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Schrimp

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Vierzehn Monaten zuvor: Das Konrad-Zuse-Gymnasium in Cottbus sah aus wie jedes Jahr im August, wenn die Ferien vorbei waren. Noch bevor er die Schule betrat waren seine Gedanken beim neuen Lehrplan, dem er nichts abgewinnen konnte, außer einem lässigen Heben seiner Schultern. Manchmal gab er Aaron Recht wenn der sagte, er sei ein Pommer und deshalb stur. Selbst dieser idiotische Lehrplan brachte ihm keinen inneren Aufruhr. Diese Pottschieter da oben im Ministerium waren seit Jahren unfähig, die Bildung in den Griff zu bekommen. Ein erfahrener Pauker wie er entschied seit Langem selbst, was den Schülern nutzte und was er getrost beiseitelassen konnte. Es gab kein Zentralabitur mehr, er schrieb die Abituraufgaben selbst und reichte sie zur Bestätigung ein. Erfahrung ist des Skippers bester Kompass und Erfahrung hatte er.

Zum ersten Mal in diesem Sommer hingen die Wolken tief, als stünde Nebel in der Luft. Inka, seine Frau, zählte gewöhnlich die Tage vom ersten Nebel bis zum ersten Schnee. Einhundert. Also müsste es Mitte November schneien? Schrimp grinste in sich hinein. Sonderbare Regeln stellte Inka manchmal auf. Erst kürzlich hatte sie das Schlafzimmer auf den Kopf gestellt, ihre Nase in alle Fächer und Schubladen gesteckt, die Flächen mit feuchten Tüchern bearbeitet, um Resten von Formaldehyd auf die Spur zu kommen. Es sei gefährlich, die Nacht mit dem giftigen Zeug zu verbringen. Formaldehyd sei gefährlich. Als ob er das nicht selber wüsste, er, der Biologe.

Sie hatte kein Formaldehyd geschnüffelt, also zwang sie ihn, die Betten im Neunzig-Grad-Winkel zu drehen, weg mit den Kopfenden von elektrischen Leitungen. Elektrosmog könnte Schuld an ihrer Migräne sein und an ihrer Schlafstörung. Die Hightech-Gesellschaft fordere ihren Tribut. Keiner kenne sein Lebensrisiko. Tausende synthetische Stoffe griffen in die biologischen Lebenssysteme ein. Sogar Mikrowellen brächten die biochemischen Stoffwechselprozesse in gefährlicher Weise durcheinander, hatte Inka gemeint und eine solche Anschaffung strikt abgelehnt. Es war nicht zu bezweifeln: Technische Errungenschaften steigerten den Konsum. Das Paradoxe am Fortschritt war der partielle Rückschritt.

Schrimp fiel es auf einmal schwer zu verstehen, warum er sie sauertöpfisch genannt hatte. Schließlich ging es vielen Menschen ähnlich. Jahrzehnte lang rußten die nahen Kohlekraftwerke ihren braungelben Rauch aus maroden Schloten über das Land, schwärzten die prächtigen Hausfassaden aus vielen Epochen und brachten sie zum Bröckeln. Die Schlote haben ausgehaucht und auch die schweflige Luft vom Gaskombinat Schwarze Pumpe hatte sich verflüchtigt, aber die Menschen der Lausitz klagten über allerlei Gebrechen, junge wie alte.

Der Zehntklässler Sebastian klagte sehr oft über Kopfschmerzen und Übelkeit. Im letzten Schuljahr verging kein Tag, wo der Junge nicht seinen Kopf in den Nacken legte, um das Blut zu stoppen, das ihm zuweilen aus den Nasenlöchern quoll. Schrimp meinte eine Zeitlang, Sebastian sei zu ehrgeizig und habe zu viel um die Ohren. Mehrmals in der Woche marschierte er zur Musikschule, zweimal zum Karate-Training und dann noch die Auftritte mit seiner Band, deren Name ihm mal wieder nicht einfiel. Irgendetwas wie Eichenlaub.

Schrimp hatte stets ein Ohr für seine Schüler, aber er verstand die allzu ehrgeizigen Eltern nicht, die ihren Kindern zu viel abverlangten, gerade, weil sie in diese Schulen gingen. In dieser Gesellschaft könne man nie genug können. Als ob das ein Pauker infrage stellte.

Ein Gedanke klemmte in seiner Brust. Was, wenn er nicht an diese Schule gekommen wäre, damals, als die Welt sich wendete. Nicht nur dieses Land hatte sich gewendet. Es war die Welt, deren Waagschale sich zur untergehenden Sonne neigte. Diese Neigung brachte Gutes und weniger Gutes. Ihn hatte das Gute getroffen. Manchmal gruselte ihn bei dem Gedanken, jeden Morgen in eines dieser alten Backsteinbunker gehen zu müssen, der womöglich die vorletzte Jahrhundertwende miterlebt hatte. Diese hohen, kalten Räume, diese schallenden Laute auf den Gängen, dieses Gefühl klösterlicher Kreuzgänge. Doch das war es nicht allein. Diese, seine Schule, war nicht nur modern. Sie war die Eliteschule der ganzen Region. Hohes Lern-Niveau, hoher Lehr-Anspruch und eine »hohe Hemmschwelle für schlechte Disziplin«. Schrimp grinste. Diese Worte hatte Aaron Barthels geprägt, und ausgerechnet die nahm der ganze Lehrkörper in den Mund, der ansonsten von Aaron Barthels kaum etwas zur Kenntnis nahm. Aaron war seit einiger Zeit als Spinner verschrien. Seine Warnung über die schlechte Luft in der Schule wollte niemand hören. Nicht einmal die Schüler zollten ihm noch den gewohnten Respekt. Im Gegenteil. Hinter vorgehaltener Hand bezeichneten sie ihn als senil, seines bröckelnden Gedächtnisses wegen, für das auch Schrimp keine Erklärung fand.

Das Glas der Außentür war klar und kalt. Am Ende der Woche würden die Spuren unzähliger Hände den Durchblick wieder erschweren. Vor der Tür senkte sich die feuchte Luft zu Boden, dahinter erhob sich hell und warm die gelbe Wand der Eingangshalle zur Begrüßung, freundlicher als an allen anderen Schulen dieser Stadt.

Schrimp ging in langen Schritten die Treppe hinauf. Der Geruch von Farbe stand in den Gängen und im Treppenhaus. Der süßliche Geruch von Terpentin mischte sich mit jenem widerlichen Dunst, den Schrimp nicht ertragen aber auch nicht erklären konnte. Obwohl er vor langer Zeit die Lehrfächer Biologie und Chemie studiert hatte, kannte er keinen vergleichbaren Geruch. Auch der hauptamtliche Chemiker der Schule, Sven Krüger, der trotz seiner Jugend zum stellvertretenden Direktor avancierte, winkte nichtssagend ab. Schrimp konnte auch Krügers Verhalten nicht deuten. Möglich, er war den Gerüchen längst auf der Spur. Wahrscheinlich aber nervte ihn nur die ewige Nörgelei.

Er hörte die Stimmen einiger Jungen unten an der Eingangstür. Sie stiegen plaudernd die Treppen hinauf und kamen mit schlurfenden Schritten den blank gewischten Gang entlang. Die Gesäßtaschen einiger Hosen hingen tief, zu tief. Die Säume schlappten nachlässig über die Hacken der Turnschuhe.

»Guten Morgen«, sagte einer und zog beide Hände aus den Hosentaschen. Das war das Erfrischende hier am Konrad-Zuse. Hier konnte man noch Tugenden spüren.

»Hallo Sebastian«, erwiderte Schrimp. »Wie man sieht, geht 's dir gut.«

»Na super. In den Ferien immer Schr… Herr Fedder.«

Schrimp wusste es. In den Ferien ging es dem Jungen zumeist gut. Daran aber lag das Stocken in der Stimme des Jungen nicht. Bei den Mädchen passierte es höchst selten, dass sie seinen Namen nicht über die Lippen brachten. Es störte ihn nicht, wenn auch die Schüler ihn heimlich Schrimp nannten. Alle nannten ihn so. Nur den Respekt durften sie nicht verlieren, und das war nicht mehr selbstverständlich. Schrimp zeigte den erhobenen Daumen und lachte verschlagen:

»Wollen wir hoffen, dass es so bleibt. Es gibt tolle Projekte in diesem Jahr.«

»Bei Jugend forscht?«

»Da auch.«

Er bewegte den Schlüssel vom Biologie-Kabinett mit einer Drehung und verschwand in seinem Reich.

Auf dem Flur ein heiseres Krächzen. Es kam näher. Tritte stoppten und etwas kratzte an der Tür. Aaron Barthels stand im Türrahmen, nicht gerade fröhlich. Wer ist schon froh, wenn der Ernst des Lebens wieder losgeht. Die schwierigste Etappe des Schuljahres stand bevor. Bis Weihnachten, dann war das Schlimmste überstanden.

Es war alle Male auffällig, dass Aaron immer zuerst zu ihm kam, bevor er sich auf den Tag einließ. Daran hatte sich also in den sechs Wochen Ferien nichts geändert. Schrimp schaute ihn an und begriff wohl zum ersten Mal, dass Aaron tatsächlich ein Problem hatte. Wortlos streckte er seine Hand aus: »Wollen wir uns die Arbeit wieder schmecken lassen?«

»Im Moment schmeckt meine Zunge, als hätte schon jemand darauf rumgekaut.«

»Man sieht 's.«

»Was sieht man?«

»Wenn ich dich ansehe befürchte ich, Gunther von Hagens hat dich auf seiner Liste.«

Die unbedachte Floskel genügte Aaron offenbar, um trotzig seine Stirn zu heben. Irgendwie hatten sich über die Ferien tiefe Falten eingeritzt, doch das Schimpfen gelang ihm noch. »Mich kriegt keiner zu diesem Leichenfledderer, tot oder lebendig. Diese Gesellschaft darf nicht alle Tabus brechen?«

Auch wenn Schrimp ihm zustimmen möchte, auch wenn er mit Aaron zum Für und Wider über das Gubener Plastinarium gerne philosophiert hätte, er wollte ihm nicht auf den Leim gehen. So schnell, wie Aaron gesprochen hat, erstrecht die Härte in seiner Stimme, verriet ihn längst. Schrimp trat einen Schritt auf Aaron zu und zwang ihn, seinem Blick standzuhalten.

»Ich merke schon«, lenkte er ein. »Willst du mir etwas Bestimmtes sagen?«

Aaron rieb seine Hände gegeneinander und stand da, wie die kleinen Jungen vor ihrer Großmutter stehen, wenn sie sich trotzig verweigern.

»Ole, es gibt Fragen, die man sich im Leben besser nie stellt, weil man die Antwort fürchtet.«

Schrimp legte seine Hand auf Aarons nervös zuckenden, weil er ahnte, was in seinem Kollegen vorging. Er ahnte nur nicht, warum das Vergessen so früh bei Aaron Barthels einsetzte. Untypisch für sein Alter und untypisch für einen Beruf, der das Hirn auf Höchstleistung trainiert. Sein Problem konnte von der zeitweiligen Benommenheit rühren, von der Aaron manchmal erzählte. Benommenheit kommt von Durchblutungsschwäche und die wiederum setzt die geistige Leistung auf Sparflamme. Andererseits litt Aaron unter der Häme des Kollegiums. Klar konnte die Luft in der Schule besser sein. Klar ließ bei dem permanenten Geldmangel die Sauberkeit der Räume auch mal zu wünschen übrig. Im Allgemeinen ging es dieser Schule gut. Sie hatten noch stundenweise Putzkräfte. Bei Aaron aber lag das Problem nicht an der Sauberkeit. Es lag tiefer. Oder höher? Erst unlängst hatte Schrimp beobachtet, wie Aaron an den Leuchtstoffröhren herumexperimentierte. Die wurden nicht geputzt. Die sahen gelb und verkeimt aus. Aber gab es nicht genug Dreck auf den Böden und den Fensterborden? Von den Bänken ganz zu schweigen; auf denen tummelten sich jede Stunde verschwitzte Hände.

Aaron glaubte, von den Leuchtstoffröhren kämen Schadstoffe in die Raumluft. Konnte sein. Konnte auch nicht sein.

Aaron Barthels galt im Kollegium als zart besaitete Mimose. Das war seiner pedantischen Art geschuldet, mit der er die Fächer Deutsch und Musik unterrichtete. Schrimp hatte nichts dagegen gesagt und das stieß ihm jetzt bitter auf. Ein wenig forsch versuchte er, der leidlichen Diskussion um Aarons Befindlichkeit zu entgehen und sein feiges Schweigen zu vergessen.

»Du musst sehen, wie du da längs kommst, aber erwarte nicht, dass ich fromme Sprüche aus dem kleinen Katechismus ablasse. Ich kann nun mal nicht über meinen Schatten springen.«

Aaron hatte verstanden. Er senkte den Kopf und drehte dabei seinen Körper auf den Hacken um. Nicht einmal beim Griff zur Klinke hob er ihn wieder. Es schien, als läge am Boden sein Problem. Als er ging, näselte er ein paar Worte ins Nichts: »Keiner kann über seinen Schatten springen. Aber ich kann auf Dauer mein Gewissen nicht unter den Teppich kehren.«

Die Tür klickte geräuschlos ins Schloss. Aaron war so lautlos wie er gekommen war wieder verschwunden.

Die Menschen sind verschieden, dachte Schrimp. Manche jammern den ganzen Tag, andere schämen sich für ihr Leid. Es war nicht so, dass er Aaron nicht mochte. Er mochte ihn sogar mehr als manch anderen Kollegen. Das lag an der Musik. Er spürte die Wirkung von Musik auf seine Schüler. Wer musizierte, konnte sich besser auf andere einstellen, war sozialer, weniger aggressiv. Musik schien auch ein guter Lernmotor zu sein. Schüler, die ein Instrument spielten, konzentrierten sich im Unterricht besser. Und Aaron hatte einen großen Anteil an der Musikalität der Schüler dieser Schule, die eigentlich eine naturwissenschaftliche Prägung hatte.

Die erste Stunde war wie jedes Jahr Klassenleiterstunde mit allerlei Informationen und Organisatorischem. Nichts für Schrimp, der das Prickeln brauchte, das Köpferauchen der Klugscheißerchen, die sich im verzwickten System der Evolution verhedderten und die sich wohl deshalb nichts so sehnlichst wünschten wie den Glauben an die Schöpfung, der man nicht auf den Grund zu gehen hatte.

In der ersten großen Pause war Schrimp nach frischer Luft zumute. Er ließ die Fenster breit öffnen und trieb die Klasse vor sich her auf den Schulhof, wo ausgerechnet Aaron Hofaufsicht schob. Am Zaun gleich neben der Turnhalle stieg dichter Qualm über den Köpfen der Schüler auf und es schien in der Tat, als ob einige Schüler das Teufelszeug nach anderthalb Stunde Abstinenz bitter nötig hätten. Die Lehrer waren keine Vorbilder. Sie hatten ein Raucherzimmer, aber zuweilen sah man sie mit einem Glimmstängel direkt auf dem Treppenabsatz am Hofeingang stehen.

Aaron rauchte seit einiger Zeit nicht mehr und das war das sicherste Zeichen, dass es ihm nicht gut ging. Schrimp stellte sich neben ihn, biss in einen Apfel und schwieg derweil. Bei dem Pausenlärm war es gut zu schweigen, aber Aaron schwieg, als beachte er Schrimp nicht einmal.

»Tut mir leid, wegen vorhin«, sagte Schrimp irgendwann mit vollem Mund. Aaron rieb wieder seine Hände gegeneinander, wurschtelte in den Taschen seines Jacketts herum und kramte eine kleine gelbe Schachtel heraus, nahm mit zittrigem Griff ein Bonbon und schob es zwischen die blassen Lippen. Erst dann ließ er sich auf Schrimp ein.

»Das wird nicht das letzte Leid bleiben. Glaub mir.«

Irgendetwas hatte Aaron verändert. Das spürte Schrimp.

»Weißt du, wie dein Gesicht aussieht?«

Aaron atmete tief, so wie Raucher tief atmen, wenn sie besonders viel von dem tödlichen Gift benötigten, um ihre Nervosität zu bekämpfen. Aaron aber sog nur den von Eukalyptus getränkten beißenden Speicheldunst bis in die krächzenden Bronchien. Seine Stimme blieb gelangweilt:

»Ich weiß. Fräulein Brown hat es mir schon gesagt: Like raining cats and dogs. Oder so ähnlich.«

Schrimp schickte einen säuerlichen Blick herüber. Auch wenn Aaron mit Englisch rein gar nichts am Hut hatte, verstand er ihn, aber so wie Aaron die Sache interpretierte, hatte er es nicht gemeint. Er hätte das blasse Gesicht als Braunbier und Spucke bezeichnet, nicht als Regen, der für ihn ein Synonym für Übellaunigkeit war. Aaron war nicht übellaunig. Eigentlich nie. Und das war das Beachtliche an diesem Mann. Wer mit einer solchen Frau gestraft ist, dürfte ruhig übellauniger sein.

Nein, mit Hanna wollte niemand gerne zusammen sein. Vermutlich mied man auch Aaron wegen seiner griesgrämigen Frau.

Auch Schrimp hatte mit Aaron nicht wirklich etwas hergemacht. Weder Musik noch Deutsch waren je seine Interessen gewesen, nicht einmal, als seine alten Lehrer an der Waterkant ihn noch den lütten Ole nannten. Jede Unterhaltung mit Aaron landete früher oder später bei den Lehrfächern, direkt oder indirekt. Das zumindest hatte sich inzwischen geändert.

Im Winter vor zwei Jahren fanden sie sich plötzlich - und zur Überraschung beider Seiten – im gleichen Hotel auf Rügen wieder. Schrimp erinnerte sich gut. Für den ersten Eindruck war Hanna verträglich gewesen und dennoch spürte man, wie sie Aaron zu dominieren versuchte. Erst war das Zimmer nicht warm genug und Aaron musste eine Auseinandersetzung mit der Reiseleitung führen. Nach ihrem Triumph, als sie daraufhin für den gleichen Preis eine Suite bekamen, hatte Aaron erst recht das Nachsehen. Er musste für sie um die gewohnte Sorte Müsli beim Frühstück kämpfen und um einen besseren Platz im Bus, wenn sie Ausflüge machten.

Das alles ging Schrimp und Inka nichts an, aber abends, wenn sie gemeinsam zum Essen in eines der Restaurants im Ort liefen, ging das Gezeter auch ihnen auf die Nerven. Der Weg – obwohl es ein erholsamer Gang auf der verschneiten Uferpromenade war - dauerte Hanna viel zu lang. Schrimp war da fein raus, aber Inka nicht. Sie musste die Nörglerin ertragen. Er hatte es so eingerichtet, dass er mit Aaron zumeist ein paar Schritte voraus ging. Sie hatten sich einiges zu erzählen, was ihnen im hektischen Schulbetrieb nur selten gelang.

Einmal war bei Aaron der Geduldsfaden gerissen. Er hatte nicht gleich auf eine Bemerkung von Hanna reagiert und sie beschimpfte ihn prompt wegen übler Stimmung, die ihr den Urlaub verderbe.

»Üble Stimmung?«, maulte Aaron in einer Art, die man bei ihm nie vermutet hätte. »Üble Stimmung ist genau das, was du permanent verbreitest.«

Wahrscheinlich schämte er sich vor ihm und Inka für Hannas Art. Bei Fedders ging es nie polternd zu, eher einmal zu sanft für ihr Alter. Und sie ignorierten sich nicht. Im Gegenteil, bei ihnen hatte man das Gefühl, sie konnten sich nicht nah genug sein. Das war dann später auch der Grund für Aarons vorsichtiges Lästern. Immerzu sprach er listig vom Liebesleben der Nacktschnecken, bis Schrimp sich darauf einließ.

»Besser Sex mit einer Nacktschnecke, als eine Gottesanbeterin zu begatten.«

»Was ist an der Gottesanbeterin so schrecklich?«

»Das Liebesleben. Es ist kurz und schmerzlich. Er wird dabei gefressen.«

»Von ihr? «

»In innigster Umklammerung. «

Das Lachen wollte kein Ende nehmen und das war für Hanna Grund genug, wütend das Restaurant zu verlassen und den weiten Weg auf der Strandpromenade von Binz in der Dunkelheit und allein durch den frisch gefallenen Schnee zurück zum Hotel zu stapfen. Seitdem gab es beinahe keinen Tag, wo Aaron und Ole - der von Aaron jetzt auch Schrimp genannt wurde - nicht über die schönste Nebensache der Welt philosophierten. Natürlich stets die anderen Kollegen betreffend, vornehmlich die weiblichen.

Seit einem halben Jahr aber redete Aaron über Impotenz, über das Älterwerden und über Krankheiten, für die man in jungen Jahren allenfalls ein müdes Bedauern übrig hatte.

GIFT geschädigt

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