes Auftreten aber als eine Notwendigkeit an, mich mit Ihnen und Ihrem Mündel so schnell als möglich auseinanderzusetzen — hoffentlich für ewige Zeiten.“

„O, wenn Sie darauf bestehen, so betrachten Sie alles als ungeschehen, ich bitte darum,“ warf Vater Wilhelm kleinlaut ein. Langsam, mit der Gemächlichkeit alter Leute begann er sich den Überzieher anzulegen. Treuling hatte auf den Knopf einer Klingelgedrückt. Es klopfte und Knauerhasetrat ein.

„Erinnern Sie mich doch nachher daran, dass ich Ihnen in Bezug auf Herrn Tetzlaff einen Auftrag gebe.“

„Sehr wohl, Herr Treuling.“

Knauerhase ging wieder. Es war nur eine Ausrede Treulings. Ausser seinem Sohne wusste niemand im Geschäft von einem Geldverhältnis zwischen ihm und der Familie Tetzlaff. Um sich vor jedem Verdacht seinem Personal gegenüber zu wahren, als habe er irgend ein Interesse an der Verwandtschaft mit dieser Familie, hatte er die Verwaltung des Geldes persönlich übernommen und sein Privatvermögen damit belastet.

Kaum waren sie wieder beide allein, als das Klingelzeichen am Fernsprecher ertönte. Sofort eilte Treuling an die Wand und sagte dabei:

„Einen Augenblick ... stehe sofort wieder zur Verfügung!“ Als vorsichtiger Mann, der immer eine abwartende Stellung einnahm, wollte er sich überzeugen, wer mit ihm spräche. In diesen Tagen voller Aufregung lebte er in beständiger Furcht, ein unvorhergesehenes, dunkles Ereignis könnte seine wohlüberlegten Pläne durchkreuzen und ihn vollends niederwerfen.

„Bitte sehr, lassen Sie sich nicht stören,“ erwiderte Vater Wilhelm mit einer Verbeugung.

„Ja, hier Treuling!“ rief er in den Kasten hinein, während er die Schallmuscheln gegen die Ohren hielt. Zu seinem Erstaunen glaubte er Bandels Stimme zu vernehmen. Und so rief er in der freudigen Erwartung, eine angenehme Nachricht zu empfangen, launig aufs neue hinein:

„Mit wem habe ich das Vergnügen? Mit Dir persönlich, Emil? ... Ja, ich bin es auch selbst. Sprich nur frei heraus!“

Plötzlich begann er zu zittern, er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Mit angehaltenem Atem lauschte er.

‚Ich kann Dir leider die gewünschte Summe bis morgen nicht zur Verfügung stellen. Es geht beim besten Willen nicht,‘ hörte er deutlich.

„So?“ brachte er mit Anstrengung als Antwort hervor.

‚Ich muss Dich zuvor noch einmal sprechen — ganz dringend. Wenn möglich, komme sofort!‘

„So? Wann darf ich denn hoffen?“

‚Das wird ganz von unserer Unterredung abhäugen. Alles mündlich. Ein bestimmtes Versprechen kann ich Dir in diesem Augenblick überhaupt nicht machen. Es ist etwas ganz Unvorhergesehenes dazwischen gekommen.‘

„So? Das hätte ich aber nicht erwartet. Thut mir sehr leid.“

‚Mir auch. Wie gesagt — alles mündlich. Damit Du keine Verzögerung hast, benutze doch gleich die Gelegenheit, anderweitig die Sache zu arrangieren.‘

Treuling hatte das Gefühl eines Menschen, dem man langsam die Kehle zuschnürt. Er hätte gern noch mehr gefragt, aber die Anwesenheit Tetzlaffs siel ihm ein. Dunkle Ahnungen von einer geheimnisvollen Macht, die im verborgenen gegen ihn kämpfe, stiegen in ihm auf und erfüllten ihn mit Ingrimm.

„Wie lange bist Du im Comptoir?“ rief er mit trockener Kehle aufs neue hinein.

‚Bis gegen halb zwei.‘

„Gut! Ich habe jetzt dringende Abhaltung. In einer Viertelstunde werde ich noch einmal anklingeln.“

‚Schön. Besten Gruss an Frau und Sohn!‘

„Gleichfalls ... Schluss.“

Er schloss die Leitung ab und blieb einige Augenblicke auf derselben Stelle stehen. Es war für ihn kein Zweifel — Bandel hatte Wind von seiner Lage bekommen und scheute sich, ohne weiteres die Gefahr zu übernehmen. Und wenn sich das so verhielt, was dann? Dann stand er wie ein halber Betrüger da, dem sein bester Freund für die Zukunft nicht mehr trauen würde! Während binnen wenigen Minuten diese fürchterlichen Gedanken seine Seele erfüllten, knöpfte sich Vater Wilhelm sorgfältig seinen Überzieher zu, nachdem er das dicke Tuch wieder um den Hals gewürgt hatte. Dann zog er sich auch mit Gemütsruhe die Handschuhe über. Das soeben gehörte Gespräch hatte kein Interesse für ihn gehabt, weil ihm das, was der zweite Sprecher gesagt hatte, unhörbar geblieben war. Unbewusst hatte er sich aber Treuling zugewendet und sah sich so genötigt, ihn zu beobachten. Und da war ihm denn die Aufregung desselben nicht entgangen. Er sagte sich, dass etwas vorgegangen sein müsse, was Treuling nicht-erwartet hatte.

Dieser wandte sich ihm wieder zu. „Bitte nochmals um Entschuldigung, aber solche Abhaltungen muss man sich gefallen lassen, nachdem das Telephon einmal erfunden ist,“ sagte er mit einer Höflichkeit, die Tetzlaff auffiel.

Treuling verband eine bestimmte Absicht mit diesem Ton. Er hielt es plötzlich für möglich, dass er morgen nicht imstande sein könnte, die fünfzigtausend Mark zurückzuzahlen. Und so wollte er es verhindern, dass Vater Wilhelm in Feindschaft von ihm ginge.

„O, das hatte gar nichts zu sagen,“ erwiderte dieser und fuhr dann gleich fort: „Dann wären wir also soweit einig, Herr Treuling. So leben Sie für heute wohl. Ich werde morgen zur bestimmten Zeit vorsprechen.“

Er hatte seinen Hut genommen und wollte gehen. Treuling hielt ihn aber zurück: „Ein paar Augenblicke noch, wenn ich bitten darf!“

Es hatte abermals geklopft. Der Briefträger war eingetreten, um die zweite Post zu bringen. Es war die Anordnung getroffen worden, dass alle Brief persönlich an den Chef abgegeben werden sollten, sobald dieser anwesend war.

Im Stehen prüfte er die Sendungen ihrem Äusseren nach, ohne die Briefe aufzuschneiden. Nur die Postkarten las er. Plötzlich stiess er auf ein Schreiben, dessen Umhüllung schon verriet, dass es private Mitteilungen enthalte. Es war an seinen Sohn gerichtet. Sofort sah er an der Handschrift, dass es von einer Dame herrührte. Und als er es nach allen Seiten drehte, las er auf der Rückseite die Worte: „Absenderin Hannchen Tetzlaff“.

Noch niemals hatte er einen ähnlichen Brief in die Hände bekommen. Eberhard und Hannchen hatten sich selten geschrieben, was ganz natürlich war, da sie sich fast täglich sahen.

Treuling setzte sich an seinen Arbeitstisch, legte den Brief abseits und begann einige der anderen zu öffnen. Dabei rief er Tetzlaff nochmals zu: „Ein paar Minuten, wenn ich bitten darf! Ich will nur einmal hier hinein blicken — wir haben noch zu reden.“

Während sein Blick einige der Briefe überflog, rang er mit einem Entschlusse. Eine geheime, böse Macht, die er sich nicht erklären konnte, drängte ihn, auch in Hannchens Brief mit der Schere einen Schnitt zu thun, um sich von dem Inhalte zu überzeugen.

Konnte er sich nicht in der Haft vergriffen, das Schreiben für einen Geschäftsbrief gehalten haben? Nichts würde erklärlicher sein als das. Wenn er seinem Sohne gegenüber einfach so thäte, als wäre er seines Irrtums sofort inne geworden und hätte die Zuschrift gar nicht gelesen, so würde man ihm auch glauben müssen! Wann sah man denn auch bei Geschäftsbriefen nach der Adresse? In den feltensten Fällen doch! Gewöhnlich beeilte man sich, die Umschläge so schnell als möglich aufzuschneiden, weil man die richtige Adresse für selbstverständlich hielt ...

Er besann sich nicht mehr, nahm den Brief und schlitzte ihn mit der Papierschere auf. Kein Zug in seinem Gesicht verriet seine innere Bewegung. Die Notwehr, in welche ihn die Kämpfe um die Ehre seines Namens versetzt hatten, liess ihn schliesslich zum Äussersten greifen und alle Bedenken beiseite setzen.

Zweimal hintereinander durchlas er fliegend die wenigen Zeilen — mit zusammengepressten Lippen, aber innerlich mit Jauchzen. Er übersah ganz das Wort „Bankerott“, dessen Gebrauch er von seiten dieses Mädchens in einer anderen Lage für unverschämt erklärt hätte — seine Augen hafteten nur auf dem Satz: ‚Ich gebe Ihnen also Ihr Wort zurück.‘ Dann wurde seine Aufmerksamkeit ganz und gar von der Nachschrift in Anspruch genommen.

Ei, was für eine Neuigkeit! Wie rücksichtsvoll kam man ihm doch entgegen. Sollte er wirklich nicht in der Lage sein, sein Versprechen morgen nachmittag zu erfüllen, so konnte man sich ja immer noch auf diese Einwilligung der Schreiberin berufen: dass sie den besonderen Wunsch geäussert habe, das Geld noch länger in der Fabrik zu lassen.

Und wenn es auch nur eine Ausrede war — Zeit brachte Rat.

Mit derselben geschäftsmässigen Miene steckte er das Schreiben wieder in den Umschlag und legte es abermals beiseite. Es war ihm nun eine förmliche Wonne, gegen den lästigen Besucher nicht mehr besondere Rücksicht üben zu brauchen. Denn nichts schien ihm natürlicher, als dass dieser Alte mit der ehrwürdigen Miene ein ganz schlauer Mann sei, der mit diesem Frauenzimmer, das sich in seine Familie hineindrängen wollte, unter einer Decke steckte.

Vielleicht ein Komplott, um noch irgend welche Erpressungen zu machen? ... Ausbeutung meiner Lage, welche genau zu kennen sie sich einbilden, dachte er bei sich. ... Und in diese Sippe hat sich mein einziger Sohn begeben! Nun wird er wohl genug für immer haben.

„Ihr Mündel ist doch auch mit allem einverstanden?“ fragte er plötzlich mit so harter Stimme, dass Vater Wilhelm überrascht aufblickte. „Sie vertreten zwar Ihre Interessen, und sie ist noch nicht grossjährig. Aber hier liegen die Verhältnisse so eigentümlich ...“

„Ich verstehe Sie vollkommen, mein Herr. Sie werden sich morgen davon überzeugen können, dass ich nur die Vorteile meiner Enkelin im Auge habe. Ich habe dem Obervormundschaftsgericht Rechnung abzulegen, sonst niemandem in der Welt.“

„Schön ... Guten Morgen!“

Vater Wilhelm zögerte noch. „Ich hätte noch eine bescheidene Frage ... Hat sich mein ältester Enkel, dessen schlechte Seite ich zur Genüge kenne, in irgend etwas gegen Herrn Bandel vergangen? Sie sagten vorhin — —“

„Herr Bandel duldet keine Diebe in seinem Hause. Er hatte den sauberen Herrn bis gestern noch nicht erkannt, sobald er aber die Geschichte mit dein Lotterielos erfuhr, liess er ihn durch den Diener hinauswerfen. Zu weiteren Mitteilungen fühle ich mich nicht verpflichtet. Sie werden wohl selbst zu der Einsicht kommen, dass der einzig Bedanernswerte mein Sohn ist. Wenn Ihre Enkelin plötzlich aus eigenem Willen erklärt, sie gebe meinem Sohne sein Jawort zurück, so können wir das nur komisch finden.“

„So, hat sie das gethan?“

„Ja — schriftlich sogar ... Das wäre ungefähr dasselbe, als hätte jemand gestohlen, und wollte nun die Ausrede gebrauchen, er wäre kein Spitzbube, der gestohlene Gegenstand sei vielmehr nur an seinen Händen kleben geblieben ... Im Namen meines Sohnes erkläre ich Ihnen nun, dass wir vollständig mit dem Zugeständnis Ihrer Enkelin einverstanden sind und die Verlobung als aufgehoben betrachten. Sollten noch irgend welche weiteren Ansprüche erhoben werden, so werden wir uns selbstverständlich als Leute von Erziehung und Bildung zeigen, die zur Wahrung ihres Rufes zum grössten Entgegenkommen bereit sind. Ich selbst betrachte die ganze Handlungsweise meines Sohnes als eine Verirrung, deren Ursachen in seiner Jugend und Unerfahrenheit zu suchen sind. Das dürfte ihn vollständig entschuldigen.“

„Dasselbe darf ich wohl mit Recht von meiner Enkelin behaupten. Sie war nahe daran, von dem Irrlicht ihres Herzens in einen gefellschaftlichen Sumpf gelockt zu werden.“

„Wie soll ich das verstehen?“ brauste Treuling nun wieder auf. „Sie werden doch nicht etwa meine Familie damit meinen ...“

„Gott bewahre! Unter ‚Gesellschaft‘ verstehe ich die Lüge, die sich hinter der Bildung so häufig verbirgt. Ich gehöre nicht zur Gesellschaft, denn ich habe in meinem Leben noch nicht gelogen. ... Guten Morgen!“

Er verneigte sich leicht, nahm alle Kraft zusammen und ging gemessenen Schrittes würdevoll hinaus, trotzdem er hätte weinen mögen.

Treuling war jäh zusammengezuckt. Er wollte noch etwas sagen, unterliess es aber. Er lachte nur unterdrückt hinter ihm her, als die Thüre sich geschlossen hatte.

Irrlichter und Gespenster

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