Читать книгу MORO - Maxi Magga - Страница 7

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Kapitel 3

Als sie die Tür öffneten, stand Moro bereits abwartend in der Küche.

„Guten Morgen. Darf ich Ihnen das Frühstück machen?“

„Nein!“

Vedhes explodierte. „Nein, verdammt noch mal. Wir tun jetzt nicht so, als sei das ein ganz normaler Tag.“

Amelie zuckte erschrocken zusammen. Moro senkte mit dem Gefühl, ertappt worden zu sein, den Kopf.

„Ich fahre los“, verkündete Vedhes mit belegter Stimme. „Amelie, du weißt, dass ich nicht rechtzeitig zurück sein kann, bevor … Bist du sicher, dass du es schaffst?“

„Geh schon. Ich weiß, was ich sagen muss. Mach dir keine Sorgen.“

Er hauchte seiner Frau einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und blieb anschließend vor Moro stehen. Statt überflüssiger Worte, streckte er ihm nur die Hand hin. Der zögerte. Auf keinen Fall durfte er einem Mitglied der C-Kaste einfach so die Hand schütteln. Dennoch wurde genau das gerade von ihm verlangt. Mit einem verlegenen Lächeln folgte er zögernd der stillen Aufforderung und erwiderte schließlich den festen Druck.

Als Vedhes ging, ließ er zwei verzweifelt um Fassung ringende Menschen zurück.

„Es wäre mir eine große Erleichterung, wenn Sie mich sofort in den Zwinger sperren würden, Madam“, begann Moro. „Es darf nichts durch einen dummen Zufall schiefgehen.“

Amelie nickte kaum merklich, griff in ihre Hosentasche und holte einen Schlüsselbund heraus. Sie hielt sich tapfer aufrecht, als sie Moro zum Käfig führte, dennoch brauchte sie mehrere Versuche, bis sie den Schlüssel in die Führung eingepasst hatte. Moro war es in seinem neuen Gefängnis nicht möglich zu stehen. Er setzte sich und sah zu, wie die Tür abgeschlossen wurde, als wäre nichts auf der Welt wichtiger. Amelie schaute ihn nicht mehr an, sondern ging mit gesenktem Kopf ins Haus zurück.

Wenige Minuten später stellte Moro erstaunt fest, dass sie zurückkam und ein paar Dinge durch die ausgesparte Futterluke zu ihm hineinschob.

„Hier“, erklärte sie bestimmt, „nimm die Decke. In den Morgenstunden ist es noch ziemlich kalt, erst recht, wenn man wie du auf dem Boden sitzt. Außerdem habe ich einen Krug Wasser mitgebracht und etwas zu essen. Du brauchst gar nicht zu versuchen, mir das auszureden. Liegedecken und Wasserschüsseln hatten früher sogar unsere Hunde. Wenn du schnell aufisst, wird niemand merken, dass ich dir etwas gebracht habe. Es liegt also an dir.“

Moro war nahe daran, die Fassung zu verlieren. Die Kiefer mahlten hart aufeinander und die Wangenmuskeln zuckten verdächtig.

„Sie sind ein Engel, Madam. Niemand hat jemals so viel für mich getan. Allein als Sie mich gepflegt haben. Tagelang haben Sie mich gewaschen, die Verbände gewechselt, mich sogar gefüttert. Wie oft sind Sie die Leiter in den Keller rauf und runter gestiegen, um nach mir zu sehen! Selbst jetzt, da ich Sie so maßlos enttäuscht habe, versorgen Sie mich. Das werde ich Ihnen niemals vergessen. Bis zu meinem Lebensende werde ich Ihnen dafür dankbar sein und Ihr Andenken in Ehren halten. Darum darf ich nicht so sein wie die, die andere nur deshalb quälen, weil sie es ungestraft tun können.“

Moro bemerkte, wie Amelie zurückzuckte. Sofort senkte er im anerzogenen Reflex den Blick zur Erde. Hatte er sie verärgert?

„Ich habe Sie beleidigt. Das sind keine Worte, die sich jemand wie ich herausnehmen darf. Ich bin nicht klug, ich kann mich nicht richtig ausdrücken. Bitte, Madam, vergeben Sie mir.“

Amelie schüttelte energisch den Kopf.

„Nein, Moro. Du hast sehr deutlich gemacht, was du meinst.“

Ohne ein weiteres Wort ging sie und ließ Moro verwirrt und nachdenklich zurück. Er wickelte die Decke eng um seinen Körper und kauerte sich in eine Ecke des Zwingers. Nun konnte er nur noch versuchen, sich auf das unvermeidliche Grauen vorzubereiten, soweit das eben möglich war.

Um die Mittagszeit kamen sie endlich. Moro hatte sie viel früher erwartet. Je länger diese elende Warterei gedauert hatte, desto schwerer war es Moro gefallen, die Enge seines Gefängnisses auszuhalten, die ihm kaum eine Möglichkeit bot, die Nervenbelastung durch Bewegung zu bekämpfen. Jetzt, da der entscheidende Moment unmittelbar bevorstand, wurde er vollkommen ruhig.

Wegen der zurückgesetzten Lage seines Käfigs konnte er erst sicher sein, als der Luftkissentransporter der Guardians vor dem Wohnhaus hielt und vier uniformierte Beamte ausspuckte. Sein Besitzer schien eine hohe Belohnung für seine Ergreifung ausgesetzt zu haben, dass sie zu viert kamen. Die Rechnung dafür würde er zu begleichen haben. Einer der Guardians, offenbar der Ranghöchste, verschwand mit Amelie im Haus. Die anderen, die sich den Schlüssel hatten aushändigen lassen, kamen auf den Zwinger zu. Jetzt ging es also los.

Sie öffneten die Tür und befahlen Moro barsch herauszutreten. Er gehorchte ohne zu zögern. Dennoch griff einer der Beamten in den Käfig, packte Moros Kleidung und riss ihn daran heraus. Der gebückt gehende Moro hat dem nichts entgegenzusetzen und stürzte. Augenblicklich setze ein Hagel von Schlägen und Tritten ein, unter dem es ihm nur mit großer Mühe gelang, wieder auf die Beine zu kommen. Sie drehten einen seiner Arme auf den Rücken und drängten ihn zum Transporter. Dort warteten sie, bis Amelie mit dem vierten Guardian erschien. Er zeigte auf Moro.

„Ist das der Mann?“

„Ja. Heiliges Kastenwesen! Was haben sie mit ihm gemacht? Er blutet ja!“

„Ein wenig Nasenbluten, wenn ich das richtig sehe. Nichts von Bedeutung. Wie nannte er sich Ihnen gegenüber?“

„Moro.“

„Hat er diese Sachen getragen, als er bei Ihnen aufgetaucht ist?“

„Nein. Mein Mann …“

Amelie unterbrach sich, als sie das kaum sichtbare Kopfschütteln bemerkte, und presste die Lippen aufeinander.

„Nein? Also gestohlen“, stellte der Verhörende fest.

Er schaltete das Aufnahmegerät um und schoss ein Foto von seinem Gefangenen. Danach gab er das Datum und die Kennnummern der beteiligten Guardians ein.

„Ich brauche nur noch einen Scan der Iris von Ihnen. Damit ist Ihre Aussage rechtsgültig“, belehrte er Amelie.

Nur um etwas Zeit zu schinden, um der aufsteigenden Übelkeit Herr zu werden, fragte sie: „Keinen Fingerabdruck mehr?“

Der Beamte gab ihr bereitwillig Auskunft über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Signaturen, während er das Verfahren durchführte. Amelie bekam kaum ein Wort davon mit, sie brauchte alle Kraft, um nicht aus ihrer Rolle zu fallen.

Nachdem die Aussage gesichert war, wandte der Guardian sich Moro zu.

„Ausziehen!“

Moro fügte sich. Am Ende trug er nur noch die zu große Unterhose von Vedhes, alles andere wurde Amelie übergeben.

„Hände auf den Rücken!“

Er tat es bereitwillig und wurde sofort an Händen und Füßen gefesselt.

„Wie heißt du?“

Die Antwort „Moro“ wurde umgehend mit einem Faustschlag ins Gesicht geahndet. Der Gefangene stürzte und schlug hart auf dem Boden auf, da er keine Chance hatte, sich zu schützen. Ohne erst den Befehl abzuwarten, kämpfte Moro sich wieder auf die Beine.

„Noch einmal. Wie heißt du?“

„Moro.“

Die gleiche Antwort, die gleiche Reaktion. Dieses Mal geriet Amelie in Moros Blickfeld, als er sich aufrappelte. Die Hand vor den Mund geschlagen, um den Schrei nicht herauszulassen, starrte sie mit entsetztem Blick auf die Szene. Die blutige Nase, die aufgeplatzten Lippen und das bereits zuschwellende Auge Moros brannten sich in ihre Seele.

Sie erträgt es nicht, schoss es ihm durch den Kopf, sie hält es nicht aus. Ich mute ihr zu viel zu. Sei es drum. Die Guardians haben fast alles. Geben wir ihnen, was noch übrig ist.

„Wie heißt du?“

Zum dritten Mal, wie ein Peitschenknall.

Mit gesenktem Kopf antwortete Moro: „Nummer Zehn.“

„Lauter!“

Moro kämpfte mit sich.

„Nummer Zehn.“

„Lauter, hab ich gesagt!“, brüllte der Beamte und ohrfeigte ihn.

Moro schnappte nach Luft. Jede Faser seines Körpers war bis zum Zerreißen gespannt. Aber er beherrschte sich, hob den Kopf und antwortete klar und deutlich.

„Ich bin Nummer Zehn. Das ist der Name, den mein Herr mir gab. Das ist es, was ich bis zu meinem Ende sein werde.“

„Bravo! Was für ein schlauer Sklave.“

Der Offizier tätschelte ihm die Wange. Dann schlug er ohne jede Vorwarnung zu. Zum zweiten Mal prallte Moro völlig ungeschützt mit dem Kopf auf den Boden.

„Nur, damit du es nicht wieder vergisst.“

Stöhnend, mit einer breiten Schürfwunde an der Stirn, richtete Moro sich auf. Ängstlich blinzelte er zu Amelie hinüber. Sie stand so blass und zerbrechlich vor ihrem Haus, dass es ihm das Herz brach.

Als hätten die Guardians ein Einsehen, erklärte der Einsatzleiter die Aktion endlich für beendet. Moro wurde hochgerissen und in den Transporter gestoßen.

Der Innenraum wurde von einem grellen Licht ausgeleuchtet. Es gab keinerlei Einrichtung bis auf fünf Sets an Ketten, drei auf der linken Seite und zwei rechts. Das war demnach die maximale Anzahl an Gefangenen, für die der Wagen vorgesehen war. Sie mussten sich auf dem Boden so gegenübersitzen, dass die Beine der Insassen abwechselnd von links und rechts kamen. Moro wurde in die Mitte der Dreiergruppe gedrückt. Die Füße steckten in Fußfesseln, die in den Boden eingelassen waren. Die Hände wurden in Kopfhöhe mit Handschellen an die Wagenwand gefesselt, wo ebenso eine Kette festgezurrt wurde, die um Moros Hüfte führte. Als letzte Sicherung war ein breiter Ledergurt vorgesehen, der den Hals fixierte sollte. Darauf mussten die Guardians allerdings wegen seines Halsbandes verzichten. Sobald die Tür des Transporters zugeschlagen war, erlosch das Licht. Es herrschte nahezu absolute Dunkelheit.

Allmählich wurde sich Moro schmerzhaft der vielen Stellen bewusst, an denen ihn Schläge oder Tritte getroffen hatten.

Die Vorstellung, dass er sich schon jetzt wie in der Sklavenzelle seines Besitzers fühlen sollte, nackt und zerschlagen, angekettet im Dunkeln, setzte sich in seinem pochenden Kopf fest. Bald drehte sich jeder Gedanke um den Moment seiner Auslieferung. Er fürchtete die Wiederbegegnung mit den Angestellten im geheimgehaltenen Teil des Anwesens, vor allem mit Master Kovit, der so gern und reichlich von seiner Peitsche Gebrauch machte. Aber das war nichts im Vergleich mit dem panischen Entsetzen, das ihn erfüllte, sobald er an seinen Herrn dachte. Seine Fantasie reichte nicht aus, um sich den Augenblick auszumalen, in dem er vor ihn und die Herrin geführt werden würde. Sein Puls sprang in schwindelnde Höhen. Er fror und zitterte so heftig, dass er glaubte, sein Gebiss klappern zu hören. Einmal losgelassen, wollte sich diese Angst nicht mehr einfangen lassen.

Kaum hatte Moro sich ein wenig beruhigt, traf es ihn wie ein Hammerschlag. Sein Vater! Wie war es möglich, dass er bisher kein einziges Mal bedacht hatte, dass er bald erfahren würde, ob sein Vater überlebt hatte. Jetzt brach ihm der Schweiß aus allen Poren. Der seit langem gewohnte Halsreif schien ihm plötzlich die Luft abzudrücken. Würde der Vater verstehen und gutheißen, warum er sich zurückbringen ließ? Oder war er in dessen Augen ein Versager? Ein doppelter Fluchtversager, um genau zu sein.

Als der Luftkissentransporter ruckartig hart nach rechts ausschlug, wurde der Gefangene so hoffnungslos in die Ketten gepresst, dass sie sich schmerzhaft in sein Fleisch bohrten. Mit einem letzten Aufbäumen krachte der Wagen auf den Untergrund. Gleichzeitig hörte Moro lautstarke Schreie. Der Transporter wackelte, als Türen aufgerissen wurden. Dann war es plötzlich wieder still. Moro, der nichts anderes tun konnte als abzuwarten, lauschte angestrengt. Ein Riegel am rückwärtigen Ausstieg knirschte, als er zurückgezogen wurde. Von einem Moment auf den nächsten verdrängte helles Tageslicht die Dunkelheit im Gefangenenbereich. Moro blinzelte in das grelle Rechteck. Schemenhaft nahm er darin dunkle Wesen wahr, die in den Gefängniswagen eindrangen. Die Schemen verwandelten sich zuerst in Silhouetten und dann in menschliche Gestalten. Wortlos lösten sie die Fesseln Moros und halfen ihm aus seinem Gefängnis. Verwirrt und den dramatischen Änderungen seines Schicksals hilflos ausgeliefert, wurde er von zwei bis zu den Augenschlitzen vermummten Männern weggeführt.

Der schmale Weg um einen Hügel herum, zwischen dem Felsen und der Böschung, zwang sie, über die reglosen Körper von drei Guardians zu steigen. Der vierte lag mit dem Oberkörper in der offenen Fahrertür des schräg auf der Straße stehenden Wagens.

Keine drei Minuten nach dem Beginn des Überfalls waren alle Beteiligten an dem Luftkissenfahrzeug versammelt, das den Beamten in der Kurve den Weg versperrt hatte. Die fünf Angreifer verteilten die Taser, die sie ihren Opfern abgenommen hatten. Sie legten weder ihre Masken ab, noch sprachen sie ein Wort. Dankbar nahm Moro die Decke an, die sie ihm um die Schultern gelegt hatten. Einer von ihnen zwang Moro, ihn anzusehen. Er zeigte ihm einen Schal und wickelte ihn demonstrativ um seinen Kopf. Dann deutete er mit dem Finger auf ihn.

Moro stammelte verstört: „Sie werden mir die Augen verbinden?“

Der Mann nickte. Er ergriff eine Hand seines Opfers und führte sie an das Tuch. Energisch stieß er sie wieder weg, schüttelte heftig den Schädel und drohte symbolisch mit einem Taser.

„Wenn ich den Verband anfasse, werde ich getasert? Bestraft? Das werde ich nicht tun. Bestimmt nicht. Ich schwöre es!“

Wieder nickte der Mann. Dann bedeutete er Moro sich umzudrehen und legte ihm die Augenbinde an. Obwohl dieser darauf gefasst war, erneut gefesselt zu werden, geschah das nicht. Er wurde lediglich, eingezwängt zwischen zwei der Männer, in den Wagen geschoben. Mit einem Höllentempo entfernten sie sich vom Ort des Anschlags.

Moro hatte keine Vorstellung davon, wie lange er bereits festgehalten wurde. Aus Minuten waren Stunden geworden, aus Stunden Tage. Nach seiner Entführung hatten sie ihn in ein Haus gebracht, das weit abseits zu stehen schien. Damals hatte er die frische, würzig duftende Luft begierig aufgesogen. Seitdem wurde er in einem Zimmer gefangen gehalten, das wenig mehr enthielt als eine Matratze auf dem Boden. Wasser und Lebensmittel waren auf einem Tisch neben der Tür abgestellt. Bei seiner Ankunft erhielt er ein Glas dieser lebensspendenden Kostbarkeit und trank es mit gierigen Schlucken aus. Stumm führten sie ihn zur Kanne und ließen ihn von dort an der Wand entlang tasten, bis er den Schlafplatz fand. Sie legten seine Hände an eine Schüssel auf einem Hocker daneben und rieben erst einen nassen, anschließend einen trockenen Lappen über seine Haut. Er verstand, es war ihm gestattet, sich dort zu waschen. Welche Wohltat, sich nach Stunden das Gesicht vom angetrockneten Blut reinigen und die Wunden säubern zu dürfen, selbst wenn er es blind tun musste. Dankbar nahm er die frische Kleidung, die man ihm reichte. Wenn er ein Bedürfnis verspürte, wurde er zu einer Toilette geführt. Das war alles. Kein Wort. Keine Beschäftigung. Keine Erleichterung beim pausenlosen Tragen der Augenbinde, unter der sich mit der Zeit die Haut entzündete.

Moro blieb nichts, als zu grübeln und sich das Hirn zu zermartern. Wer waren die Männer? Warum taten sie ihm das an? Was hatte er falsch gemacht, dass er so behandelt wurde? Und was sollte mit ihm geschehen? Auf keine seiner Fragen fand er auch nur die Spur einer Antwort. Einer Sache war er sich jedoch sicher, er würde wohl nie erfahren, ob sein Vater noch am Leben war.

MORO

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