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Es ist soweit

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»So, dann wollen wir mal…« Die sonore Stimme des Arztes ist ganz nah. Nelli Winters Herz klopft heftiger als jemals zuvor in ihrem Leben, heftiger als damals, als sie ihren Ex-Mann Ben kennengelernt hatte. Damals hatte sie geglaubt, nichts im Leben könne ihr bei dieser Liebe passieren. Eine Zeit lang sah es sogar danach aus. Wie trügerisch das Leben ist, ahnt man nicht. Was, wenn es jetzt noch einmal gnadenlos trügt? So nah am Ziel!

Wenn Dr. Klatt von ihrer Angst etwas spürt, dann kann er es gut verbergen. Das schmale Gesicht und das wellige, etwas wirre hellblonde Haar machen den Mann wahrscheinlich jünger als er ist.

»Sie haben das Aufklärungsgespräch und das Prozedere des Ovulationsmonitorings bei Ihrer Frauenärztin gut absolviert?«

Nelli nickt ungeduldig.

»Haben Sie zu unserer Arbeit - zur Spenderauswahl vielleicht - noch Fragen?«

»Nicht direkt.«

Blond, blaue Augen, groß, Vater von drei Kindern, aufgeschlossen und lebensbejahend. Solch ein Mann wird für mein Kind nicht gefährlich sein. Wenn es doch bald losgehen würde…

»Also indirekt?«

»Nein. Es ist nur so: Vom vielen Reden wird man nicht schwanger. Außerdem brummt mir von den fremden Begriffen noch heute der Kopf.«

Ein leiser Zug von Ironie umspielt den Mund des Arztes.

»Man hat Sie also über die diversen Methoden aufgeklärt, obwohl für Sie – bei Ihrem Lebensmodell - weder die In-vitro-Fertilisation noch die heterologe Insemination für die assistierte Reproduktion infrage käme. «

Nellis Gesicht scheint genau das zu spiegeln, was sie denkt. Wird das jetzt ΄ne Fragestunde für die Dissertation?

»Falls Sie die Theorie verunsichert, ich habe die Pflicht, Ihnen ganz genau zu erklären, was wir in jeder Phase tun. Also: Die für Sie infrage kommende Methode heißt donogene Insemination, weil Sie einen Fremdspender brauchen…«

Das alles habe ich schon hundert Mal gehört. Wie oft denn noch … Der soll endlich aufhören zu reden…

Dr. Klatt scheint Nellis Ungeduld nicht zu spüren, oder er hat sich voll im Griff. Während er weiterspricht, wirft er einen raschen Blick auf die Akte, etwas länger und mit stoischer Ruhe verweilt er bei einem Instrument, das bisher unter einem grünen Tuch lag und das er zwischen seinen Fingern beinahe liebkost. Erst dann spricht er weiter: »Sie leben in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und haben beste Voraussetzung für den eigenen Eisprung. Nach dem Ultraschall sieht für den gegenwärtigen Zeitraum in der Tat alles sehr gut aus…«

Nelli liegt da, entblößt und mit gespreizten Beinen. Ungeduldiger war sie noch nie in ihrem Leben. Und noch nie in ihrem Leben war sie so forsch heraus:

»Auf welche Weise mein Ei befruchtet wird, ist mir völlig egal. Jetzt sollte es endlich losgehen.«

Wenn sich ihre Frauenärztin mit dem Ultraschall nicht geirrt hat und alle anderen Methoden, ihre fruchtbaren Tage zu ermitteln, nicht versagt haben, dann ist heute ein guter Tag. Wenn dieser blonde Mittfünfziger sich nicht ein bisschen beeilt, ist es aus mit der Fruchtbarkeit.

Nelli weiß, dass es trotz guter Voraussetzungen nicht beim ersten Versuch klappen muss. Zwei, drei. Dafür reicht ihr Budget gerade noch, falls Mias Prognose von der staatlichen Zuzahlung auch Wahrheit wird.

»Ihre Partnerin hätte dabei sein können. Das hatten wir doch geklärt.«

»Ja, das hatten wir geklärt«, erwidert Nelli inzwischen spürbar gereizt. Dr. Klatt hat genau den Punkt berührt, der noch schief gehen kann. Lieber Gott lass es nicht im letzten Moment noch platzen!

Solange der Arzt neben dem Stuhl stand, war ihr die eigene Lage schon unangenehm genug. Jetzt ist sein Gesicht direkt zwischen ihren Schenkeln und seine Hände…

Bisher im Leben hatte sie immer nur weibliche Frauenärzte und Hebammen.

Wie immer, wenn sie auf diesem Stuhl liegt und ein Arzt sich in ihr zu schaffen macht, lenkt sie sich ab mit allerlei Gedanken, Träumen und Erinnerungen.

Wie gut, dass in all den Jahren an Bens Seite, die sie unnahbar für jedermann gemacht hatten, ihre beste Freundin Mia nicht aufgegeben hat. Sogar jetzt sitzt sie draußen und bringt das wohl größte Opfer ihrer langjährigen Freundschaft. Sie tut alles, damit der Wunsch der Nelli Winter nach einem gesunden Kind nicht an der Bürokratie des Gesetzgebers zerfällt. Niemals im Leben konnte Nelli Winter die Weisheit von Mias Mutter Inga so gut verstehen wie in den letzten Jahren: Das Leben ist ein mieser Kamerad. Es weicht nicht von deiner Seite, aber es stellt dir immer wieder ein Bein. Manchem Menschen sogar ununterbrochen.

Wer, wenn nicht die Anwältin Inga Andersson, sollte das besser einschätzen können…

Für den Moment fühlt sich Nelli doppelt unwohl. So aufwändig hatte sie sich die Sache nicht vorgestellt. Bisweilen war ihr, als wolle man sie am offenen Herzen operieren, dabei passiert nichts wesentlich Anderes, als auf natürliche Weise auch passiert … nur ohne Liebe und Hingabe, ohne akrobatische Verrenkungen und falsche Schwüre.

Sie schließt die Augen, um die langersehnte, endlich entscheidende aber irgendwie peinliche Prozedur über sich ergehen zu lassen. Nur noch von Ferne hört sie, wie Dr. Klatt davon redet, das tiefgefrorene Sperma mit einem Kryoprotektivum versetzt zu haben, das in dieser Inseminationskappe in eine optimale Position am Muttermund gebracht wird. Damit werde der Schleim in seiner natürlichen – nämlich Spermien ansaugenden Wirkung - nicht beeinträchtigt, sondern »ziehe« die Samenzellen in die Gebärmutterhöhle. Wie nebenbei redet er von etwas, was sie jetzt um keinen Preis hören will: »Jemand wie Sie haben wir nur selten auf dem Stuhl, Frau Winter. Sie sind quasi schon Profi mit ihren zwei Schwangerschaften.«

Nelli Winter antwortet nicht. Wenn sie könnte, würde sie ihre Fäuste auf beide Ohren drücken. Oder sie würde herausschreien, wie sadistisch Ärzte sein können. Ein Gynäkologe müsste doch wissen, was der Verlust eines Kindes für eine Mutter bedeutet … Sind alle Männer seelische Trampel? Im Handumdrehen hört Nelli Winter in Gedanken die Worte ihres Ex-Mannes nach dem Tod ihres zweiten Söhnchens: »Warum sollte es das Leben ausgerechnet mit dem Rest noch gut mit dir meinen?«

»Welchen Rest …?«, hatte sie gefragt, obwohl sie von Ben nach all dem, was er ihr zugemutet hat, überhaupt nichts mehr hatte hören wollen.

»Du bist nicht gerade das Schönheitsideal dieser Zeit. Rote Haare. Sommersprossen. Anderthalbfache Modelmaße und viel zu verklemmt bist du obendrein.«

Wenn sie anderthalbfache Modelmaße hätte, müsste sie doppelt so groß sein. Nein. Sie ist nur etwas zu klein geraten für ihre sechzig Kilo. Mutter Norma war ihr zur Seite gegangen: »Nellis wahre Schönheit liegt innen. Was du meinst, ist die Ware Schönheit, die käufliche. Aber die steigt mit den Jahren zu einem verdammt hohen Preis.« Mutters Stimme überschlug sich beinahe. »Und eines sag ich dir, Ben Winter. Ein Kind hat immer zwei Eltern, und wer euren Kindern den Fehler vererbt hat, steht gar nicht so fest. In unserer Linie gibt es dieses … dieses Syndrom nicht. Nicht bei uns …!«

Sie hatte die Tür hinter sich zuknallen lassen und war gegangen.

Die Metapher von der inneren Schönheit mochte stimmen, aber keine Schönheit bewahrt vor Schicksalsschlägen. Nicht die innere und nicht die sichtbare. Noch vor dem Verlust ihrer Kinder war schleichend der Verlust ihrer ersten und einzigen Liebe gekommen, auch wenn die zuletzt nur Qual war.

Was wundert es, wenn sie die Jahre danach nur noch einsam war und unausstehlich geworden ist. Dabei sehnt sie sich so sehr nach Liebe, wie sich ein Mensch nur danach sehnen kann. Vermutlich würde sie noch immer mit ihrem Schicksal hadern, wäre nicht ihre Freundin mit der total verrückten Idee gekommen, die heute wahr wird. Auch wenn Mia nach dem großen Missverständnis wieder hin und hergerissen war, weil sie Nelli besser kennt als umgekehrt, hatte sie womöglich sogar Recht wenn sie sagte: »Ich glaube nicht, dass du dich nach Liebe sehnst. Du hast viel zu viel Angst, wieder enttäuscht zu werden. Wenn du ehrlich mit dir bist, brauchst du nur jemanden, dem du Liebe geben kannst… Zum Glück verschwendest du sie nicht länger an dieses Arschloch… entschuldige Nelli.«

»So, Frau Winter. Nun drücken wir mal die Daumen, dass zusammenfindet, was zusammengehört.«

Die Stimme von Dr. Klatt holt Nelli in die Wirklichkeit des Raumes mit dem verhassten Untersuchungsstuhl zurück, auf dem sie eine ungewisse Zeit lang in geistiger Abwesenheit verbracht hat.

»Ein Teil der Kappe, der Stift, wie wir sagen, liegt jetzt sicher im Gebärmutterhals vor dem inneren Muttermund. Der andere Teil mit dem Teller liegt vor dem äußeren Muttermund. Damit bleiben Sie jetzt ganz entspannt hier liegen, bis Sie Schwester Alice befreien kommt.« Dr. Klatts Hand liegt für einen Moment auf ihrem Arm. Sie ist warm und sanft und der leichte Druck lässt Zuversicht spüren. »Wir sehen uns nachher noch einmal.«

Während der Zeit, in der sie in der Vergangenheit gewühlt hat, anstatt an ihre Zukunft zu denken, die endlich beginnen könnte, hatte also dieser Arzt mit seinen Händen an jener Stelle hantiert, auf die bisher nur Ben und ihre heimische Frauenärztin Dr. Rowling ihre Blicke werfen durften.

Sie ruft sich zur Ordnung: Das ist nicht das Problem dieses Mannes und niemandes Problem sonst, als ihr eigenes.

Wie viel Zeit vergangen ist, bis die Sprechstundenhilfe sie von dem grünen Tuch befreit, das während der allesentscheidenden Zeit über sie gebreitet lag, weiß Nelli nicht. Bedeckt zu sein, war ihr angenehmer. So war es in ihrem ganzen Leben schon – zum Ärgernis von Ben, bei dem es in der Liebe nicht verrückt genug zugehen konnte.

Noch darf sie ihre Beine nicht aus den Halteschalen nehmen. In diesem entblößten, noch immer gespreizten Zustand fühlt sie sich ausgeliefert.

Es vergehen Minuten, ehe Dr. Klatt persönlich kommt, sie von dem Teil zu befreien, das noch in ihr steckt. Sie hatte erwartet, die Schwester würde den Rest erledigen.

Ein kleines, aber unbedeutendes Missverständnis in der langen Reihe aller Missverständnisse, die Nelli Winter bis zu dieser Minute durchlebt hat und die keinesfalls die letzten bleiben.

Der Stuhl fährt in die Ausgangsstellung zurück. Nelli ist froh, ihre Scham mit dem Rest von Textil bedecken zu können, der ihr anzubehalten gestattet war. Dr. Klatt hält seine Hände hochgestreckt, die in durchsichtigen Gummihandschuhen stecken. Eine Assistentin geht ihm zur Hand und streift erst seinen, dann ihren Schutz von der Haut.

Dann streckt er Nelli seine Hand entgegen. Deren Druck ist jetzt selbstsicher, ohne aufdringlich zu sein, aber sie dauert einen Moment länger, als es Nelli angenehm ist.

»Wir sehen uns wie besprochen wieder«, er lächelt, schaut aber im selben Moment zur hübschen Assistentin. Dr. Klatt ist um einiges älter als die brünette Schwester mit der hochmodernen Bob-Frisur. Dennoch glaubt Nelli, die Blicke der beiden dauern länger als nötig. Klatt ist ein charmanter Mann und seine Stellung macht ihn für das junge Ding vielleicht noch attraktiver. Vorstellen kann sie sich ein Verhältnis zwischen den beiden ungleichen Typen nicht. Ausschlaggebend dafür ist ihre Grundhaltung: Wie kann eine Frau einen Mann begehren, der sich bei unzähligen Frauen ausschließlich dem widmet, was normalerweise nur Liebenden zugänglich ist.

»Alice wird Ihnen noch alles Nötige mit auf den Weg geben. Und denken Sie in den nächsten Tagen an meine Worte…«

Nellis Misstrauen entflammt von einer Sekunde auf die andere. Sie hat so lange um diese Samenspende gekämpft. Sie war Mias verrückten Plänen gefolgt, wie sie all die bürokratischen Spitzfindigkeiten umgehen kann. Warum glaubt der Mann, sie könnte irgendwann eine psychotische Abneigung gegen das fremde Sperma entwickeln? Und überhaupt; kann allein ihr Hirn verhindern, dass diese agilen Kerlchen eines fremden Mannes den Weg zu ihrem Ei finden? Zumindest hofft sie, das Ei hat seinen Weg zur Vereinigung pünktlich angetreten. Der Gedanke, dass etwas von einem fremden Mann in ihr ist, kommt ihr nicht mehr. Es ist kein Mann, es ist ein gekauftes Spermapaket, wie man eine Packung Vanilleeis kauft und dafür bezahlt. Alles erfüllt seinen Zweck.

Draußen im Warteraum sitzt Mia vor einem Berg bunter Illustrierter. Als Nelli kommt, springt sie auf, theatralisch beinahe. Sie umarmen sich filmreif wie zwei Liebende. Dr. Klatt ist Nelli unbemerkt gefolgt, ob zufällig oder nicht, ist ihr egal. Sein Handschlag gilt Mia und seine Worte über gemeinsames Hoffen und voraussichtliches Glück entgehen Nelli nicht. Ob er von Mias Anwesenheit wusste, ist unklar. Aber falls, dann ahnt Nelli, warum er ihr gefolgt ist. Ihre Freundin sieht einfach toll aus. Neben Mia mit ihren langen Beinen, dem schulterlangen blonden Haaren und den hellblauen Augen kommt sich Nelli mit ihrem Sommersprossengesicht mal wieder unattraktiv vor. Womöglich wundert sich auch Dr. Klatt darüber, dass eine solche Frau nichts von Männern hält, mehr noch, sich ausgerechnet mit einer rothaarigen, sommersprossigen, introvertierten Mittelmäßigkeit abgibt.

Nelli bemerkt zum ersten Mal, dass sie sich selbst nicht mehr als Unzulänglichkeit betrachtet, was totsicher auf Mias Konto geht. Sie versucht, ihren Gedanken jetzt nicht weiterzuverfolgen, sondern realistisch zu bleiben: Nicht auszuschließen, diese Pfennigfuchser prüfen an jeder Schnittstelle die wahren Umstände.

Erst kürzlich hat sich das Land dazu entschieden, auch für gleichgeschlechtliche Paare die künstliche Befruchtung zur Hälfte zu finanzieren, und das könnte je nach nötigen Versuchen ein ganzer Batzen Geld sein. Die sozialen Voraussetzungen für eine Elternschaft von Nelli Winter und Mia Andersson sind fast unmerklich abgeprüft worden. Bedenken hatte niemand.

Abgesehen vom viel zu langen Händedruck mit Mia und abgesehen von Dr. Klatts versunkenem Blick auf Mias Vorzüge, möchte man meinen, es gibt auch von dieser Seite keine Bedenken. Das ist gut, denkt Nelli. Was einmal klappt, sollte immer klappen…

Auf dem Tresen bei Schwester Alice liegt ihre schmale Akte. Schmal, weil sie nicht von Anbeginn der Maßnahme hier im sächsischen Kinderwunschzentrum auf die Behandlung vorbereitet worden ist.

Nur die Spenderauswahl und die Insemination – wie man den eigentlichen Vorgang bezeichnet – wurden hier gemacht. Ersteres vermutlich von der Ehefrau des Doktors, die beide als Betreiber des Zentrums ausgeschrieben sind.

Dr. Klatt ist nicht mehr zu sehen. Die junge Frau nimmt die Mappe, legt sie aber sofort wieder ab, führt eine Hand vor ihren Mund und flüstert:

»Sie stammen aus Brandenburg. Wie sind Sie auf Doktor Klatt gekommen?« Der kirschrote Mund bleibt ein wenig offen stehen, während das Händchen mit den auffallend modellierten Nägeln den nächsten Termin für Nelli Winter notiert.

»Gar nicht«, erwidert Nelli wahrheitsgemäß. Dabei reduziert sie ihre ohnehin kleinlaute Stimme. »Bei uns gibt es ein solches Kinderwunsch-Zentrum nicht. Da wird man vermittelt. Ich habe mir den Arzt nicht ausgesucht, aber ich bin … « Sie dreht ihren Kopf in scheinbar glücklicher Verzückung zum Warteraum hin, wo Mia unruhig auf und ab geht. »Wir … sind natürlich froh, dass es geklappt hat.«

Die glückliche Verzückung ist echt, das Wir nur zur Hälfte.

»Noch hat es nicht geklappt«, sagt das junge Gesicht. »Aber Doktor Klatt ist einer der Besten – nicht nur auf diesem Gebiet. Ich denke, mit ihm haben Sie einen guten Griff gemacht. Er versteht Ihren Wunsch. Er hat selbst drei Kinder…«

Nicht nur auf diesem Gebiet? Ihr Gefühl hatte sie also nicht getäuscht. Dieses halbe Mädchen ist verknallt in ihren Chef, was Nelli nicht einmal verwundert. Dr. Klatt ist auf eine schwer zu erklärende Art attraktiv. Der Blick aus seinen hellblauen Augen und seine beruhigende Art machen Eindruck auf Frauen. Sein energisches Auftreten flößt zugleich Respekt ein. Dass sein Beruf – ausgenommen der Sinn seines Tuns an ihrem Körper - für eine wie sie unsympathisch ist, kann sie nicht leugnen. Merkwürdig allerdings, dass ihr der Beruf noch unsympathischer wird, je mehr sie sich mit Dr. Klatts imposanter Erscheinung auseinandersetzt.

Augenblicklich stoppt ihr Gang, mit dem sie an Mias Seite dem Unbehagen rasch fliehen will. Etwas Entscheidendes hat sie für kurze Zeit ignoriert. »…er hat selbst drei Kinder!«

Blond, blaue Augen, drei Kinder. Muss man an Zufall denken?

»Ob so ein Arzt seine Samenbank selbst bestückt … ich meine, ob der sich selbst einen runterholt…«

»Dürfte einem wie dem nicht schwerfallen«, kichert Mia. »Zudem ist es ein kleines Zusatzgeschäft.« Mehr kann sie offenbar nicht auf Nellis Gedanken erwidern, von dem sie den Hintergrund nicht kennt. Aber Mia bleibt keine Überlegung schuldig. »Hübsche Nachkommen werden das allemal…«

Nelli ist dergleichen Meinung, gerade darum verbietet sie sich fortan, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Sie hat an keinen Mann zu denken, sondern an ein gekauftes Spermapaket, wie man ein Paket Vanilleeis kauft und dafür zahlt. Alles hat seinen Zweck…

Der Zweck dieses Nachmittags ist, sich mit Mia in einem kleinen Café in der Geschäftsstraße von ihrer Entscheidung abzulenken, die vermutlich nicht falsch war, aber die nicht immer eitel Sonnenschein bleiben muss. Dr. Klatt hatte von Zweifeln gesprochen … Beginnen die schon?

Je länger Nelli Winter an Doktor Klatt denkt, desto mehr erinnert er sie daran: Dieser Mann ist das ganze Gegenteil von Ben Winter!

Vor dem Glück

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