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1. Kapitel: Ein Name

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Nacht über Dunkelheit

Licht und Schatten

M. D. Redwood


Impressum

Texte: © Copyright by Marc Daniel Redwood

Umschlag: © Copyright by Michael Faulhaber

Verlag: Michael Faulhaber

Hauptstraße 19

76829 Leinsweiler

michael.faulhaber@carbisfilm.com

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Auf einer offensichtlich unebenen Straße gondelte langsam ein Planwagen entlang. Alle Gegenstände darin schaukelten und klapperten bei jedem Schlagloch, Stein oder Wurzel. Prall gefüllte, braune Jutesäcke lehnten an beiden Seiten und hielten große und kleine Holzkisten an ihren Plätzen, sowie einen schmalen Gang mitten durch den Wagen frei. Auf den Kisten und Säcken lagen Stoffe in allen Farben und Felle verschiedener Tiere. Unter dem Tonnengewölbe der grauen Leinenplane klapperten einige Töpfe, Pfannen, Schöpfkellen sowie Werkzeug, Bögen, Köcher, einige Laternen und ein Schwert an den Verstrebungen aus Holz. Das Aneinanderschlagen der Gegenstände füllte den Wagen mit seinen blechernen Ping-Pong Geräuschen. Dazwischen knarrte das Holz mit dem Quietschen der Räder um die Wette. Am hinteren, entfernten Ende des recht voll gestellten Planwagens stand ein Bett mit einem gefüllten Jutesack als Matratze darauf. Das Stroh ragte überall aus dem alten, schlecht geflickten Sack, nur um Schlafende heimtückisch zu piksen.

Doch der Junge der im Augenblick darauf schlief schien das nicht zu stören. Er war klein und zierlich mit einem schmalen, kindlichen Gesicht und hellem, braunem Haar. Seine zarten Züge verrieten, dass er höchstens zwölf Jahre alt war. Völlig ungeschützt lag der Kleine dar. Decke und Bekleidung fehlten fasst vollständig bis auf eine Fetzen Stoff, der nicht mehr war, als eine Lendenschürze. Dafür war der bloße Kinderkörper mit grauen und blutroten Verbänden eingehüllt. Insbesondere sein linker Arm, Bauch und seine Brust erinnerten an eine Mumie. Aber auch um die Stirn, am rechten Oberarm, an beiden Knien und der rechten Wade hatte der Kleine Bandagen. Selbst seine Hände und Füße waren eingewickelt.

Der Wagen sprang über einen dicken Stein und der schlafende Junge machte einen Sprung im Bett. Beim Aufschlagen auf dem festen Sack wachte er nun doch auf. Blinzelnd stöhnte er und bewegte mühsam Arme und Beine. Alles tat ihm weh. Außerdem hatte er Hunger, furchtbaren Hunger und Durst. Die Not war stärker als seine Schmerzen. Er brauchte etwas zu essen, am besten sofort. Der Junge war sich sicher, seit Tagen nichts mehr gegessen zu haben. Wo war er eigentlich? Er drehte den Kopf und sah sich um. Der Ort war für den Kleinen fremd und ergab auch keinen Sinn. Er wusste zwar, dass er sich in einem Planwagen befand, aber warum er hier und wie er hergekommen war, konnte sich der Junge nicht erklären. Außer ihm war niemand da. Nach hinten versperrte die fest verschnürte Plane die Sicht. Vorne hinaus konnte er aber gegen das grelle Sonnenlicht erkennen, dass mindestens zwei Männer auf dem Wagenbock saßen. Sie unterhielten sich in fließendem Nordisch. Er wollte etwas rufen, doch er wusste nicht was.

Der Kleine rollte sich auf den Bauch. Sein Rücken war vom Nacken über die Schulterblätter bis hinunter zur Hüfte eingewickelt. Er stellte die Handflächen auf dem Strohsack auf. Nun spannte er die drahtigen Muskeln leicht an und verharrte einen Augenblick. Der Junge sammelte seine Kräfte zusammen, dann stemmte er sich mühsam nach oben. Seine Arme zitterten vor Schmerzen und Anstrengung. Der Junge hatte das Gefühl, dass ein Felsblock auf seinem Rücken lag, den er mit anheben musste. Auf allen Vieren schob er die Beine aus dem Bett und stellte sie auf den Holzplanken ab. Bereits jetzt schon erschöpft schwitzte er aus allen Poren. Dann taumelte der Junge auf die Füße und versuchte den Laderaum zu durchqueren. Er hatte das Ziel vor Augen, so nah und doch so fern war der Wagenbock. Aber der Wagen schaukelte wie ein Schiff im Sturm und der Kleine war nicht sicher auf den Füßen. Das erste Schlagloch warf ihn in eine Kiste, an die er sich noch rechtzeitig hatte klammern können. Der Junge wimmerte vor Schmerzen als er mit den Schienbeinen gegen die Kiste prallte. Das Stechen der Wunden am Oberkörper war noch schlimmer. Durch den Zug seiner gestreckten Arme machten sich Schultern, Rücken und Brust bemerkbar, weil die teilweise durchgebluteten Verbände von den Wunden rissen. Er verharrte einen Moment aus Angst vor einer Bewegung, die noch schmerzhafter sein könnte. Er hatte kaum die Kraft sein eigenes Gewicht an der Kiste zu halten. Mit butterweichen Knien zog sich der Kleine wieder nach oben, angestrengt als ob der ganze Wagen an seinen Armen hängen würde. Er spürte die Schweißperlen im Gesicht. Er taumelte weiter, nur um vorwärts in eine Gruppe voller Säcke zu fallen. Er jammerte leise als er gegen die harten Früchte darin schlug.

»Da war doch was«, bemerkte der eine Mann auf dem Wagenbock. Er drehte sich nach hinten und schob die Plane weiter zur Seite. Es war ein Händler mittleren Alters mit einem misstrauischen Gesicht. Seine gelbe und grüne Kleidung offenbarte, dass er ein erfolgreiches Geschäft führte. Sein Bart war so schwarz wie sein Haar und in strenge Form geschnitten. Der Händler warf einen Blick durch den Laderaum und entdeckte schließlich das zierliche Kind auf den Säcken, das sich gerade wieder aufrichtete. Der Kleine schnappte nach Luft, dabei störten die engen Verbände um seine Brust.

»Sieh mal an, wer da auf den Beinen ist.« Die Stimme des Händlers klang freundlich erfreut. Neben ihm tauchte das Gesicht eines jüngeren Mannes auf. Sein spitzes Gesicht mit Hakennase und das schwarze Haar zeigten deutlich die Verwandtschaft zum Händler. Er war gut zwanzig Jahre alt und trug etwa das Gleiche wie der ältere Mann, aber mit weniger Farbe im Stoff.

»Was meinst du, Onkel?«

»Unsere Anlage ist auf den Beinen.«

»Tatsächlich, unser Schmächtling ist wach«, lachte der Jüngere. »Hat aber lange gedauert.«

»Unsinn, einen guten Wein kriegst du auch nicht über Nacht.«

»Aber vier Wochen?«

»Ja, umso besser. Vermisste haben auch eine Reifezeit.«

»Hey Schmächtling, wie heißt du?«, fragte der Neffe des Händlers.

Der Junge verstand nicht, was der junge Mann wollte. Das Wort Schmächtling ergab für ihn keinen Sinn. Er konnte nicht wissen, dass es ein Wortspiel der Händler war, für den wohl magersten und noch dazu kleinen Burschen, den sie je aufgelesen hatten. Allerdings ergab für den Jungen ohnehin überhaupt nichts einen Sinn. Wer waren diese Leute? Er hatte sie noch nie gesehen. Er wusste auch ihre Namen nicht. Sich vorzustellen hatten die Fremden aber wohl nicht vor.

Der Neffe wiederholte seine Frage, er war wohl ungeduldig. »Wie du heißt, will ich wissen.«

Ja, wie hieß er eigentlich? Das fragte sich der Junge in diesem Augenblick auch. Er dachte darüber nach, aber es fiel ihm nichts ein. Er kam sich bescheuert vor. Wie konnte man seinen eigenen Namen nicht wissen? Schließlich zuckte er die Achseln.

»Schmächtling ist nicht nur mickrig, sondern auch dumm«, bemerkte der Neffe.

»Halt die Klappe und sag nicht Schmächtling zu ihm, dass schadet seinem Wert«, wies der alte Händler ihn an. Es waren anscheinend Sklavenhändler. Er deutete auf den Kleinen und winkte ihn mit dem Zeigefinger zu sich. »Du - komm her.«

Der Junge gehorchte, wobei er nicht nachvollziehen konnte, warum der Händler so abgebrochen mit ihm redete. Der Händler deutete auf seinen Mund. »Mund auf.«

Der Kleine runzelte die Stirn. Was bitte schön, sollte das jetzt?

»Du – Mund auf.« Unvermittelt packte der Händler den Jungen am Kinn und presste mit den Fingern den Kiefer auseinander, indem er Zeigefinger und Daumen in die Kinderwangen bohrte.

»Zunge ist da«, stellte der Händler fest. »Und oha! Richtig gute Zähne hat er auch.«

»Echt! Lass mich sehen.«

Der Neffe drehte sich zu den beiden, um ebenfalls seine Finger in die zarten Wangen zu bohren und die Zähne zu begutachten, wie bei einem Pferdekauf. Sowohl bei Tieren, wie auch bei Sklaven schloss man vom Zustand der Zähne auf den Zustand der Knochen und den Rest des Körpers. Gute Zähne waren ein Indiz für Gesundheit und Arbeitskraft, also Wert steigernd. Der Junge riss sich los.

»Lasst mich!«, rief er angewidert. Dann war er selbst verblüfft. Er sprach ihre Sprache.

»Also sprechen kann er doch«, bemerkte der Händler. »So Bursche, wie heißt du?«

»Ich...« Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

»Weißt du wo du her kommst?«

»Nein.«

»Wo du wohnst?«

»Nein.«

»Wieso du hier bist?«

»Nein.«

»Was weißt du überhaupt?«

Der Kleine zuckte die Achseln. Der Händler rollte die Augen. »Weißt du was das ist?« Er deutete in den Wagen.

»Das ist der Laderaum eines Planwagens.«

»Dumm ist er nicht«, schloss der Händler. »Hat das Gedächtnis verloren.«

Der Neffe nickte. »Dann ist das Lösegeld futsch.«

»Kann sein.«

»Dann ist er auch noch so winzig, viel Geld bringt der nicht.«

»Er ist auch erst...«, der Händler stockte. »Zehn. Zunächst braucht er einen Namen.« Der Mann drehte sich in die andere Richtung. »Weib! Ich brauche einen Namen.«

Auf der anderen Seite des Händlers saß eine Frau, die der Junge die ganze Zeit über gar nicht wahrgenommen hatte. Was wohl daran lag, dass auch die beiden Männer die ganze Zeit über so getan hatten, als wäre sie nicht da.

»Dann gib ihm doch einen.«

Sie trug ein gelb-grünes Kleid, war etwa vierzig und trotz der holprigen Fahrt mit Nähen beschäftigt.

»Es muss aber ein guter Name sein, der sein Produkt verkauft.«

Sie seufzte, denn sie wusste, dass ihr Mann verkaufen konnte, aber sonst nichts. Kreativ war er auf keinen Fall. Also fiel diese Aufgabe ihr zu, denn der Neffe taugte weder zum einen noch zum anderen.

»Er hat eine starke Lebenskraft. Ich habe noch nie einen solchen Durchhaltewillen gesehen. Ich finde seine«, sie musterte das zierliche Bürschlein, »einzige Eigenschaft«, begründete sie schließlich.

Der Händler nickte. »Wohl war.«

»Er sollte daher entsprechend heißen. Wie wäre es mit Vigor?«, schlug sie vor.

»Vigor, die Kraft«, der Neffe lachte. »Der Winzling soll Kraft heißen.«

»Im Sinne von Lebenskraft, nicht Körperkraft«, verteidigte die Frau ihren Vorschlag. Es war ihr klar, das der Neffe nur dumme Kommentare übrig hatte.

»Das willst du nicht im Ernst?«, fragte der Neffe.

»Doch, der Name ist gut«, entschied der Händler. »Vigor soll er heißen. Hast du das gehört, Bursche? Du heißt ab sofort Vigor.«

Der Junge nickte.

»Eine echte Mogelpackung«, bemerkte der Neffe.

»Hast du ein Problem damit?«

»Nein.«

»Also, du sollst ihn ja nicht kaufen.« Der Händler wandte sich an Vigor. »In einer Stunde machen wir halt. Dann gibt es was zu essen. Ich denke doch, du hast Hunger.«

Vigor nickte. Er hatte einen Bärenhunger.

»Und jetzt zurück ins Bett.«

Vigor drehte sich um und wankte zurück zu seinem Lager. Wirklich schlauer war er durch das Gespräch nicht geworden. Und was er erfuhr stimmte ihn nicht glücklich. Denn sowohl die Lösegeldforderung als auch als Sklave verkauft zu werden, waren keine sonderlich rosigen Aussichten. Ein Schlagloch warf ihn vor dem Bett auf den Boden und er stieß mit dem Kopf gegen eine Planke.

NACHT ÜBER DUNKELHEIT

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