Читать книгу Abgründe - Melia Rosta - Страница 8

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An den Tisch zu Noel konnte ich nicht mehr zurück. Aber einfach das Lokal zu verlassen, verbot mir mein Stolz. Also setzte ich mich an die Bar und bestellte meinen üblichen Drink. Nachdenklich starrte ich in mein Glas.

Leandro schaute mich lange an, dann kam er zu mir. „Hat Noel dich abserviert?“, fragte er etwas zu besorgt, als dass es echt sein konnte.

„Geht dich das etwas an?“, giftete ich zurück. So kannte ich mich selbst nicht! Leandro zuckte zusammen und verschwand in der Küche.

Ich hatte so laut gesprochen, dass alle an der Bar sich zu mir umdrehten. Jetzt wussten es alle! Nicht genug, dass Noel mich nur benutzt hatte, jetzt war ich auch noch vor aller Welt blamiert.

„Nicht den Kopf hängen lassen. Der tobt sich nur etwas aus“, sagte plötzlich eine fremde Stimme neben mir.

Ich schaute überrascht zur Seite. „Wer?“

„Noel.“

„Woher kennst du …?“

„Ich bin sein Bruder!“, unterbrach er mich.

„Sein Bruder?“

„Ja, so schlimm?“ Er schenkte mir ein bezauberndes Lächeln – das gleiche Lächeln, das mich auch bei Noel umgeworfen hatte. Sein Bruder war nur etwas anders gekleidet und etwas älter.

„Ich heiße Alain“, stellte er sich vor.

„Nina!“, erwiderte ich.

„Ich weiß! Er hat von dir erzählt.“

„Er hat mit dir über mich gesprochen?“, fragte ich ungläubig.

„Ist das schlimm?“

„Nein, ich bin nur überrascht.“ In meinem Kopf jagten sich die Gedanken. Bedeutete es nicht, dass diese Nacht auch Noel nicht ganz gleichgültig war, wenn er gleich seinem Bruder davon erzählt hatte? Ich musste unbedingt erfahren, was er ihm berichtet hatte.

„Dann hattet ihr ja sicher was zu lachen“, versuchte ich es.

„Im Gegenteil. Er schien sehr angetan von dir.“ Alain sah meinen skeptischen Blick und bekräftigte seine Aussage: „Tatsache!“

„Wenn man sieht, wie Noel mit dem Pferdegesicht herumknutscht … lange kann seine Begeisterung ja nicht angehalten haben.“

Alain lachte hell auf. „Er hat mir nicht erzählt, dass du so schlagfertig bist!“

Jetzt musste ich selbst lachen.

„Na, das ist ja schon besser! Das mit dem anderen Mädchen musst du nicht so ernst nehmen. Noel hat manchmal merkwürdige Anwandlungen! Als sein ältester Bruder hab ich da schon einiges miterlebt.“

„Gibt’s noch mehr von euch?“

„Ja, Marlon und Andre. Marlon ist der Jüngste. Er ist knapp ein halbes Jahr jünger als du.“

„Lauter französische Namen …“

„Ja, unsere Mutter stammt aus Frankreich! Sie lebt aber schon seit ihrem dritten Lebensjahr in Deutschland. Wir haben noch einige Verwandte dort. Noel ist erst seit ein paar Tagen vom Besuch bei unseren Großeltern zurück. Aber jetzt reden wir wieder über dich“, entschied Alain. „Noel war ziemlich fasziniert von dir, sonst hätte er kein einziges Wort über eure Nacht verloren!“

„Er hat dir von der Nacht mit mir erzählt?“ Ich war schockiert.

„Natürlich, als älterem Bruder. Manchmal waren wir auch schon Konkurrenten. Und ich muss sagen, bei dir muss er wirklich aufpassen! Wir haben den gleichen Geschmack. Was er über dich so erzählt hat, hörte sich interessant an.“

Ich war verwirrt und wurde rot.

„Entzückend“, bemerkte Alain.

„Seid ihr Brüder alle so …?“ Ich suchte nach dem passenden Wort.

„… offen?“

Ja, das war es. Ich nickte kaum merklich.

„Muss wohl das französische Blut sein.“ Alain lächelte. „Und jetzt mach dir keinen Kopf mehr über Noel und das Pferdegesicht. Der spielt nur gerade ein bisschen Macho und will dich ärgern. Vermutlich als kleine Rache. Du hättest an dem Morgen danach wirklich nicht gehen sollen.“

Das war es also: Er bestrafte mich, weil ich nicht getan hatte, was er von mir verlangte! Hätte ich mich krank gemeldet und wäre geblieben, wären mir diese unsäglich langen Tage ohne ihn erspart geblieben und das Pferdegesicht würde es nicht geben. Es war unfassbar! Ich wusste jetzt, was ich zu tun hatte.

„Komm mit!“, entschied ich und sprang vom Barhocker.

„Wohin?“

„Die Spielregeln von Noels Spiel ändern.“

„Und was für eine Rolle hast du mir zugedacht?“, fragte er mit süffisantem Lächeln.

„Die des Konkurrenten!“

Alain lachte amüsiert.

***

Noel saß noch immer mit dem Pferdegesicht im Separee, als ich mit Alain dort auftauchte.

„Da bist du ja wieder“, bemerkte Noel. Er schien nicht überrascht, dass Alain mich begleitete.

„Stören wir?“, fragte Alain.

„Natürlich nicht! Oder stört es dich, Sabine?“, fragte Noel das Pferdegesicht.

„Nein, warum denn?“, erwiderte es. „Übrigens, ich kenne dich. Wir sind in dieselbe Schule gegangen“, sagte Sabine zu mir.

Ich schaute sie genauer an und erkannte sie wieder.

„Ja, jetzt nachdem du es gesagt hast … du warst in der Parallelklasse!“, erinnerte ich mich.

„Ja, bei Frau Gross“, bestätigte sie eifrig. Als ob mich das interessierte!

Sabine war eines dieser Mädchen gewesen, die schon früh geraucht und sich nach der Schule immer mit Jungs herumgetrieben hatten. Sabines Freiheiten waren nicht ohne Folgen geblieben. Sie wurde im letzten Schuljahr schwanger, fehlte einige Zeit und kam dann wieder zurück, um noch einen Abschluss hinzubekommen. Das Kind war von einem Italiener, der sie verließ, noch bevor das Kind geboren war.

Trotz der Schwangerschaft hatte sie noch eine gute Figur, stellte ich unwillig fest. Ich hatte zwar einen phantastischen Busen, doch der Rest ließ nicht einmal zu, Minikleider zu tragen. Seit ich denken konnte, fand ich mich zu dick. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte mich meine Mutter zur Nulldiät sechs Wochen in eine Universitätsklinik geschickt. Als ich entlassen wurde, hatte ich fünfzehn Kilo abgenommen und wenige Wochen danach wurde ich vergewaltigt.

Inzwischen hatte ich wieder etwas zugenommen. Aber die Männer freilich schien gerade das anzuziehen. Mein Gesicht jedoch war das Beste an mir. Viel schöner als das von Sabine. Ihr Mund war zu breit und dünnlippig, meiner dagegen war voll und sinnlich geformt. Meine Nase war auch kleiner als die von Sabine, dafür waren meine Augen größer und hatten eine grüne intensive Farbe. Sabines waren dagegen klein und braun und standen weit auseinander! Sie hatte kurzes glattes dunkelblondes Haar, meines dagegen bedeckte die Schultern und hatte die Farbe von reifen Kastanien. Vermutlich hatte Sabine einmal Akne gehabt. Davon war ich zum Glück völlig verschont geblieben. Jedenfalls war ihre Gesichtshaut von dunklen Pickelnarben übersät. Man sah sie deutlich, obwohl ihr Gesicht mit Make-up regelrecht zugespachtelt war. So etwas brauchte ich nicht, denn ich hatte von Natur aus gebräunte Haut. Laura sagte immer, ich hätte eine Haut so zart und samtig wie ein Pfirsich. Und diese Haut hatte ich nicht nur im Gesicht! Das Schlimmste an Sabine waren jedoch die herausstehenden Vorderzähne – wie ein Pferd! Ich fragte mich, wie Noel sie küssen konnte.

„Wie geht es deinem Kind?“, fragte ich sie mit geheucheltem Interesse.

Sie wurde leicht blass.

„Du hast ein Kind?“, fragte Noel erschrocken.

Treffer, versenkt! Ein Punkt für mich!

„Ach, wusstest du das noch nicht?“, gab sie unschuldig zurück.

„Nein, woher denn? Ich kenne dich doch erst seit zwei Stunden.“ Jetzt hatte sich Noel verplappert. Als er es bemerkte, sah er mich lange an. Jetzt war ich mir sicher, dass er mich noch nicht gegen sie ausgetauscht hatte.

Doch Noel fing sich rasch wieder und lenkte ab. „Du und Alain kennt euch schon?“

„Ja, von der Bar vorne. Dein Bruder ist wirklich ein charmanter Unterhalter“, flötete ich. „Er hat mir viele interessante Dinge erzählt! Von eurer Vertrautheit und dass ihr manchmal …“

„Erwähnte ich schon, dass ich Nina ganz bezaubernd finde?“, unterbrach mich Alain, legte seinen Arm um meine Schultern und begann mit den Rüschen meiner Bluse zu spielen.

„Ja, manchmal ist sie das tatsächlich“, bestätigte Noel nachdenklich und ließ keinen Blick mehr von mir. „Hin und wieder überrascht sie regelrecht.“

„Genau so, wie du mir erzählt hast“, baute Alain die Sache aus. Er legte seine Hand auf meine Schulter und zog mich näher zu sich heran.

Noel lächelte amüsiert, was mich irritierte.

„Willst du was trinken?“, fragte mich Alain.

„Nicht nötig, ich hab noch was!“

„Nun, ich dachte da an etwas Alkoholisches, um die Stimmung noch etwas zu heben. Leandro! Zwei doppelte Amaretto und für Noel und mich noch ein Pils!“

„Nicht für mich bitte! Ich glaube, es ist besser, heute einen klaren Kopf zu behalten!“

Noel schaute mich prüfend an.

„Sei keine Spielverderberin, Nina“, schmollte Alain.

„Nein, das bin ich sicherlich nicht. Aber Alkohol ist heute nicht mein Fall!“

Noel ließ immer noch keinen Blick von mir. Man sah deutlich, dass es in seinem Kopf arbeitete. Doch Verunsicherung war nicht zu erkennen.

Leandro brachte die Gläser und verteilte sie. Das Glas vor mir rührte ich nicht an.

„Prost Nina!“, sagte Alain und hob sein Glas.

„Ich sagte doch schon … ich möchte nicht.“

„Trink!“, befahl Noel. Seine Augen hatten einen merkwürdigen Ausdruck angenommen. Ein Schauer erfasste mich. Es war, als ob er mich berührt hätte.

„Tu, was er sagt“, lachte Alain und schob das Glas näher an mich heran. „Du willst doch nicht heute als Einzige nüchtern bleiben!“

Sabine kicherte albern.

Ich kippte mein Glas hinunter. Noel lächelte zufrieden.

„Leandro! Noch eine Runde!“

Noel wendete sich der kichernden Sabine zu, während Alain mein Haar durch seine Fingerspitzen gleiten ließ. Hin und wieder berührte er meinen Nacken oder mein Ohrläppchen und spielte dann mit meinen goldenen Ohrringen. Daran hingen an Kettchen kleine goldene Herzen mit Brillanten.

„Hübsche Ohrringe“, bemerkte Alain.

„Ich habe sie geschenkt bekommen.“

„Von einem Freund?“

„Ja.“

„Er muss dich sehr geliebt haben. Es scheinen Brillanten zu sein.“

„Er hat mich geliebt, aber ich ihn nicht.“

„Oh, eine traurige Geschichte – für den Mann! Was macht er heute?“

„Weiß ich nicht! Als ich ihn verließ, wollte er sich vor meiner Haustüre mit seiner Dienstwaffe erschießen – er war Polizist!“

„Hat er es getan?“

„Nein, er hat es vorgezogen, weiter unglücklich zu sein!“

„Du bist also eine kleine Herzensbrecherin. Wie viele Herzen hast du denn bislang auf der Strecke gelassen?“

„Ich habe aufgehört zu zählen!“

Alain lachte und drückte mir unvermittelt einen Kuss auf die Wange. Ich lehnte mich an ihn. Er berührte mich immer dann, wenn Noel mich ansah. Seine Blicke hatten etwas, das ich nicht deuten konnte. Sollte er noch irgendetwas für mich empfinden, müssten meine Provokationen ihn doch aus der Reserve locken – ich erwartete Reaktionen! Ich wusste, ich spielte mit dem Feuer!

***

Aber eine Stunde und ein paar Amaretto später war Noel immer noch nicht über den Tisch gesprungen, um Alain und mich zu schütteln. Ich hatte es nicht geschafft, Noel eifersüchtig zu machen, und war frustriert! Dafür ging Alain mir inzwischen entschieden zu weit. Selbst wenn er anfangs nur so getan hatte – jetzt war er an einem Punkt angelangt, der nur zwei Möglichkeiten zuließ: entweder sofort verschwinden oder ihn abschleppen.

Wir hatten schon einiges getrunken, als plötzlich eine Lage Gespritzter, eine Mischung aus Asbach und einem kleinen Schuss Cola, auf dem Tisch stand. Ich hasste das Zeug, weil es mich immer sofort umhaute. Irgendjemand schien mich abfüllen zu wollen.

Ich traf meine Entscheidung: „Ich will nach Hause, hab genug von dem Scheiß.“

„Also gut, gehen wir nach Hause“, meinte Noel.

„Wir?“, fragte ich erstaunt. Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Oh Nina, das Spiel sollten wir nicht noch einmal spielen! Ich weiß schon, dass du keinen Kaffee zu Hause hast.“

„Ich …“, begann ich verunsichert.

„Ich weiß schon, was du dachtest. Du hast falsch gedacht, und das geht den ganzen Abend schon so. Was glaubst du, mit wem du es zu tun hast?“ Noel gab sich genervt. Er wandte sich zu Alain: „Bring das Kind endlich nach Hause – die Party geht bei ihr weiter.“

Leandro füllte für Noel noch eine Tragetüte mit einigen Flaschen Pils und Cola sowie einer Flasche Bacardi, dann gingen wir zu mir. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Noel schaltete das Radio ein, die Flaschen wurden auf dem Tisch verteilt, Gläser gefüllt. Dann setzte sich Noel zwischen Sabine und mich, Alain saß neben mir auf der anderen Seite. Alain füllte ein Glas halb mit Bacardi und halb mit Cola und gab es mir.

„Das trinke ich nicht!“, protestierte ich.

„Trink es aus!“, befahl Noel.

Sabine kicherte.

„Warum tust du das?“, fragte ich ihn.

„Weil es mir gefällt und weil ich es kann! Soll ich dir beweisen, wie berechenbar du für mich bist?“

„Du bist so von dir eingenommen, dass mir schlecht wird!“

„Schon wieder?“ Noel lächelte.

Sabine hatte ihm das also tatsächlich erzählt!

„Gib mir mal ein Blatt Papier und einen Stift!“

Ich stand auf und holte ihm, was er wollte.

„Ich werde jetzt da drauf schreiben, was du heute noch tun wirst! Du kannst dann gerne lesen, was ich schreibe und du wirst es trotzdem nicht verhindern können.“ Er schrieb, ohne dass ich es sehen konnte, auf den Zettel und gab er ihn mir. „Du kannst ihn jetzt lesen oder nachher – wie du willst.“

Ich nahm den Zettel und steckte ihn mir in den BH.

„Auch gut, dann eben später. Bist du bereit für die nächste Runde Selbsterkenntnis?“

Noel wendete sich Sabine zu, schob seine Hand unter ihren Rock und küsste sie. Sie quiekte wie ein kleines Schwein.

Das war zu viel! Ich nahm das Glas, kippte es hinunter und verließ zornig den Raum.

Im dunklen Schlafzimmer kämpfte ich gegen meine Wut an. Von draußen hörte ich Sabine kreischen: „Nein, Noel, lass das!“ Sinnloser Widerstand!

Ich warf mich mit einem Wutschrei aufs Bett und trommelte mit den Fäusten ins Kissen. Der Bacardi tat zusammen mit meinem Schmerz ganze Arbeit. Hemmungsloses Schluchzen schüttelte mich.

Ich hörte nicht, dass sich die Tür geöffnet hatte. Alain setzte sich auf die Bettkante und streichelte mir über den Rücken.

„Beruhige dich, Nina!“ Erschrocken drehte ich mich um.

„Was willst du? Lass mich in Ruhe! Oh, ich hasse ihn!“, rief ich und warf mich zurück ins Kissen.

„Vergiss ihn doch einfach jetzt für einen Moment!“ Alain streichelte mir durchs Haar.

„Vergessen? Wie soll ich diese Nacht mit ihm jemals vergessen? Mein ganzes Leben lang wird mich das verfolgen!“

„Das glaubst du nur, weil du noch nicht viel erlebt hast!“

„Es gibt nichts Besseres!“, schrie ich leidenschaftlich ins Kissen.

„Doch, das gibt es.“ Er beugte sich zu mir herunter und küsste mich in den Nacken.

„Lass mich in Ruhe! Was bildest du dir ein? Ich bin doch kein Familienerbstück!“

Alain zog mich an sich und trotz meiner heftigen Gegenwehr küsste er mich genau in dem Moment auf den Mund, als die Schlafzimmertür aufgerissen wurde und Noel das Licht einschaltete. Alain ließ mich los. Ich erstarrte.

„Noel!“

„Ihr beide scheint euch ja bestens zu amüsieren!“

„Alain hat …“, versuchte ich zu erklären und setzte mich auf.

Noel setzte sich auf den Rand des Bettes und schaute mich lächelnd an. „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, Nina. Es nützt nichts.“ Er beugte sich zu mir und küsste mich auf die Stirn. „Du hast dich zumindest für heute Nacht für Alain entschieden.“

„Nein!“, hauchte ich entsetzt.

„Bin ich blind?“

„Nein! Es ist nicht so wie es aussieht …!“

„Du wolltest mich eifersüchtig machen? Tja, da hast du jetzt ein Problem, denn Alain ist offensichtlich richtig scharf auf dich.“ Noel hob mein Kinn an und Tränen tropften auf seine Hand. „Ich habe im Moment kein so rechtes Mitleid mit dir!“ Er hielt mir das Glas hin, das er mitgebracht hatte. Es war sehr viel Bacardi mit etwas Cola, aber ich trank es gehorsam aus.

„Niemand fasst dich mehr an, ohne dass ich damit einverstanden bin – auch nicht, wenn du es selbst willst! Du wolltest mich im Napoli provozieren, nachdem du mich mit Sabine gesehen hast. Bis zu dem Moment, als du kamst und mit deiner Show anfingst, hatte sie keinerlei Bedeutung für mich! Hast du vor, jedes Mal so ein Theater zu veranstalten, wenn du mich mit einer anderen Frau siehst? Antworte!“

Ich schüttelte den Kopf.

Noel beugte sich zu mir, küsste mich auf die Stirn.

„Provoziere mich nie wieder so in der Öffentlichkeit, sonst muss ich dich bestrafen!“

„Bestrafen?“, fragte ich ungläubig.

„Ja, so wie jetzt. Zieh dich aus!“

„Noel, bitte …!“

„Du hast nach unserer ersten Nacht das Haus verlassen, obwohl ich dich bat, zu bleiben! Um dir eine Lektion zu erteilen, habe ich dich ein paar Tage lang schmoren lassen. Sabine wurde zufällig Teil dieser Maßnahme! Doch was machst du? Du benimmst dich im Napoli total daneben, versuchst mich bloßzustellen und nun erwartest du, dass ich dir das durchgehen lasse? Ich sag es nicht noch einmal – zieh dich aus! Tu es, oder ich reiß dir das Zeug runter!“

Ich zog mich unter der Bettdecke aus und zog mir die Decke bis ans Kinn. Noel legte eine Kassette ein, Musik der Bee Gees. Massachusetts erklang.

Dann gab er mir ein weiteres Glas. Dazu drückte er mir eine winzig kleine weiße Tablette in die Hand. „Nimm sie!“

Ich starrte die Tablette an, als wäre sie Gift.

„To Love Somebody, klang es aus dem Rekorder.

„Was hast du vor?“, fragte ich Noel.

Alain beobachte uns schweigend im Schummerlicht.

Er hatte auf dem einzigen Stuhl im Zimmer Platz genommen.

„Nina, nimm sie! Es ist besser so.“

„Ich will nicht!“, entschied ich.

Noel stellte das Wasserglas auf den Nachttisch und legte die Tablette daneben. „How Deep Is Your Love, drang es aus dem Rekorder.

„Wie du willst!“ Noel stand auf. „Alain, sie gehört dir!“

***

Als Alain mit mir fertig war, ging er ans Waschbecken, um sich zu säubern. Wie durch einen Schleier nahm ich das wahr. Dabei zitterte und heulte ich vor Schmerzen und Erschöpfung.

Noel erhob sich von dem Stuhl. Offensichtlich hatte er die ganze Zeit zugesehen. Er setzte sich zu mir aufs Bett und begann, die Fesseln von meinen wundgescheuerten Handgelenken zu lösen. Behutsam nahm mich Noel in seine Arme.

„Pssst, ganz ruhig. Es ist vorbei“, flüsterte er und wiegte mich, fast wie eine Mutter ihr weinendes Kind.

Alain kam zurück und gab seinem Bruder ein Glas. „Ich hab sie darin aufgelöst“, sagte er und Noel flößte mir die etwas bitter schmeckende Flüssigkeit ein. Ich wehrte mich nicht.

Dann wurde mir schwindelig und ich hatte nur noch den Wunsch zu schlafen. Die Nebelschleier, die mich umhüllten, wurden noch dichter und der Schmerz verlor seine Bedeutung. Die Bee Gees spielten nun schon zum dritten Mal denselben Song. Darüber wunderte ich mich mehr, als über die Worte der beiden Brüder, die wie durch dicke Watte zu mir durchdrangen.

„Wie fühlst du dich jetzt?“, fragte Noel mich in meine bleierne Schwerelosigkeit hinein. Wie durch Sirup kam sein Gesicht auf mich zu.

„Schwindelig“, lallte ich.

„Und sonst?“ Noel strich mir zärtlich die Haare aus dem Gesicht.

„Müde.“ Ich schloss die Augen.

„Ich glaube, du hast übertrieben, Alain“, hörte ich Noel sagen. „Wieviel war denn da drin?“

„Nur eine. Vielleicht wirkt das Zeug zusammen mit Alkohol stärker“, kam es von irgendwo aus dem Raum.

„Als ich ihr am ersten Abend eine halbe in den Drink gemischt habe, war sie lebhafter.“ Sie sprachen über mich, so viel begriff ich. Doch mehr konnte ich damit nicht anfangen.

„Dann reicht wohl künftig eine halbe, sonst hast du nicht mehr viel von ihr.“ Alain kramte in meinem Schrank und zog schließlich ein Leintuch heraus. „Ich werde das Bett frisch überziehen. Geh mit Nina ins Bad, sie soll sich waschen.“

Mühsam rappelte ich mich auf und schwankte ins Badezimmer. Noel blieb an meiner Seite und fing mich mehrmals auf, als ich zusammensackte. In der Duschwanne spülte ich eine klebrige Mischung aus Sperma und Blut in den Abfluss. Ich war überrascht über meine Verletzung, denn ich empfand keinen Schmerz. Nur als der Wasserstrahl meinen Anus traf, konnte ich ein schmerzhaftes Aufstöhnen nicht unterdrücken. Das Handtuch zeigte nach dem Abtrocknen noch Blut.

Noel schwieg die ganze Zeit. Als ich mich abgetrocknet hatte, wickelte er mich in ein frisches Badetuch. Dann führte er mich zurück ins Bett und deckte mich zu.

„Schlaf etwas, Nina. Ich bin draußen. Aber ich komme gleich wieder“, sagte er und ließ mich allein.

Durch die angelegte Tür hörte ich Noel und Alain im Wohnzimmer sprechen. Ihre Stimmen schwollen abwechselnd an und wieder ab in meinem schwindeligen Kopf.

„Wie geht es ihr?“

„Sie blutet immer noch“, sagte Noel. Der Mülleimerdeckel schnappte nach etwas Weichem. Später fand ich die blutigen Tücher dort.

„Das wird sicherlich gleich aufhören. Wahrscheinlich waren das meine Fingernägel. Sie ist aber auch verdammt eng!“

„Ich hatte dir gesagt, dass sie das noch nie gemacht hat! Leandro hatte zwar auch seine Finger in ihr drin, zu mehr ist es aber nicht gekommen.“ Noel hörte sich ärgerlich an.

„Nächstes Mal passe ich besser auf.“

„Es wird kein nächstes Mal geben, Alain!“, entschied Noel. „Du fasst sie nie mehr auf diese Weise an! Wir hatten weder ausgemacht, dass du sie ans Bett fesselst, noch, dass du sie blutig vögelst! Das war Hardcore-Porno, Alain! Ich werde das ganze Wochenende brauchen, um das wieder in Ordnung zu bringen.“

„Sie wird aber nie wieder versuchen, dich mit einem anderen Typen eifersüchtig zu machen. Außerdem wolltest du doch, dass ich sie bestrafe.“

Noel lachte bitter. „So brutal sicher nicht! Und dass du sie mit dem Kissen fast erstickt hast, als sie vor Schmerzen wie ein Tier schrie, war barbarisch! Du hättest auch etwas gefühlvoller mit ihr umgehen können. Es war das erste Mal, dass sie sowas gemacht hat.“

„Jetzt dramatisiere das Ganze mal nicht! Die meisten Weiber finden es geil, in den Arsch gefickt zu werden.“

„Nur weil du deinen Schwanz aus keinem Arsch lassen kannst, der dir über dem Weg läuft, muss Nina das nicht unbedingt auf Anhieb geil finden“, brummte Noel.

„Du bist doch sonst nicht so! Wie viele Schlampen haben wir inzwischen schon zusammen durchgevögelt? Denk an Sandy, der konntest sogar du deinen Mega-Schwanz in den Arsch schieben und hinterher hat dir das geile Miststück noch einen geblasen und dich fast ausgesaugt!“

„Wahrscheinlich war ich der Hundertste, denn ich hatte richtig viel Platz.“

Alain lachte. „Tja, wenn man so einen großen Schwengel hat, dann passt man halt nicht überall rein. Deshalb musste ich ja auch bei deiner neuen Perle ran.“

„Bedauerlicherweise!“

„Was willst du nur mit der Kleinen? Sie heult die ganze Zeit, wehrt sich gegen alles, und wenn man sie vögelt, dann muss man aufpassen, dass man sie nicht zerreißt. Du kommst da niemals richtig rein! Ich hatte ja schon Schwierigkeiten! Außerdem ist sie ist ein völlig unerfahrenes Gör, ein Kind!“

„Sie ist viel mehr“, brach es aus Noel heraus. „Sie ist so was wie ein Rohdiamant! Etwas ganz Besonderes!“

„Jetzt spinnst du aber! Was soll an der Besonderes sein? Ja, okay, sie hat ein hübsches Gesicht und wenn sie einen flehend mit ihren großen Augen anschaut, dann wird einem schon ein bisschen warm ums Herz, aber das war es doch dann schon!“ Alain dachte kurz nach, dann sagte er. „Gut, geile Titten hat sie auch noch.“

„Es ist wie sie sich gibt! Wie sie mich anschaut, wenn ich mich in sie schiebe! Wie sie reagiert, wenn ich sie schließlich härter rannehme! Wie sie fleht, wenn es ihr zu viel wird. Wie sie meine Zärtlichkeiten aufnimmt! Die Momente, wenn sie dann wieder zu allem bereit ist, nur um mich glücklich zu machen, die sind einfach unglaublich!“

„Noel, du hattest sie erst einmal, aber ich glaub fast, dich hat es voll erwischt!“

„Diese erste Nacht hatte etwas ganz Besonderes! Es war faszinierend, sie zu beherrschen, ihre Grenzen auszutesten und zu übertreten und dabei ihre Reaktionen zu beobachten!“

„Pass bloß auf, dass dich ihre Hingabe nicht süchtig macht!“, meinte Alain lachend.

Als ich aufwachte, hatte ich furchtbaren Durst. Ich trank das halbvolle Glas, das noch auf dem Nachttisch stand, in einem Zug aus. Dann legte ich mich wieder in die Kissen zurück und lauschte den Geräuschen aus dem Wohnzimmer. Kaum hatte ich das Glas wieder abgestellt, fühlte ich mich merkwürdig geistesabwesend. Da betrat Noel das Zimmer. Als er sah, dass ich wach war, setzte er sich zu mir aufs Bett und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Ich reagierte nicht. Da begriff er, dass etwas nicht mit mir stimmte. Sein Blick fiel auf das Glas auf dem Nachttisch.

„Du hast es leergetrunken?“

Ich nickte.

„Wann war das?“

Seine Worte drangen wie in Mullverpackung zu mir. „Vor ein paar Minuten“, antwortete ich abwesend.

„Verdammt!“, fluchte er, zerrte mich aus dem Bett und schleppte mich, nur in das Badetuch eingewickelt, über den Flur zum Klo. Bevor ich wusste, wie mir geschah, drückte er mich über die Schüssel und schob er mir seine Finger in den Hals. Ich übergab mich augenblicklich. Es war beschämend!

„Alles okay, Nina. Gleich ist es vorbei“, sagte er und wischte mein Gesicht ab. Dann hob er mich auf und brachte mich zur Dusche. Abwechselnd brauste er mich mit warmem und kaltem Wasser. Ich kreischte jedes Mal, wenn er die Dusche auf eiskalt stellte. Doch meine Benommenheit verschwand. Danach führte mich Noel vor das Waschbecken und drückte mir wortlos meine Zahnbürste in die Hand. Während ich mir die Zähne putzte, blieb er bei mir stehen.

„Na, geht’s wieder?“

„Mir ist noch etwas schwindelig.“

„Du hast aus Versehen noch mal die gleiche Dosis wie gestern in dich reingeschüttet! Wenn wir das drin gelassen hätten, hättest du wahrscheinlich noch mal 24 Stunden geschlafen.“ Ich sah zum Fenster, es wurde schon wieder dunkel. Ich hatte tatsächlich den ganzen Tag verschlafen!

„Du musst etwas essen“, sagte Noel. „Alain hat heute Morgen eingekauft, du hattest kaum was im Kühlschrank. Ich bringe dich jetzt wieder ins Bett und hole dir ein belegtes Brötchen. Willst du Marmelade, Käse oder Schinken?“

Noel wartete meine Antwort nicht ab und schob mich ins Schlafzimmer.

„Wo ist …?“

„Alain?“

Ich nickte.

„Er ist heute Mittag gegangen.“

„Und Sabine?“

Noel deckte mich zu. „Die hab ich schon gestern nach Hause geschickt, nachdem du mit Alain im Schlafzimmer verschwunden bist. Willst du Erdbeermarmelade, Käse oder Schinken?“

„Marmelade“, antwortete ich, ohne darüber nachzudenken, und starrte ihn fassungslos an. Ich traute meinen Sinnen nicht: Er verhielt sich so, als wäre nichts geschehen!

Als ich den Rekorder anschaltete, war noch immer dieselbe Kassette drin. „How Deep Is Your Love“, quakten die Bee Gees mir höhnisch entgegen. Auf dem Nachttisch lag der Papierschnipsel, auf den Noel geschrieben hatte. Ich hob ihn auf und faltete ihn auseinander. „Du verbringst die Nacht mit Alain!“, stand dort in großen Buchstaben. Ich sackte ins Kopfkissen und starrte an die Decke. Was für ein Albtraum!

Noel kam mit einem Teller zurück, auf dem ein aufgeschnittenes Brötchen bestrichen mit Butter und Marmelade lag. Außerdem hatte er eine Tasse heißen Tee mitgebracht.

„Ich hab Pfefferminztee gemacht. Besser wäre Kamillentee, aber du hast keinen hier. Aber vermutlich beruhigt sich dein Magen auch so wieder.“ Er stellte den Teller auf den Nachttisch.

Ich legte den auseinandergefalteten Zettel neben den Teller, ohne Noel dabei aus den Augen zu lassen. Er sah genau, was ich da hinlegte, doch in seinem Gesicht zeigte sich keinerlei Regung. Er wirkte nicht im Geringsten verunsichert. Stattdessen hielt er mir den heißen Tee entgegen. „Wenn er den jetzt über mir ausschüttet“, dachte ich plötzlich. Doch dann griff ich nach der Tasse und trank. Auch das Brötchen aß ich. Erst als ich fertig war, nahm Noel den Teller, die Tasse und … den Zettel.

Dann kam er zurück, zog sich bis auf den Slip aus und legte sich zu mir. Er drückte meinen nackten Körper an sich.

„Du zitterst ja“, sagte er verwundert. Er streichelte durch mein Haar, nahm meine Hand und betrachtete mein Handgelenk. Man sah noch immer die Auswirkungen der Nylonstrumpffesseln in der vergangenen Nacht. „Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Es ist vorbei.“

„Ich …!“

„Pssst, kein Wort Nina. Vergiss, was geschehen ist. In Zukunft tust du genau das, was ich von dir verlange, dann passiert so etwas nie wieder. Und vor allem: Provoziere mich nie wieder!“

Noel nahm meine Hand und küsste das geschundene Handgelenk. Dabei ließ er keinen Blick von meinem Gesicht. Dann legte er meine Hände über meinen Kopf.

„Bleib so und beweg dich nicht. Sag nichts.“ Noel schob die Bettdecke bis zu meinen Hüften hinab. Meine Brustwarzen zogen sich zusammen, als er sie berührte. „You Stepped into My Life“, klang es aus dem Rekorder. Noel lächelte. Mit Liebkosungen am ganzen Körper brachte er mich fast um den Verstand. Dabei ließ er nicht zu, dass ich ihn berührte. Wahnsinnig vor Lust konnte ich kaum noch erwarten, bis er in mich drang. Doch unvermittelt ließ er von mir ab und sprang aus dem Bett.

„Zieh dir was Hübsches an, wir gehen noch weg.“

Was war das jetzt? Erst entfachte er Gefühle in mir, dass ich regelrecht dampfte vor Verlangen, und dann ließ er mich einfach so liegen? Ich hatte so weiche Knie, dass ich mich kaum fähig fühlte aufzustehen. War dies eine neue Variante seines Spiels? Verwirrt sah ich ihm zu, wie er sich anzog.

„Was ist los, Nina?“

„Ich versteh das nicht!“

Er lächelte. „Vermutlich wirst du das nie.“

„Du verhältst dich so …“ Schon wieder fiel mir kein passendes Wort ein.

„… unberechenbar?“, ergänzte Noel.

„… anders!“

„… als die Männer, die du vor mir hattest? Wie viel waren es, Nina? Zwei? Drei?“

Ich schwieg. Wie sollte ich ihm auch erklären, was vor ihm geschehen war?

„Du willst es mir nicht sagen?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Leandro war nicht dein Erster, dann waren es mehr als drei“, spekulierte er.

Ich senkte den Blick.

Er setzte sich zu mir aufs Bett, nahm mein Kinn und zwang mich ihn anzuschauen. „Egal wie viele es waren – du wirst dich schon in wenigen Wochen kaum mehr an ihre Namen erinnern!“

***

Noel hatte mir ein Kleid ausgesucht. Wie die meisten meiner Kleider war es verspielt, berüscht, bunt. Doch dieses hatte einen ziemlich tiefen Ausschnitt. Als ich mir einen BH anziehen wollte, nahm ihn mir Noel weg. „Ich will, dass du heute keinen BH trägst.“ Auch mein Make-up korrigierte er: „Mach den Lipgloss weg.“

Ich tat es, wenn auch widerwillig. Als ich mich umdrehte, schlang er den Arm um meine Taille und küsste mich.

„So ist es besser!“ Dann küsste er mich noch einmal. Seine Hände tasteten sich an meinem Körper entlang, schoben sich unter mein Kleid und erreichten meinen Slip. Mit beiden Händen umfasste er meine Pobacken und drückte mich leidenschaftlich an sich. Dann ließ er meinen winzigen Tanga auf den Boden gleiten. Wieder küsste er mich. Ich schloss die Augen, als sich seine Hand zwischen meine Beine schob. Als ich aufstöhnte, ließ er mich plötzlich los und sagte: „Wenn wir jetzt nicht gehen, wird das heute nichts mehr!“

Ich war noch zu aufgewühlt, um protestieren zu können. Als er dann auch noch verlangte, dass ich meinen Slip nicht wieder anzog, starrte ich ihn nur fassungslos an. So verließ ich zum ersten Mal in meinem Leben das Haus ohne Unterwäsche! Trotz Kleid fühlte ich mich nackt.

„Du wirst heute Abend keinen Tropfen Alkohol anrühren und dich höchstens so weit von mir entfernen, wie ich dich sehen kann“, sagte er, als wir vor dem Haus auf ein Taxi warteten, legte seinen Arm um meine Taille und küsste mich.

Auch im Taxi fuhr er fort, meine Sinne zu verwirren. Unbemerkt vom Fahrer schob er seine Hand zwischen meine Schenkel. Ich starrte krampfhaft aus dem Fenster, als seine Fingerspitzen mich sanft berührten und versuchte, meinen Atem unter Kontrolle zu halten. Die sanfte Folter erreichte einen Punkt, an dem ich das Stöhnen nicht mehr unterdrücken konnte. Doch da stoppte das Taxi. Noel zahlte, öffnete die Türe und stieg aus.

„Willst du nicht mitkommen?“, fragte er lachend, als ich nicht sofort folgte und führte mich an der Hand in ein Lokal, in dem ich zuvor noch nie gewesen war. An der Bar erkannte ich Alain. Als unsere Blicke sich trafen, erstarrte ich. Obwohl Noel zweifellos meine Körperspannung bemerkte, schob er mich unerbittlich durch die Menge weiter in Alains Richtung. Mir war, als würde ich den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Erinnerung an die vergangene Nacht holte mich ein. Panik überkam mich!

„Hallo, Nina“, lächelte Alain mich an. „Sprichst du nicht mehr mit mir?“

Noel beobachtete mich genau. „Antworte!“, befahl er. Ich suchte seinen Blick. Er war eisig. Meine Augen füllten sich mit hilflosen Tränen.

„Hallo Alain“, flüsterte ich gehorsam und senkte meinen Blick.

Noel setzte sich auf einen Barhocker und stellte mich zwischen seine Knie.

„Ein hübsches Kleid trägst du da“, sagte Alain. Er streckte die Hand nach mir aus und befingerte die Rüschen an meinem Ausschnitt. Ich erstarrte. „Überraschende Ausblicke!“, meinte er anerkennend.

Noels Hand legte sich auf meine Schulter und verhinderte so, dass ich auswich. Hilfesuchend sah ich Noel an.

„Du zitterst ja, Nina“, stellte Noel fest.

„Mir ist kalt“, log ich.

Er drehte mich zu sich. „Was fühlst du wirklich?“

Ich senkte meinen Blick. Er zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. „Sag es mir!“

Ich fühlte, wie sich eine Träne aus meinen Augenwinkeln löste. Noel fing sie mit seinen Fingerspitzen auf.

„So schlimm?“

Ich konnte nicht verhindern, dass eine weitere Träne folgte.

„Was ist das für ein Schmerz, den du jetzt fühlst, Nina?“

„Ich … ich will nach Haus!“, brachte ich nur hervor.

„Du willst von hier weg? Warum? Sprich es aus!“

„Ich kann nicht!“

Alain war vom Stuhl gerutscht und trat hinter mich. Als er meine Hüfte berührte, zuckte ich zusammen. Noel umfasste meine Schultern und schob mich von sich.

„Was empfindest du, Nina?“

Alains Hand strich über mein Kleid, glitt über meinen Po.

„Bitte nicht“, flüsterte ich.

Alain hatte den Saum meines Kleides erreicht und schob seine Hand darunter.

„Beschreibe deine Gefühle, Nina! Nur wenn du antwortest, wird Alain aufhören.“

Kurz bevor Alain meinen nackten Hintern berührte, platzte ich heraus: „Ich ertrage es nicht, von ihm berührt zu werden! Ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen! Was er letzte Nacht mit mir getan hat, war so grausam und erniedrigend! Ich fühle mich auch jetzt benutzt und ausgeliefert! Ich kann nicht ...!“

Meine Tränen rannen auf Noels Satinhemd. „Bitte Noel, sag ihm, dass er damit aufhören soll!“, schrie ich.

„Lass sie los, Alain!“, entschied Noel und lächelte mich triumphierend an. „Ich befürchtete schon, du lässt es wirklich darauf ankommen, Nina!“ Er wischte mir die Tränen ab und hielt mich im Arm, bis ich mich vollständig beruhigt hatte. Als er mich von sich schob, war sein Hemd nass.

„Zum Glück ist deine Wimperntusche wasserfest“, meinte er nur. Er küsste mich auf die Stirn, drückte mir Geld in die Hand und schickte mich zur Musikbox. The Name Of The Game von Abba fand ich treffend und drückte dies als erstes. Nacheinander wählte ich Hits wie Ti amo, Mull Of Kintyre oder Living Next Door To Alice. Als ich wieder zu Noel zurückkam, war Alain verschwunden. Noel lächelte mich an. Er hatte mir inzwischen eine Cola bestellt. Besitzergreifend schob er mich zwischen seine Knie und legte den Arm um meine Taille.

„Eines meiner Lieblingslieder“, flüsterte er, als Mull of Kintyre erklang und drückte mich an sich.

Als ein etwas abgelegener Tisch frei wurde, zog mich Noel hinter sich her auf die mit schwarzem glattem Kunstleder überzogene Sitzbank. Bevor ich mich setzte, hob er den Saum meines Kleides, damit ich nichts zwischen meiner nackten Haut und dem kühlen Leder fühlte. Wieder beugte er sich zu mir und küsste mich. Gleichzeitig drängte seine Hand zwischen meine Schenkel. Sobald er jedoch bemerkte, dass ich Lust empfand, ließ er ab von mir und sah mich an.

„Was willst du lieber, Spaghetti Carbonara oder Rigatoni Bolognese?“

„Ich hab keinen Hunger“, flüsterte ich, noch benommen.

„Dann iss wenigstens einen Salat.“

„Oh Noel, wie kannst du jetzt nur ans Essen denken?“

„Von Luft und Liebe allein lebt es sich nun mal schlecht.“ Er winkte die Bedienung zu uns und bestellte für sich die Spaghetti und für mich den gemischten Salat nach Art des Hauses.

„Iss“, befahl er, als wenig später der Teller vor mir stand. Doch ich stocherte nur in den Salatblättern herum. Die Bedienung erlöste mich schließlich und räumte ab.

„Was ist los, Nina?“

„Ich kann nichts essen.“

„Warum nicht?“

„Keine Ahnung.“ Wie konnte ich das Gefühlschaos in mir in Worte fassen?

„Nina, wie wäre es denn, wenn du langsam damit aufhören würdest, mir und dir selbst etwas vorzumachen“, sagte er vorwurfsvoll.

Ich schwieg. Wer machte denn wem wohl was vor?

„Willst du mich jetzt tatsächlich anschweigen, Nina?“ Er sah mich lange an.

Langsam begannen sich Worte in mir zu formen. Ganze Sätze bildeten sich und reihten sich wie Perlenschnüre aneinander. Doch kein Wort kam über meine Lippen. Noel schwieg ebenfalls, sah mich nur abwartend an. Trotz des Lärms der Menschen und der Musik um mich fühlte ich mich allein. Plötzlich sah ich wieder meinen Stiefvater, wie er vor mir stand und mit geheucheltem Verständnis versuchte, mich zum Reden zu bewegen, eine Erklärung für mein Verhalten zu bekommen – irgendetwas. Doch es kam nichts! Wenn er dann seinen Ledergürtel aus der Hose zog, wollten die Worte hinaus aus meinem Mund. Doch es war dann immer, als sei mein Hals zugeschnürt. Panik fühlte ich dann in mir, Hilflosigkeit. Und die brennende Hoffnung, dass er auf der Stelle vom Blitz getroffen tot umfallen würde. Wenn er den Gürtel hob und zum Schlag ausholte, schluchzte ich auf.

Noel griff nach meiner Hand. Ich brauchte einen Augenblick, um ihn zu erkennen.

„Nina, wo warst du eben?“, forschte er.

„Oh Gott“, flüsterte ich, „es war, als wäre er hier gewesen!“

„Wer?“

„Mein Stiefvater!“

„Was hat dich an ihn erinnert?“

„Die Situation eben! Als du auf meine Antwort wartetest und ich nicht sprechen konnte! Immer, wenn das geschah, hat er mich …“

Noel sah mich besorgt an. „Was hat er dir angetan?“

„… er hat mich geschlagen!“

„Er muss dir sehr wehgetan haben, Nina, wenn du solche Flashs hast!“

„Es waren nicht nur die Schmerzen, sondern die Art, wie er es getan hat!“

„Willst du darüber sprechen?“

„Nicht hier!“

„Gut, dann fahren wir jetzt nach Hause, machen es uns gemütlich, und wenn du dann noch willst, erzählst du mir, was damals passiert ist.“

Im Taxi sprach Noel kein Wort und meine Gedanken schweiften erneut ab. Er bemerkte es und nahm mich in den Arm. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und wünschte mir, er würde mich nie wieder loslassen.

In der Wohnung schaltete Noel den Kassettenrekorder ein und setzte sich zu mir aufs Sofa. Er zog mich an sich, und ich legte meinen Kopf auf seine Brust. „All This Making Love“, sangen die Bee Gees. Wir lagen eine ganze Zeit so. Unablässig ließ er meine Haare durch seine Finger gleiten und spielte mit den Rüschen meines Kleides.

„Ich werde dich niemals schlagen, Nina! Egal was du sagst oder nicht sagst, gleichgültig was du auch tust!“, sagte er und beugte sich zu mir, um mich auf die Stirn zu küssen. Tränen der Dankbarkeit glitzerten in meinen Augen, als ich ihn ansah.

„Lass uns schlafen gehen, Nina“, schlug er vor.

Und noch in derselben Nacht erzählte ich Noel weinend von den demütigenden Misshandlungen meines Stiefvaters.

Noel gab sich verständnisvoll, tröstete mich und beteuerte noch einmal, dass er sich niemals dazu hinreißen lassen würde, mich zu schlagen.

Dass es unzählige andere Möglichkeiten gab, grausam seine Ziele durchzusetzen, wusste ich damals noch nicht.

Abgründe

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