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5. Kapitel: Der Eid des Sonnenordens

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Vigor öffnete die Augen. Neben sich sah er fünf weitere Betten mit dicken, weiß bezogenen Kissen und Daunendecken. Nachttische und Bettgestelle waren aus schlicht gezimmertem Birkenholz. Sie standen auf dem nackten, dunkelbraun gebeizten Dielenboden. Er war allein und lag offenkundig in einem Krankenzimmer irgendwo in einem Obergeschoss der Sonnenakademie. Zwischen den weißen, geschwungenem Holzvertäfelungen ließen große, rechteckige Sprossenfenster viel Licht hinein, dass sich durch die Regenwolken kämpfen musste. Er hatte einen Verdacht wo er war und sah im Bett liegend hinaus. Die Wiese der Hinterburg lag im trüben Grau des Morgens. Der Wind der über die Klippe jagte, rüttelte an den Fenstern. Die Ruhe war erholsam, aber ungewohnt, auch weil er die letzten Jahre zumeist in Gruppenzimmern verbracht hatte. Aber das war es nicht. Schließlich hatte er in der Schmiede auch allein geschlafen. Das Gefühl war vertraut, nicht angenehm aber vertraut. Vigor fühlte sich einsam und allein gelassen. Irgendwie drängte sich ihm die Frage auf, ob er zuvor verlassen worden war. Er wusste es nicht. Komischerweise überlagerte die empfundene Einsamkeit auch jede Furcht vor Gefahr. Vielleicht auch deshalb, da ihm seine eigene Bedrohungslage unbekannt war. Was würde er tun, wenn wieder etwas passieren würde?

In diesem Moment kam Sonnenorden Junior herein, begleitet von einem Mann von vielleicht dreißig. Der Arzt war ein junger Magier in weiß und goldfarbener Gewandung, strohblondem Haar und einem freundlichen Gesicht. Sie sprachen in Flüsterstimme miteinander, ohne auf Vigor zu achten. Der Junge verkroch sich in seinem Bett und horchte durch ein kleines Guckloch zu.

»Ich möchte mit der Vernehmung anfangen, ist er dazu fähig?«, fragte Sonnenorden Junior.

»Ja, Eminenz«, erwiderte der Arzt. »Er ist aber noch sehr schwach, Ihr solltet nicht zu viel von ihm verlangen.«

»Das stört nicht, manchmal macht es die Sache einfacher.«

»Wünscht seine Eminenz der Goldene Magier nicht, den Patienten zu sehen?«, fragte der Arzt.

»Nein, mein Vater überlässt die Ausbildung voll und ganz mir«, entgegnete Sonnenorden Junior. »Für ihn sehen die Jungen sowieso alle gleich aus.«

»Trotz des außergewöhnlichen Falles nicht?«

»Nein, auch jetzt nicht. Zwischenfälle kommen vor.«

Sonnenorden Junior wollte sich die Sache gar nicht erst von seinem Vater streitig machen lassen. Am Ende würde der vielleicht einzige ungewöhnliche Fall seiner Verantwortung entzogen. Schließlich tat sich der alte Magier sehr schwer, irgendetwas aus der Hand zu geben. Sonnenorden Junior bemühte sich also, das Interesse seines Vaters so wenig wie möglich zu wecken.

»Was geschieht eigentlich mit dem Waffenlager? Wird es wieder aufgebaut.«

»Ja, und zwar genauso wie es war.«

»Nicht verstärkt, es sollte doch Zaubersprüchen standhalten können, sonst passiert vielleicht Schlimmeres.«

„So etwas ist noch nie passiert und wird auch nicht nochmal passieren. Die Konstruktion war magiesicher und hielt auch dem Gewaltwortzauber stand.“

»Aber es wurde dem Erdboden gleich gemacht.«

»Weil die Struktur bereits angegriffen und verschlissen war.«

Der Arzt nickte und drehte sich um. »Er ist wach.«

Sonnenorden Junior wandte sich zu Vigor. »Endlich.«

Er zog die Decke des Jungen zurück. Vigors Kopf und bloßer Oberkörper kamen zum Vorschein. Vigor kroch auf die andere Seite der Matratze und warf einige schnelle Blicke durch den Raum, seinen Zauberstab suchend.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, sprach Sonnenorden Junior. »Ich werde dir nichts tun.«

Vigor sah ihn misstrauisch an. Er entdeckte seinen Zauberstab hinter dem Nachttisch an die Wand gelehnt und streckte sich danach. Seine Finger versuchten das Holz zu erhaschen.

»Wo bin ich?«, fragte Vigor, um Zeit zu gewinnen.

»Du bist im Krankenflügel«, erklärte der Arzt.

»Was ist denn passiert?«

»Du hattest einen Unfall«, erwiderte der Arzt und sah Sonnenorden Junior fragend an. Vigor griff seinen Stab, niemand schien einen Versuch zu unternehmen, ihn zu entwaffnen.

»Versehentlich hast du eine Explosion ausgelöst und damit eine Kettenreaktion in Gang gesetzt«, ergänzte Sonnenorden Junior, »die ziemlich viel kaputt gemacht hat.«

»Oh.« Vigor klang betroffen. Er wollte seine Schule doch nicht am ersten Tag schon klein schlagen.

»Aber keine Sorge, wir kümmern uns bereits darum. Es ist allerdings ein sehr großer Schaden, weswegen es viel Zeit und Arbeit in Anspruch nimmt.«

»Das tut mir Leid.«

»Es ist alles kein Problem«, erwiderte Sonnenorden Junior, »solange du mit uns und insbesondere mit mir zusammenarbeitest.«

Vigor nickte. Der Magier wandte sich an den Arzt. »Danke, das wäre im Moment alles.«

Der Arzt verbeugte sich und verließ die Raum. Sonnenorden Junior winkte mit drei Fingern zur Tür, diese schlug zu.

»Zum einen erwarte ich von dir, dass die Geschehnisse geheim bleiben.« Der Magier sah ihn mit Nachdruck an. »Zum anderen will ich mit dir über deine Eltern reden.«

»Ihr wisst wer sie sind?«, platzte Vigor heraus. »Leben sie noch? Wo sind sie? Kann ich sie sehen?«

»Nein, ich will von dir wissen, wer deine Eltern waren und was sie taten.«

»Aber ich kenne sie nicht.«

»Was heißt du kennst sie nicht? Jeder kennt seine Eltern.«

»Ich aber nicht.«

»Das lässt sich einfach überprüfen.«

Vigor sah ihn fragend an. Sonnenorden Junior legte seine Hand Vigor auf den Kopf. Er lächelte. »Revelarus.«

Vigor hatte ein flatterndes Gefühl im Kopf. Der Magier drang in Vigors Gedächtnis ein. Er durchsuchte die Erinnerungen des Jungen; Waisenhaus, viele Reisen und diverse Freizeitspiele waren alles. An einigen Stellen schien gähnende Leere zu herrschen. Letztendlich fand der Magier nichts über Vigors Eltern.

»Hm, Gedächtnisverlust. Eines Tages wird es dir vielleicht wieder einfallen«, bemerkte Sonnenorden Junior. »Du findest dich heute Nachmittag in meinem Büro ein, damit wir die organisatorischen Angelegenheiten vor der Ausbildung regeln können.«

»Wo finde ich das?«

»Raus aus der Burg, rüber ins Schloss am See. Dort im Flügel zwischen Innenhof und Nordbucht. Ein Pförtner am Schloss wird dir den Weg erklären.«

Mit diesen Worten verließ Sonnenorden Junior den Saal. Zwei Wachleute in gelben Uniformen kamen dafür hinein. Volker stürmte an ihnen vorbei. »Vigor, du bist wach.«

»Hallo, Volker wie geht es?«

»Mir jetzt besser. Man wollte mich ewig lang nicht zu dir lassen. Und selbst?«

»Gut, habe ich viel verpasst?«

»Nein, knappe zwei Wochen, also für dich eher zwei Tage.«

»Ha ha«, erwiderte Vigor. »Ernsthaft, weil ich muss nachher schon zur Ausbildung.«

»Prima, dann kannst du gleich richtig mitmischen. Aufgemischt hast du ja schon alles.«

»Was meinst du?«

»Na ja, da war schon was los, nachdem du die Bude mal so richtig platt gemacht hattest. Schlechte Laune gehabt oder so?«

»Nein, es war ein Unfall. Die Steine waren porös und daher ist das Gebäude zusammengebrochen.«

»Zusammengebrochen?«, lachte Volker. »Du untertreibst. Das war ein Schleifen aller erster Güte und die Fetzen in alle Richtungen verteilt.«

»Das war ein Versehen.«

»Klar, man sprengt mal eben so ein Gebäude aus Versehen. Hoppla. Das war der Nachbar.« Volker grinste. »Oh, Mist, das war die Burg. Wem willst du das erzählen?«

»Dir.« Vigor streckte die Zunge heraus. »Wen sollte ich sonst für dumm verkaufen können?«

»Du warte, sonst mach ich dich in deinem Bett so platt, wie du ein massives Gewölbe. Also erzähl mir keinen Stuss.«

»Doch es war wirklich ein Unfall«, beharrte Vigor. Volker verschränkte die Arme. Vigor deutete mit den Augen Richtung Tür. Volker runzelte die Stirn.

»Das ist wie bei der ersten Nacht bei der Floßfahrt. Man muss sich in der Wortwahl immer an den Gegenüber anpassen.«

»Sonst führt es zu Missverständnissen mit jeder Menge Ärger«, erwiderte Volker. Er hatte verstanden und wechselte aus dem Stand das Thema.

»Du kannst mir auch helfen, meinen neuen Freund aufzumuntern. Er ist ein wenig niedergeschlagen.«

»Warum das?«

»Du weißt doch das übliche, Mutterverlust und so.«

»Da sind wir ja Experten drin.«

»Genau, in seinem Fall sind ein Paar Spinnen heiß auf die Braut gewesen. Also dann bis nachher und lass dich nicht von den Dämonen beißen.«

Volker verließ den Saal.

Knappe zwei Stunden nachdem Volker gegangen war, tauchte der Arzt wieder auf. »Wie fühlst du dich?«

Vigor zuckte die Achseln. »Gut, denke ich.«

»Dann kannst du gehen«, erwiderte der Arzt. »Am besten sucht du zunächst seine Eminenz im Schloss am See auf.«

»Werde ich tun.«

Vigor rappelte sich auf, schob die bloßen Füße aus dem Bett und setzte sich auf die Kante. Seine Kleidung lag säuberlich auf einem Nachttisch neben seinem Bett. Er schlüpfte wieder in seine Hose, zwängte seine Füße in die Lederbundschuhe und zog sich das Hemd über. Jedes Mal wenn er das weiße Hemd anzog und ihm der offene Kragen wieder über die Schulter rutschte, musste er daran denken, dass es Volker zu eng war. Vigor schüttelte den Kopf und zog den Ausschnitt nach vorne über die Brust. Wie konnte man in seinem Alter nur so groß sein?

»Auf dann.« Der Junge verabschiedete sich, schnappte seinen Mantel und verließ den Raum. Er folgte der Treppe hinunter ins Erdgeschoss und hinaus aus dem Krankenflügel.

Tatsächlich war er im Gebäude mit den großen, rechteckigen Fenstern. Vigor fand es das wohl wohnlichste Gebäude der Burg. Außerdem schien es auch das Eleganteste zu sein, denn die Fenstersimse waren mit Absätzen und die Wände mit Sockel und anderen Zierelementen versehen.

Vigor durchquerte das Torhaus daneben zurück in die Hauptburg. Vorbei am Bergfried zu seiner Linken und trottete er über das Ensemble aus Brücken, Türmen und Toren. Auch in der Vorburg rührte sich nichts. Lediglich im Wärterhäuschen saßen zwei Männer und sahen kurz aus dem Fenster. Das Häuschen war wohl genauso alt wie der Krankenflügel, denn es war in einem ähnlichen Baustil. Das Pflaster war nass, es musste am frühen Morgen geregnet haben. Das Haupttor hinaus auf die Straße stand offen. Vigor fand das irgendwie bescheuert. Die Festung verfügte über derart viele Verteidigungs- und Sicherheitsanlagen und so ziemlich gar keine davon wurden genutzt.

Die Stadt lag in geschäftigem Trubel vor ihm. Bereits durch das offene Tor blies der Wind Vigor ins Gesicht. Weit oben auf der Klippe schirmten nur die große Gebäude ein wenig die Böen ab. Das Schloss am See war weit größer als Vigor gedacht hatte. Alle erdenklichen Teile, sogar die wuchtigen Kamine waren mit Zinnen gekrönt. Der Repräsentationsbau mit den beiden Türmen formte lediglich den rechten, sich abspreizenden Schenkel eines Dreiseitenguts und war der Straße am nächsten. Richtung Norden lag quer die Basis, welches den dreistöckigen Wohnflügel beherbergte. Den linken Schenkel bildete ein nur zweistöckiger Bau, der offenkundig die Nutzräume wie Küche und Lager beinhaltete. Wie der Repräsentationsbau war auch das spitze Ende der Nutzräume aus gehauenen Sandsteinen aufgemauert. Weißer Putz kleidete den Rest des Schlosses und musste ständig gestrichen werden. Lediglich die Spitzbogenfenster waren stets aus dem naturbelassenen Sandstein. Den Innenhof füllte Bäume und Sträucher. Am Repräsentationsbau war in einem dreieckigen Anbau der Haupteingang angebracht.

Vigor blieb vor dem Spitzbogen in der Gartenmauer stehen mit einem Metallgatter darin, welches Vigor spontan an eine Gefängnistür erinnerte. Er sah erwartungsvoll durch die kunstvoll geschlagenen Eisenstäbe. Ein Wachmann in gelber Uniform erschien.

»Was willst du, Junge?«, fragte er.

»Ich habe eine Audienz...«, fing Vigor an. Wie lautete eigentlich die korrekte Bezeichnung des Magiers zu dem er wollte? Er wusste, dass er Sonnenorden Junior aufsuchen sollte, aber das war wohl kaum der richtige Name. Glücklicherweise schien dies den Wachmann nicht zu stören, vielleicht gab es in dem Haus nicht allzu viele Leute, mit denen man eine Audienz haben konnte. Tatsächlich konnte sich jeder aus der Wachmannschaft des Schlosses denken, dass wenn ein Schuljunge vor dem Haus des Rektors steht, der Schüler wohl zu diesem wollte.

»Du weißt, wo das Arbeitszimmer ist?«

»Nein.«

»Es ist ganz einfach. Da rein, durch die Empfangshalle, die Haupttreppe ganz hoch und dann links in den Quergang. Am Ende die Treppe hoch und dann nochmal links. Es ist die letzte Tür.«

»Ganz einfach?«, Vigor sah ihn an.

»Die Gemächer wären schwieriger zu erklären.«

»Na dann.«

Vigor lief an dem Wachmann vorbei und die Treppe hoch zur Tür. Der Garten war dicht bewachsen. Sonnenorden Junior wollte keinen großen Rasen haben. Ein Pförtner öffnete die Tür und ließ Vigor hinein.

Vigor fand das Gebäude innen so beeindruckend wie außen. Die Räume hatten knapp fünf Meter Deckenhöhe. Massiger Stuck und breite Wandtafeln zeugten von viel Geld und Macht. Das Treppengeländer war aus Baumstämmen gefertigt worden, denn Vigor konnte mit seiner Hand den Handlauf nicht umfassen, so gewaltig war er. Das dunkel gebeizte Holz führte ihn nach oben, über die knarrende Treppe. Schließlich erreichte er den zweiten Stock, der sich in seinen Beinen eher wie der Vierte anfühlte. Der Quergang war mindestens so breit wie Vigor groß und führte auf ein Spitzbogenfenster zu. Dann ging die Treppe hinauf zum Turmzimmer ab. Durch ein Fenster konnte er über den mit Zinnen gekrönten Wohnflügel blicken. Dahinter musste die Klippe steil abfallen, denn selbst neben den Schlossmauern war nur noch der Horizont zu sehen.

Vigor drehte sich zu einer großen, dunkel gebeizten Tür und klopfte. Er hörte drinnen ein leises »Öffnen.«

Dann ging die Tür auf, ein Mann mit Bart stand darin und deutete mit der Hand in den Raum. Vigor trat ein.

Das Arbeitszimmer von Sonnenorden Junior war ein rechteckiger Saal, nur an einer Seite, wo der Turm stand, war ein Halbkreisbogen aus Fenstern. Davor stand der Schreibtisch und Sonnenorden Junior saß mit dem Rücken zum Tisch und sah aus dem Fenster. Erst nachdem sich die Tür schloss, drehte sich der Magier um. Er sah Vigor an, zuckte kurz mit den Augenbrauen und schrieb dann einige schnelle Zeilen auf ein Blatt Pergament. Vigor sah, dass neben ihm und dem bärtigen Mann, ein weiterer Herr mit kupferbraunem Umhang und rotem Haar im Zimmer war. Er trug einen Stab mit einem runden Edelstein. Vigor schloss daraus, dass er ein Magier war.

»Gut«, fuhr Sonnenorden Junior fort. »Dann veranschlagen wir die Prüfung für Nebelmond. Das wäre dann alles.«

Vigor fiel auf, dass der Mann mit Bart mitschrieb. Er war wohl der Schreiber von Sonnenorden Junior.

Der andere Magier nahm das Pergament, verbeugte sich und ging zur Tür.

»Ach so, Crest«, bemerkte Sonnenorden Junior plötzlich.

Der Magier blieb stehen und sah ihn an.

»Dieser Junge hier, gehört zur neuen Jahrgangsstufe. Also zu Euren.«

Crest nickte. »Die Bettenbelegung ist schon durch. Aber ich denke dass wir im Königsblock noch Platz finden werden.«

»Nicht notwendig«, bemerkte Sonnenorden Junior. »Ich habe mit Skard gesprochen. Er war für T6 eingeplant, dort soll er jetzt auch drin bleiben.«

»Ganz wie Ihr wünscht.«

Wieder kratzte die Feder im Hintergrund.

»Er wird heute Nachmittag an allen Kursen teilnehmen«, erklärte Sonnenorden Junior. »Gebt ihm einen Überblick was er magisch aus den letzten zwei Wochen nachzuarbeiten hat.«

»Sehr gerne.« Crest nickte höflich, dann lächelte er Vigor freundlich an, drehte sich um und ging. Der Schreiber notierte im Augenblick in zwei Büchern. Vigor fiel der Zeitraum auf. Er hatte geglaubt Volker hätte einen Scherz gemacht.

»Wie ist Euer Name?«, fragte der Schreiber unvermittelt. Vigor grübelte. Das hieße er war tatsächlich zwei Wochen besinnungslos im Bett gelegen. Was er nur angestellt hatte? Hatte er jetzt eine zweite Gedächtnislücke?

»Wie ist Euer Name, junger Herr?«, wiederholte der Schreiber. Erst jetzt begriff Vigor, dass er gemeint war.

»Äh, Vigor.«

»Mit V?«, fragte der Schreiber.

»Ja.«

»Dachte ich mir«, bemerkte der Schreiber. »Dann mit ou oder doch nur mit o?«

Vigor überlegte. Halte es einfach, dachte er sich. »Nur mit o«, entschied er schließlich.

»Oh«, der Schreiber klang überrascht. »Vigor von?«, brummte der Schreiber ohne aufzublicken, während er fortwährend schrieb.

»Danke, das wäre dann alles«, warf Sonnenorden Junior ein.

»Sehr wohl«, erwiderte der Schreiber. Er brach seine Notizen und Fragen ab, während er begann aufzuräumen. »Kein Protokoll?«

»Schreiber, geht und macht eine Pause.«

»Eminenz.« Der Schreiber verbeugte sich stirnrunzelnd und verließ den Saal.

»Lasst die Tür offen.«

»Sehr wohl.«

Sonnenorden Junior musterte Vigor, während der Junge den verhallenden Schritten des Schreibers lauschte. Schließlich ging entfernt im Schloss eine Tür und es kehrte Stille ein.

»Nun Vigor«, begann Sonnenorden Junior. »Tritt hinaus auf den Flur.«

Der Junge verstand gar nichts mehr, aber tat wie befohlen. Er ging nach draußen und stand in der offenen Tür.

»Siehst du jemand?«

Vigor sah nach rechts und links. Es war niemand da.

»Nein.«

»Gut, dann komm rein und schließe die Tür.«

Nun wurde es gruselig, fand Vigor. Er schluckte. Der Magier wollte keine Zeugen. Aber wofür wollte er keine? Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube schloss Vigor die Tür hinter sich.

»Nimm Platz«, wies Sonnenorden Junior an. »Bist du schon vierzehn?«

»Angeblich schon.«

»Angeblich trifft es ziemlich gut.«

Vigor zuckte die Achseln. Woher sollte er wissen wie alt er war. Noch nicht einmal seinen Namen kannte er. Doch der Oberste Aufseher hatte ihn dreizehn geschätzt, sodass er in etwa so alt wie Volker wäre oder ein bisschen jünger halt.

»Hm, wer hat deine Unterlagen unterschrieben?«, brummte Sonnenorden Junior. Er sah einen Stoß Papier durch. »Ah, der Herr Balz. Dann wird dem so sein.«

»Was wird so sein?«

»Nun, du bist neu in dieser Welt und weder du noch deine Vorfahren haben bislang bewiesen, dass sie treu und gehorsam zum Sonnenorden und seinen Zielen stehen.«

Vigor sah den Magier an, denn er wusste nicht, was er dazu sagen sollte.

»Nun wirst du Gelegenheit bekommen, dies unter Beweis zu stellen. Die Ausbildung an der Sonnenakademie ist ein Privileg, das verdient werden muss. Es kann nicht sein, dass jemand eine Eliteausbildung genießt und uns anschließend in den Rücken fallen könnte.«

»Verstehe.«

»Aus diesem Grund wirst du einen Treueeid ableisten, der dich auf Lebenszeit an den Goldenen Turm bindet.«

»Was heißt das?« Vigor mochte das Wort anbinden gar nicht. Er dachte dabei an Fesseln.

»Du weißt sicher, was ein Lehnseid ist?«

»Ja, so ungefähr.«

»Lehnsmann und Lehnsherr sind aneinander gebunden, durch die Verpflichtungen zu Abgaben, Bewirtschaftung, Beistand und Schutz.«

Vigor nickte.

»Ähnliches gilt auch für den Treueschwur, den du ablegen musst. Der Unterschied liegt lediglich im Strafvollzug bei Eidbruch.«

Vigor runzelte die Stirn.

»Was steht darauf, wenn ein Lehnsmann seinen Eid bricht?«

»Die Todesstrafe, Eminenz.«

»Korrekt«, nickte Sonnenorden Junior. »Beim magischen Treueeid wird diese Strafe unmittelbar vollzogen.«

»Das heißt?«

»In dem Augenblick in dem du uns verrätst, stirbst du.«

Vigor machte große Augen.

»Aber du willst uns nicht verraten, oder?«, fragte Sonnenorden Junior mit einer merkwürdig freundlichen Stimme.

Der Junge wusste, dass es eine rhetorische Frage war, denn es gab nur eine Antwort darauf. Bei einem Nein, da war sich Vigor sicher, würde man ihn auf der Stelle hinrichten. Nach den Geschehnissen im Waffenlager war das hier sicherlich kein Spiel mehr. Er hatte eigentlich keine Wahl, auch wenn man ihn das wohl Glauben lassen wollte.

»Natürlich nicht.«

»Gut, dann werde ich dir in Kürze den Schwur vorsprechen und du wirst ihn wiederholen.«

Vigor nickte, irgendwie wurde ihm immer heißer.

»Zunächst musst du aber verstehen, um was es überhaupt geht.« Sonnenorden Junior hielt ihm ein Pergament hin. »Lies es.«

Vigor nahm das Blatt und begann zu lesen. Es war in südländischer Sprache verfasst mit der Überschrift: Die Maxime des Lichts: Ansichten und Prinzipien des Guten der Moderne – Aktualisierter Aufsatz von Antonius vom Lichtermeer – Magier des Weißen Turms – Zusammenfassung von Lady Margaret of Trolley, Magierin des Orangefarbenen Turms.

Alleine die ewig langen Angaben in der Überschrift versprachen einen nicht gerade spannenden Text. Der Junge überflog ihn mit den Augen. Glücklicherweise war die Kurzfassung in Stichpunkten gehalten. Vigor fand zwei Arten von Forderungen. Die eine war unverständlich und die andere vertrat die üblichen Ansichten, welche Vigor für selbstverständlich hielt.

Zunächst wurde das Leben als höchstes Gut beschrieben. Der Erhalt von Leben, insbesondere jungem Leben, das als unschuldig definiert wurde, galt als oberstes Gebot.

Als Nächstes kam die Forderung der Schwarzen Magie Grenzen zu setzen, um den Seelenfrieden zu wahren. Da Vigor absolut keine Ahnung von Schwarzer Magie hatte, stieg er an diesem Punkt aus.

Die Schlussfolgerung dass Untote zu bekämpfen waren, leuchtete ihm ein. Insbesondere nach den Erklärungen des Dorfschulmeisters im vergangenen Sommer, konnte Vigor sich ausmalen, warum die Vampire vernichtet werden sollten. Was ebenfalls gefordert wurde.

Das Konzept der Kristallgerechtigkeit verstand der Junge nicht. Es verbot die Fusion von magischen Kristallen, sowie deren feindliche Übernahme oder den Raub magischer Kräfte. Hier wurde gefordert, das für eine gerechten Magieverteilung die Zusammenführung oder Verschiebung unzulässig war und daher nicht anzustreben sei. Auch die Heirat zwischen zwei herrschenden Magiern wurde untersagt.

Das grundsätzliche Gnadengebot passte zur Leitklausel zu Beginn. Weitere Forderungen zu Ehre, Gerechtigkeit, Treue und Sittlichkeit schlugen die Brücke zum Kodex der Ritter und dem Königskodex nach Keeper, die Vigor zwar nicht im Detail kannte, aber von denen er teilweise im Schulunterricht in Waldfischweiler gehört hatte.

Vigor war froh, dass diese Lady Margaret offensichtlich sehr bemüht um schülergerechte Textlängen war. Denn an den vielen Zitatzeichen, die alle zwei oder drei Worte den Originaltext unterbrachen, konnte er erkennen, dass die Aktuelle Fassung des Weißen Magiers alles andere als ein Zuckerschlecken zum Lesen war. Er würde wahrscheinlich die ganze Woche daran sitzen. Der Junge sah auf. »Fertig.«

»Gut«, nickte der Magier. »Hast du den Text verstanden?«

Wenn er nein antworten würde, stünde er wie ein Trottel da. Und letztendlich sollte er ja bloß Befehle befolgen. Er sah keinen Grund einen Versuch zu starten, sich von dem Magier die Schwarze Magie und die Kristallgerechtigkeit erklären zu lassen. Gerade bei Ersterem hatte Vigor doch ehrlich gesagt seine Zweifel, ob jemand vom SONNENorden viel von Schwarzer Magie verstand. Er nickte also.

»Gut.« Sonnenorden Junior drehte sich zur Wand. Vigor sah an ihm vorbei. Der Magier öffnete eine kleine Truhe aus purem Gold, die nicht größer war, als eine Hutschachtel. Sie stand auf einem niedrigen Gestell, dass an eine Bahre erinnerte und so weit unten, dass sie von dem Magier verdeckt war, wenn Vigor sich nicht die Mühe gemacht hätte sich aus seinem Stuhl zu heben. Die Kiste war innen vollständig mit rotem Samt ausgekleidet. In ein dickes Kissen gebetet saß eine matte, weiße Kugel von der Größe eines kleinen Balls. Darin flackerte entweder ein Licht oder die Sonne spiegelte sich vom Fenster darin.

»Komm hier her«, wies Sonnenorden Junior an. »Und lege deine Hand auf die Kugel der Wahrheit

»Die was?«

»Die Kugel der Wahrheit«, wiederholte der Magier. »In ihr leuchtet die altehrwürdige Flamme von Anstand und Ehre.«

Für Vigor klang Sonnenorden Junior irgendwie altbacken. Er war sich sicher, dass der Magier das schon tausend Mal gesagt hatte. Zumindest kam es ihm so vor. Der Junge berührte das raue, aber kalte Glas der Kugel. Das schwache Licht darin veränderte sich nicht, musste also aus der Kugel kommen, doch wärmen tat es auch nicht. Es war also kein Feuer darin, sondern wohl ein magisches Leuchten.

»Dann sprichst du jetzt folgendes«, fuhr der Magier fort. »Ich Vigor, gehobener Magier im Quarzstand,«

Vigor fragte sich, was das jetzt wieder heißen sollte. Vielleicht hätte er doch besser die Kristallgerechtigkeit erfragt.

»...schwöre hiermit als Schüler der Sonnenakademie im Angesicht meines Meisters, seiner Eminenz Brandolf II. vom Sonnenorden,«

Ging es nicht vielleicht ein bisschen länger? Zumindest wusste Vigor nun den korrekten Namen des Mannes.

»Du solltest anfangen nachzusprechen, oder kannst du dir das merken?«

»Bisher schon.«

»Dann bitte.«

»Ich Vigor, gehobener Magier im Quarzstand?«

Er sah Sonnenorden Junior nicken.

»Schwöre hiermit als Schüler der Sonnenakademie im Angesicht meines Meisters Brandolf II. vom Sonnenorden.«

Der Junge wartete auf die weiteren Ausführungen. Er sprach direkt dem Magier hinterher.

»Dem Goldenen Turm treu zu dienen und gehorsam zu leisten.«

»Ich befolge die Maxime des Lichts.«

»Ich unternehme keine Handlungen die gegen den Sonnenorden gerichtet sind und erfahre im Gegenzug auch keine Handlungen gegen mich.«

»Mein Schwur gilt bis zum Tod, der Bruch nimmt mir mein Leben.«

Der Junge schluckte. »Mein Schwur gilt bis zum Tod, der Bruch nimmt mir mein Leben.«

Vigor atmete durch und sah Sonnenorden Junior an.

»Du hast keinen Meineid geschworen und kannst deine Hand von der Kugel nehmen.«

Wäre auch ein komischer Start an einer Schule, direkt mit einer Lüge anzufangen. Aber woher Sonnenorden dieses Wissen nahm, fragte sich Vigor schon. Es hing wohl mit der Kugel zusammen.

»Du bist nun Schüler der Sonnenakademie«, erklärte der Magier. »Dein übergreifender Lehrmeister und Jahrgangsleiter ist Earl Morris of Crest, Magier des Kupferbraunen Turms. Untergebracht bist du bei den Rittern der Sonne. Deine Stuben- und Kampfgruppennummer ist 1T6 im Hause Turm. Der Meister deines Hauses ist Graf Albert von Skard.«

Vigor nickte. Sonnenorden Junior sah ihn an. »Merke dir diese Namen. Sie werden dir in der Burg weiterhelfen. Und nun geh.«

Vigor deutete eine Verbeugung an und schritt zur Tür. Er hörte noch wie Sonnenorden Junior die goldene Kiste schloss. Dann verließ er das Zimmer und eilte zurück.

NACHT ÜBER DUNKELHEIT

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