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2. Kapitel: Sonnensee

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Vigor öffnete die Augen. Er war seitlich mit dem Kopf gegen eine Kiste gestoßen, an die er gelehnt war. Sein Kinn ruhte auf dem weißen Hemd vor der Brust und er betrachtete die weiß-grauen Hosen, die er unter seinem Umhang trug. Sein Buchenholzstab klemmte zwischen ihm und dem Dorfschulmeister, in dunkelblauer Gewandung und dem sonnengelben Umhang darüber. Der alte Lehrer lächelte ihn an. »Na, ausgeschlafen?«

Der Junge nickte schläfrig.

»Vigor braucht seinen Schönheitsschlaf«, bemerkte Volker, der neben ihnen auf seinem schwarzen Hengst Obsidan ritt. Volkers prachtvolle Kleidung aus schwarzer Hose, blauer Weste und weißem Hemd, sein Schwert und dem rot-schwarzen Mantel mit dem gelben Innenfutter, machte Vigor darauf aufmerksam welch besondere Reise sie taten.

»Mitfahren macht müde«, rechtfertigte sich Vigor.

»Ja, ich weiß«, antwortete Volker. »Was mich aber nicht davon abhält, dich damit aufzuziehen.«

Vigor streckte ihm die Zunge raus.

»Wir sind aber bald da.«

»Echt?« Vigor sah sich um.

Der Konvoi wanderte bereits seit einer Stunde das Ufer des Nebelsees entlang. Warum sie einen Teil des Sees umrunden mussten, erschloss sich Vigor bislang nicht. Die Ufer waren gleichzeitig die Stadtgrenzen von Sonnensee, dem Sitz des Sonnenordens und Hauptstadt des Reiches unter dem Goldenen Magier. Das Reich des Sonnenordens erstreckte sich vom Großen Strom bei Keeper’s Garden im Osten bis an die Grenze von Feuerglut im Westen und von der Küste des Langen Meeres im Süden bis an die ehemalige Grenze von Horizont im Norden. Letzteres Land stand nun hälftig unter Feuergluts und Darkcasts Kontrolle, zumindest auf dem Papier.

Die Ufer des Nebelsees formten weiß-gelbe Sandstrände, die sich weitläufig um den See zogen. Wenige Laubbäume standen auf den leuchtend grünen Hügeln und Wiesen drum herum. Über dem Wasser war keine weite Sicht möglich, denn darauf schien sich eine dicke Nebelsuppe zu halten, welche ab und an auch über die Küsten zog und dann die ganze Gegend in tristem Grau versenkte. Doch zur Zeit war Erndmond, dem achten Monat des Jahres, und die typisch heiße Sommersonne brannte den Nebel weg, der sich nur störrisch in der Mitte des breiteren Teils des Sees hielt. Vigor war sich sicher, dass der Sonnenorden dabei durchaus mit Magie nachhalf. Anders waren die dicken Nebelschwaden im trockenen Hochsommer nicht zu erklären. Auf diese Weise schützten die Magier die große Stadt vor neugierigen Blicken. In erster Linie jedoch diente es dazu den Ort und besonders seine Magierschule geheimnisvoll zu machen.

Sie erreichten einen prächtigen, weißen Steg am Nordoststrand. Vigor hatte dessen Umrisse schon von weitem ausgemacht, doch aus der Nähe war das Kalksteinbauwerk ein beeindruckender Anblick, denn es hatte die Größe eines ganzen Hauses. Die Reiter hielten und ließen Wagen und Obsidan den Vortritt. Die Wagenräder klapperten über das Kopfsteinpflaster. Der Torbogen aus weißem Marmor ließ keinen Zweifel, dass es sich nicht um eine arme Stadt handeln konnte. An beiden Enden des Stegs ragte ein solcher Bogen gegen den Himmel. Der Kopfstein hatte eine Goldgravierung mit einer strahlenden Sonne in einem zwölfstrahligen Stern darauf. Der Dorfschulmeister hielt sein Pferd an und gähnte. Vigor sah sich um und dann den Lehrer fragend an. Wie ging es nun weiter? Die einsehbaren Seemeilen waren menschenleer und in der Nebelsuppe dahinter schien sich nichts zu rühren. Vielleicht mussten sie sich irgendwie bemerkbar machen.

»Soll ich mal rufen?«, fragte er schließlich.

Der Dorfschulmeister lachte. »Nur Geduld, mein Junge. Die Fähre ist schon unterwegs.«

»Woher wissen die denn, dass wir da sind?«

»Dieses Ufer ist nicht so einsam und unbeobachtet wie es scheint.«

»Magie?«

»Auch.«

»Was denn noch?«

»Es gibt auch jede Menge Kundschafter und Wachen«, erklärte der Dorfschulmeister. »Du kannst davon ausgehen, dass wir bereits seit Stunden beobachtet werden, vielleicht sogar verfolgt.«

»Sind die immer so misstrauisch?«

»Sagen wir, seit langer Zeit. Allerdings erst, seit Wesen der Finsternis versuchen die Macht zu ergreifen. Ein dunkler Schatten ruht über der Welt und der Sonnenorden bemüht sich, ihn von seinen Landesgrenzen fern zu halten.«

»Schafft er das?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was glauben Sie?«

Der Dorfschulmeister sah dem Jungen in die Augen und schüttelte den Kopf. Ein Schatten fiel auf sie, als die Mittagssonne verdeckt wurde. Vigor drehte blitzartig den Kopf. Vor ihm ragte der Bugspriet eines großen Schiffes auf.

»Ah, die Fähre«, bemerkte der Dorfschulmeister.

Das dreimastige Schiff hatte einen flachen, breit ausladenden Rumpf für viel Stauraum. In der Takelage der Masten kletterte emsig die Mannschaft herum, um die großen, gelben Segel einzuholen, die die Fähre weiterschieben wollten. Die Männer trugen weiße kurze Hosen, keine Schuhe und die meisten von ihnen verzichteten bei dem warmen Wetter auf ein Hemd. Stoff war kostbar, sodass die einfachen Leute ihn nur trugen, wenn es notwendig war. Die Matrosen waren nur als kleine Männchen erkennbar, wie die Ameisen auf einem Haufen. Doch ihre Rufe und das Flattern und Schlagen des Segeltuchs konnte Vigor deutlich hören. Es musste sehr viel Arbeit sein, ein Segelschiff zu fahren. Das Vorschiff fiel mit einem großen Aufbau zwischen Bug und Fockmast auf und am Heck hatte die Fähre eine mächtige Kajüte, die fast das halbe Deck hinter dem Großmast einnahm. Der Besanmast ragte aus der großen Kajüte. Sie diente wohl dazu, den vielen bedeutenden Passagieren die Überfahrt angenehmer zu machen.

Das Schiff drehte weit vor dem Steg bereits ab und wandte seine Breitseite zu ihnen, während es dennoch auf sie zu trieb. Schließlich ließ es den Anker fallen, der ratternd von der Kette ging und ins Wasser klatschte. Vigor war sich sicher, dass die Mannschaft den ganzen Tag nichts anderes tat als hin und her zu fahren. Denn die Maßarbeit die sie leisteten war bemerkenswert. Das riesige Schiff blieb einige Meter entfernt stehen und genau mit der Einstiegsvertiefung, in der Reling der Steuerbordwand, mittig vor dem Steg. Eine beschaulich wirkende Eichenplanke wurde von der Fähre hinunter gelassen. Über eine komplizierte Seilkonstruktion unterstützten zwei Flaschenzüge an Großmast und Besanmast die Männer beim Bewegen der Planke. Sie wuchs beständig, je weiter sie vom Schiff wegkam. Schließlich war sie so breit wie der ganze Steg und aus dem gleichen dicken Holz wie der Schiffsrumpf. Daher waren vier Männer nötig, um die schwere Rampe von Bord zu hieven und trotzdem recht sanft vor dem wartenden Wagen aufsetzen zu lassen. Das Verfahren erinnerte leicht an eine Zugbrücke.

»Hast du gesehen, wir sind nicht die einzigen«, bemerkte Volker.

Vigor drehte sich um. Er war so mit dem Treiben auf dem Wasser beschäftigt gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, wir sich der Steg füllte. Hinter dem Begleitschutz aus der Siebten Armee von Starkenberg hatte sich eine Schlange gebildet. Es standen acht Fuhrwerke hinter ihnen und eine größere Ansammlung von Fußpassagieren. Vigor überschlug die Zahl, es mussten etwa fünfzig sein. Ihrer einfachen, bräunlichen Kleidung nach zu schließen, waren es hauptsächlich Knechte, Mägde oder Erntehelfer. In jedem Fall mussten die meisten aus dem Bauernstand entstammen. Viele Fuhrwerke waren mit Feldfrüchten, wie Kartoffeln und Kohl beladen, was den Verdacht erhärtete. Dazwischen wartete der Planwagen eines fahrenden Händlers. Am Ende stand ein elegant anmutender Reisewagen, der einem reichen Kaufmann oder einem Adeligen gehören musste. Da aber kein nennenswerter Begleitschutz dabei war, konnte es sich nicht um einen Landesherrn aus dem Ausland handeln.

An der Reling neben der Rampe erschien der Bootsmann. Er hatte eine Pfeife um den Hals und trug etwas bessere Kleidung als die Mannschaftsmitglieder, die über die Planke nach unten kamen. Der Bootsmann winkte ihnen oder der Besatzung zu, welche den Steg betraten. Die Matrosen winkten nun den Dorfschulmeister herbei. Der Lehrer fuhr langsam los, dann nahmen zwei Männer seinen Wallach am Zaumzeug in Empfang. Die Matrosen führten sie die Rampe hoch. Es ging sehr langsam aufwärts, man ließ sich Zeit, um keinen Unfall zu riskieren. Die Männer wirkten entspannt. Der Wallach des Lehrers trottete geduldig und sicheren Schrittes über das abgeschabte Holz. Die Matrosen unterhielten sich in Südländisch, der Sprache die auch in Starkenberg gesprochen wurde.

»Das ist ja mal einfach.«

»Geht fast zweimal drauf.«

»Hört auf zu Quatschen, sonst verladet ihr nachher nochmal den Königinnenwagen«, warf der Bootsmann ein. »Wenn das Tier abrutscht, dann liegt ihr drunter!«

»Das ist ein Rückepferd«, bemerkte der eine.

»Das ist mir egal«, warf der Bootsmann zurück. »Es zieht einen Personenwagen und keinen Baumstamm.«

Die beiden Männer machten beschwichtigende Gesichter und passierten den Bootsmann schweigend. Außer Hörweite des Vorgesetzten meinte der eine wieder. »Guter Seemann, aber keine Ahnung von Pferden.«

Der andere nickte.

Vigor fiel nun die Bewaffnung des Schiffes auf. Die Fähre hatte unzählige Ballisten, auf beiden Enden. Auf dem Vorschiff und dem Achterdeck oberhalb der Kajüte, konnte der Junge außerdem zwei fest installierte Katapulte erkennen. Die Schießanlagen wurden allesamt von zwei Soldaten in goldgelben Uniformen bedient oder vielmehr bewacht. Es war fast keine nennenswerte Munition an Deck, sondern nur ein Pfeilgeschoss lag in den Ballisten ohne eingespannt zu sein. Die Katapulte sahen festgezurrt aus, waren also im Augenblick gar nicht feuerbereit. Es zeugte allerdings davon, dass im Kriegsfalle die Fähre alles andere als wehrlos war. Vigor war sich sicher, dass ein Fährüberfall keine gute Idee war.

Vigor, Volker und der Dorfschulmeister stiegen ab.

»Stab«, erinnerte der Lehrer den Jungen, der mit dem Blick überall statt bei der Sache war. Vigor griff seinen Stab und reichte dem Dorfschulmeister die Tasche daneben. Wagen, Pferd und Obsidan wurden in den Laderaum gebracht. Dort gab es eine Art Stall mit Verschlägen, in die jeweils ein Pferd eingestellt wurde. Dafür hatte die Fähre eigens angestellte Stallburschen in weiß und blassgelben Hosen. Daneben war die Haltestelle für die Wagen. Die Zugpferde wurden ausgespannt und der Wagen fest an Bodenringe getaut. Vigor sah, dass die Mehrheit der Fußpassagiere zum Vorschiff wanderte. Viele verweilten auch einfach an Deck. Ein Mannschaftsmitglied wies den Dorfschulmeister, Volker, Vigor und den begleitenden Offizier an, die rechte Treppe zu verwenden. Die anderen Reiter der Siebten Armee folgten. Sie waren als Leibgarde abgeordnet und hatten nicht die Absicht, sich von dieser Aufgabe abbringen zu lassen. Ohnehin gehörten etliche von ihnen ohnehin dem Adel an, denn sie waren Ritter mit eigenen Landgütern. Das wusste aber das Mannschaftsmitglied nicht.

Der fahrende Händler und die Passagiere des eleganten Reisewagens, es war ein Kaufmann mit Frau und Kind folgten ihnen. Obwohl sie näher zu der breiten Treppe standen als Vigor, Volker und der Dorfschulmeister. Doch durch die große Garde, wagten es diese Mitglieder des Bürgerstandes nicht, sich vor den hier offensichtlich anwesenden Adel zu stellen und ließen dem alten Herrn, seinen Jungs und seinen Soldaten mit einer Verbeugung den Vortritt. Oben angekommen, öffnete ein vornehm gekleideter, junger Mann, in gelber und dunkelblauer Gewandung, die Tür in die Kajüte. Auch er verbeugte sich. Der Dorfschulmeister grinste. »So bin ich auch noch nicht empfangen worden.«

Dann schwieg er, während sie den langen, schmalen Gang entlang liefen. Zwei dunkel gekleidete Herren nahmen ihnen das Handgepäck ab, dass nur aus einer Tasche des Dorfschulmeisters bestand. Sie öffneten eine Tür zu einer Kabine, die offensichtlich nicht jedem angeboten wurde. Der Diener, der die Tür öffnete, ging dabei in die Knie. Die Kabine erschlug Vigor mit Prunk. Es war die Lounge für Adelige. Alles noch so unsinnige Mobiliar war mit Gold überzogen und sehr verschnörkelt. Stolze drei Einzelbetten standen in dieser Kabine, die etwa halb so groß war, wie der Vorbau, wo die fünfzig Bauern Platz genommen hatten. Überall hingen dicke Teppiche in allen Farben, sowohl an den Wänden, als auch auf dem Boden. So wollte die Fährlinie die weniger seefesten Adeligen vor dem leichten Seegang auf dem Nebelsee schützen. Aber durch die schiere Größe der Fähre beschränkte sich das Schwanken ohnehin auf stürmische Tage. An dicken weißen Vorhängen vorbei, konnte Vigor hinaus auf das Ufer sehen, wo immer noch Fuhrwerke verladen wurden.

»Kann ich Euch etwas bringen lassen?«, fragte der Diener, der die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, um den Lärm des Schiffes auszusperren. Es drang nur noch dumpf durch die dicke Eichentür. Vigor konnte fast vergessen auf einem Schiff zu sein.

»Ja, bitte«, meinte der Dorfschulmeister. »Jungs, was wollt ihr essen?«

»Hirschfilet«, meinte Volker ohne zu überlegen, »in Rotweinsoße und mit Kartoffeln und Karotten und Erbsen.«

»Sehr wohl«, der Diener notierte mit.

Vigor runzelte ungläubig die Stirn.

»Vigor?«, fragte der Dorfschulmeister wieder.

»Äh.«

»Der Hirsch ist gut hier«, erzählte Volker, als ob er hier jede Woche Hirsch essen würde, was Vigor stark bezweifelte. Außerdem kannte Vigor den Geschmack von Rotwild gar nicht, denn der Verzehr war schließlich ein Privileg des Adels. Aber das konnte Vigor unmöglich vor dem Diener erklären.

»Das Gleiche für mich«, sagte er schließlich.

»Sehr wohl.«

Der Dorfschulmeister lächelte und wandte sich an den Kabinendiener. »Bringt mir die Empfehlung der Kombüse.«

»Sehr wohl.« Der Mann notierte fleißig weiter. Er verbeugte sich nochmals. »Eminenz. Königliche Hoheit. Mein Herr.«

Dann verließ er sie. Volker grinste den verdutzten Vigor an.

»Eminenz«, sagte der große Junge und verbeugte sich übertrieben. Vigor sah seinen Freund an.

»Was soll das jetzt schon wieder?« Er rollte die Augen. »Eminenz...«

»Tja«, Volker grinste immer breiter, »Hochwürden werden sich daran gewöhnen müssen, etwas Besseres zu sein und dies ständig unter die Nase gerieben zu bekommen.«

»Habt Dank für diese Information, oh Königliche Hoheit, dem designierten Großherzog von Starkenberg.« Vigor klang überzogen.

»Ja, genau so ist es«, erwiderte Volker. »Du wirst vielen begegnen, die auf diesen Titelmist sehr viel Wert legen. Und hüte dich davor zu zeigen, dass es dir fremd ist.«

»Warum muss ich so tun als ob ich das wichtig finde?«

»Weil du dich sonst als gemeines Volk verrätst.«

»Na, Klasse.« Vigor verzog das Gesicht.

»Kann man nichts machen.« Volker zuckte die Achseln. »Also wie gesagt, tue einfach so als wäre es normal.«

»Verstanden. Warum hat er mich zuerst genannt?«, fragte Vigor weiter.

»Weil du ranghöher bist«, antwortete Volker. »Magier stehen über den Fürsten.«

»Genauer gesagt, gilt das in erster Linie für die Hohen Magier«, erläuterte der Dorfschulmeister. »Aber im Zweifelsfall bist du ranghöher. Es gibt zwar einige Magier, die unter der Flagge eines Fürstenhauses stehen. Dann ist der Fürst ranghöher, aber das ist nicht die Regel. Bekanntestes Beispiel ist das Königshaus von Hohen-Himmelsstein. Der Magier von Wolkenblick, also der Türkisfarbene Turm, wird immer nach dem König genannt. Dagegen wird niemand die Magierin of Trolley nach Starkenberg oder Siege nennen. Denn der Braune Turm ist unabhängig und gehört zu den Hohen Magiern.«

Die drei begaben sich zu Tisch. Wobei sich Vigor auf den erstbesten Stuhl setzte und Volker daneben. Der Dorfschulmeister ließ sich gegenüber nieder mit dem Rücken zur Kabinenwand. Dann sah er Volker an.

»Wo wir gerade dabei sind, weiß eigentlich Eurer Vater von Vigors Kurswechsel?«

»Nein, das ist unser kleines Geheimnis«, grinste Volker. »Ich werde es ihm in einem Brief mitteilen, den ich dem Hauptmann mitgebe.«

Volker deutete in die Richtung, wo sich wahrscheinlich die Kabine mit den Rittern von Starkenberg befinden würde.

»Ich wunderte mich schon«, bemerkte der Dorfschulmeister.

»War alles recht kurzfristig, oder nicht«, begründete Volker. Anders gesagt hätte der Junge auch zugeben können, dass er es einfach vergessen hatte.

»Das ist wahr.«

»Jetzt macht mal langsam«, unterbrach Vigor die beiden. »Welcher Kurswechsel?«

Volker deutete mit einer Handbewegung auf den Dorfschulmeister. Er sollte erzählen.

»Du warst ursprünglich für eine militärische Gelehrtenausbildung eingetragen«, erklärte der Lehrer. Vigor verzog den Mundwinkel: militärische Gelehrtenausbildung. Was sollte ein militärischer Gelehrte sein? Das widersprach sich in Vigors Augen doch irgendwo gegenseitig.

»Auf diese Weise hätten wir gesehen, welche Verwendung du innerhalb des Großherzogtums hättest einnehmen können«, fuhr der Dorfschulmeister fort, »wahrscheinlich eine Aufgabe am Hof.«

Volker nickte. »Dann hast du halt dick aufgetragen, auf meinem Rücken.«

»Nein«, erwiderte Vigor. »Du hast dick aufgetragen und ich dich wieder zusammengeflickt.«

»Genau, sag ich doch.«

»Als ihr zwei mir von deinen neu entdeckten Fähigkeiten erzählten«, mischte sich der Dorfschulmeister wieder ein, »wusste ich, dass wir dich stattdessen in die magische Ausbildung stecken sollten. Aus diesem Grund haben wir dich entsprechend ausgerüstet. Sobald wir an Land sind, werde ich deinen Kurswechsel beantragen.«

»Aber wozu habt ihr mich jetzt schon als Magier verkleidet?«

»Wir haben dich nicht verkleidet«, Volker schüttelte den Kopf. »Du bist ein Magier, selbst wenn du nackt wärst.«

Vigor seufzte.

»Und außerdem«, Volker sah Vigor an, »geht es wieder darum deine Herkunft zu verschleiern. Wenn du wie ein Gelehrter ankommst und dann zu den Magiern wechselst, dann bist du bei den hohen Herrn gleich unten durch.«

»Hohe Herren, dass sind meine Mitschüler?«, fragte Vigor. »Äh, Kommilitonen, meine ich.«

»Richtig«, antwortete Volker. »Und gut, dass du so was weißt. Ich hätte dieses blöde Wort nicht von der Zunge gebracht.«

»Aber nur weil es dir zu blöd ist.«

»Klar.«

Der Diener und zwei weitere Kollegen brachten das Essen verdeckt unter großen Silberglocken hinein. Vigor betrachtete das polierte Silber. Sein Gesicht spiegelte sich in der Wölbung. Es verschwamm vor seinen Augen, während er glaubte den Geruch eines Holzfeuers zu atmen. Er hatte ein flaues Gefühl, aber die weiß gekleideten Herren brachten ihm vielleicht auch ein Abendessen.

Volker stieß ihn an. Vigor erwachte aus seinem Tagtraum. Der dunkel gekleidete Diener sah Vigor unsicher wartend an. Vigor lächelte höflich ohne den leisesten Schimmer, was man von ihm wollte. Er nickte leicht, wie zum unsicheren Gruß. Nun wurden die Tablettes vor ihnen abgestellt und die Silberglocken abgenommen. Der Diener, der die Bestellung aufgenommen hatte, holte einen Krug Rotwein aus einem Kabinettschrank und begann auszuschenken. Plötzlich meinte der Dorfschulmeister: »Keinen Wein für die Jungs.«

Der Diener nickte, sein Gesicht sah aber empört aus. Wie konnte man den preisgekrönten und weltbekannten Wein aus den sonnigen Landen ablehnen?

»Sonnenakademie«, erwähnte der Dorfschulmeister kurz angebunden. Das Gesicht des Dieners hellte auf. Er winkte einem anderen, der sofort mit einem Krug roten Traubensaft kam. Vigor verstand, sie durften keinen Alkohol trinken. Dass alle Genussmittel in der Sonnenakademie verboten oder beschränkt waren, wusste er allerdings nicht. Doch den Bediensteten war dies bekannt, schließlich waren die Grundregeln der Akademie des Sonnenordens volkstümliches Allgemeingut. Die Diener zogen sich zurück und ließen die drei wieder allein.

»So Jungs, einen guten Appetit allerseits.« Der Dorfschulmeister strahlte über beide Ohren, während er sich die Hände rieb. Vigor und Volker sahen ihn an, dann auf dessen Teller. Die Jungen wussten, warum der alte Lehrer so fröhlich war. Er hatte eine Portion Hirschfilet in Rotweinsoße mit Beilagen vor sich stehen. Volker grinste. »Es muss sich ja auch für Sie irgendwie bezahlt machen, uns zu begleiten.«

»Das hat es sowieso, Königliche Hoheit.«

Während sie aßen, verschwand vor dem Fenster der blaue Himmel in der Nebelbank.

»Ihr hättet Euren Vater wirklich über Vigor aufklären sollen«, sagte der Dorfschulmeister plötzlich. »Seine Königliche Hoheit hätte viel Geld sparen können und für Vigor wäre es einfacher und womöglich förderlicher gewesen.«

»Wieso das?«, fragte Volker skeptisch.

»Die Eignungsprüfung der Universität hätten dem Großherzog und Vigor Planungssicherheit gegeben. Lady of Trolley hätte ihn vielleicht kurzfristig auf seine Talente untersucht und seine Königliche Hoheit beraten.«

»Ja und? Wir wissen, dass er ein Heiler ist.«

»Stimmt«, fuhr der Dorfschulmeister fort. »Das kommt mir aber auch gerade. Wer ist denn der beste Heiler weit und breit?«

»Ach so«, gestand Volker nun. »Sir Mike of Trolley natürlich.«

Vigor hörte schweigend, aber aufmerksam zu. Ihm wurde bewusst, dass die Welt der Herrschenden komplexer war, als er geahnt hatte. Offenbar war sein Sonderweg durch die Stände ein echter Kunstgriff.

»Genau den meine ich.«

»Aber, dann hätte man Vigor und mich getrennt«, verteidigte sich Volker. »Wer hätte ihn dann in die Welt des Adels eingeführt? Es gibt sehr viele Fettnäpfchen in die er treten kann. Jetzt können wir gemeinsam zumindest einen Teil der Ausbildung durchlaufen.«

Vigor unterstützte Volker. »Ich bin froh, dass ich an der gleichen Schule wie Volker bin. Sonst wäre ich ganz allein und ich kenne sonst niemand.«

»Und ich wäre allein, weil mich mag sonst niemand«, brummte Volker, wobei sich Vigor nicht sicher war, ob sein Freund dies ernst meinte und wenn ja, darüber traurig war oder nicht.

»Aber der Sonnenorden wird sicherlich keinen fähigen Heiler abweisen«, vermutete Volker.

»Ich ...« Der Dorfschulmeister stockte. »Nein, wohl nicht.«

Er warf Vigor einen wohlwollenden Blick zu, der den Jungen allerdings eher beunruhigte. Vigor begriff, dass sein Ausbildungsgesuch wohl nicht oft vorkam. Er kannte den Sonnenorden von den Geschichten und Sagen. Aus diesem Grund konnte sich Vigor auch denken, dass eine Ausbildung unter dem Goldenen Turm ein Privileg war, dass sich alle Kinder wünschten und wofür die Familien der Auserwählten tief in die Taschen greifen mussten.

Schließlich brach die Fähre durch die Nebelwand. Vigor und Volker waren an Deck, in der Kabine war ihnen einfach zu langweilig. Vigor sah den Nebel entlang. Eine hohe Klippe begrenzte auf der Steuerbordseite die Bucht, welche das Schiff anlief. Die Nebelwand endete etwa drei Schiffslängen vor dem steilen Fels. Hoch auf dem Berg hinter der Klippe thronte eine Wehrburg. Vor allem der mächtige, rechteckige Bergfried fiel auf, der weit über die Zinnen und Dächer ragte. Die äußere Ringmauer rahmte die ganze Klippe ein. Darunter lag der Hafen. Sie passierten gerade den weißen, runden Leuchtturm am Ende des Mittleren von drei langen Stegen. Im Vergleich zu den mächtigen Bauten am Ufer und der Klippe wirkte das weiße Türmchen geradezu putzig. Direkt am Leuchtturm war auch ein Wohnhaus angebracht, wohl das des Leuchtturmwärters.

Dahinter konnte Vigor die Masten von unzähligen kleinen Fischkuttern erkennen. Die fröhlich bunt bemalten Kutter lagen auch an vielen anderen Anlegestellen, überall da, wo gerade Platz gewesen war. Offensichtlich war der Nebelsee sehr fischreich. Die meisten Schiffe hatten ein oder zwei Masten. Neben den Handelsschiffen und Fähren fielen die Kriegsschiffe durch ihre Bewaffnung auf. Alle Dreimaster waren Fähren oder Linienschiffe. Die Fähren waren dunkelbraun, die Kriegsschiffe dunkelblau und goldfarben angestrichen.

Links von der Hafenanlage zog sich die Stadt Sonnensee um die Bucht, weit bis nach Backbord der Fähre. Vigor ging mit den Augen die Küstenlinie entlang. Die ganze Bucht lag im strahlenden Licht der Spätsommersonne. Auf der linken Seite, begrenzte eine weitere Klippe den weißen Sandstrand. Vigor war sich recht sicher, dass dies einer der wenigen Strände war und die Insel zumeist aus steilen Klippen bestand. Auf der linken Klippe, die Süden sein musste, standen erneut Häuser. Sie schienen deutlich größer zu sein, als die Gebäude der Stadtmitte. Am Rand der südlichen Klippe zum Zentrum hin, stand auf einem fast ebenso hohen Hügel ein mächtiger Palast mit vier dicken, runden Türmen. Die Häuser daneben sahen alle von Weitem schon, groß und prunkvoll aus. Doch wirkten sie gegen den gelben Palast recht zierlich. Die Fähre hielt auf den Pier, hinter dem Leuchtturm zu. Insgesamt erschien die Stadt sehr einheitlich, da die Hausfarben, im Gegensatz zu den Bootsfarben, keine große Auswahl kannten. Es gab in abnehmenden Anteil lediglich backsteingelb, sandsteingelb, backsteinrot und weiß. Meistens hatten Nachbarhäuser die gleiche Farbe, sodass der Hausanstrich blockweise oder mit dem Straßenzug wechselte.

Im Hafenbecken wuchsen die zierlichen Häuser hinter der Hafenkante stetig an. Sie waren alle mehrstöckig, meist drei Stockwerke und einem Spitzdach. Die Häuser am Hafen gehörten wohl dem Mittelstand. Ob diese Stadt überhaupt Armut kannte? Das Klatschen des Ankers riss Vigor aus seinem Gedankengang.

Die breite Planke wurde wieder von Bord gehievt. Interessanterweise waren Vigor, Volker und der Dorfschulmeister mit Wagen und Gefolge nicht nur die Ersten an Bord gewesen. Nun wurden sie auch zuerst von Bord gelassen. Wieder fiel Vigor dies auf, der an die Standesgepflogenheiten aus Adelssicht nicht gewohnt war. Fasziniert beobachtete der Junge mit welchem Aufwand auf dem Schiff rangiert wurde, nur um sie vorzulassen. Es ging an vier Fuhrwerken vorbei, einem halben dutzend Besatzungsmitgliedern, die sich allesamt verbeugten, neugierigen Passagieren und über die Planke in eine irgendwie andere Welt. Volker ritt erst vor, dann neben ihnen her. Der Wagen rollte mit knirschendem Schaben über das ebene Pflaster aus großen Sandsteinplatten. Aus dem gelben Sandstein bestanden alle umliegenden Klippen und war daher schnell verfügbares Baumaterial. Daneben gab es die Backsteine und zu allem Überfluss den Marmor. Sie hielten vor einem schmalen, vierstöckigen Sandsteinhaus mit dicken Säulen und Gewänden. Es war kleiner als einige Häuser drumherum, wirkte sehr robust wie eine winzige Burg mit seinen kleinen Spitzbogenfenstern. Es war das Haus des Hafenmeisters.

»Ich muss kurz unsere Papier unterzeichnen lassen.« Der Dorfschulmeister stieg ab und verschwand hinter der dicken Eichentür. Die beiden Jungen sahen sich um, dann einander an.

»Hier haben einige Leute zu viel Geld«, bemerkte Volker.

»Sieht so aus«, nickte Vigor. »Schloss neben Schloss.«

Hinter ihnen hielt der Reisewagen des Kaufmanns, der auf ihrer Fähre mitgereist war. Auch der Kaufmann verschwand im Haus des Hafenmeisters. Gleichzeitig kam der Dorfschulmeister wieder heraus. Sie fuhren die Hafenpromenade entlang und unter dem mächtigen Palast vorbei. Der vor ihnen in den Himmel wuchs, wie ein von Menschen gebauter Felsvorsprung. Obwohl er weit über dem Hügel thronte, auf dem er und die Nachbarhäuser standen, gingen seine Stockwerke so weit den Hang hinunter, dass er nur etwa eine Häuserhöhe von der Uferpromenade entfernt endete. Es war eindeutig kein Verteidigungsbau. Die Unzahl von gelben Backsteinen, die aufgemauert waren, empfand Vigor als schwindelerregend. Ein so großes Haus mit großen Steinen zu bauen, wäre doch viel sinnvoller. Gewände und Simse waren aus roten Backsteinen zusammengesetzt. Das Schloss war ein riesiges Backsteinpuzzle mit ungefähr hunderttausend Teilen oder so. Vigor zählte die weiten Fenster. Der Palast hatte mindestens acht volle Stockwerke und darüber einen hoch aufragenden Dachstuhl mit schwarzen Schieferschindeln. Mit dem mehrstöckigen Dach kam der Palast auf genau zwölf Geschosse. Alle Fenster waren rechteckig, nur in einem Stockwerk waren sie halbrund und deutlich größer als die anderen. Das Stockwerk befand sich drei Fensterreihen unterhalb der Dachkante. Warum dem so war, erschloss sich Vigor aber nicht. Über jenem Stockwerk wand sich eine Terrasse an der Fassade entlang. Sie bogen um eine Kurve und das Schloss verschwand außer Sicht.

Dafür wurden dem Jungen die recht großen Häuser gewahr, die links und rechts auf den steilen Hängen der südlichen Klippe und des Schlosshügels standen. Ihre prächtigen Fassaden lugten hinter alten Bäumen hervor. Die Straße folgte einem Klamm, den ein Bach gegraben hatte und wie ein Park gestaltet war. Über die Straße führte eine prunkvolle Eisenbrücke, die die Stadtteile verband.

»Der Park hier sind die Villengärten und der Talpark«, bemerkte der Dorfschulmeister während er um sich deutete. Eine Abzweigung nach rechts nahm der Wagen und nun begrenzten geschlossene Reihen großer Stadthäuser die Straße, während sie weiter den Hügel hinaufstiegen. Oben steuerte sie der Dorfschulmeister zielbewusst auf den den Schlossplatz mit einem Garten und Brunnen in der Mitte. Der Wagen mit den Reitern immer noch dahinter überquerte den Platz um vor dem Schloss, nahe dem Brunnen anzuhalten. Auf der Schlossseite durfte wahrscheinlich nur der Goldene Magier stehen bleiben.

»Bleibt hier«, meinte der Dorfschulmeister, als er vom Wagenbock stieg und Vigor bereits aufstand. »Ich muss kurz im Palast etwas abgeben.«

»Können wir nicht mit?«, fragte Volker, noch schneller als Vigor.

»Nein, das würde die Sache nur verzögern.«

Die beiden Jungen sahen ihn fragend an.

»Ihr seid weder mächtige Herrscher noch Mitglieder der Sonnenakademie«, erklärte der Dorfschulmeister. »Ohne Audienz kommt ihr an den Wachen hier nicht vorbei.«

Er deutete, mit einem gerollten Papier in der Hand, auf die mit langen Hellebarden bewaffneten Wachposten in gelben Uniformen, die links und rechts des Haupteingangs vor den mannsdicken, runden, fast schwarzen Marmorsäulen standen. Vigor verstand nun den Sinn der halbrunden Fenster. Das besagte Stockwerk bildete auf dem Gipfel des Hügels das Erdgeschoss und die Fenster passten zum Eingangstor. Der Lehrer schritt zügig zu den beiden Wachen hinüber. Diese machten schon von weitem eine abweisende Geste, indem sie die Hellebarden kreuzten. Der Dorfschulmeister schien aber unbeirrt zu sein. Er griff in seine Tasche und zog an einer Kette eine Goldmünze hervor, welche er dem rechten Wächter zeigte. Der Wächter nickte und die Hellebarden wichen zurück. Nun standen beide Männer stramm, bis der Dorfschulmeister an ihnen vorbei und hinter der dicken Eichentür verschwunden war. Dann widmeten sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Straße.

Die Jungen musterten das Schloss, um sich die Zeit zu vertreiben. Viel passierte auf dem Schlossplatz nicht. An allen drei Eingängen standen zwei Wachposten. Die Fenster- und Türgewände, sowie die Simse waren mit einem sehr verspielten, aufwendigen Muster behauen. Jeder Stein hatte einem Ziegler wohl mehrere Tage Arbeit gemacht. Die große Terrasse über dem Erdgeschoss umschlang das Schloss mit einem weiß bemalten, schmiedeeisernen Geländer. Das gleiche Kunstwerk des Schmiedehandwerks krönte die kuppelförmigen Dächer der vier Türme. Überhaupt hatte Vigor schon viele geschmiedete Geländer, Zäune und sonstige Abgrenzungen bemerkt. Offenbar verstanden in Sonnensee nicht nur die Ziegler, sondern auch die Eisenschmiede ihre Arbeit. Die Menschen die über dem Schlossplatz huschten, fielen Vigor und Volker nicht sonderlich auf. Es schienen mehr Wohlhabende darunter zu sein, denn ihre Kleidung war bunt und gepflegt. Aber das war schon alles. Vom Schlossplatz aus konnten die Jungen die Eisenbrücke entlang sehen. Die Anwesen auf der entfernten Seite ragten über die alten Bäume und bekräftigten mit ihrem Prunk erneut Vigors Verdacht, es wäre ein Villenviertel. Schließlich erschien der Dorfschulmeister aus dem Palast.

»So Jungs, dann geht es jetzt weiter«, sagte er, ohne ein Wort darüber zu verlieren, was er eigentlich gerade getan hatte. Vigor dachte sich, dass der alte Lehrer nicht darüber reden wollte. Volker dachte sich das auch, allerdings wollte er es nicht dabei bewenden lassen.

»Was hattet Ihr den zu erledigen?«, fragte er, während er auf Obsidan, neben dem Wagenbock her ritt.

»Ach...«, fing der Dorfschulmeister an. »Ich habe nur Vigors Kurswechsel beantragt. Der Hafenmeister sagte mir, dass ich den Sohn des Golden Magiers im Palast finde. Er ist für die Akademie zuständig.«

»Ach...«, meinte Volker, »so.« Er wunderte sich, was der Dorfschulmeister verheimlichte. Vigor grinste, wenn sie schon mal beim Bohren waren, dann könnte er ja auch dicke Bretter versuchen.

»Herr Lehrer, was ist das eigentlich für ein Medaillon an dieser Kette?« Vigor deutete auf die Hose des Dorfschulmeisters.

»Euch Zweien entgeht auch nichts, oder?«

Der alte Lehrer lachte und zog das Goldmedaillon aus der Tasche. Es war ein sehr großes Goldstück mit einer eingravierten Sonne in einem zwölfstrahligen Stern darauf, auf beiden Seiten. »Das ist der Nachweis, dass ich zum Rat der Sonne gehöre.«

»Was ist das?«, fragte Vigor weiter.

»Das ist ein Zusammenschluss von Gelehrten, die sich unter Führung des Goldenen Turms regelmäßig treffen, austauschen und einander informieren. Alle Mitglieder des Rates haben das Ziel die Welt ins Licht zu führen und die Mächte der Finsternis zurückzuschlagen.«

»Klingt sehr dramatisch«, bemerkte Vigor.

»Dramatischer als es ist«, erzählte der Dorfschulmeister. »Meistens analysieren wir irgendwelche Indizien und Entwicklungen für irgendetwas.«

Zwischenzeitlich passierten sie ein weiteres, prächtiges Schloss aus rotem Backstein geziert mit gelben Sandsteingewänden und zahlreichen, quadratischen Türmen. Es war deutlich kleiner als der Palast, allerdings glichen die großen, teilweise bunt verglasten Fenster und die geschwungenen Kuppeldächer aus grün angelaufenem Kupfer dies wieder aus. Der Eigentümer hatte offensichtlich Macht und Ansehen. Der Dorfschulmeister folgte Vigors Blick.

»Das hier ist das Grafenschloss, der Herren von Skard. Gründer der Grafschaft und Stadt Sonnensee.«

Der Junge nickte. Die Häuser schrumpften nicht. Doch nach einer Biegung stieg der Hügel weiter an. Die Straße, mit dem hier eindeutig nichtssagenden Namen Schlossstraße, führte schnurgerade hoch auf die Klippe nach Nordosten hin, dann wandte sie sich nach Osten. Dort konnten die Jungen bereits die Umrisse der Burg ausmachen. Vor den sandsteingelben Burgmauern stand ein kleines, dreistöckiges Schloss auf der linken Seite, mit zwei dicken runden Türmen. Es war mit Schießscharten gekrönt und wirkte ein bisschen wie eine verspielte Vorburg. Doch mit der eigentlichen Wehranlage nichts zu tun hatte. Der graue Stein der Schlosswände war zum Teil weiß gestrichen und die vielen Spitzbogenfenster machten es nicht gerade wehrhaft. Beim Vorbeifahren sah Vigor, dass es einen ziemlich weitläufigen Seitenflügel hatte und als Dreiseitenhof angelegt war. Auf jeden Fall bot es eine erstklassige Aussicht, da sich der Hügel zu einem Grat verengte, der neben dem Schloss, nur noch für die Straße Platz ließ. Der Eigentümer hatte also völlig freie Sicht nach zwei bis drei Seiten. Hinter dem Schloss konnte Vigor eine weitere Bucht mit noch mehr Stadt drumherum entdecken.

»Das hier ist das Schloss am See«, erzählte der Dorfschulmeister. »Wichtig zu wissen, denn hier wohnt euer zukünftiger Schulmeister.«

»Sonnenorden Junior?«, fragte Volker nach.

»Richtig, das ist der Sitz von ihm und seiner Familie.«

»Und was ist mit dem großen Palast?«, wunderte sich Vigor.

»Dort wohnt Sonnenorden Senior.«

Vigor schüttelte den Kopf. Kein Wunder, dass es hier so viele Schlösser gab, wenn jeder aus der Familie sein Eigenes brauchte. Bis dann auch die Großtante der Exfreundin ihr Herrenhaus hatte, bekam man eine Stadt schon voll.

Der Grat stieg zwischen die Bäume und den immer steileren Abhang. Schließlich gab eine Linkskurve den Blick auf das Torgebäude frei. Das Torhaus war mit zwei dicken, runden Türmen befestigt, die kaum höher als die Burgmauer und mit einem Flachdach und Zinnen versehen waren. Links hatte der Wehrgang noch zwei Türme ähnlichen Formats bevor die Klippe dort endete. Rechts vom Tor zog sich die Mauer mit einem scharfen Knick entlang des Fels, bevor die Ringmauer nach einem weiteren Knick die lange Südseite der Klippe mit etlichen Türmen befestigte. Die Wand war schlichtes Bruchsteinmauerwerk mit auf Rundbögen überhängender Brüstung und symmetrischen Zinnen. Wächter sahen Vigor und Volker auf den Wandelgängen allerdings keine. Die Klippe fiel unter der Burg fast senkrecht ab.

NACHT ÜBER DUNKELHEIT

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