Читать книгу Completely - Immer diese Vampire - Mej Dark - Страница 11
Mama, Schwesterchen und Onkel Schlachter
ОглавлениеMama führte mich in das Innere des neuen Zuhause. Es war ein Haus.
„Ich hoffe, dir geht es inzwischen besser, denn ich bekomme heute Abend noch Besuch“, stellte sie fest und ging vor. Die Behausung hatte mehrere Räume und viele Einrichtungsgegenstände. Einige davon kamen meinem Unterbewusstsein vertraut vor, andere vollkommen fremdartig. Schweiß lief mir vor Aufregung von der Stirn. Hoffentlich bemerkte sie nicht sofort, dass ich ein vollkommen anderer war. So viele Eindrücke prasselten auf mich ein. Wer war ich nur wirklich? Alex auf keinen Fall, obwohl ich mit etwas Mühe auf dessen Erinnerungen zugreifen konnte.
Ein unbekanntes Etwas sprang unter meinen Füßen weg. Es war ein wolliges, haariges Ding und gab knurrende Laute von sich. Die hörten sich zwar bedrohlich an, aber wurden durch die geringe Größe des flauschigen Lebewesen widerum entschärft. Unwillkürlich stieß mein Mund erschreckt Geräusche aus. Es war ein Hund, unser Haustier.
Aus einer Ecke starrte mich zudem ein kleines süßes Menschenwesen an. Das Mädchen war meine Schwester Fiona. Ja, sie wirkte sehr sympathisch.
„Warum krächzt Lex so komisch?“, fragte das kleine Ding erstaunt meine Mutter.
Der Hund sprang inzwischen aufgeregt um uns herum und schaute mich misstrauisch knurrend aus sicherem Abstand an. Er erkannte anscheinend als einziger, dass ich trotz des gleichen Körpers ein anderer war.
„Was ist denn nur mit dir?“ Mama blickte das Tier an.
Ich sagte lieber nichts. Man konnte damit viel falsch machen, das war mir inzwischen klar.
Mama studierte nun doch etwas neugieriger in mein Gesicht und bemühte sich um eine Erklärung: „Bella hat gerade Lex nach Hause gebracht. Er soll so etwas wie einen Hitzschlag haben. Es geht ihm offenbar nicht so gut.“
Etwas irritiert musterte sie mich nochmals von oben bis unten. Sie konnte aber nichts Auffälliges finden. „Lex, geh am besten auf dein Zimmer und erhol dich erst einmal“, schloss sie die Prüfung schuterzuckend ab.
Blair hieß der Hund also.
„Ist Bella jetzt wieder seine Freundin?“ Fiona lächelte seltsam.
Diese Frage löste verborgene Regungen aus. Verschiedenste Gefühle begannen unkontrolliert emporzusteigen. Mein Geist war noch nicht vollkommen Herr über alles Körperliche.
„Das weiß nur Lex“, entgegnete meine Mutter und lachte schelmisch. „Schlecht sieht sie ja nicht aus.“
Sie kniff ein Auge auffällig fest zu. Was bedeutete dieses seltsame Benehmen? Ich fand auf die Schnelle keine Erklärung.
Inzwischen suchte ich nach weiteren Informationen aus dem übernommenen Gedächtnis. Doch das war mühsam. Ich nickte um Zeit zu gewinnen meiner Mutter einfach zu, denn das kam am besten an.
Einige Zeit verging wortlos. Blair bellte fauchend ein wenig in die folgende Stille.
„Willst du nicht aufs Zimmer gehen?“, fragte meine Mutter nach. Sie wirkte ungeduldig. Wobei meine Einschätzung nicht zutreffen musste.
„Lex ist wirklich komisch“, stellte Fiona nochmals fest. „Wieso bellt Blair ihn immerzu an? Sie kennt ihn doch.“
Mama zuckte nervös mit den Schultern.
Ich befolgte lieber die Anweisung meiner Mutter und ging ein wenig umher. Da beide immer noch unzufrieden aussahen, öffnete ich unschlüssig irgendeine Tür und fand dort einen kleinen Raum mit vielen Gegenständen dahinter.
„Lex, nun zweifle ich nicht mehr daran, dass du einen Hitzschlag hast. Das ist unsere Besenkammer! Was willst du da?“ Sie schlug verzweifelt eine Hand vor die Stirn und wirkte immer besorgter.
Auch meine kleine Schwester starrte mit erschrockenen Augen und offenem Mund zu uns herüber. Dann begann sie belustigt zu kichern.
„Lex hat scheinbar den Verstand verloren. Was ist heute nur los?“
Ich setzte einen möglichst netten Gesichtsausdruck auf und winkte ein wenig mit der Hand und schlug mir wie meine Mama ebenfalls vor die Stirn. Blair zerrte nun sogar an meiner Hose. Sie wollte den fremden Besucher vertreiben.
„Hitzschlag!“, erklärte ich kurz. Das kam am besten an und klang logisch.
Meine Mutter schien meine Desorientierung nun als Krankheitsfolge zu akzeptieren und wies auf eine andere Tür im Flur.
„Dort ist doch dein Zimmer, Lex.“
Ich lachte einfach zur Ablenkung und rief: „Hitzschlag!“
Der künstliche Klang meines Lachens verstärkte anscheinend nur ihre Sorgen. Die beiden Familienmitglieder verstummten und schauten recht mitleidig auf mich.
„Lex, dir geht es gar nicht gut! Das scheint richtig schlimm zu sein.“
Erneut nickte ich neutral, vermied nun das Lachen und sagte nochmals: „Hitzschlag!“ Dann ging ich auf das Zimmer.
Es war mit vielen interessanten Dingen gefüllt. Ich konnte hier sicher neue Informationen sammeln, um nicht aufzufallen und in Ruhe die Erinnerungen des alten Lex studieren.
Ich behielt vorsichtshalber die Tür im Blick und begab mich auf eine innere Reise. Der frühere Lex war zwar ein netter Bursche, aber hatte auch so einige Probleme. Seine Gedanken wirkten ungeordnet, so als fehlte ihnen das tiefere logische Miteinander. Zwischendurch suchte ich natürlich auch nach Hinweisen zu meiner wahren Persönlichkeit, um mir endlich darüber klar zu werden, wer ich war und was ich hier wollte. Doch gähnende Leere erwartete mich. Alles schien gelöscht. oder hinter einbem undurchdringlichen Schleier verborgen. Die Kehle schnürte sich mir vor Angst zu. War ich vielleicht doch nur Lex und einfach nur wahnsinnig geworden?
Nach einiger Zeit öffnete sich die Zimmertür. Meine Mutter trat ein und blickte mich erstaunt an.
„Wieso stehst du da herum und hast dich nicht hingelegt?“
Ich zuckte mit den Schultern. Mein Geist war so aufgewirbelt und suchte nach Antworten. Da mochte ich nicht an Schlaf denken. Das konnte ich ihr aber keinesfalls sagen.
Der verblüffte Ausdruck im Gesicht meiner Mutter verstärkte sich.
„Oje!“, murmelte sie.
„Ich habe dir ein wenig Essen gebracht. Am besten, du legst dich ein bisschen hin, es ist ja schon Abend. Wenn du Hunger hast, dann iss ein wenig. Alles wird gut, Lex!“
Ihre Lippen berührten kurz meinen Kopf.
Diesmal wagte ich nicht einmal zu nicken und schaute sie nur freundlich mit großen Augen an. Um ihren Unmut wegen meinem Herumstehen zu beseitigen, setzte ich mich in Richtung Bett in Bewegung.
Meine Mutter stellte das Tablett auf ein kleines Tischchen.
Mit leicht zittrigen Händen griff ich mir das Essen und beförderte es in meinen Mund.
Dies schien meiner Mutter zu gefallen, denn sie begann zu lächeln und strich mir mit einer Hand beruhigend über meinen Arm.
„Na also! Das wird schon“, schloss sie ihre Visite bei mir ab und wandte sich zur Tür.
„Wenn du etwas brauchst, ruf mich einfach!“
Die Dinge auf dem Teller sahen ungewöhnlich aus, sie schmeckten aber köstlich. Ich war äußerst hungrig. Also aß ich alles auf. Ein rötlich gefärbtes Essen, welches man als Blutwurst bezeichnete, mundete mir besonders. Sie war ein ganz besonderer Genuss. Ich leckte mir sogar die Lippen ab.
Anschließend beschäftigte ich mich mit den Gegenständen im Zimmer. Ich wollte alles wissen, um bloß nicht aufzufallen. Besonders interessierten mich die Bücher. Davon gab es sehr viele an einer Wand. Sie zogen mich an, als weckten sie uralte Erinnerungen auf.
Also machte ich mich daran, sie auszuwerten. Mein Unterbewusstsein steuerte mich bei der Auswahl. Zuerst schaute ich mir ein Buch mit dem Titel Dracula an. Es enthielt einige Nachrichten über eine Spezies, die sich vom Blut der Menschen ernährte. Sie kam nicht so gut weg. Gab es solche Wesen wirklich? Das war interessant. Andererseits wurden manche Menschen durch einen Biss selbst zu Vampiren. Mir standen vor Angst die Härchen auf den Armen hoch. Dunkle Ahnungen stiegen wie verborgene Erinnerungen auf, blieben aber leer und ohne wirkliche Erkenntnis.
Das Lesen war eine ziemlich langatmige Beschäftigung, wenn man der von Lex verwendeten Methode folgte. Ich rechnete aus, dass es so noch sehr lange dauern würde, bis ich mir ausreichend Wissen über diese fremde Welt angeeignet hätte. Das Rechnen lag mir ohnehin. am liebsten wollte ich alles ausrechnen, wie lang ein Tag, eine Minute, ein Jahr, das Leben, die Fläche, der Umfang, die Entfernung zum Mond war.
Beim nächsten Buch änderte ich die Vorgehensweise, da ich begriff, dass ich mir fotografisch alles viel schneller merken konnte. Die Methode erwies sich als sehr effektiv. Ich schaute mir jede Seite nur einmal an, speicherte das gesamte Bild im Gedächtnis ab und ging zur nächsten über. So machte man das! Diese Fähigkeit fühlte sich vertraut an. Sie stammte von meinem wahren Ich, darum hielt ich mich an ihr fest, wie ein Ertrinkender in einem reißenden Fluss. Etwas aus meiner alten Welt hatte ich an das neue Ufer gerettet. Vielleicht konnte ich mich bald wieder ganz erinnern. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Danach speicherte ich ein Mathematikbuch, ein Physikbuch, mehrere Bände eines Lexikons, ein Lateinbuch, zwei Bücher über Hypnose, eines über Krankheiten, drei Hundebücher, Der Abenteuerverkäufer von Sadownikow, Der Meister und Margarita von Bulgakow, ein Buch über das Mittelalter und Gogols Abende auf dem Weiler Dikanka in meinem neuen Gedächtnis ab. Eine Geschichte dort, die Die Nacht vor Weihnachten hieß, brachte mich sogar dazu, sie Wort für Wort zu lesen. Sie war irgendwie aberwitzig. Dann brach auch schon der neue Tag an. Mir kam es inzwischen so vor, als wüsste ich schon eine ganze Menge mehr über die Menschen.
Die Tür öffnete sich erneut, meine Mama und unsere Blair kamen herein. Der Mops, so hieß die Rasse, schaute mich noch immer missmutig an, bellte aber nicht mehr. Er akzeptierte mich zumindest als Besuch.
„Warst du etwa die ganze Zeit auf?“, fragte meine Mutter verblüfft.
Durch mein neues Wissen wagte ich es, etwas Konversation zu zeigen. Ich griff dabei auch auf die neu im Gedächtnis gespeicherten Bücher zurück.
„Ja Mutter, dem war so! Es mangelte mir an Müdigkeit“, zitierte ich ein paar Worte, die auf die Situation passen könnte. Die Bücher waren voll gespickt mit solchen Dialogen.
Meine Besucherin lachte auf und strich mir erneut über das Haar. Sie musterte mich noch einmal von oben bis unten. Ihr Blick war liebevoll.
Diese Buchsprache kam also an. Das war gut zu wissen.
„Da du die ganze Nacht nicht geschlafen hast und heute krankgeschrieben bist, schlage ich vor, dass du endlich ins Bett gehst und dich schlafen legst. Ich mach die Jalousien zu, dann ist es nicht so hell. Und wenn ich von der Arbeit komme, sehen wir weiter.“
Meine Mutter schritt zum Fenster, um das angekündigte Vorhaben umzusetzen. Während mein Blick ihr folgte, stellte ich im gegenüberliegenden Haus eine hastige Bewegung fest. Jemand hatte uns von dort wohl beobachtet. Wer wohnte denn dort?
Ich wusste es instinktiv. Bella lebte dort mit ihren Eltern. Ein Gefühl der Freude stieg auf. Als hätten meine Gedanken nur darauf gewartet, eilten sie sofort zu dem zauberhaften Mädchen. Sie war der erste Mensch, dem ich nach meinem Erwachen begegnet war. Konnte unsere Begegnung ein Zufall sein oder lag darin eine tiefere Bedeutung? Nichts geschieht ohne Ursachen, ging es mir durch den Kopf. Woher wusste ich solches Zeug? Waren das alte Erinnerungen oder nur Passagen aus den kürzlich gelesenen Büchern? Nein, darin standen sie nicht.
Bellas bezauberndes Antlitz stand gestochen scharf vor meinem inneren Auge. Sogar der Geruch ihrer Haut benebelte meine Sinne. Wie süß ihre Ader dort immer am Hals pochte, wenn sie aufgeregt war. Ich gab mich einem Moment diesen wohligen Gedanken hin. So schlecht erschien mir das neue Leben plötzlich doch nicht. Wie hatte ich sie nur beim Lesen vergessen können?
Eine Woge angenehmer und sehnsuchtsvoller Gefühle glitt durch meinen Körper und ich versank in eine Trance wildester Fantastereien. Das fühlte sich auch nicht schlecht an.
„Wir werden das so machen, Mama-Herz!“, säuselte ich erneut eine Textstelle herunter und legte ich mich auf das Bett.
„Wie wäre es mit Schuhe ausziehen?“, wandte sie ein.
„Aber natürlich, meine Liebe!“
Meine Mutter kicherte ein wenig.
„Du stotterst gar nicht. Das ist erstaunlich!“
Ihr gefiel der neue Sohn offenbar.
Sie verschwand durch die Tür und erschien kurze Zeit später erneut mit leckerem Essen.
„Ein wenig Nachschub!“, säuselte sie.
„Du hast ja schon alles aufgegessen! Wenn ich nicht da bin, dann hole dir aus dem Kühlschrank in der Küche mehr. Onkel Schlachter hat ihn heute frisch aufgefüllt.“
Onkel Schlachter? Ich suchte im Gedächtnis? Ach, das war der Freund meiner Mutter. Er besuchte sie regelmäßig.
Ich aß die neuen Speisen komplett auf, vermisste aber die Blutwurst. Sie war etwas ganz Besonderes. Ich hatte sie schon jetzt als meine Leibspeise auserkoren.
Erschöpft, aber zufrieden kuschelte ich mich in das Kissen. Vielleicht würde ich beim Erwachen meine alten Erinnerungen wieder haben? …
Es war dunkel, als ich erwachte. Ich wusste nicht, wie lange ich überhaupt geschlafen hatte. Alles fühlte sich noch so neu an. Merkwürdige Geräusche waren mein Wecker gewesen.
Der eine Teil der Laute, die durch die Wände drangen, stammte von meiner Mutter, andere scheinbar von einem Bett, weitere von einem Mann. Sie waren auch keine richtige Sprache, mehr ein Grunzen, ein Stöhnen. Dann drang auch Gekicher von meiner Mama durch die Wand. Nach einiger Zeit wiederholte sich das Ganze mit den gleichen lautlichen Abläufen.
Traurig stellte ich fest, dass ich leider noch immer nichts über meine Vergangenheit wusste. Der Schlaf hatte nicht geholfen. Das war frustrierend.
Da ich putzmunter war und mich niemand besuchte, kopierte ich einfach weitere Bücher in mein Gedächtnis ab. Meine Arbeitstechnik wurde dabei immer perfekter.
Ab und an sah ich mir in einem Spiegel mein neues Gesicht und mein Aussehen insgesamt an. Es war wohl ganz normal. Ich war ein siebzehnjähriger Junge von schlanker Figur, braunen Haaren und blaugrauen Augen. Da niemand kam, beschloss ich, mir selbst in der Küche Essen zu holen. Vielleicht war noch etwas Blutwurst. Ohne Probleme fand ich die Küche. Blair, die dort schlief, knurrte mich an.
In einem kalten Schrank gab es gleich mehrere Ringe mit der köstlichen Speise. Sie war einzigartig. Voller Gier aß ich einen Ring nach dem anderen auf. Leider wurde mir davon so schlecht, dass ich mich übergeben musste. Ein roter Brei ergoss sich unappetitlich aus meinem Mund auf den Boden.
Meine Mutter erschien. Sie hatte anhand der Geräusche wohl mitbekommen, dass etwas passiert war.
„Oh, Lex!“, stöhnte sie.
Mir ging es so unendlich schlecht. Kalter Schweiß war auf meiner Stirn und rieselte sogar meinen Rücken hinunter.
Der kleine Hund machte sich begeistert an dem Erbrochenen zu schaffen, wedelte sogar mit dem Schwanz und schaute mich zum ersten Mal dankbar für die vorverdaute Leckerei an. Sie schmeckte ihm. Schloss er Freundschaft mit mir?
„Dann müssen wir wenigstens nicht so viel aufwischen“, stellte meine Mutter angeekelt fest. Ihr Blick war voller Abscheu auf Blair gerichtet.
„Bekommst du das allein weg?“
Ich nickte.
Sie dachte noch einmal nach, schaute mich dann an und meinte: „Ach, lass mal, sonst passiert etwas noch etwas Schlimmeres. Ich mache es lieber selbst. Du bist eben krank.“
Sie holte einige Gegenstände, mit denen sie eifrig den Boden von den letzten Resten reinigte.
„Das nächste Mal brich bitte in die Toilette.“
Ich nickte und lächelte. „Danke, liebe Mutter.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Wie kann man auch so viel Blutwurst essen?“
Meine kleine Schwester tauchte auf. Sie hatte einen Schlafanzug an. Das Chaos war gerade beiseitigt.
„Ich habe Hunger“, stellte sie fest.
Ich ging hilfsbereit zum Kühlschrank und holte eine Wurst. Diese drückte ich ihr in die Hand.
„Was soll das?“ Sie wirkte unzufrieden.
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Mama war doch erwacht. Ein kräftiger Glatzkopf folgte ihr. Es war Onkel Schlachter!
„Lex will mir Wurst geben“, beschwerte sich Fiona.
„Er weiß doch, dass ich kein Fleisch esse!“
„Lex,warum tust du das?“
Meine Mutter schaute mich unzufrieden an.
„Das habe ich vergessen“, erwiderte ich. „Das muss an dem Hitzschlag liegen“, lieferte ich eine Entschuldigung. Das klang glaubhaft.
„Na ja“, mischte sich nun der füllige Mann mit dem rundlichen Kopf und den sehr kurzen, aufrecht stehenden Haaren ein.
„Ein Stückchen Wurst hat noch keinem geschadet. Das macht er gar nicht so schlecht. Sonst wird die Kleine noch Vegetarierin!“
Er amüsierte sich darüber. Sollte das ein Scherz sein? Ich lachte vorsichtig mit.
Meine Schwester machte ein finsteres Gesicht. „Ich mag nicht, dass die Tiere geschlachtet werden und man Wurst aus ihnen macht. Das tut ihnen sehr weh!“
Onkel Schlachter kniete sich vor meine Schwester und legte beide Hände auf ihre Schulter. Mit zärtlicher, säuselnder Stimme stellte er fest: „Ach, Quatsch! Du solltest das mal in der Wirklichkeit sehen. Die Schweine kriegen vor der Schlachtung eine schöne warme Dusche. Da fühlen die sich wie im siebenten Himmel und quietschen vor Vergnügen – quiek, quiek quiek! – Und peng, ehe sie es merken, sind sie schon ein Kotelett oder eine Wurst!“
Zur Demonstration schnappte er sich selbst ein Stück Wurst aus dem Kühlschrank und biss kräftig hinein. „Und die schmeckt richtig gut!“
Einen Moment blickte er irritiert auf die geschmolzenen Vorräte.
„Wo ist die ganze Blutwurst hin?“, murmelte er erstaunt.