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V.) 05.November 2016 – KINDERHEIM/SCHLOSSHOTEL, SCHWARZWALD

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Lavinia hielt den Brief ihrer Eltern in der Hand. Ihr Herz schlug schnell. Sie wagte kaum diesen zu öffnen und zu lesen. Karl sah sie gespannt an. Auch sein Herz schlug schnell. Einzig und allein die Hexe sah beide unbeeindruckt an und fragte sich innerlich, weshalb Lavinia so lange brauchte, um den Brief zu öffnen und zu lesen. In ihrem Geiste schubste sie sie regelrecht dazu, ihn zu lesen. Sie konnte diese Stille nicht ertragen. Würde Lavinia nicht endlich den Brief öffnen, so dachte die Hexe bei sich, dann würde sie ihn aus der Hand reißen und schreien.

Sie seufzte leise.

Dann entfaltete Lavinia endlich den Brief und atmete tief ein und aus. Dann begann sie, ihn zu lesen. Es waren zwei dicht beschriebene Seiten und Lavinia sog jedes einzelne Wort auf, um genau zu verstehen, was ihre Eltern ihr sagen wollten.

Es war unfassbar.

Lavinia atmete schwer. Dann blickte sie, nachdem sie den letzten Satz und die lieben Grüße ihrer Eltern gelesen hatte, vom Brief auf. Sie wandte ihr Gesicht Karl zu. Mit großen Augen sah sie ihn an, der sie erwartungsvoll anschaute. „Und?“, wollte er wissen. „Was steht da? Was ist mit deinen Eltern passiert?“ Gierig nach der Antwort starrte er Lavinia an. Diese war noch zu geschockt, um zu begreifen und es angemessen in Worte zu fassen. Sie konnte kein Wort herausbekommen.

Karl sah schließlich zur Hexe, die genervt dem ganzen Schauspiel zuschaute. „In dem Brief steht drin, dass Lavinias Eltern vor einem Mörder auf der Flucht waren. Daher mussten sie Vorsorge treffen und ihre Tochter – wenn der Mörder ihre Eltern doch zu fassen bekäme – in einem Heim in Sicherheit bringen“, beantwortete die Hexe Karls fragenden Blick.

Dieser starrte sie nun noch verwirrter an. „Auf der Flucht? Vor einem Mörder? Wieso das denn?“ Ihm stand die Verwirrung sichtlich ins Gesicht geschrieben.

„Weil Lavinias Familie einer alten adligen Familie entstammt. Dem Adelsgeschlecht der Normandells von Lörrach. Lavinia ist die letzte Nachfahrin dieses Geschlechts und ihre Familie wurde Jahrhunderte lang gejagt. Man sagt, ihre Familie bewahre ein großes Geheimnis und viele Schätze irgendwo versteckt. Jeder, der geldgeil ist würde diesen Leuten hinterherjagen. So war es all die Jahrhunderte. Und so war es auch bei Lavinias Eltern.“ Die Hexe klang gelangweilt, als sie dies erzählte. Als würde ihr diese Geschichte jeden Tag begegnen und sie inzwischen zu Tode langweilen.

Karl riss die Augen weit auf. „Adlig?“ Er starrte Lavinia fassungslos an. Diese starrte genauso fassungslos zurück. Sie bekam einfach kein Wort über die Lippen.

„Aber stimmt das mit dem Geheimnis und den Schätzen?“, wollte Karl weiter wissen. Die Hexe zuckte mit den Schultern. „Kann ich Ihnen nicht sagen, ich weiß davon nichts. Nach all der Zeit halte ich es inzwischen für immer unwahrscheinlicher.“ Sie rümpfte abfällig die Nase.

Karl atmete tief durch. „Wo sollen wir anfangen danach zu suchen?“

„Steht in dem Brief“, schloss die Hexe und räusperte sich dann ächzend. „Schön, das war´s. Ich muss weitermachen. Das ist alles, was ich für Sie tun kann. Alles Gute.“ Sie drängte Karl und Lavinia hinaus und schlug die Türe hinter ihnen mit einem lauten Knall zu.

Draußen standen Karl und Lavinia nun völlig verdattert da und Lavinia musste immer und immer wieder den Brief anschauen und genau nachlesen, ob das, was die Hexe ihnen da gerade erzählte, auch wirklich stimmte.

Lavinia konnte nicht glauben, was da stand: Adelsgeschlecht Normandell von Lörrach. Sie, Lavinia Normandell, war also Gräfin! Lavinia Gräfin Normandell von Lörrach.

Unfassbar.

„Also konnten meine Eltern diesem Mörder nicht entkommen“, flüsterte Lavinia melancholisch. Karl sah sie traurig an. Er schüttelte den Kopf. „So wie es aussieht wohl nicht.“ Er fühlte mit ihr. Sie schniefte.

„Na gut, dann müssen wir uns auf die Suche nach diesem großen Familiengeheimnis und die Schätze machen“, entgegnete sie und zeigte mit dem Zeigefinger auf die Adresse in dem Brief. „Schlosshotel Waldlust“, sagte sie. „Dort stand früher, im 13. Jahrhundert, der große Palast meiner Familie. Den Normandells von Lörrach. Im letzten Jahrhundert wurde dort dieses Schlosshotel gebaut, nachdem etliche Kriege in den letzten Jahrhunderten den Palast mehr und mehr zerstört und meine Familie von dort vertrieben haben. In diesem Schlosshotel soll es spuken. Angeblich sollen dort einige meiner Verwandte hausen und die Gäste erschrecken.“ Lavinia musste kichern. Karl stöhnte. „Na toll, hast du eine nette Familie!“

Lavinia grinste. „Tja, so sind wir eben. Immer für einen Spuk gut.“

Karl lachte. „Ich wusste schon immer, dass deine Verrücktheit einen Ursprung haben muss, Livi!“

Beide lachten.

„Na komm“, sagte Karl, „gehen wir erstmal was Leckeres essen und dann fahren wir weiter … zu diesem Spukschlosshotel.“

„Gute Idee“, sagte Lavinia und so gingen sie und Karl zurück in die Innenstadt, fanden bald ein gutes Restaurant und genossen zunächst die Mittagspause mit einer leckeren Mahlzeit.

Etwa eine Stunde später gingen sie zu ihrem Auto zurück und fuhren zu der Anschrift, die Lavinias Eltern in dem Brief hinterlassen hatten. Je näher sie dem Schlosshotel kamen, desto dunkler wurde es. Als sei alles Leben aus der Gegend gezogen worden.

Karl fuhr langsam das Auto näher an das Spukhotel heran. Sie mussten durch den Wald fahren und kamen schließlich an einem Schild vorbei, auf welchem „Schlosshotel Waldlust“ stand. Hier müsste es also sein.

Karl bog in die Auffahrt des Schlosshotels ein und blieb mit dem Auto in einiger Entfernung stehen. Lavinia und Karl steckten ihre Köpfe aus dem Autofenster und sahen hinauf. Groß und weiß war das Hotel gehalten. Von außen wirkte es kaum wie ein Spukhotel. Es besaß einige Balkone und viele Giebel, die das Haus abstützten und wohl auch zusammenhielten. Wahrscheinlich gab es auch drinnen mehrere Säulen, die das Gebäude stützten.

Karl und Lavinia stiegen aus dem Auto aus und traten näher an das Schlosshotel heran. Sie erkannten, dass das Weiß des Hauses inzwischen durch Wind und Wetter verschmutzt worden war und so recht heruntergekommen aussah. Sie traten um das Gebäude herum, um zu sehen, wie groß es tatsächlich war. Aus der Vorderansicht würde man nicht meinen, dass es besonders groß wäre. Doch als sie herumschritten erkannten sie, dass es doch eine beachtliche Größe besaß. Der untere Teil des Schlosshotels war aus braunen Steinen gefertigt und erinnerte an ein Fachwerkhaus. Alles in allem konnte es doch schon gruslig werden, dachte sich Lavinia, wenn man den Hintergrund kennt, dass es dort tatsächlich spuken soll.

Karl besah sich alles mit Skepsis und doch ernsten Gesichtszügen. „Ein wirklich schönes Haus“, bemerkte er. „Ich würde nicht unbedingt darauf kommen, dass es hier spuken soll. Aber vielleicht haut mich ja sein Innerstes um?“ Er sah zu Lavinia.

„Vorausgesetzt man kommt hinein“, gab sie zurück und beide gingen wieder zum Vorderteil des Hauses, um sich die Eingangstüre anzusehen.

Lavinia seufzte bei dem Anblick. „Dachte ich mir schon: Es ist nicht geöffnet. Eine Kette mit Schloss hängt daran. Wie sollen wir nun reinkommen?“

Karl seufzte nun auch. „Auf rechtlichem Wege wohl gar nicht“, sagte er. Lavinia sah ihn verwirrt an. „Soll heißen? Etwa einbrechen?“ Sie sah ihn entrüstet an.

Karl zuckte mit den Schultern. „Naja, wenn es niemandem mehr gehört, dann ist es, meiner Kenntnis nach, kein wirkliches Einbrechen, oder?“

„Sagt der Rechtsanwalt!“, entgegnete Lavinia belustigt.

„Ja gerade deswegen, Livi! Ich kenne die Rechtslage!“, verteidigte sich Karl.

Lavinia sah ihn misstrauisch an. „Hört sich für mich nicht legal an, was du da sagst. Obwohl es ja im Grunde schon jemandem gehört: mir!“ Triumphierend sah sie Karl an. Dieser verzog das Gesicht. „Nein, Livi, wirklich gehören tut es dir nicht. Wenn es der alte Palast deiner Ahnen wäre, dann vielleicht schon. Aber dieser Bau hier gehörte niemals deiner Familie.“

Lavinia sah ihn enttäuscht an. „Ja und nun?“

Karl seufzte laut. „Wie gesagt, man könnte zusehen, wie man das Schloss öffnet, ohne es zu beschädigen.“

„Du willst das wirklich tun?“, fragte Lavinia vorsichtig.

„Wenn ich nichts beschädige und wir eine gute Ausrede parat haben, wenn uns doch jemand erwischt, dann kann eigentlich nichts dagegensprechen.“

Karl sah Lavinia herausfordernd an. Diese zögerte. „Na ich weiß nicht“, gab sie leise zurück.

Karl trat näher an das Schloss heran und bemühte sich es mit einem seiner Schlüssel zu öffnen. Haustürschlüssel, Autoschlüssel, Fahrradschlüssel, Kellerschlüssel. Nichts ging. Dann fand er einen alten Draht auf dem Treppenabsatz liegen den er nahm und probierte. Er drehte und zog es im Schloss herum, aber auch dann tat sich nichts.

Es hatte keinen Zweck.

Lavinia wurde ganz ungeduldig. „Wie soll ich dann je auf das Geheimnis meiner Familie stoßen, wenn ich niemals reinkomme?“, jammerte sie.

Karl seufzte und drehte sich zu ihr um. „Besser wir fahren wieder zurück. Im Stadtarchiv lässt sich vielleicht etwas sagen zu dem Haus, seinen Besitzern, dem Erbauer, an wen man sich wenden kann.“ Er kam auf Lavinia zu, die nun nickte. „Ja, gut. Super Idee.“

Gemeinsam gingen sie wieder zurück zum Auto und fuhren wieder in die Innenstadt von Freudenstadt. Dort suchten sie das Stadtarchiv.

Die vom glänzenden See

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