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SIEBENTES KAPITEL
ОглавлениеEinige Monate vor der Eröffnung der Generalstaaten hatte die Akademie von Arras mich zu ihrem Präsidenten erwählt: ich würde dieser nichtigen Ehrenbezeigung nicht erwähnen, wenn sie mir nicht die Achtung bewiesen hätte, welche, trotz den widersprechenden Gerüchten, an deren Verbreitung man seither ein Vergnügen gefunden, trotz den Verleumdungen, mit denen man mich verfolgt hat, die ausgezeichnetsten und aufgeklärtesten Männer der Provinz für mich fühlten. Gewiß gab es unter ihnen mehr als einen, der mich nicht für seinen politischen Freund halten konnte, der, infolge meines Charakters, der mich nichts, was ich der Wohlfahrt des Vaterlandes ersprießlich hielt, zurückhalten ließ, sich sogar über mich beschweren zu können glaubte, und doch erhielt ich bei der freien Wahl für die Besetzung einer friedlichen Ehrenstelle unserer Akademie die Mehrheit der Stimmen.
Ich widmete damals den Wissenschaften nur sehr wenige Zeit und beschäftigte mich, einige kleine Gelegenheitsgedichte ausgenommen, die ich weil es die Mode verlangte, von Zeit zu Zeit meinen Freunden mitteilte, nur mit den großen Interessen, welche alle Gemüter in Bewegung setzten. — Das Gericht gab mir noch einen Prozeß in die Hand, welcher dem glücklichen Erfolge, der mir in diesem Fache zuteil geworden war, das Siegel aufdrücken und die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich richten sollte. Ich muß diesen Handel näher beschreiben, da das Aufsehen, welches er in der ganzen Provinz erregte, mehr als mein früheres Leben dazu beitrug, meine Wahl zum Abgeordneten zu befördern. Die Sache war folgende: Ein Einwohner von Ilesdin, namens Dupont, war das Opfer der schmählichsten Beraubung geworden; Bruder, Schwager, Verwandte, Freunde, kleine Dorfrichter und große Herren, alles schien sich vereinigt zu haben, dem Unglücklichen Freiheit und Vermögen zu entziehen. Nach einer Abwesenheit von 26 Jahren wollte er bei seiner Rückkehr sich wieder in den Besitz seiner Güter setzen. Seine gerechten Anforderungen wurden zuerst mit Stillschweigen, Ausflüchten, endlich mit einer Eingabe um seine bürgerliche Totsprechung aufgenommen; aber da die Verwandten vor der heilsamen Langsamkeit, welche die Gesetze in die Einleitung eines solchen Prozesses legen, mehr aber noch vor der Unzulänglichkeit ihrer Hilfsmittel erschraken, so hielten sie es für zweckmäßiger, um eine Lettre de cachet46) gegen den unglücklichen Ankömmling einzukommen. Von einem Gönner gelangten sie zu einem andern und endlich zum Minister, der, wie gewöhnlich, lieber den zudringlichen vornehmen Leuten in seiner Nähe glaubte, als daß er sich nach den wahren Verhältnissen der Verfolgten erkundigt hätte. Eine Lettre de cachet wurde gegen Dupont geschleudert, er selbst in eine Bastille der Provinz, in Armantires, gesperrt, in der er zwölf Jahre lang geschmachtet hat; durch ein Wunder war er dieser abscheulichen Höhle entkommen und flehte schon seit zehn Jahren vergebens um Gerechtigkeit. Darauf wendete er sich an mich. Ich sah in dieser Reihe von Unbilligkeiten, mit denen man ihn erdrückt hatte, nicht eine Sache, für die gewöhnliche Schadloshaltungen genügen würden. Ich behauptete, daß die ganze bürgerliche Gesellschaft gekränkt sei, und daß sie eine in die Augen fallende Rache begehre. Nachdem ich daher die Gerechtigkeit der Ansprüche meines Klienten, die unendlichen Beschwerden und Leiden auseinandergesetzt hatte, die er ertragen mußte, damit während der Zeit seine gierigen Verwandten ruhig in ihrem Raube schwelgen könnten, ging ich zur allgemeinen Untersuchung der Lettres de cachets über. Es war ein an wichtigen Folgerungen und Betrachtungen fruchtbarer Gegenstand. Ich bewies leicht, daß alles, was man zugunsten dieser schmachvollen Erfindung des Despotismus angeführt habe, nichts als elende Spitzfindigkeiten wären; ich ging weiter, ich begnügte mich nicht damit, das Ungesetzliche, Verbrecherische der Staatsgefängnisse festzustellen, ich zeigte, daß die königliche Macht selbst davon keinen Gewinn zöge, und daß sie nur für deren untergeordnete Geschäftsführer von Nutzen waren, die stets mit größerm Eifer als ihr Herr selbst durch kleinliche Rache oder auf gräßlichere Art ihre niedrigen Leidenschaften, ihre Begierden, ihre Ausschweifungen zu befriedigen suchten.
Von diesem besonderen Satze ging ich zu einem noch allgemeineren über. Die Abschaffung jener geheimen Verhaftsbefehle, die bei der nunmehrigen Gestaltung der Dinge nahe bevorstand, sollte nicht die einzige Wohltat der Verwaltung sein, welche jetzt vorbereitet wurde; das ganze alte Gebäude der Mißbräuche sollte zusammenstürzen, um einem jungem, großartigeren Denkmale Platz zu machen. Ich hielt mich also nicht an den besondern Angriff, in den der Rahmen meiner Sache mich einzuspannen schien; freimütig behandelte ich die großen politischen Fragen und stellte in der heftigen Schlußrede ein Gemälde von dem künftigen Glücke Frankreichs auf, wenn es von nun an nach weisen, volkstümlichen Gesetzen regiert würde; ich stellte es über alle andern Staaten Europas, mit denen ich es einzeln verglich, und bezeichnete die Zusammenberufung der Volksdeputierten als die Morgenröte eines neuen Tages.
Ich ließ mich von meinem Gegenstande hinreißen und zollte, mit dem aufrichtigen Wunsche, daß das Oberhaupt des Staates sich ernstlich an das Werk unserer Wiedergeburt anschlösse, auch ihm sein Lob, das eher eine Lehre war, da ich weniger von der Vergangenheit als von den Pflichten sprach, die Frankreichs Zukunft ihm auferlege. Ich hielt, um einer Sitte der frühern Regierung nachzukommen, ihm die Namen seiner Ahnen vor, die noch einige Spuren in dem Andenken des Volkes zurückgelassen hatten; ich bat ihn, das Werk Karls des Großen und Heinrichs IV. zu betrachten und das Glück und die Freiheit Frankreichs zu verwirklichen. Allen, die sich durch Bewährung ihrer Unabhängigkeit oder Liebe zur Freiheit der Erkenntlichkeit des Volkes würdig gemacht hatten, spendete ich den Dank, den ihre Kühnheit verdiente, und ermutigte sie, in der gefährlichen Bahn, die sie eingeschlagen hatten, zu beharren. So wurden; Monsieur, der Bruder des Königs, der Minister Necker, Desprémenil höchlich gepriesen. Seit der Zeit glaubte ich, daß in meiner Meinung einige Übereinstimmung mit den Wünschen des Volkes liege, und daß ich sein natürlichster Wortführer sei.
Die Männer, die ich soeben erwähnt, haben seitdem das Vertrauen, das die Nation in sie gesetzt hatte, zuschanden gemacht; aber man mußte ihnen zu jener Zeit das Beispiel, welches sie gaben, anrechnen und ihren kühneren Nachahmern, denen man mit der Hoffnung auf die Belohnungen des Volkes schmeichelte, Kraft und Geduld einflößen.
Ich habe mich bei diesem Werke aufgehalten, weil es Epoche in meinem Leben gemacht hat und mir noch eine der süßesten Erinnerungen ist; es bezeichnet den Punkt, an dem meine beiden Laufbahnen zusammenlaufen; ich hänge daran, weil es meine letzte gerichtliche Arbeit und die beste unter meinen früheren politischen Versuchen ist.
Ich habe noch mehr Ursachen, mich dessen mit Vergnügen zu erinnern. Sein Erscheinen in Arras fiel auf wie ein großes Ereignis. Niemals hatte man vor den Gerichtsschranken so frei sprechen hören. Niemals hatte man bei einem besonderen Falle eine solche Masse von wichtigen Allgemeinheiten berührt. Das Publikum war anfangs betroffen, später über meinen Mut entzückt; denn die Mißbräuche, welche ich angriff, waren so schreiend, die Sache, die zu meinem Ausfall Gelegenheit gegeben, von so überzeugender Gerechtigkeit, daß selbst die Zaghaftesten zu meiner Meinung hingerissen wurden. Von allen Seiten sagte man mir Schmeichelhaftes; die selbst, welche meine Klageschrift am meisten aufgebracht hatte, wagten es nicht, mir ihr Mißfallen zu bezeigen.
Mein Prozeß wurde gewonnen; es war viel, da einem Unglücklichen endlich eine so teuer erkaufte Wiedererstattung zuteil wurde; aber ein süßerer Lohn als der Segen meines Schützlings zahlte mich reichlich für alle meine Mühe. Die geringen Hindernisse, welche meiner Wahl noch entgegengestanden hatten, wurden durch die energischen Versicherungen meiner Denkschrift gehoben, ich erhielt die schönste Bestallung47), welche die Arbeiten eines Wohlmeinenden krönen kann: ich wurde zum Abgeordneten des dritten Standes meiner Provinz erwählt.
Ich kann die Freude nicht beschreiben, die ich bei meiner Ernennung empfand. Alle Träume meines Lebens waren verwirklicht, ich stand auf einer Bühne, auf der ich meine Stimme für die so lange verkannten Rechte des Volkes und nicht mehr fruchtlos erheben durfte. Mein Geist wuchs bei dieser Aussicht, ich war auf der Höhe meines erhabenen Berufes.
Fünfzehn von drei Klassen erwählte Abgeordnete vertraten die Provinz Artois bei den Generalstaaten; wenige davon haben die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Herr von Beaumetz und Karl von Lameth, zwei Mitglieder aus dem Adel, haben allein ihre Laufbahn als Gesetzgeber durch einige Reden bezeichnet, die der Aufbewahrung wert waren.
Der erstere war infolge meiner Schrift über die Stände von Artois von jener Zeit an mein erklärter Feind. Ich hatte die entehrenden Kunstgriffe, mit denen die Mitglieder der Stände die Güter der Provinz verschleuderten, in jener Denkschrift gebrandmarkt. Herr von Beaumetz hatte sich als Königlicher Kommissär, ein ungesetzliches Gehalt aussetzen lassen. Ich hatte dieses angeführt; Herr von Beaumetz war zwar nicht genannt, aber jeder verstand es. Er hat mir das nie verziehen; so erhielt ich unter meinen Amtsgenossen einen Widersprecher, der alles mit Bitterkeit aufgriff, was ihm in meinem Verfahren oder meinen Reden tadelnswert erschien.
Ich fürchtete diese Aufsicht nicht; welche Larve Herr von Beaumetz auch vornehmen, welchem Banner er auch wirklich oder scheinbar folgen mochte, ich hatte die Überzeugung, daß wir uns nicht auf einem Wege begegnen würden. Ich war entschlossen, festen Schrittes in der einzigen Laufbahn fortzuschreiten, die sich der Vaterlandsliebe der Volksvertreter eröffnet hatte, alles meinen Pflichten zu opfern, mich nicht um die Anklagen, mit denen man mich verfolgen konnte, noch um die verleumderischen Ausdeutungen zu kümmern, durch die man meine Absichten vergiften würde; nur in der Stimme meines Gewissens, nur in der des Volkes, das man nie täuscht, suchte ich die Billigung meines Verfahrens. Diesen beiden Mächten allein war ich verpflichtet; und gern wollte ich alles tun, damit sie an meinem Leben nichts auszusetzen fänden. Die Volksgunst, wie ich nach derselben strebte, sollte nur eine förmliche Billigung meiner Grundsätze, eine Aufmunterung sein, darin zu beharren.
So wie ich dem Volke geben war, konnte ich kein anderes Interesse als das seinige, keine andere Freude als die seinige, keine andere Zukunft vor Augen haben als die, welche die Wiedergeburt, zu der ich es führte, ihm bereiten würden. Freiheit, Gleichheit, dies waren die beiden Eroberungen, zu denen die Nation berufen war. Ich durfte mich von diesem Ziele nicht entfernen und knüpfte mein ganzes Leben daran. Es lag mir wenig daran, durch Beredsamkeit zu glänzen, meine Gegner durch spitzfindige Schlüsse in Erstaunen zu setzen, vor allem mußte ich dem Volke gefallen und darum für den Triumph seiner Sache streiten.
So war die Stimmung meines Geistes, als mir die Ehre zuteil wurde, als Stellvertreter des Volkes aufzutreten. Man begreift bei dieser Denkungsart die Strenge meiner Ansichten und die gründliche Beharrlichkeit, mit der ich während der Sitzungen der konstituierenden Versammlung deren Sieg zu erringen strebte.
Sobald meine Wahl beschlossen war, machte ich mich fertig, nach Versailles, das für die Zusammenkunft der Generalstaaten bestimmt war, abzureisen. Mein Bruder war damals in Paris und hatte eben sein juristisches Studium beendet; das Wiedersehen machte mir eine unaussprechliche Freude. Der gute Augustin! Er hatte meinen Triumph geteilt, seine Freude war ein wahrer Taumel. Das wenige, was ich in meiner Verpflichtung als Haupt der Familie für ihn getan, hatte einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, daß die Freundschaft, welche er von seiner frühesten Kindheit an für mich hegte, fast an Verehrung grenzte. Bei seinem vortrefflichen Herzen, seiner sanften, liebevollen Seele, bei seiner Leidenschaft für Tugend und Vaterland war seine Anhänglichkeit mir immer der teuerste Trost in Leiden, seine Achtung mein Stolz, die Schöpferin meines inneren Friedens. Wäre ich jemals vom Pfade der Tugend abgewichen, mein Bruder hätte mich schnell bedeutet und, wenn Rat vergeblich gewesen wäre, sich von mir entfernt. Möge dieser treffliche Bürger, dieser glühende Patriot bald einen glänzenden Beweis von der Achtung des Volkes erhalten! Möge er, wenn neue Versammlungen neue Wahlen herbeiführen, mit mehr Glück als im vergangenen Jahre die immer neuaufschießenden Ränke meiner Feinde zu schänden machen, die sich an ihn, als an mein zweites Ich, gehängt haben.
Versailles bot damals, als ich dort eintraf, ein bewunderungswürdiges Schauspiel dar. Aus allen Enden Frankreichs sah man die Neuerwählten herbeieilen, Advokaten, Großhändler, Landleute, lauter ehrenwerte Männer, die von ihren Mitbürgern hochgeachtet, aber nicht an das Geräusch der Hauptstadt und noch weniger an die Ränke des Hofes gewöhnt waren. Ich übergehe die Abgeordneten des Adels, größtenteils Hofleute, Parlamentsmitglieder, Offiziere, Männer mit großen Titeln oder Pensionen. Die unendliche Muhe, die sie sich gaben, von dem dritten Stande getrennt zu bleiben, zeigte schon im voraus, wie wenig die Nation von ihnen zu erwarten, wie viel sie von ihnen zu fürchten habe. Unter dem Klerus zählten wir viele Freunde, alle Geistlichen, die keine Pfründen48), sondern nur eine kleine Pfarrei besaßen: sie waren das Volk, der dritte Stand ihrer Klasse; aus Rücksicht für ihr Kleid waren sie ängstlich und zurückhaltend, aber wir kannten ihre Stimmung.
Alle diese Neulinge kamen mit den edelsten Absichten an; man hatte sich nicht verabredet und doch sich von einem Ende Frankreichs bis zum andern verstanden. Wie vielen Verdruß Aristokratie und Despotismus auch über uns schicken würden, wir waren fest entschlossen, unser Werk fortzusetzen, ohne Murren die Beleidigungen zu tragen, die nur uns, aber die zurückzuweisen, welche die Nation beträfen. Der Hof mochte sich noch so anstellen, der Adel auf seinen Degen schlagen, halb war der Sieg schon gewonnen; das Volk stand endlich seinen Unterdrückern gegenüber; seine Zunge, seine Hände waren frei.