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2. Beteiligung Privater
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Problematisch sind die Fälle, in denen eine Privatperson aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages zur Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe herangezogen wird. Für den Amtswalterbegriff kommt es, wie bereits gezeigt, nicht auf den Charakter der Beziehung zwischen Staat und Amtswalter an, sondern nur auf die im Verhältnis zum Bürger zu qualifizierende Tätigkeit. Das Handeln einer Privatperson lässt sich als solches aber nicht zwingend dem Öffentlichen Recht zuordnen. Eine hierfür sprechende Vermutung aus einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis besteht in diesem Fall gerade nicht. Die Frage lautet, wie lässt sich das Handeln der Privatperson dem Staat zurechnen?
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Die Rechtsprechung des BGH hat zunächst in Anlehnung an § 831 BGB das Handeln von Privatpersonen dem Staat zugerechnet, wenn dessen Tätigkeit vollständig weisungsgebunden ist. Der Private wird dann wie ein bloßes Werkzeug des Staates tätig,[20] sog. Werkzeugtheorie.
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Diese Position hat der BGH nunmehr modifiziert. Danach kommt es nicht mehr allein auf den Aspekt des Entscheidungsspielraums bzw. der Weisungsgebundenheit an, sondern auch auf die Nähe zum öffentlich-rechtlichen Funktionsbereich. In einer Gesamtschau aller Umstände orientiert der BGH sich dabei
1. | am hoheitlichen bzw. nicht hoheitlichen Charakter der wahrgenommenen Aufgabe, |
2. | an der Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zu dieser Aufgabe und |
3. | dem Entscheidungsspielraum des beauftragten Unternehmers.[21] |
Dieser Modifizierung liegt die das Deliktsrecht bestimmende Überlegung zugrunde, dass jeder nur für die Gefahren haften soll, die er auch beherrschen kann.
Der BGH hat in Konsequenz dieser Modifizierung eine regelmäßige Haftung des Staates für in seinem Auftrag tätige Privatpersonen im Bereich der Eingriffsverwaltung[22] und im Bereich öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse[23] bejaht.[24]
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Für den Bereich der Leistungsverwaltung zeichnet sich bisher ebenfalls keine grundsätzliche Abkehr von der Werkzeugtheorie des BGH ab.[25]
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Die Literatur lehnt diese Rechtsprechung überwiegend ab und vertritt vorwiegend einen funktionalen Ansatz. Danach ist allein zu klären, ob es sich bei der übertragenen Tätigkeit um eine staatliche oder nichtstaatliche Tätigkeit handelt. Damit soll eine Flucht des Staates aus seiner Haftung in das Privatrecht verhindert werden.[26]
Beispiel 1
Die Polizei beauftragt ein privates Abschleppunternehmen, um ein liegen gebliebenes Fahrzeug zu entfernen. Dabei wird das Fahrzeug beschädigt. Die Geschädigten fordern Schadensersatz.
Hinweis
Alternativ denkbar ist die Beschädigung des Fahrzeuges eines anderen Verkehrsteilnehmers.
Nach dem ursprünglichen Ansatz der Rechtsprechung zur Werkzeugtheorie konnte der Abschleppunternehmer im Regelfall nicht als Amtswalter angesehen werden, da er bei der Erfüllung seines Auftrages keinen Weisungen der beauftragenden Behörde unterlag. Er war kein Werkzeug.
Nach der Modifizierung der Rechtsprechung zur Werkzeugtheorie ist er jetzt aufgrund der Gesamtschau mit ihren Kriterien als Werkzeug anzusehen.
Die Literatur erreicht die Qualifizierung des Abschleppunternehmers als Amtswalter ohne Schwierigkeiten über die Einordnung der Tätigkeit, da diese zum Bereich der Gefahrenabwehr bzw. Verwaltungsvollstreckung gehört und klar öffentlich-rechtlicher Natur ist.
JURIQ-Klausurtipp
Da mittlerweile Rechtsprechung und Literatur zu einem übereinstimmenden Ergebnis kommen, prägen Sie sich bitte ein: Das Abschleppen von Fahrzeugen durch Private ist stets öffentlich-rechtlicher Natur und unter das Merkmal „Beamter/Amtswalter“ zu subsumieren.
Beispiel 2
Bei einem Soldaten wird im Rahmen einer Behandlung im Bundeswehrkrankenhaus u.a. ein bösartiger Tumor entdeckt. Zur gesamten weiteren Behandlung wird er in ein privates Krankenhaus überwiesen. Dort wird der Tumor jedoch übersehen und der Soldat nach der Behandlung als geheilt entlassen. Erst nach erneuten Beschwerden wird der Tumor, jetzt zu spät, behandelt. Der Soldat verstirbt und die hinterbliebene Ehefrau macht Schadensersatz wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend.
Auch in diesem Fall ist die Amtswalterstellung nach der ursprünglichen Rechtsprechung abzulehnen, da der fehlerhaft handelnde Arzt keinen Weisungen des überweisenden Bundeswehrkrankenhauses unterlag. Die Modifizierung der Werkzeugtheorie durch die Rechtsprechung lässt kein eindeutiges Ergebnis zu, so dass sie in diesem Fall nur noch auf die wahrgenommene Aufgabe – staatliche Gesundheitsfürsorge für Soldaten – abstellt und so zur Annahme des Merkmals „Beamter/Amtswalter“ gelangt.
Dieses Ergebnis erreicht die Literatur mit der Qualifizierung der Aufgabe als öffentlich-rechtlich auf direktem Wege.
Beispiel 3
Eine Stadt beauftragt eine private Firma mit der eigenverantwortlichen und weisungsfreien Steuerung sämtlicher Ampelanlagen. Aufgrund eines Fehlers des Schaltprogramms zeigt an einer Kreuzung eine Ampelanlage sowohl für den Geradeausverkehr als auch für den Querverkehr Grün. Infolgedessen kommt es zu einem schweren Unfall. Einer der Geschädigten verlangt Schadensersatz von der Stadt.
Hier ist nach der Rechtsprechung unter Zugrundelegung der Werkzeugtheorie keine Amtswalterstellung anzunehmen, da die private Firma selbstständig und gerade weisungsfrei handeln konnte. Allenfalls die Überlegung, dass dieses Ergebnis zu einer Schlechterstellung des Geschädigten führt, könnte in einer Gesamtschau aller Umstände berücksichtigt werden. Eine derartige ergebnisorientierte Sichtweise kommt aber letztlich einer Aufgabe der Werkzeugtheorie gleich.
Die Literatur kommt hingegen über die Qualifizierung der Verkehrsregelungsaufgabe als öffentlich-rechtlich wiederum unproblematisch zur Annahme einer Amtswalterschaft.
JURIQ-Klausurtipp
Die Thematik „Handeln eines Amtswalters“ können Sie in folgenden Schritten erörtern:
Zunächst ist eine Begriffsklärung „Beamter“ in § 839 BGB unter Erweiterung auf „jemand“ in Art. 34 GG vorzunehmen. Damit geht eine Verlagerung des Anknüpfungspunktes der Amtshaftung – weg vom Status des Handelnden hin zur Rechtsnatur der Tätigkeit – einher.
Diese Tätigkeit ist sodann als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, ggf. unter Zuhilfenahme der bekannten Abgrenzungstheorien.
Anschließend erfolgt die Subsumtion im Einzelfall.
Handelt eine Privatperson aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages zur Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe, sind die Positionen der Rechtsprechung (Werkzeugtheorie und ihre Modifizierung) und der Literatur (funktionaler Ansatz) kurz darzustellen und zu erörtern. Als zentrale Argumente können Sie zugunsten der Rechtsprechung die Beherrschbarkeit der Gefahr, zugunsten der Literatur die Verhinderung einer Flucht ins Privatrecht anführen.
Im Ergebnis sind beide Auffassungen gut vertretbar.
2. Teil Amtshaftung, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG › B. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen › II. Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit