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DER HELD DES TAGES

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Am Morgen des 14. Januar 1975 zu sehr früher Stunde, verabschiedete sich Major Pierre Wachowiak von seiner Frau Steffi. Er rückte zum Dienst auf dem nahen Militärflugplatz ein. An diesem Dienstag stand ein Werkstattflug mit einer reparierten Maschine an; das neue Triebwerk war zu testen. Nun hatte seine schöne junge Frau beim Frühstück von ihrem Traum geredet, einem Albtraum, der ihr keine Ruhe ließ. Es kostete Wachowiak einige Mühe, sie wieder auf den Boden der Realität zu holen.

»Du musst dir nicht immer solche Sorgen machen. Wenn etwas ungefährlich ist, dann sind es diese kurzen Probeflüge«, sagte er und küsste sie ganz sacht auf die Stirn. »Reine Routine.« Er hatte Jahre gebraucht, um einzusehen, dass Untertreibung stets der bessere Weg war, um den Frieden zu erhalten, besonders den Hausfrieden.

Heute war es nicht nur das übliche Schattentheater, es war glatt gelogen, das wusste er. Aber auch diese Lügen waren reine Routine. Steffi stand mit beiden Beinen im Leben, hatte ihn aus ihrem Dienst schon oft mit Wetterdaten versorgt, die hilfreich waren, weil sie letztlich zutrafen.

Es fiel ihm immer schwer, mit Steffi über Schwierigkeiten zu reden. Warum sollte er ihr unnötige Sorgen bereiten. Er machte sich ja selbst kaum welche. Das Leben hatte ihn gelehrt: Es gibt für alles eine Lösung und obendrein genug Befehle, die weder anzuzweifeln noch bedenklich waren. Seine Pflicht, die offizielle Meinung zu vertreten, lag ihm besser, als die Bürgermeinung anzunehmen. Beides auseinanderzuhalten, war für niemanden leicht, aber keiner der Genossen sprach darüber.

Pierre Wachowiak achtete die Sorgen seiner Frau, die den Volkssorgen sehr nahe waren. Steffi war nicht so auf Gehorsam gefärbt wie er. Musste sie auch nicht. Das Wetter richtete sich nicht nach politischen Erwartungen. Er als Militärangehöriger hatte eines sehr schnell lernen müssen: Erst den Befehl ausführen, auch wenn er noch so unsinnig scheint, erst dann reden.

»Steffi, das haben wir doch nun oft genug besprochen.« Er legte seinen Arm um ihre Schulter und drückte ihren Körper an sich. Sein weiches Gesicht wurde noch liebevoller, seine Augen blickten noch sanfter und die Lippen formten die Worte wie eine Liebeserklärung. »Die MiG-21 ist das meistgebaute Überschallflugzeug und in vielen Ländern der Welt im Einsatz. Meinst du wirklich, die Freunde würden bei so vielen militärischen Konflikten in der Welt genau diese Maschine an die zahlenden Abnehmer bringen können, wenn sie nicht absolut sicher wäre?«

Steffi druckste kurz. Ihre schönen, am Morgen noch blass-roten Lippen zuckten, als möchte sie weinen.

»Du musst mich auch verstehen«, sagte sie, und er sah ihre Lider flattern, die von dichten Wimpern umkränzt, schon oft von seinen Lippen berührt worden waren. »Seit ich das Cockpit gesehen habe, wird mir bei jedem Gedanken daran ganz schlecht. Wie kannst du davor sitzen und das alles überblicken? Wie kann überhaupt ein Mensch die Übersicht behalten?«

Ihre Stimme war ein einziges Flehen. Pierre schloss die Augen und sah sie vor sich, wie er sie zum ersten Mal gesehen und bald darauf geküsst hatte. Er spürte die Wärme ihres Leibes und die sanften, fast rätselhaften Lippen, die er mit ungekannter Leidenschaft berührt hatte. Sie hatten sich nächtelang geliebt, bis er ihr sagen konnte, was er war und wo er arbeitete. Nach diesen wenigen Tagen hatte er sie längst in sein Paradies hinübergerettet, und das hatten sie sich bis heute erhalten. Es kam nur darauf an, ob sie das Leben romantisch oder realistisch sahen. Heute herrschte bei Steffi letzteres vor.

Er strich mit dem Zeigefinger über ihre Wange und zog seine Lippen ein wenig auseinander, als müsste er viel Geduld und noch mehr Güte aufbringen, um einem Schulkind noch einmal das Einmaleins zu erklären.

»Die meisten der Armaturen dienen nur der Kontrolle. Außerdem habe ich noch die Flugüberwachung am Boden.«

»Wenn das alles so ungefährlich wäre, warum stürzen dann…« Sie kam nicht weiter. Pierre drückte sie fester an sich. Seine Brust hob sich sekundenlang an, ehe er erwiderte: »Ich wollte, du könntest einmal miterleben, wie solch ein neuer Schleudersitz funktioniert. Wir haben das bis zum Erbrechen geprobt.«

Er wusste, wie genau er sie über die Trockenübung informiert hatte, und er erinnerte sich sogar daran, wie sie über die technische Lösung staunen konnte. Vorstellen konnte sie es sich freilich nicht, dass der Pilot im Ernstfall samt Sitz und Kabinenhaube herausgeschleudert wird, und so an einem Fallschirm hängend total geschützt ist, bis die Sicherheitshöhe erreicht ist und ein zweiter Schirm schließlich nur den Piloten zur Erde sinken lässt. »Also«, sagte er, »heute habe ich nur einen Übungsflug und schon am Mittag gehen wir zusammen essen. « Er hob ihr Kinn an und zwinkerte unbesorgt in ihren getrübten Blick. »Was hältst du vom «Stadt Cottbus» oder vom Restaurant im «Hotel Lausitz»? «

Sie antwortete nicht, ahnte, dass seine Einladung nur ein Trost sein sollte. »Ich verspreche dir, wenn es mal gefährlich werden könnte, oder wenn wir Manöver haben, sag ich es dir rechtzeitig. In Ordnung?«

In seinem schlechten Trost steckten Himmel und Hölle zugleich. Wenn er ins Manöver zog, merkte sie es selbst rechtzeitig und sie litt unter der ungewissen Trennung. Aber genau das mit allen Partnern abgestimmte Training musste sein, weil es Menschen auf dieser Welt gab, die allzu bereit waren, Männer wie ihn zu vernichten. Warum man nicht nebeneinander leben konnte, friedlich koexistent, war das Rätsel der Zeit. Also rüstete man auf, so gut es gelang. Man war ein vorsichtiges Volk geworden. Alles, was anders war, wurde unter die Lupe genommen und notfalls liquidiert. Friedlich liquidiert, wie die offizielle Version hieß.

Er spürte, wie Steffis Hand seine suchte und sanft drückte, als wollte sie sich bei ihm entschuldigen, dass sie ihm mal wieder ein schlechtes Gewissen bereitet hatte.

»Bei einem Übungsflug fliegst du hoffentlich nicht mit Überschall?« Sie strich in ihrer ständigen Sorge mit einer Hand zärtlich über seinen Rücken. In Uniform wirkte Pierre stets stattlicher als im Pullover, und auch darauf war sie stolz, wie er wusste. »Oder?«, schob sie nach. »Wird wieder die ganze Stadt erzittern?« Schon vor der Wohnungstür angekommen, suchte sie ein letztes Mal seine Augen. Weil er nur leicht seinen Kopf bewegte und seine Lippen sich glätteten, schob sie nach — und ihre Überlegungen waren es, die er an ihr so achtete: »Ihr solltet damit über dem Meer trainieren, oder was weiß ich, wo. Jedenfalls nicht über einer Stadt. Die Leute sind genervt.« Nur ganz vorsichtig, beinahe unhörbar fügte sie noch an: »Und mich nervt deren Skepsis sogar gegen mich.«

Wie konnte Steffi Wachowiak wissen, dass ihr geliebter Mann trotz aller Warnungen an diesem Vormittag, Dienstag, den 14. Januar 1975, ein ganz anderes Aufsehen erzeugen sollte, als mit der Überschalldruckwelle die Leute zu erschrecken.

Und doch wurde Major Pierre Wachowiak ein Held.



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