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2. Descartes

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Übergang zur neuzeitlichen Naturphilosophie

Die Problemstellung, die für die neuzeitliche Naturphilosophie charakteristisch ist, kann anhand von René Descartes (1596–1650) eingeführt werden. Die Problemstellung ist, kurz gefasst, diese: Einerseits steht die Natur uns denkenden Wesen als etwas anderes gegenüber. Auf der anderen Seite sind wir in der Natur, indem wir uns als denkende und handelnde Wesen in der Natur behaupten müssen. Der geistesgeschichtliche Hintergrund von Descartes’ Philosophie ist dadurch geprägt, dass die aristotelische Sicht der Natur als etwas, dem Ziele immanent sind, ihre Tragfähigkeit verloren hat. Die christliche Philosophie des Mittelalters, die zeitlich zwischen Aristoteles und Descartes steht, verändert den aristotelischen Naturbegriff: Die Natur ist nicht von selbst, sondern von Gott geschaffen. Bei einigen spätmittelalterlichen Philosophen werden die Überlegungen darüber, was es heißt, dass Gott absolut ist, zu der These zugespitzt, dass Gott aus absoluter Macht handeln kann, ohne an irgendwelche Prinzipien gebunden zu sein. Wenn Gott aus absoluter Macht, ohne an irgendwelche Prinzipien gebunden zu sein, handeln kann, dann kann das Vertrauen auf eine sinnvolle Ordnung der Natur, in die wir integriert sind, zumindest erschüttert werden. Welches Gewicht diese Überlegungen über die absolute, ungebundene Macht Gottes haben, ist umstritten ([2–5], Teil 2, und [2–6] sind Deutungen der neuzeitlichen Philosophie von diesen Überlegungen her; siehe dagegen zum Beispiel [2–7], S. 77–79). Der Hinweis auf Überlegungen wie die genannten kann aber Folgendes zeigen: Man kann Faktoren anführen, aufgrund deren der Übergang von der aristotelischen und der christlichen Naturphilosophie zur neuzeitlichen Naturphilosophie als rational nachvollziehbar erscheint (siehe dazu auch [2–8], Kapitel 1.2). Für die heutige Diskussion bedeutet das: Es ist nicht nur ein historischer Zufall, dass unsere Situation durch einige Jahrhunderte neuzeitlicher Naturphilosophie, Naturwissenschaft und Technik geprägt ist. Man kann mit Hans Blumenberg (1920–1996) von einer Legitimität der Neuzeit sprechen [2–5], die bei der heutigen Auseinandersetzung mit dem geistesgeschichtlichen Hintergrund der neuzeitlichen Naturwissenschaft und Naturphilosophie berücksichtigt werden sollte.

Descartes’ Naturphilosophie

Die Hauptquelle von Descartes’ Naturphilosophie ist das zweite Buch der Prinzipien der Philosophie [2–9] (zur Einführung siehe zum Beispiel [2–10], Kapitel 3). Descartes zufolge ist die Natur der Bereich des räumlich und zeitlich Ausgedehnten. Über Ausdehnung hinaus ist dieser Bereich durch Bewegung gekennzeichnet. Statt der vier aristotelischen Typen von Ursachen erkennt Descartes nur noch den Ursprung von Bewegung als Ursache an. Regelmäßigkeit wird nicht mehr unter dem Gesichtspunkt eines Ziels gedacht. Bewegung ist vielmehr als solche gesetzmäßig. Jede Bewegung ist durch andere Bewegungen nach Gesetzen determiniert. Diese Gesetze können in der Sprache der Mathematik formuliert werden. Indem Descartes die Natur so denkt, dass sie ausschließlich durch Ausdehnung und Bewegung gekennzeichnet ist, überträgt er in gewisser Weise das, was nach Aristoteles für Produkte der Technik gilt, auf die Natur insgesamt: Der Natur ist keinerlei Ziel oder Zweck immanent.

Was die Natur charakterisiert, ist nach Descartes dementsprechend keine Vielzahl von Formen, die intrinsische Eigenschaften sind, sondern allein Ausdehnung und Bewegung. Es gibt zwar etwas Unveränderliches, das der Veränderung zugrunde liegt; das ist aber keine qualitative Form. Das Unveränderliche liegt in der Veränderung selbst: Die Quantität der Materie und die Summe der Bewegung im ganzen Universum bleiben erhalten ([2–9], Buch 2, § 36). Eine Substanz im Sinne desjenigen, das bei aller Veränderung erhalten bleibt, ist letztlich nur der körperliche Bereich insgesamt genommen ([2–11], Übersicht über die Meditationen). Jeder einzelne, bestimmte Körper kann vergehen. Was immer bestehen bleibt, ist nicht die Form von Dingen einer Art, sondern nur das Körperliche (die Materie) insgesamt, ungeachtet seiner jeweiligen Gestalt. Diese Konzeption lässt im Prinzip Raum dafür, Entstehen und Vergehen natürlicher Arten zu denken. Allerdings hat Descartes noch keine Evolutionstheorie im Sinn.

Ausdehnung und Denken

Mit dieser Sicht der Natur stellt sich das Problem, wie wir als denkende und handelnde Wesen in die Natur integriert sind. Den Kontrast zum Begriff der Natur bildet für Descartes nicht der Begriff der Technik, sondern der Begriff des Geistes. Auf der einen Seite gehören wir nach Descartes nicht zum Bereich des Ausgedehnten, insofern wir denkende und handelnde Wesen sind. Descartes stellt dem Bereich des Ausgedehnten als res extensa das Denken als einen eigenständigen Seinsbereich gegenüber, den Bereich der res cogitans ([2–11], 6. Meditation; [2–9], Buch I, § 8). Auf der anderen Seite sind wir an die Natur gebunden. Zu unserer Selbsterhaltung und Selbstbehauptung müssen wir handelnd in die Natur eingreifen.

Naturwissenschaft und Technik

Nach Descartes hat die Naturwissenschaft nicht nur das Ziel, Erkenntnis von der Natur zu gewinnen, sondern die Erkenntnisse über die Natur sollen unserer Selbstbehauptung in der Natur dienen. Von Descartes bis heute ist dieses nicht als eine Aussage über die Motive der jeweiligen Naturwissenschaftler zu verstehen. Es ist eine Aussage über die gesellschaftliche Funktion der Naturwissenschaft angesichts der oben genannten Problemstellung. Naturwissenschaft steht für Descartes im Dienste der Humanität in dem Sinne, dass sie zu einer Verbesserung der menschlichen Lebensumstände eingesetzt werden soll, wobei Descartes in erster Linie die Medizin im Auge hat ([2–12], 6. Teil). Hierin ist sich Descartes mit den anderen großen Philosophen am Beginn der Neuzeit, wie Francis Bacon (1561–1626) und Thomas Hobbes (1588–1679), einig. Bacon entwirft ein entsprechendes Programm im Neuen Organon [2–13], und auch Hobbes spricht davon, dass wir die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse planmäßig zur Förderung des menschlichen Lebens nutzen sollen ([2–14], Kapitel 1, § 6). Technik schließt für Descartes wie für Aristoteles an die Natur an. Aber für Descartes ist die Technik keine Vollendung dessen, was in der Natur angelegt ist, sondern eine planmäßige Umgestaltung der Natur gemäß menschlichen Zwecken. Die technischen Gegenstände stellen für Descartes, im Unterschied zu Aristoteles, kein ontologisches Problem dar. Es handelt sich um Dinge in der Natur wie alle anderen, die durch Ausdehnung und Bewegung gekennzeichnet sind und die den Bewegungsgesetzen, insbesondere den Erhaltungsgesetzen, unterliegen. Um die Natur zu unseren Zwecken verändern zu können, müssen wir uns in unserem Handeln an die Gesetzmäßigkeiten der Natur anpassen. Es bedarf daher keiner Philosophie der Technik im Sinne einer Ontologie der technischen Gegenstände. Und Technikphilosophie als kritische Reflexion über die Technik kommt erst dann zum Tragen, wenn das Programm, Naturwissenschaft zu fördern, um sie zur Verbesserung der menschlichen Lebensumstände einzusetzen, fragwürdig wird.

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