Читать книгу Am Ende bleibt ein Zauber - Maxi Hill - Страница 5
Koffer packen
Оглавление»Ich packe in meinen letzten Koffer…« Elli Wahlstedts Gedanken sind in ihrer Kinderzeit. Wie hatte sie das unendlich währende Gedächtnisspiel gehasst, weil sie nicht wusste, warum einer seinen Koffer packen sollte. Damals verreiste niemand. Erst recht wusste sie nicht, warum man sich all die Dinge merken sollte.
»Schuhe, Jacken, Röcke, Hosen, Taschen…« Ihre Finger zählen mit. Über die Lippen huscht ein winziges Lächeln.
Seit Richards Tod vor fünf Jahren war Elli Wahlstedt für kurze Zeit wieder mit sich selbst und mit der Welt im Reinen gewesen. Jetzt ist es Zeit auszubrechen. Abzubrechen. Auszusteigen…
Mit dem Jungen will sie fahren. Mit diesem Jungen, der nichts von alldem weiß, was sie seit über zwanzig Jahren bewegt. Schweigen ist manchmal eine große Schuld.
»Waschtasche. Jogginganzug. Die neuen Pantoffeln. Nachthemden.«
Ihre Hand schlägt sanft an die blasse Stirn, dann trapst sie noch einmal zum großen Wäscheschrank im Schlafzimmer und sucht nach einem ganz besonderen Stück, einem, das Richard einst in buntem Geschenkpapier auf ihren Geburtstagstisch gelegt hatte. Sie hat es nur selten angezogen. Ganz oben im hinteren Stapel muss es noch liegen. Die Höhe ist vermutlich der Grund, warum sie das Fach über Jahre missachtet hatte. In ihrem Alter vermeidet man — wenn es zu vermeiden geht — auf einen Stuhl zu steigen. Es gibt nicht viel, was man lassen kann, wenn man allein lebt. Heute bugsiert sie den Stuhl vor den Schrank. Fast kommt ein Glücksgefühl über sie, als sie den Hauch in rosa und mit Rüschen besetzt in ihren Händen hält. Sie legt ihn aufs Bett und lässt ihn dort liegen. Seltsame Gedanken kommen zu einer Zeit, wo sie nutzlos geworden sind:
Wie leicht konnte sie Richard zu einem Entschluss bewegen, den sie längst gefasst hatte. Diesen Entschluss — den Jungen betreffend — hatte sie Richard nach einer zähen Zeit seiner Weigerung in diesem Nachthemd abgerungen.
In ihren guten Jahren schliefen sie oft ohne jedes störende Textil. Diese Zeit ist lange vorbei und auch das, was diese Zeit ihr gegeben hat. Es gab Höhen und Tiefen. Es gab Lügen und Wahrheiten. Es gab Sorgen und Tränen, auch solche des Glücks. Es gab die Selbstüberschätzung und sogar Selbstbetrug. Es gab sichtbaren Wohlstand und dazwischen fast unbemerkt die scharf verleugnete Armut der Seele und des Geistes. Gegen letzteres hatte sie in jener Nacht gesiegt. Davon ahnt niemand etwas, das Nachbar-Ehepaar Hanschke ausgenommen.
Für eine gewisse Zeit war sie stolz auf sich gewesen, bis passieren sollte, was Richard vorausgesehen hatte.
Ihr Plan mit dem Jungen sollte schwieriger werden als gedacht. Diesen Rückschlag nutzte Richard für seinen Entschluss, aufs Dorf zu ziehen. Vermutlich glaubte er, sie würde den Jungen aus den Augen verlieren und endlich zur Ruhe kommen …
Richard und Elli Wahlstedt haben ihr Leben genossen, sich zahlreiche Wünsche erfüllt und kaum gestritten. Gleichwohl litt mal die eine und mal die andere Seele. Jeder versuchte, sein Inneres totzuschweigen, woran man letztlich noch schwerer trug. Manchmal kam sie sich neben Richard überflüssig und unnütz vor, manchmal wie eine falsch platzierte Tischnachbarin. Dann wieder erhob er sie zur ungekrönten Königin, ganz danach, wie viel von der Art Liebe sie ihm gegeben hatte, die er begehrte.
In manchen Jahren wurde sie krank daran, in anderen überwog das Gefühl, einen recht guten Menschen an ihrer Seite zu haben.
Richard hatte alle Vorkehrungen getroffen, die Zelte in der Stadt abzubrechen. Es werde zu Ellis Vorteil sein, sagte er. Welchen genau er meinte, war unklar.
Diesmal zog sie heimlich alle Register und letztlich war die Freude doch noch auf ihrer Seite. Sie wusste von ihrer Kollegin Rosel, dass deren Tochter Gretas Ehe kinderlos war. Sie kannte Greta und es war nicht schwer, ein Gespräch zu nutzen. Greta saß am Tresen und verkaufte Tickets. Es gab deshalb nur spärliche Kontakte. Aber es gab hin und wieder Zusammenkünfte, und da war Elli nicht zimperlich, ihre Chance zu nutzen.
Leicht war die Entscheidung der Hanschkes nicht, auch wenn sie nicht gleich auf Gedeih und Verderb getroffen werden musste. Elli hatte Greta etwas versprochen, was sie auch halten wollte. Aber dann kam Richard mit seinem Traum vom Haus auf dem Lande.
Es sollte noch dauern, bis Greta Hanschke mit Klein-Pepe und ihrem Mann Axel direkt neben ihrem Grundstück in ein verlassenes Haus einzog. Nicht einmal Richard wusste: Es war der Lohn für Ellis Geschickes. Ein Lichtblick. Was man beginnt, muss man beenden — so oder so.
Niemand im Dorf ahnt, was Elli mit dem Jungen verbindet. Niemand. In diesem Dorf der geregelten Umstände ahnt auch keiner, wie das Leben spielen kann, wie es Leid und Not versprüht und Existenzen ruiniert.
Gut möglich, dass ihr Plan für den heutigen Tag neue Wunden reißt. Noch glaubt sie nicht, der Junge könnte es ihr danken. Sie wird auch das kalkulieren und je nach Verlauf des Tages entscheiden. Eine zweite Chance wird es nicht geben.
Als sie in dieses Haus gezogen sind, auf dieses Dorf, hatte sie das Gefühl, es drohe hier eine Gefahr. Sie könnte den Boden unter den Füßen verlieren. Schon damals war sie sicher: Heimat ist ein Gefühl.
Einmal hat es ihr die Sprache verschlagen. »…unser Dorf«, hatte Richard gesagt. »Unser Dorf?«
Für Elli war dieses Dorf nie ihr Dorf. Für Richard selbst war es das auch nicht. Er war es, der dem ganzen Zinnober dörflicher Tradition Ignoranz entgegengebracht hatte. Manchmal wollte sie es ihm mit Worten beibringen, aber Richards Eigensinn und die Worte von Elli waren selten ein gutes Gespann. Es kostete sie viel Kraft, vorzuleben, wie gute Nachbarschaft gehen könnte. Leider bemerkte Richard ihre Mühe nicht. Sein Gartenzaun war das Ende für Gemeinsamkeit. Er hätte nie verstanden, was Elli damit bezweckte, auf die Dörfler zuzugehen, nicht abseits zu stehen. »Was soll daran lustig sein«, fragte er einmal, »wenn man sich fremden Zwängen hingibt.«
Ellis Gedanken sind unumstößlich: Man muss groß geworden sein in diesem Dorf, um dessen Menschen zu verstehen. Sie weiß nicht, wie viele Kinder hier geboren werden. Sie weiß nicht, wie viele Menschen hier verwurzelt sind. Wie viele in der alten Kirche ihre Hochzeitsschwüre teilen, wie viele auf dem Friedhof liegen, Fremde wie Hiesige. Sie hat erst lernen müssen, dass alles Fremde nichts wert ist, sogar auf dem Gottesacker nebenan.
Dieses Dorf ist nicht geschaffen für Menschen, die der Tradition nicht dienen. Für Elli stand fest: Man darf nicht abseits stehen, keine Schwäche zeigen, sich nicht einschüchtern lassen…
Diese Vorsätze waren leichter als das Leben. Man konnte sich täuschen an bunten Gärten, die nach Liebe riechen. Man glaubte an Brüderlichkeit bei den brechend vollen Tischen beim Schützenfest.
Elli hoffte zu lange, die breitgezogenen Lippen und die inständigen Worte waren ehrlich. Dann kam der Tag, als sie spürte, nicht dazuzugehören.
Familie Wahlstedt gehörte nie dazu, da konnte Richard noch so sehr seinen Kopf schütteln und meinen, es interessiere ihn nicht. Sie hätte gerne dazugehört, aber Heimat wurde ihr das Dorf nie.
Vermutlich ist es diese Distanz, die ihr die Angst vor dem Tag genommen hat, an dem sie einst die Füße voran dieses Haus verlässt…
Seit Richard nicht mehr im Haus herumschleicht, lebt Elli Wahlstedt tonlos vor sich hin. Das fünfte Jahr. Ein langer, fader Stummfilm. Auf einem Dorf ist er besonders stumm, besonders fade. Dabei müsste sie das Leben doch kennen, war selbst auf einem Dorf geboren worden — als fünftes Kind mitten im mörderischen Krieg.
Elli denkt seit Jahren wieder einmal an ihre Mutter. Kriegswitwe mit fünf kleinen Kindern, die immer Sehnsucht hatten. Wonach, das wussten sie nicht, weil sie nicht wussten, was es so gibt im Leben der anderen.
Mutter hatte viel gegrübelt, wenn sie auf ihrer Ritsche vor dem Küchenherd saß und den Rauch ihrer Zigarette in das offene Feuerloch blies. Rauchen musste sie. Das beruhigte ihre Nerven, aber es änderte das Grübeln nicht. Wochenlang — Tage wie Nächte — hat sie ihr Leben um und um gewälzt. Hat nach Fehlern gesucht, nach Missetaten, die sie begangen haben musste, wenn sie der Herrgott so strafte. Sie hatte keine gefunden.
»Unser Herr und Gott hat ihn zu sich genommen«, predigte der Pastor bei der Gedächtnisfeier der gefallenen Kriegshelden, zu denen auch Vater Johannes gehörte. Seither wollte die Mutter mit keiner Art Herren mehr etwas zu tun haben. Immerhin hatte sie ihren Kindern den Religionsunterricht nicht verboten. Sie grämte sich zwar, wenn sie den weiten Weg ins Nachbardorf zur Kirche mussten. Sie fand es nutzlos. Warum sollten sie das Beten lernen, wenn sie Wünsche hatten oder keinen Weg mehr sahen? Sie sollten sich auf ihre eigene Kraft besinnen. Sie sollten nirgendwo den Rücken krümmen und die Hände falten. Diese Freiheit der Entscheidung grub sich fest in das Wesen von Elli.
Als der Koffer gepackt ist und gut verschlossen, setzt sie sich auf eine Kante und sinniert, ob sie alles Nötige eingepackt hat. Sie muss sich noch dem Anlass gemäß anziehen. Das dunkelblaue Kostüm hängt gebügelt und gebürstet an der Garderobe, und die passenden Pumps stehen blitzblank im Flur. Sie wird die lachsfarbige Bluse anziehen, Blau und Lachs, eine Farbkombination, die nach Richards Geschmack wäre. Sie hingegen bevorzugte stets Ton-in-Ton.
Den kleinlichen Hader vergangener Jahre, den es bisweilen mit Richard gab, kann sie heute nicht mehr verstehen. Sie fühlt sich gerade heute so nah bei sich und doch so fern von dem, was ihr Wesen bisher ausgemacht hat. Als stehe sie noch fest mitten im Leben, freut sie sich auf ihren Entschluss für diesen Tag. Sie wird den entscheidenden Schritt gehen. Sie wird so tun, als will sie nicht so allein sein, wie sie in den letzten Wochen war, seit sie und Greta Hanschke zum ersten Mal uneinig auseinandergegangen sind.
Wie stets im Leben wird Elli noch erfüllen, was unerfüllt ist.
Die Schwalben sind zurück. Im Tiefflug schnappen sie nach Fliegen. Nicht, dass man Schwalben im Dorf sonderlich mag. Sie sind nur Gast auf Zeit, wie Elli Wahlstedt. Anders als Elli werden die Schwalben die Höfe der Nachbarn mit ihren Hinterlassenschaften beschmutzen und so manchen Umbau vereiteln, weil sie Schutz genießen, mehr als Elli je genossen hat. Die eleganten Segler sorgen seit Jahren für dörflichen Selbstbetrug. Schwalben bringen Glück. Das ist noch der geringste. Wie könnte auch nur eine Schwalbe an eines Menschen Glück denken? Am Glück muss man schmieden. Daran glaubt sie noch immer, auch wenn sie das Leben bisweilen anderes lehrte. Sie hat einst geschmiedet am Lebenslauf des Jungen, der zum Glück seiner Eltern wurde, ungeplant, wenn auch mit Zweifeln beladen.
Greta Hanschke hatte im rechten Moment auf Elli gehört, damals. »Gleiches Blut ist kein Garant für Glück…« Warum hört sie jetzt nicht auf ihre Mahnung? Der Junge hat das Recht auf Wahrheit.
Elli hatte Greta schon tags zuvor angerufen. Sie wollte nicht so Auge in Auge zur Ausrede gezwungen sein. Hat nur gefragt, ob Pepe sie mal wieder fahren kann.
Pepe ist ein guter Junge. Greta und Axel haben ihn mit all der Liebe erzogen, die Menschen zu geben imstande sind. Es hätte durchaus schief gehen können. Man kann keinen Menschen von seinen Genen befreien. Charakter ist die Unfähigkeit, anders zu sein. Sie wusste es von Anbeginn, dass es gelingt. Sie ahnte es. Das Wesen eines Menschen ist unzerbrechlich, aber in jungen Jahren ist es noch formbar.
Die Uhr an der Wand schlägt gerade neun Uhr. Elli steht hinter der Gardine und schaut über den kleinen Hof, den Richard vor zwanzig Jahren liebevoll gepflastert hatte. Auf die kleinen grünen Inseln zwischen den Mustern aus Stein hatte Elli vehement bestanden. In Gedanken sieht sie Richard, der die Dinge des Lebens wie die auf seinem Hofe sehr genau nahm. Wie er die kleinen Koniferen wässerte, die sich nicht wehren konnten gegen den Wasserschlauch. Auch gegen seine Gartenschere konnte sie nichts ausrichten. Damit gab er allen Gewächsen merkwürdige Formen. Sogar die rosa bis lila blühenden Rhododendren wuchsen, wie er es wollte. Erst seit drei Jahren blühen sie üppig, wie sie es selbst möchten und wie es auch Elli gefällt.
Hinter der blühenden Hecke bleiben zwei Frauen aus dem Dorf stehen. Sie stecken die Köpfe zusammen, schauen abwechselnd zu Ellis Fenster und dann wieder zum Briefkasten. Die eine hält ein bräunliches Papier in der Hand. Sie zögert, es in den Briefschlitz am Gartenzaun zu zwängen.
Elli wendet ihren Kopf und nimmt die schärfere Brille aus dem Etui. Sie glaubt, ihren Augen nicht trauen zu können. Diese Frau, diese Elfriede Strunz, hegt seit Jahren einen stillen Groll auf Elli. Sie kann nicht ertragen, dass ihr Mann Kurt seit Richards Tod der fremden Elli Wahlstedt zur Hand geht. Sie bittet ihn nur selten; nur wenn es handwerklich etwas Kniffliges zu erledigen gilt oder die Hecke zum Nachbargrundstück zu üppig geworden ist.
Was ist jetzt Elfriedes Problem? Das alte, das sie einst von Kurt erfahren hat, kann es nicht mehr sein. Man zerriss sich seit Jahren das Maul, weil sie mehrmals im Jahr mit Richard in den Urlaub fuhr. Bisweilen nahmen sie Pepe mit, sofern gerade Ferien waren.
Die Zeit mit Pepe ist längst vorbei. Von Kurt aber weiß sie, dass sogar Greta Hanschke unter dem Verdacht der Leute gelitten hat, sie käme mit dem Kind nicht zurecht, weshalb die Wahlstedts den Jungen mit in den Urlaub nähmen. Darüber gesprochen hatte Greta nie. Freilich klatschten nur jene Frauen, die in den Häusern wohnen, die man seit Generationen weitervererbt. Die Zugezogenen, wie Greta Hanschke eine ist, tuscheln nicht. Und das liegt nicht an der Sache mit dem Jungen, die keiner im Dorf weiß; die keiner wissen sollte.
Elli ist aus einem Holz geschnitzt, das langsam wächst. Wohl deshalb ist es fest und knorrig wie sie. Mit sichtbaren Kerben, aber ohne verschrobene Vorurteile, die den Alteingesessenen die Nahrung zu ersetzen scheinen. Von dieser Frau da draußen hatte Greta ihr noch anderes gesteckt, etwas, was Greta nur schwer über die Lippen bekam: Dieses Dorf vertrage keine Stadt-Madame. Keine Modedame, kein Porzellanpüppchen mit ebensolchen Händchen…
Greta hatte diese Worte mit Wehmut herausgepresst und sich sofort entschuldigt. Sie habe ihre Meinung über Elli schließlich nicht sagen können, Elli wüsste schon warum.
Oh ja, sie weiß warum und sie kann Greta bis zu einem gewissen Punkt verstehen.
Was also will diese Frau ihr jetzt mitteilen? Weiß sie womöglich, dass es die letzte Chance wäre, sofern es etwas Wichtiges zu sagen gibt? Etwas gutzumachen? Eine Flut von Erinnerungen längst vergessener Episoden drängt sich in Ellis Kopf. Bilder, die ihr so vertraut sind und doch so wenig erbaulich.
In dieses Dorf waren sie gezogen, als sie noch uneins waren, was den Jungen betraf.
Dem Bürgermeister hatte Richard gesagt, es habe ihn genervt, wenn schon vor dem Hellwerden der notwendige Lärm in der Stadt losging und wenn lange nach dem Dunkelwerden der überflüssige kein Ende nahm. Seine Begründung, warum er es vorzog, auf dem Dorf zu leben, war nicht bewiesen: In einem Dorf lebe es sich besser, es sei alles familiärer und jeder achte auf jeden, was dem Alter nur zuträglich sei. Elli hatte ihm sein Argument gelassen. Sie selbst hätte so denken können wie er, wäre sie in der Stadt geblieben. Jetzt weiß sie es besser: Man muss geboren sein für ein Dorf, oder man muss die Außenseiterrolle mögen.
Er hatte den Umzug mit ihr besprochen und gemeint, das Dorf könnte für sie beide ein Weg sein, um Ruhe zu finden, was jeder darunter verstehen mag. Sie hat ihre Ruhe nicht gefunden, aber sie hatte bald ihre innere Freude, ihren Ersatz gegen einen kleinen Kummer, gleich nebenan.
Richard wusste nichts davon, wie sie die Dinge arrangiert hat. Aber er hat es sich denken können und er hatte all die letzten Jahre seines Lebens selbst seine Freude an dem Kind.
Dieses Dorf versteht sich als ein Dorf wie jedes andere; und in der Tat ist es das. Nicht jeder verträgt sich mit jedem, zwischen den Gehöften wuchert heimliche Zwietracht wie Unkraut neben überschwänglich gezeigter Harmonie und Eintracht. Wenn aber jemand von außen in ihre Gemeinschaft eindringt, dann halten sie zusammen wie Pech und Schwefel.
Was kann ihr das Dorf jetzt noch?
Elli beschließt für sich: Es ist besser, in Frieden zu gehen. Warum sollte sie diese Frau nicht von ihren Nöten befreien? Wenn sie etwas zu sagen hat, dann ist jetzt die letzte Chance…
In vorsichtigen Schritten durchquert sie das Haus. Das schwere Holz ächzt beim Öffnen der Tür. Hinter der Hecke hastet die Frau an den Büschen vorbei, so rasch, wie früher ihre Lügen über Elli das Dorf durchquerten. Ob sie den Brief in den Kasten geworfen hat, weiß Elli nicht, und sie will es auch nicht wissen. Jetzt nicht mehr…
Den Weg zum Briefkasten geht Elli nicht. Keine Nachricht soll an ihrem heutigen Plan etwas ändern.