Читать книгу Heil mich, wenn du kannst - Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 10

Laura

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432 Park Avenue. Noch immer war Laura beeindruckt, wenn sie ihr schäbiges Auto in die Tiefgarage des eleganten Gebäudes fuhr, der Parkwächter sie freundlich begrüßte und ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, ihren Wagen auf einen Parkplatz fuhr, als sei er wirklich kostbar. Juliette Franklin, Lauras beste Freundin seit Kindertagen, wohnte gemeinsam mit ihrem Freund Patrick St. Claire hier und während sie auf den Aufzug wartete, der sie ins Penthouse bringen würde, rieb sie sich müde übers Gesicht.

»Du gehst auch zum Lachen in den Keller, oder?«, hallte die Stimme des neuen Zivis in ihrem Kopf nach. Ryan hatte sich nicht so dumm angestellt, wie sie erwartet hatte, sondern war im Großen und Ganzen sogar überraschend gut mit den Patienten klargekommen, insbesondere mit den weiblichen.

»Ich soll sein … sein Ding anfassen?« Ein Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit, wenn sie an das Entsetzen von Ryan dachte, als sie ihm aufgetragen hatte, den Patienten zu waschen.

Mit leisem Bling öffneten sich die Türen des Fahrstuhls, sie trat ein und gab den vierstelligen Code ein, den sie von Juliette erhalten hatte. Kaum hörbar setzte sich der Aufzug wieder in Bewegung.

»Laaaaa!«, freudestrahlend fiel Jules ihr um den Hals, kaum, dass sie oben angekommen war. »Ich habe gerade mit meiner Mutter telefoniert und sie hat mir schon erzählt, dass du auch für sie zuständig bist!«

Laura lachte leise. »Ja, ich habe bei der Verteilung der Patienten speziell darum gebeten, dass ich auch Paige betreuen darf.«

»Jetzt komm erst mal rein, du siehst sehr müde aus!« Juliette nahm sie bei den Händen und zog sie ins Innere des geräumigen Lofts, in das sie vor einigen Monaten mit eingezogen war.

»In der letzten Zeit bin ich wirklich ein bisschen schlapp«, gab Laura zu. »Ich schätze, wenn die erste große Einzugswelle vorbei ist und sich alles etwas eingespielt hat, wird das auch wieder besser! Des Weiteren habe ich ab heute jemanden an der Seite, der Sozialstunden ableisten muss, von Mr. Thompson persönlich ausgewählt. Wobei ich mir bei Ryan noch nicht sicher bin, ob er mir wirklich eine Hilfe sein wird.«

Ausgestattet mit zwei großen Gläsern Eistee setzten sich die beiden Frauen auf das elegante Sofa im Wohnzimmer. »Warum keine Hilfe?«, wollte Jules wissen. Seufzend erzählte Laura von den Ereignissen am heutigen Tag. Doch anstatt den Kopf zu schütteln und sie zu bedauern, kicherte Juliette. »Ich bewundere dich wirklich, La! Ich glaube, ich hätte mich nicht zurückhalten können und laut gelacht, als dieser Ryan euren Patienten nicht anfassen wollte.«

Bevor Laura antworten konnte, machte sich ihr Smartphone mit einem lauten Klingeln bemerkbar. Sie zog das Handy aus der Tasche, warf einen Blick darauf und seufzte. »Na, der hat mir grad noch gefehlt«, murmelte sie und erhob sich. »Entschuldige mich kurz!«

Mit finsterem Gesicht stellte sie sich an die große Fensterfront und blickte hinaus auf die Skyline von New York, ehe sie das Gespräch annahm. »Was willst du, David? Ich habe dir gesagt, du sollst mich nicht mehr anrufen!«

»Baby ... es tut mir so leid!«, erklang eine weinerliche Stimme an ihrem Ohr. »Bitte komm zurück zu mir, ich schwöre dir, es wird nicht wieder vorkommen!«

»Ist klar! Genauso, wie es die letzten beiden Male nie wieder vorgekommen ist?«

»Nein, Baby, so glaub mir doch! Das mit Debbie war ein Fehler und ich habe daraus gelernt.«

»Oh, das trifft sich wirklich gut«, sie schnaubte verächtlich. »Ich habe nämlich auch daraus gelernt! Geh zu deiner rothaarigen Schlampe mit den unechten Wimpern und erzähl dort deine Märchen, vielleicht fällt sie darauf rein. Ich werde es nämlich nicht mehr tun!«

»Aber Laura ... du kannst doch nicht einfach alles, was zwischen uns war, so einfach wegschmeißen!«

»Oh doch, ich denke, das kann ich, David! Werd endlich erwachsen und ruf mich nie wieder an, hast du verstanden?«, fauchte sie in den Hörer und beendete das Gespräch. Fast sofort fing es erneut an, zu klingeln. Ein frustriertes Grummeln entwich ihr.

»Weißt du, wie man mit sowas wirklich umgeht, La?« Juliette erhob sich, nahm ihr das Smartphone aus der Hand und sorgte mit wenigen Wischbewegungen dafür, das der Anrufer gesperrt wurde. Mit offenem Mund sah Laura ihre Freundin an. »Was?«, grinste diese. »Wenn du mit dem reichen Partner einer Holding zusammen bist, lernst du ein, zwei Kniffe und vor allem lernst du, wie man unliebsame Anrufer loswird!«

Ein Kichern löste sich aus Laura. »Danke, Jules«, lachte sie und fiel ihr um den Hals. »Das geht seit drei Tagen so! Baby, es tut mir leid ... Baby, ich liebe doch nur dich! Das hätte er sich überlegen können, bevor er die rothaarige Schlampe vögelt. In meinem Bett!«

»Laura! Er hat nicht wirklich ...« Juliette riss die Augen auf.

»Oh, doch. Er hat! Da half auch sein Schatz, es ist nicht so, wie es aussieht nichts mehr.«

Kopfschüttelnd ließ Jules das Handy zurück in Lauras Tasche fallen. »Sachen gibt’s«, murmelte sie. »Manchmal hat man das Gefühl, das es nur noch Vollidioten auf der Welt gibt!«

»Anwesende hoffentlich ausgeschlossen«, erklang in dem Moment die amüsierte Stimme von Patrick St. Claire, Jules Freund, von der Tür her und die beiden Frauen fuhren herum. In den Händen hielt er zwei Tüten eines Lieferservice, aus denen es verführerisch duftete. »Immerhin hat der Vollidiot was Leckeres zu essen mitgebracht!«

Jules und Laura sahen erst einander an, dann zu Patrick und wie auf Kommando fingen alle drei an, zu lachen.

***

Ein Blick auf die Uhr zeigte Laura, dass es fast halb sieben war und noch immer war keine Spur von Ryan zu sehen. Darauf bedacht, alles richtig zuzuordnen, legte sie die Medikamente zurecht, die wie jeden Morgen an die Patienten zu verabreichen waren. Nachdem sie sich mehrfach vergewissert hatte, dass alles seine Richtigkeit hatte, schloss sie den großen Medikamentenschrank wieder ab. Sie ergriff das Tablett, wandte sich um und wäre fast in Ryan hineingeprallt.

Völlig übermüdet sah er aus und blinzelte ihr aus kleinen Augen entgegen. »Was machst du da?«, murmelte er und gähnte herzhaft.

»Wonach siehts denn aus?«, konnte sie nicht verkneifen, zu fragen.

»Ich brauche einen Kaffee, vorher kann ich so schwere Fragen noch nicht beantworten.«

Laura schnaubte. »Na, da bin ich ja mal gespannt, welche meiner Schwesternschülerinnen heute Morgen noch zu spät gekommen ist«, sagte sie leise und wollte an ihm vorbeigehen, doch mit einem schnellen Griff an ihren Arm hielt Ryan sie auf.

»Du warst es jedenfalls nicht!«, zischte er sie an und stellte sich ihr in den Weg. »Bildest du dir eigentlich immer so schnell ein Urteil?«

Laura fand sich dicht vor seiner Brust wieder und ließ ihren Blick nach oben wandern. »Seit wann sind wir beim Du?«, wollte sie spitz wissen und versuchte, ihren Arm aus seiner Umklammerung zu lösen, was ihr jedoch nicht gelingen würde, ohne die Medikamente größtenteils umzuwerfen. »Lass mich gefälligst los.«

Er starrte sie finster an, ließ aber gehorsam ihren Arm los und raufte sich dann die Haare. »Mann ey, sowas schon am frühen Morgen! Ich bin müde, brauche einen Kaffee und muss mich auch noch mit einem vorurteilsbehafteten Giftzwerg abgeben. Da kommt richtig Freude auf!«, knurrte er, trat zur Seite und ließ Laura stehen.

Verblüfft sah sie ihm nach, bis er im Aufenthaltsraum verschwunden und das Schließen der Tür deutlich zu vernehmen war. Vorurteilsbehafteter Giftzwerg? »Warum zur Hölle bekomme eigentlich immer ich die Pflegefälle zugeteilt?«, murmelte sie leise vor sich hin, aber noch während sie den Gang hinunter marschierte, wurde ihr die Zweideutigkeit ihrer Aussage klar und ein leichtes Grinsen legte sich auf ihre Lippen. Dem würde sie noch zeigen, wie das hier zu laufen hatte!

»Guten Morgen, Laura! Wo haben Sie denn ihren Supermann gelassen?«, empfing sie Philip mit einem breiten Lächeln. Das hatte noch gefehlt, wurde der Kerl etwa wirklich vermisst?

»Der hatte heute Nacht ganz offensichtlich eine Begegnung mit Kryptonit und dabei ist ihm ein großer Teil seiner Superkräfte verloren gegangen!« Sie hatte nur geflüstert, aber scheinbar besaß Phil ein gutes Gehör, denn er lachte laut auf. Dann surrte es leise und das Kopfteil seines Bettes richtete sich auf, während Laura das Betttablett umklappte und den kleinen Becher mit den Medikamenten, die er einnehmen musste, darauf abstellte.

»Gehen Sie nicht so hart mit ihm zu Gericht!«

»Warum sollte ich nicht? Bislang liefert er wenig Grund dagegen«, sie warf ihm einen fragenden Blick zu, füllte ein Glas mit Wasser und stellte es zu der Medizin.

»Weil man mit Speck Mäuse fängt, Laura und nicht mit Rattengift.«

Mit zuckenden Mundwinkeln richtete sie Phils Kopfkissen und verbiss sich das Grinsen. »Rattengift? Bringen Sie mich nicht auf Ideen! Aber mal im Ernst, Ihre Verteidigung des männlichen Geschlechts in allen Ehren ...«, sie setzte sich vorsichtig auf den Bettrand und griff nach dem Handgelenk ihres Patienten, um den Puls zu kontrollieren. »Ich habe schon mit einigen Zivis zusammengearbeitet, die von sich selbst glaubten, sie seien der Nabel der Welt. Und meine Erfahrung hat eindeutig gezeigt, dass das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche am besten funktioniert!«

»Und das Zuckerbrot lassen Sie dabei am liebsten zu Hause, nicht wahr?«, ertönte es trocken von der Tür. Dort stand Ryan, zwei Tassen in der Hand, aus denen es kräftig dampfte. »Ich vermute, Sie trinken keinen Kaffee, denn Energie besitzen Sie offensichtlich genug. Daher habe ich für Sie einen Beruhigungstee mitgebracht!«

Laura klappte der Mund auf und sie starrte den Zivi sprachlos an.

Philip hingegen prustete laut los. »Touché, Supermann!«

***

Nachdem Ryan noch ein oder zwei Mal versucht hatte, ihr den Grund für sein Zuspätkommen zu erklären, war es Laura irgendwann schließlich zu bunt geworden. »Ihre Eskapaden außerhalb der Arbeitszeit interessieren mich nicht. Sehen Sie einfach zu, dass Sie ab sofort pünktlich sind!«, hatte sie ihn angefaucht und einfach stehenlassen. Der Rest des Vormittags war in unangenehmem Schweigen verlaufen. Allerdings konnte sie nicht umhin, zuzugeben, dass sich der Zivi diesmal zumindest Mühe gab, freundlich und positiv mit den Patienten umzugehen.

Die angespannte Stimmung drückte Laura aufs Gemüt und sie beschloss, die Pause im großzügigen Park des Zentrums zu verbringen. Doch kaum, dass sie sich auf einer Bank bei den künstlich angelegten Teichen niedergelassen hatte, ertönte eine Durchsage. »Schwester Higgins bitte zum Eingang kommen, Schwester Higgins bitte!« Stirnrunzelnd erhob sie sich wieder und betrat das Gebäude.

Schon während sie noch auf dem Weg zum Haupteingang war, konnte sie das Gezeter hören, das dort herrschte. Eine dumpfe Ahnung befiel sie, und kaum, dass sie um die Ecke gebogen war, bestätigte sich diese.

»Ich w... will, dass Sie Laura herholen, v... verdammt!«, lallte David der Empfangsdame Jeanette entgegen und Laura lief ein kalter Schauer den Rücken herab. Ihr Exfreund war sichtlich betrunken und baute sich bedrohlich vor Jeanette auf.

»David?«, bemühte sie sich um einen ruhigen Ton.

Dieser fuhr herum und starrte sie aus glasigen Augen an. »Baby, die wollten mich n... nicht zu dir r... rein lassen!«, jammerte er vorwurfsvoll.

»Und das wundert dich wirklich?«, fragte sie, noch immer darum bemüht, ihre Wut auf ihn nicht durchblitzen zu lassen. Zuerst musste sie dafür sorgen, dass ihre Kollegin in Sicherheit war. »Danke, Jeanette, ich kümmere mich darum«, wandte sie sich mit einem verzweifelten Lächeln um und trat auf sie zu, um sie von David wegzuschieben. »Es tut mir leid«, wisperte sie. »Gehts dir gut?« Etwas blass um die Nase nickte die Kollegin.

»B... Baby, du musst m... mir verzeihen«, ihr Ex packte sie am Arm und zog sie an seine Brust. »H... Hast du gehört? Ich kann doch nicht ohne dich l... leben!«

Er stank erbärmlich nach Alkohol und nicht zum ersten Mal in den letzten Tagen fragte sich Laura, was sie jemals an ihm gefunden hatte. Angewidert stemmte sie ihre Arme gegen seine Brust und versuchte, sich von ihm wegzuschieben. Doch sein Griff war eisern und sie hatte nicht die geringste Chance, gegen ihn anzukommen. »Lass mich los!«

»Sicherheitsdienst bitte zum Haupteingang!«, erklang es aus den Lautsprechern und Laura atmete erleichtert auf. Jeanette hatte sich hinter den Tresen zurückgezogen und starrte mit großen Augen zu ihr herüber.

Auch David hatte die Durchsage mitbekommen und stieß einen Schwall Flüche aus. Der Druck auf ihren Arm wurde stärker und schmerzhaft. »Du sollst mich loslassen!«

»Erst, wenn wir g... geredet haben!«, lallte er und zerrte sie zur Tür, die er mit dem Fuß aufstieß. Rabiat schubste er sie nach draußen und Laura sog die Luft tief in ihre Lungen, um den Gestank seines Atems loszuwerden. Immer weiter stieß David sie vom Eingang fort, in Richtung der Parkplätze. Dort stand – mit laufendem Motor! – der abgehalfterte Jeep, den ihr Exfreund sein Eigen nannte.

Erneut packte er sie grob am Arm und öffnete mit der anderen Hand die Beifahrertür. »Steig ein!«, wies er sie harsch an und Lauras Blick glitt verzweifelt zum Eingang. Wo blieb die verdammte Security?

»David, bitte! Damit wirst du nichts erreichen, lass mich einfach gehen!«, flehte sie, und die Angst schnürte ihr fast die Luft ab. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr, doch die Hoffnung, dass ihr die Sicherheitsleute endlich zur Hilfe kamen, bewahrheitete sich nicht. Stattdessen bog ausgerechnet Ryan, gefolgt von drei Schwesternschülerinnen, um die Ecke.

»Ich habe gesagt, du s... sollst einsteigen!«, wiederholte David unterdessen seine Aufforderung. Der Zivi und seine Anhängsel waren inzwischen stehengeblieben und Laura konnte sogar von hier aus sehen, wie er versuchte, die sich ihm bietende Situation einzuschätzen. »STEIG EIN!!!«, brüllte David so dicht neben ihr, dass ihre Ohren summten, und schubste sie mit roher Gewalt in den Wagen hinein.

»He, du Vollidiot! Kannst du mir mal erzählen, was das hier wird?« Ryans Stimme klang angespannt und ... viel zu nah. Laura schloss verzweifelt die Augen, während sie versuchte, wieder aus dem Auto zu entkommen.

»W... wüsste nicht, was es d... dich angeht, was ich mit meiner F... Freundin mache!«, lallte David. Den Moment, in dem David seine Aufmerksamkeit von ihr auf den jungen Zivi richtete, nutzte Laura, um sich hochzudrücken und aufzurichten.

»Ex-Freundin!«, zischte sie und begegnete Ryans Blick, der zwischen ihr und David hin und her glitt.

»Okay, komm erst mal her zu mir, Laura!«, wies er sie ruhig an und winkte mit der Hand.

Hastig schob sie sich an David vorbei und wollte sich gerade an seine Seite stellen, als auf einmal alles ganz schnell ging. Ein Aufschrei entwich ihrem Exfreund und mit hocherhobenen Fäusten stürmte er auf Ryan zu.

»Fass meine Freundin nicht an!«, brüllte er.

Heil mich, wenn du kannst

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