Читать книгу Schwingungswelten - Melinde Manner - Страница 7

Ein wichtiger Austausch

Оглавление

Am nächsten Vormittag räumt Valentin seine Wohnung auf, putzt gründlich und versucht, sich abzulenken. Alles ist ihm lieber als bewusst nachzudenken oder Gedanken zuzulassen, die ihn verunsichern.

Selbst das Mittagessen lässt er ausfallen. Er macht sich einen Eiweißshake, doch mehr bekommt er nicht hinunter.

Um 13.30 Uhr macht er sich auf den Weg zum Unicorn. Obwohl er gemütlich schlendert, ist er eine Viertelstunde später am Treffpunkt. Er betritt das Café und sieht sich um. Silvio ist noch nicht da. Valentin sucht sich einen Platz am Fenster, um den Eingang außen zu überblicken und bestellt sich ein Mineralwasser.

Kurz vor 14.00 Uhr entdeckt er Silvio. Es ist nicht schwer, den Lehrer wiederzuerkennen. Sein südländisches Aussehen und seine Ausstrahlung fallen angenehm auf.

Als Silvio das Lokal betritt, winkt Valentin und eilt ihm entgegen.

"Hallo, Valentin. Wo sitzen Sie?"

"Gleich da hinten. Schön, dass wir uns so schnell treffen können.“

Sie setzen sich und Silvio bestellt sich einen doppelten Espresso. Nachdem die junge Bedienung ihren Tisch verlässt, wendet sich der Lehrer Valentin zu:

"Also, erzählen Sie. Was ist passiert? Sie sagten am Telefon, Sie seien wieder ganz verunsichert."

"Genau. Ich war gerade am Einschlafen, als mir plötzlich alle möglichen Gedanken durch den Kopf gingen. Um mich kurzzufassen: Zum Schluss war ich mir nicht mehr sicher, ob ich die richtige Entscheidung treffe. Ging es Ihnen auch so?"

"Ja, bei mir war es so ähnlich. Und an dieser Stelle will ich ganz offen zu Ihnen sein, Valentin. Ansonsten bringt unser Gespräch nichts.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich nichts zu verlieren. Meine Ehe ist nach 6 Jahren in die Brüche gegangen, und da ich starke Rückenschmerzen hatte und auch der rechte Arm oft nicht richtig frei beweglich war, konnte ich in meinem Beruf als Schreiner nicht mehr weiterarbeiten. Die Ärzte haben nichts gefunden und meinten, es sei psychosomatisch. Sie wollten mich in eine dafür spezialisierte Klinik zur Reha schicken. Das war für mich unvorstellbar. Ich musste umdenken.

Ich hatte schon immer viel Spaß an Sprachen und war gern unter Menschen. Also, habe ich mir gedacht, warum nicht das Ganze miteinander verbinden und neu anfangen?"

Silvio macht eine Pause und nippt an seinem Espresso. Er wirkt nachdenklich und fährt nach einem kurzen Innehalten mit seiner Erzählung fort:

"Mir ging alles Mögliche durch den Kopf. In diesem Alter nochmal neu anfangen? Wovon soll ich in der Zwischenzeit leben? Was, wenn das alles keine Zukunft hat und ich keinen Job finde? Was, wenn ich die Ausbildung nicht schaffe?

Das ist alles schon so lange her, dass ich mich an die vielen Wenns und Abers gar nicht mehr erinnern kann. Doch ich weiß noch sehr genau, dass mich die vielen Fragen etliche Nächte wachgehalten hatten.

Zu dieser Zeit las ich sehr viel, habe verzweifelt nach Antworten gesucht. Und eines Tages wurde mir klar, dass all die Fragen, die Zweifel nichts als Ausreden waren.

Ich wollte mein gewohntes Umfeld nicht verlassen. Es war alles um mich so voraussehbar. Das erfüllte mich zwar nicht, machte aber mein Leben bequem. Nichts Neues, keine Anstrengungen. Ich steckte fest in meinen Gewohnheiten.

Das macht die Entscheidung genau genommen so schwer: Alte Gewohnheiten aufzugeben und auf eine neue Art zu denken und zu handeln.

Aber das ist die einzige Möglichkeit, herauszukommen: Eine klare Entscheidung zu treffen, von der du dich nicht mehr abbringen lässt. Egal von wem oder was.

Und ich wollte weder in eine psychosomatische Klinik, noch mit Schmerzen leben oder gar so arbeiten. An dem Tag, als meine Entscheidung so fest war, dass sie alle Wenns und Abers in den Schatten stellte, fing es an, bergauf zu gehen. Auf einmal fiel es mir leicht, auf irgendwelche Ausreden nicht mehr zu reagieren. Ich erkannte sie und sagte mir, nein, darauf lasse ich mich nicht mehr ein.

Verstehen Sie, was ich meine?"

Valentin hört die ganze Zeit über wie gebannt zu.

Mehr und mehr wird ihm klar, dass er aufgeschlossener sein muss. Er spürt in sich hinein und stellt freudig fest, dass sein Herz ruhig und gleichmäßig schlägt.

Das ist ein gutes Zeichen, überlegt er kurz, bevor er zu seiner Antwort ansetzt.

"Ich verstehe sehr wohl. Nur, wie soll ich sagen ... Ich dachte, ich hätte meine Entscheidung schon getroffen. Dann tauchten aber die vielen Wenns und Abers auf, wie Sie diese nannten ..."

"Und was haben diese Gedanken gesagt? Können Sie mir ein Beispiel geben?", hakt Silvio nach.

Valentin fasst seinen ganzen Mut zusammen und ist bereit, einen Teil seiner Geschichte zu erzählen.

"Dazu muss ich erst etwas ausholen, damit Sie es verstehen.

Ich werde an meinem Arbeitsplatz von 2 Kollegen gemobbt. Sie schließen mich aus, beschimpfen mich und wenn etwas schiefläuft, schieben sie die Schuld auf mich. Sie geben vor, so viel Arbeit zu haben, dass sie keine Zeit hätten, mir zu helfen, wenn es bei mir mit einem Auftrag knapp wird. Aber genau genommen, machen sie fast den ganzen Tag nichts. Der Chef ist selten in der Werkstatt und das nutzen sie aus."

Valentin stockt kurz, spricht es dann aber doch aus: "Das Allerschlimmste sind ihre Beschimpfungen. Sie beschämen und erniedrigen mich."

Und da passiert es: Er kämpft mit den Tränen. Es tauchen Bilder in ihm auf, Szenen mit den Kollegen und all die Emotionen, die er damit verbindet. Peinlich berührt, wendet er sich von Silvio ab und holt ein paarmal tief Luft.

Silvio reagiert schnell. Er geht zur Bedienung, bezahlt und eilt zurück zu Valentin.

"Kommen Sie, gehen wir zu dieser Bank, wo wir vor kurzem saßen."

Er fasst Valentin am Arm und zieht ihn sanft mit sich. Dieser lässt sich gern führen. Sie gehen raus, Valentin mit gesenktem Kopf. Er hat nicht den Mut, aufzublicken. Die beiden marschieren zur Bank.

"Also gut, Valentin. Wie geht es Ihnen? Sie müssen sich nicht schämen. Nicht hier und nicht jetzt. Und schon gar nicht vor mir. Es ist alles in Ordnung."

Valentin nickt und sie sitzen eine Weile still nebeneinander. Es ist keine schwere, erdrückende Stille. Nein, sie füllt den Raum zwischen und um die beiden mit einer besonderen Bedeutung.

Für Valentin eröffnet sich eine neue Welt. Der Lehrer lehnt ihn nicht ab. Selbst jetzt nicht, obwohl er fast zusammenbricht. Er fühlt sich sicher und aufgehoben.

Und Silvio? Er wacht auf. Er fängt an zu verstehen, dass es bei Valentin um mehr geht als nur um einen kleinen Ratschlag, den man jemandem bei einer Tasse Kaffe gibt. Tief berührt, widmet er seine volle Aufmerksamkeit Valentin, als dieser erneut zu sprechen beginnt.

"Genau darum geht es. Das waren die Gedanken, die mich wieder verunsichert haben. Ich habe Angst, dass ich in der Schule auch so behandelt werde. Dass mich die anderen Schüler nicht mögen", fährt Valentin fort, nachdem er sich etwas gefasst hat.

"Ich war noch nie besonders beliebt in der Schule. Es gab eine Zeit, da lief es etwas besser. Damals war ich mit dem Sohn unseres Sportlehrers befreundet. Er war beliebt und wir waren oft zusammen. Deshalb akzeptierten mich, wahrscheinlich eher zwangsläufig, auch die anderen. Das war eine große Ausnahme."

"Und Sie glauben, dass Ihr ganzes Leben so verlaufen muss, wie es bisher war?", will der Lehrer wissen.

"Warum nicht? Warum soll auf einmal alles anders sein?"

"Weil Sie die Möglichkeit haben, sich zu ändern. Wenn Sie sich verändern, werden andere darauf reagieren. So lange Sie sich als Opfer fühlen, verhalten Sie sich auch so. Das merken mehr Menschen als Sie glauben und behandeln Sie entsprechend.

Verstehen Sie mich nicht falsch, Valentin. Ich glaube Ihnen und ich verstehe auch, dass Sie gemobbt wurden. Das ist eine Sache. Im Augenblick geht das aber nur dann so weiter, wenn Sie jetzt zu Ihrem Arbeitsplatz zurückgehen.

Wenn Sie sich für die Schule entscheiden, ist das Vergangenheit. Sie haben die Möglichkeit, in Ihrer neuen Schule, sogar in Ihrem ganzen Leben, sich anders zu verhalten und alles anders zu erleben. Keinem mehr die Macht zu geben, darüber zu bestimmen, wie es Ihnen geht. Wie hört sich das an?"

Valentin blickt nachdenklich in die Ferne. Er ist verunsichert. Wer ist Silvio, fragt er sich. Oder besser gesagt, was? Gerade hat er sich noch so sicher bei ihm gefühlt. Jetzt klingt er wie ein Guru. Und doch lassen ihn die Worte des Lehrers nicht los. Sie wecken in ihm Hoffnung. Hoffnung und die Kraft, wieder aufzustehen und sich dem Leben zu stellen.

Er blickt Silvio an und lässt die Bombe platzen: "Sie wollen mich jetzt aber nicht bekehren oder sowas? Sie sind nicht irgendwie, ich weiß nicht, von einer Sekte oder so?"

Der Lehrer lacht und schüttelt den Kopf. "Nein, ganz sicher nicht. Wissen Sie, ich habe damals, als ich anfing, mich mit Spiritualität zu beschäftigen und darüber zu lesen, zunächst so ähnlich reagiert. Aber je mehr Bücher ich verschlang, umso bewusster wurde mir, dass die meisten Weisheiten aus einer Zeit stammen, als die Menschen nichts anderes zur Hand hatten.

Es gab keine Beratungscenter. Keine Coachingprogramme, die einem alles Mögliche versprachen. Alles, was sie hatten, waren ihre Erfahrungen und Erkenntnisse, die sie weitergaben. Vieles, was Sie heute in einem Coachingprogramm zu hören bekommen, sagten schon die Urvölker.

Na ja, das würde jetzt den Rahmen sprengen, mehr darüber zu erzählen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich will Sie nicht bekehren und ich bin auch nicht von einer Sekte. Ich möchte Ihnen nur helfen, aber das müssen Sie natürlich selbst auch wollen."

Beim letzten Satz wird Silvio sehr ernst. Er blickt Valentin von der Seite an und wartet, bis dieser bereit ist und ihm ebenfalls in die Augen sieht.

In diesem bedeutenden Moment scheint für die Zwei die Welt still zu stehen. Alles, was sie wahrnehmen, sind ihre eigenen Herzschläge. Sie sprechen kein Wort; sie kommunizieren mit ihren Herzen und das ist beiden genug. So bleiben sie wortlos nebeneinander für einige Zeit sitzen.

Als Silvio nach einer Weile die Stille unterbricht, ist es für Valentin wie ein perfekt gewählter Zeitpunkt. Er will Hilfe. Ganz klar. Und er ist bereit, darum zu bitten.

"Vielleicht sollten wir anfangen, uns zu duzen? Trinken wir noch etwas zusammen und besiegeln das Du? Und dann fangen wir an, Schritt für Schritt?"

Valentin lächelt. "Das klingt phantastisch."

Sie gehen zurück ins Café und verbringen eine gemütliche Stunde zusammen. Silvio lässt ein paar Tipps in die Unterhaltung einfließen, aber es ist kein besonders tiefgründiges Gespräch, das sie führen.

Darum geht es ihnen nicht. Sie wollen sich kennenlernen. Sie wollen Vertrauen aufbauen. Sie wollen etwas bewirken. Aber eines nach dem anderen.

Schwingungswelten

Подняться наверх